[587] Quem rodunt omnes – – –
Horat. Lib. I. Sat. 6.[587]
Diese Rettungen des Horaz werden völlig von denen unterschieden sein, die ich vor kurzen gegen einen alten Schulknaben habe übernehmen müssen.
Seine kleine hämische Bosheit hat mich beinahe ein wenig abgeschreckt, und ich werde so bald nicht wieder mit Schriftstellern seines gleichen anbinden. Sie sind das Pasquillmachen gewohnt, so daß es ihnen weit leichter wird, eine Verleumdung aus der Luft zu fangen, als eine Regel aus dem Donat anzuführen. Wer aber will denn gern verleumdet sein?
Die Gabe sich widersprechen zu lassen, ist wohl überhaupt eine Gabe, die unter den Gelehrten nur die Toten haben. Nun will ich sie eben nicht für so wichtig ausgeben, daß man, um sie zu besitzen, gestorben zu sein wünschen sollte: denn um diesen Preis sind vielleicht auch größre Vollkommenheiten zu teuer. Ich will nur sagen, daß es sehr gut sein würde, wann auch noch lebende Gelehrte, immer im voraus, ein wenig tot zu sein lernen wollten. Endlich müssen sie doch eine Nachwelt zurücklassen, die alles Zufällige von ihrem Ruhme absondert, und die keine Ehrerbietigkeit zurückhalten wird, über ihre Fehler zu lachen. Warum wollen sie also nicht schon itzt diese Nachwelt ertragen lernen, die sich hier und da in einem ankündiget, dem es gleichviel ist, ob sie ihn für neidisch oder für ungesittet halten?
Ungerecht wird die Nachwelt nie sein. Anfangs zwar pflanzt sie Lob und Tadel fort, wie sie es bekömmt; nach und nach aber bringt sie beides auf ihren rechten Punkt. Bei Lebzeiten, und ein halb Jahrhundert nach dem Tode, für einen großen Geist gehalten werden, ist ein schlechter Beweis, daß man es ist; durch alle Jahrhunderte aber hindurch dafür gehalten werden, ist ein unwidersprechlicher. Eben das gilt bei dem Gegenteile. Ein Schriftsteller wird von seinen Zeitgenossen und von dieser ihren Enkeln nicht gelesen; ein Unglück, aber kein Beweis wider seine Güte; nur wann auch der Enkel Enkel nie Lust bekommen, ihn zu lesen, alsdann ist es gewiß, daß er es nie verdient hat, gelesen zu werden.
Auch Tugenden und Laster wird die Nachwelt nicht ewig[591] verkennen. Ich begreife es sehr wohl, daß jene eine Zeitlang beschmitzt und diese aufgeputzt sein können; daß sie es aber immer bleiben sollten, läßt mich die Weisheit nicht glauben, die den Zusammenhang aller Dinge geordnet hat, und von der ich auch in dem, was von dem Eigensinne der Sterblichen abhangt, anbetungswürdige Spuren finde.
Sie erweckt von Zeit zu Zeit Leute, die sich ein Vergnügen daraus machen, den Vorurteilen die Stirne zu bieten, und alles in seiner wahren Gestalt zu zeigen, sollte auch ein vermeinter Heiliger dadurch zum Bösewichte, und ein vermeinter Bösewicht zum Heiligen werden. Ich selbst – – denn auch ich bin in Ansehung derer, die mir vorangegangen, ein Teil der Nachwelt, und wann es auch nur ein Trillionteilchen wäre – – Ich selbst kann mir keine angenehmere Beschäftigung machen, als die Namen berühmter Männer zu mustern, ihr Recht auf die Ewigkeit zu untersuchen, unverdiente Flecken ihnen abzuwischen, die falschen Verkleisterungen ihrer Schwächen aufzulösen, kurz alles das im moralischen Verstande zu tun, was derjenige, dem die Aufsicht über einen Bildersaal anvertrauet ist, physisch verrichtet.
Ein solcher wird gemeiniglich unter der Menge einige Schildereien haben, die er so vorzüglich liebt, daß er nicht gern ein Sonnenstäubchen darauf sitzen läßt. Ich bleibe also in der Vergleichung, und sage, daß auch ich einige große Geister so verehre, daß mit meinem Willen nicht die allergeringste Verleumdung auf ihnen haften soll.
Horaz ist einer von diesen. Und wie sollte er es nicht sein? Er, der philosophische Dichter, der Witz und Vernunft in ein mehr als schwesterliches Band brachte, und mit der Feinheit eines Hofmanns den ernstlichsten Lehren der Weisheit das geschmeidige Wesen freundschaftlicher Erinnerungen zu geben wußte, und sie entzückenden Harmonien anvertraute, um ihnen den Eingang in das Herz desto unfehlbarer zu machen.
