Viertes Stück

[248] Den 12ten Mai, 1767


Aber von was für Art sind die Bewegungen der Hände, mit welchen, in ruhigen Situationen, die Moral gesprochen zu sein liebet?

Von der Chironomie der Alten, das ist, von dem Inbegriffe der Regeln, welche die Alten den Bewegungen der Hände vorgeschrieben hatten, wissen wir nur sehr wenig; aber dieses[248] wissen wir, daß sie die Händesprache zu einer Vollkommenheit gebracht, von der sich aus dem was unsere Redner darin zu leisten im Stande sind, kaum die Möglichkeit sollte begreifen lassen. Wir scheinen von dieser ganzen Sprache nichts als ein unartikuliertes Geschrei behalten zu haben; nichts als das Vermögen, Bewegungen zu machen, ohne zu wissen, wie diesen Bewegungen eine fixierte Bedeutung zu geben, und wie sie unter einander zu verbinden, daß sie nicht bloß eines einzeln Sinnes, sondern eines zusammenhangenden Verstandes fähig werden.

Ich bescheide mich gern, daß man, bei den Alten, den Pantomimen nicht mit dem Schauspieler vermengen muß. Die Hände des Schauspielers waren bei weiten so geschwätzig nicht, als die Hände des Pantomimens. Bei diesem vertraten sie die Stelle der Sprache; bei jenem sollten sie nur den Nachdruck derselben vermehren, und durch ihre Bewegungen, als natürliche Zeichen der Dinge, den verabredeten Zeichen der Stimme Wahrheit und Leben verschaffen helfen. Bei dem Pantomimen waren die Bewegungen der Hände nicht bloß natürliche Zeichen; viele derselben hatten eine konventionelle Bedeutung, und dieser mußte sich der Schauspieler gänzlich enthalten.

Er gebrauchte sich also seiner Hände sparsamer, als der Pantomime, aber eben so wenig vergebens, als dieser. Er rührte keine Hand, wenn er nichts damit bedeuten oder verstärken konnte. Er wußte nichts von den gleichgültigen Bewegungen, durch deren beständigen einförmigen Gebrauch ein so großer Teil von Schauspielern, besonders das Frauenzimmer, sich das vollkommene Ansehen von Drahtpuppen gibt. Bald mit der rechten, bald mit der linken Hand, die Hälfte einer krieplichten Achte, abwärts vom Körper, beschreiben, oder mit beiden Händen zugleich die Luft von sich wegrudern, heißt ihnen, Aktion haben; und wer es mit einer gewissen Tanzmeistergrazie zu tun geübt ist, o! der glaubt, uns bezaubern zu können.

Ich weiß wohl, daß selbst Hogarth den Sohauspielern befiehlt, ihre Hand in schönen Schlangenlinien bewegen zu lernen; aber nach allen Seiten mit allen möglichen Abänderungen,[249] deren diese Linien, in Ansehung ihres Schwunges, ihrer Größe und Dauer, fähig sind. Und endlich befiehlt er es ihnen nur zur Übung, um sich zum Agieren dadurch geschickt zu machen, um den Armen die Biegungen des Reizes geläufig zu machen; nicht aber in der Meinung, daß das Agieren selbst in weiter nichts, als in der Beschreibung solcher schönen Linien, immer nach der nämlichen Direktion, bestehe.

Weg also mit diesem unbedeutenden Portebras, vornehmlich bei moralischen Stellen weg mit ihm! Reiz am unrechten Orte, ist Affektation und Grimasse; und eben derselbe Reiz, zu oft hinter einander wiederholt, wird kalt und endlich ekel. Ich sehe einen Schulknaben sein Sprüchelchen aufsagen, wenn der Schauspieler allgemeine Betrachtungen mit der Bewegung, mit welcher man in der Menuett die Hand gibt, mir zureicht, oder seine Moral gleichsam vom Rocken spinnet.

Jede Bewegung, welche die Hand bei moralischen Stellen macht, muß bedeutend sein. Oft kann man bis in das Malerische damit gehen; wenn man nur das Pantomimische vermeidet. Es wird sich vielleicht ein andermal Gelegenheit finden, diese Gradation von bedeutenden zu malerischen, von malerischen zu pantomimischen Gesten, ihren Unterschied und ihren Gebrauch, in Beispielen zu erläutern. Itzt würde mich dieses zu weit führen, und ich merke nur an, daß es unter den bedeutenden Gesten eine Art gibt, die der Schauspieler vor allen Dingen wohl zu beobachten hat, und mit denen er allein der Moral Licht und Leben erteilen kann. Es sind dieses, mit einem Worte, die individualisierenden Gestus. Die Moral ist ein allgemeiner Satz, aus den besondern Umständen der handelnden Personen gezogen; durch seine Allgemeinheit wird er gewissermaßen der Sache fremd, er wird eine Ausschweifung, deren Beziehung auf das Gegenwärtige von dem weniger aufmerksamen, oder weniger scharfsinnigen Zuhörer, nicht bemerkt oder nicht begriffen wird. Wann es daher ein Mittel gibt, diese Beziehung sinnlich zu machen, das Symbolische der Moral wiederum auf das Anschauende zurückzubringen, und wann dieses Mittel gewisse Gestus[250] sein können, so muß sie der Schauspieler ja nicht zu machen versäumen.

Man wird mich aus einem Exempel am besten verstehen. Ich nehme es, wie mir es itzt beifällt; der Schauspieler wird sich ohne Mühe auf noch weit einleuchtendere besinnen. – Wenn Olint sich mit der Hoffnung schmeichelt, Gott werde das Herz des Aladin bewegen, daß er so grausam mit den Christen nicht verfahre, als er ihnen gedrohet: so kann Evander, als ein alter Mann, nicht wohl anders, als ihm die Betrieglichkeit unsrer Hoffnungen zu Gemüte führen.