Diese Lobsprüche zwar hat ihm niemand abgestritten, und sie sind es auch nicht, die ich hier wider irgend einen erhärten will. Der Neid würde sich lächerlich machen, wann er entschiedne Verdienste verkleinern wollte; er wendet seine Anfälle,[592] gleich einem schlauen Belagerer, gegen diejenigen Seiten, die er ohne Verteidigung sieht; er gibt dem, dem er den großen Geist nicht abstreiten kann, lasterhafte Sitten, und dem, dem er die Tugend lassen muß, läßt er sie und macht ihn dafür zu einem Blödsinnigen.
Schon längst habe ich es mit dem bittersten Verdrusse bemerkt, daß eben diesen Ränken auch der Nachruhm des Horaz nicht entgangen ist. So viel er auf der Seite des Dichters gewonnen hat, so viel hat er auf der Seite des ehrlichen Mannes verloren. Ja, spricht man, er sang die zärtlichsten und artigsten Lieder, niemand aber war wollüstiger als er; er lobte die Tapferkeit bis zum Entzücken, und war selbst der feigherzigste Flüchtling; er hatte die erhabensten Begriffe von der Gottheit, aber er selbst, war ihr schläfrigster Verehrer.
Es haben sich Gelehrte genug gefunden, die seine Geschichte sorgfältig untersucht, und tausend Kleinigkeiten beigebracht haben, die zum Verständnisse seiner Schriften dienen sollen. Sie haben uns ganze Chronologien davon geliefert, sie haben alle zweifelhafte Lesarten untersucht; nur jene Vorwürfe laben sie ununtersucht gelassen. Und warum denn? Haben sie etwa einen Heiden nicht gar zu verehrungswürdig machen wollen?
Mich wenigstens soll nichts abhalten, den Ungrund dieser Vorwürfe zu zeigen, und einige Anmerkungen darüber zu machen, die so natürlich sind, daß ich mich wundern muß, warum man sie nicht längst gemacht hat.
Ich will bei seiner Wollust anfangen; oder wie sich ein neuer Schriftsteller ausdrückt, der aber der feinste nicht ist; bei seiner stinkenden Geilheit und unmäßigen Unzucht.1 Die Beweise zu dieser Beschuldigung nimmt man, teils aus seinen eignen Schriften, teils aus den Zeugnissen andrer.
Ich will bei den letztern anfangen. Alle Zeugnisse die man wegen der wollüstigen Ausschweifung des Horaz auftreiben kann, fließen aus einer einzigen Quelle, deren Aufrichtigkeit nichts weniger als außer allem Zweifel gesetzt ist. Man hat[593] nämlich auf einer alten Handschrift der Bodlejanischen Bibliothek eine Lebensbeschreibung des Horaz gefunden, die fast alle Kunstrichter dem Sueton, wie bekannt, zuschreiben. Wann sie keine andre Bewegungsgründe dazu hätten, als die Gleichheit der Schreibart, so würde ich mir die Freiheit nehmen, an ihrem Vorgeben zu zweifeln. Ich weiß, daß man Schreibarten nachmachen kann; ich weiß, daß es eine wahre Unmöglichkeit ist, alle kleine Eigentümlichkeiten eines Schriftstellers so genau zu kennen, daß man den geringsten Abgang derselben in seinem Nachahmer entdecken sollte; ich weiß endlich, daß man, um in solchen Vermutungen recht leicht zu fehlen, nichts als wenig Geschmack und recht viel Stolz besitzen darf, welches, wie man sagt, gleich der Fall der meisten Kunstrichter ist. Doch der Scholiast Porphyrion führt eine Stelle aus dieser Lebensbeschreibung des Horaz an, und legt sie mit ausdrücklichen Worten dem Sueton bei. Dieses nun ist schon etwas mehr, ob gleich auch nicht alles. Die Paar Worte die er daraus anführt, sind gar wohl von der Art, daß sie in zwei verschiedenen Lebensbeschreibungen können gestanden haben. Doch ich will meine Zweifelsucht nicht zu weit treiben; Sueton mag der Verfasser sein.
Sueton also, der in dieser Lebensbeschreibung hunderterlei beibringt, welches dem Horaz zum Lobe gereichet, läßt, gleichsam als von der Wahrheitsliebe darzu gezwungen, eine Stelle mit einfließen, die man tausendmal nachgeschrieben, und oft genug mit einer kleinen Kützelung nachgeschrieben hat. Hier ist sie: Ad res venereas intemperantior traditur. Nam speculato cubiculo scorta dicitur habuisse disposita, ut quocunque respexisset, ibi ei imago coitus referretur.
Was will man nun mehr? Sueton ist doch wohl ein glaubwürdiger Schriftsteller; und Horaz war doch wohl Dichters genug, um so etwas von ihm für ganz wahrscheinlich zu halten?
Man übereile sich nicht, und sei anfangs wenigstens nur so vorsichtig, als es Sueton selbst hat sein wollen. Er sagt traditur, dicitur. Zwei schöne Wörter, welchen schon mancher ehrliche Mann den Verlust seines guten Namens zu danken hat! Also ist nur die Rede so gegangen? Also hat man es nur[594] gesagt? Wahrhaftig, mein lieber Sueton, so bin ich sehr übel auf dich zu sprechen, daß du solche Nichtswürdigkeiten nachplauderst. In den hundert und mehr Jahren, die du nach ihm gelebt, hat vieles können erdacht werden, welches ein Geschichtschreiber wie du, hätte untersuchen, nicht aber ununtersucht fortpflanzen sollen – –
Es würde ein wenig ekel klingen, wenn ich diese Apostrophe weiter treiben wollte. Ich will also gelassener fortfahren – – In eben dieser Lebensbeschreibung sagt Sueton: es gehen unter dem Namen des Horaz Elegien und ein prosaischer Brief herum; allein beide halte ich für falsch. Die Elegien sind gemein, und der Brief ist dunkel, welches doch sein Fehler ganz und gar nicht war. – – Das ist artig! Warum widerspricht denn Sueton der Tradition hier, und oben bei dem Spiegelzimmer nicht? Hat es mehr auf sich den Geist eines Schriftstellers zu retten, als seine Sitten? Welches schimpft denn mehr? Nach einer Menge der vollkommensten Gedichte, einige kalte Elegien und einen dunkeln Brief schreiben; oder bei aller Feinheit des Geschmacks ein unmäßiger Wollüstling sein? – – Unmöglich kann ich mir einbilden, daß ein vernünftiger Geschichtschreiber, auf eben derselben Seite, in eben derselben Sache, nämlich in Meldung der Nachreden, welchen sein Held ausgesetzt worden, gleich unvorsichtig, als behutsam sein könne.
Nicht genug! Ich muß weiter gehen, und den Leser bitten, die angeführte Stelle noch einmal zu betrachten: ad res venereas intemperantior traditur. Nam speculato cubiculo scorta dicitur habuisse disposita, ut quocunque respexisset, ibi ei imago coitus referretur.
Je mehr ich diese Worte ansehe, je mehr verlieren sie in meinen Augen von ihrer Glaubwürdigkeit. Ich finde sie abgeschmackt; ich finde sie unrömisch; ich finde, daß sie andern Stellen in dieser Lebensbeschreibung offenbar widersprechen.
Ich finde sie abgeschmackt. Man höre doch nur, ob der Geschichtschreiber kann gewußt haben, was er will? Horaz soll in den venerischen Ergötzungen unmäßig gewesen sein; denn man sagt – – Auf die Ursache wohl Achtung gegeben! [595] Man sagt – Ohne Zweifel, daß er als ein wahrer Gartengott, ohne Wahl, ohne Geschmack auf alles, was weiblichen Geschlechts gewesen, losgestürmet sei? Nein! – Man sagt, er habe seine Buhlerinnen in einem Spiegelzimmer genossen, um auf allen Seiten, wo er hingesehen, die wollüstige Abbildung seines Glücks anzutreffen – Weiter nichts? Wo steckt denn die Unmäßigkeit? Ich sehe, die Wahrheit dieses Umstandes vorausgesetzt, nichts darin, als ein Bestreben, sich die Wollust so reizend zu machen, als möglich. Der Dichter war also keiner von den groben Leuten, denen Brunst und Galanterie eines ist, und die im Finstern mit der Befriedigung eines einzigen Sinnes vorlieb nehmen. Er wollte, so viel möglich, alle sättigen; und ohne einen Wehrmann zu nennen, kann man behaupten, er werde auch nicht den Geruch davon ausgeschlossen haben. Wenigstens hat er diese Reizung gekannt:
te puer in rosa
Perfusus liquidis urget odoribus.
Und das Ohr? Ich traue ihm Zärtlichkeit genug zu, daß er auch dieses nicht werde haben leer ausgehen lassen. Sollte die Musik auch nur
Gratus puellae risus
gewesen sein. Und der Geschmack?
oscula, quae Venus
Quinta parte sui nectaris imbuit.