»Vertraue nicht, mein Sohn, Hoffnungen, die betriegen!«


Sein Sohn ist ein feuriger Jüngling, und in der Jugend ist man vorzüglich geneigt, sich von der Zukunft nur das Beste zu versprechen.


»Da sie zu leichtlich glaubt, irrt muntre Jugend oft.«


Doch indem besinnt er sich, daß das Alter zu dem entgegen gesetzten Fehler nicht weniger geneigt ist; er will den unverzagten Jüngling nicht ganz niederschlagen, und fähret fort:


»Das Alter quält sich selbst, weil es zu wenig hofft.«


Diese Sentenzen mit einer gleichgültigen Aktion, mit einer nichts als schönen Bewegung des Armes begleiten, würde weit schlimmer sein, als sie ganz ohne Aktion hersagen. Die einzige ihnen angemessene Aktion ist die, welche ihre Allgemeinheit wieder auf das Besondere einschränkt. Die Zeile,


»Da sie zu leichtlich glaubt, irrt muntre Jugend oft«


muß in dem Tone, mit dem Gestu der väterlichen Warnung, an und gegen den Olint gesprochen werden, weil Olint es ist, dessen unerfahrne leichtgläubige Jugend bei dem sorgsamen Alten diese Betrachtung veranlaßt. Die Zeile hingegen,


»Das Alter quält sich selbst, weil es zu wenig hofft«


erfordert den Ton, das Achselzucken, mit dem wir unsere eigene Schwachheiten zu gestehen pflegen, und die Hände müssen sich notwendig gegen die Brust ziehen, um zu bemerken,[251] daß Evander diesen Satz aus eigener Erfahrung habe, daß er selbst der Alte sei, von dem er gelte.

Es ist Zeit, daß ich von dieser Ausschweifung über den Vortrag der moralischen Stellen, wieder zurückkomme. Was man Lehrreiches darin findet, hat man lediglich den Beispielen des Hrn. Eckhof zu danken; ich habe nichts als von ihnen richtig zu abstrahieren gesucht. Wie leicht, wie angenehm ist es, einem Künstler nachzuforschen, dem das Gute nicht bloß gelingt, sondern der es macht!

Die Rolle der Clorinde ward von Madame Henseln gespielt, die ohnstreitig eine von den besten Aktricen ist, welche das deutsche Theater jemals gehabt hat. Ihr besonderer Vorzug ist eine sehr richtige Deklamation; ein falscher Accent wird ihr schwerlich entwischen; sie weiß den verworrensten, holprichsten, dunkelsten Vers, mit einer Leichtigkeit, mit einer Präcision zu sagen, daß er durch ihre Stimme die deutlichste Erklärung, den vollständigsten Kommentar erhält. Sie verbindet damit nicht selten ein Raffinement, welches entweder von einer sehr glücklichen Empfindung, oder von einer sehr richtigen Beurteilung zeuget. Ich glaube die Liebeserklärung, welche sie dem Olint tut, noch zu hören:


» – Erkenne mich! Ich kann nicht länger schweigen;

Verstellung oder Stolz sei niedern Seelen eigen.

Olint ist in Gefahr, und ich bin außer mir –

Bewundernd sah ich oft im Krieg und Schlacht nach dir;

Mein Herz, das vor sich selbst sich zu entdecken scheute,

War wider meinen Ruhm und meinen Stolz im Streite.

Dein Unglück aber reißt die ganze Seele hin,

Und itzt erkenn ich erst wie klein, wie schwach ich bin.

Itzt, da dich alle die, die dich verehrten, hassen,

Da du zur Pein bestimmt, von jedermann verlassen,

Verbrechern gleich gestellt, unglücklich und ein Christ,

Dem furchtbarn Tode nah, im Tod noch elend bist:

Itzt wag ichs zu gestehn: itzt kenne meine Triebe!«


Wie frei, wie edel war dieser Ausbruch! Welches Feuer, welche Inbrunst beseelten jeden Ton! Mit welcher Zudringlichkeit, mit welcher Überströmung des Herzens sprach ihr Mitleid![252] Mit welcher Entschlossenheit ging sie auf das Bekenntnis ihrer Liebe los! Aber wie unerwartet, wie überraschend brach sie auf einmal ab, und veränderte auf einmal Stimme und Blick, und die ganze Haltung des Körpers, da es nun darauf ankam, die dürren Worte ihres Bekenntnisses zu sprechen. Die Augen zur Erde geschlagen, nach einem langsamen Seufzer, in dem furchtsamen gezogenen Tone der Verwirrung, kam endlich,


»Ich liebe dich, Olint, –«


heraus, und mit einer Wahrheit! Auch der, der nicht weiß, ob die Liebe sich so erklärt, empfand, daß sie sich so erklären sollte. Sie entschloß sich als Heldin, ihre Liebe zu gestehen, und gestand sie, als ein zärtliches, schamhaftes Weib. So Kriegerin als sie war, so gewöhnt sonst in allem zu männlichen Sitten: behielt das Weibliche doch hier die Oberhand. Kaum aber waren sie hervor, diese der Sittsamkeit so schwere Worte, und mit eins war auch jener Ton der Freimütigkeit wieder da. Sie fuhr mit der sorglosesten Lebhaftigkeit, in aller der unbekümmerten Hitze des Affekts fort:


»– – – Und stolz auf meine Liebe,

Stolz, daß dir meine Macht dein Leben retten kann,

Biet ich dir Hand und Herz, und Kron und Purpur an.«


Denn die Liebe äußert sich nun als großmütige Freundschaft: und die Freundschaft spricht eben so dreist, als schüchtern die Liebe.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 4, München 1970 ff., S. 248-253.
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