Nektar aber soll der Zunge keine gemeine Kützelung verschafft haben; wenigstens sagt Ibykus bei dem Athenäus, es sei noch neunmal süßer als Honig – – Himmel! was für eine empfindliche Seele war die Seele des Horaz! Sie zog die Wollust durch alle Eingänge in sich. – – Und gleichwohl ist mir das Spiegelzimmer eine Unwahrscheinlichkeit. Sollte denn dem Dichter nie eine Anspielung darauf entwischt sein? Vergebens wird man sich nach dieser bei ihm umsehen. Nein, nein; in den süßen Umarmungen einer Chloe hat man die Sättigung der Augen näher, als daß man sie erst seitwärts in dem Spiegel suchen müßte. Wen das Urbild nicht rühret,[596] wird den der Schatten rühren? – – Ich verstehe eigentlich hievon nichts; ganz und gar nichts. Aber es muß doch auch hier alles seinen Grund haben; und es wäre ein sehr wunderbares Gesetze, nach welchem die Einbildungskraft wirkte, wenn der Schein mehr Eindruck auf sie machen könnte, als das Wesen – –
Ferner finde ich die angeführten Worte unrömisch. Wer wird mich zum Exempel bereden, daß die Römer speculatum cubiculum, für cubiculum speculis ornatum gesagt haben? Man mag dem Mittelworte speculatum eine aktive oder passive Bedeutung geben, so wird es in dem ersten Fall gar nichts, und in dem an dern etwas ganz anders ausdrücken. Schon speculari für in dem Spiegel besehen, ist das gewöhnlichste nicht, und niemand anders als ein Barbar oder ein Schulknabe kann darauf fallen, den Begriff mit Spiegeln ausgezieret, durch speculatus zu geben. Doch wenn das auch nicht wäre, so sage man mir doch, was die ganze Redensart heißt: speculato cubiculo scorta dicitur habuisse disposita? Ich weiß wohl, was in einem gewissen Studentenliede scorta deponere bedeutet, aber was in einem klassischen Schriftsteller scorta deponere sagen könne, gesteh ich ganz gerne, nicht zu wissen. Die Worte sind so dunkel, daß man den Sinn nicht anders als erraten kann; welches, aber den meisten nicht sauer werden wird, weil ein wenig Bosheit mit unterläuft. Wann man ihn nun aber erraten hat, so versuche man doch, ob er sich wohl mit dem, was Sueton sonst von dem Horaz erzählt, vergleichen lasse?
Nach dem Bericht dieses Geschichtschreibers war August mit dem Dichter so vertraulich, daß er ihn oft im Scherze purissimum penem und homuncionem lepidissimum nannte. Der verschämte Herr Pastor Lange gibt das erste Beiwort durch einen artigen Bruder Lüderlich; oder vielmehr nach seiner Rechtschreibung Liederlich. Ich will hoffen, daß man keine getreuere Übersetzung von mir verlangen wird. Genug für mich, daß putissimus, oder wenn man die Lesart ein wenig antiquer haben will, purissimus, der Allerreinste heißt, und daß der, welcher ad res venereas intemperantior ist, unmöglich der Allerreinste sein kann. Eines von beiden muß also[597] nur wahr sein; entweder das dicitur des Pöbels, oder das ausdrückliche Urteil des Augusts. Mit welchem will man es halten?
Die Wahl kann nicht schwer fallen; sondern jeder Unparteiischer wird mir vielmehr zugestehen, daß Sueton schwerlich etwas so abgeschmacktes, so unrömisches und mit seinen anderweitigen Nachrichten so streitendes, könne geschrieben haben, und daß man vielmehr vollkommen berechtiget sei, die angeführte Stelle für untergeschoben zu halten.
Was das Unrömische darinnen zwar anbelangt, so könnte man vielleicht den Vorwand der verstümmelten Lesart wider mich brauchen, und alle Schuld auf die unwissenden Abschreiber schieben. Es ist wahr; und ich selbst kann eine Verbesserung angeben, die so ungezwungen ist, daß man sie ohne Widerrede annehmen wird. Anstatt nämlich: speculato cubiculo scorta dicitur habuisse disposita rate ich zu lesen specula in cubiculo scortans ita dicitur habuisse disposita, ut etc. Man sieht, daß ich wenigstens sehr aufrichtig bin, und mir kein Bedenken mache, meinen Grund selbst zu entkräften. Doch wer weiß ob ich es tun würde, wenn ich nicht den übrigen Gründen desto mehr zutraute. Ich glaube aber, sie sind von der Beschaffenheit, daß das, was ich noch hinzusetzen will, sie fast unwidersprechlich machen wird.
Ich hatte nicht lange über diese verdächtige Beschuldigung nachgedacht, als ich mich erinnerte, etwas ähnliches bei dem Seneca gelesen zu haben. Dieser ehrliche Philosoph hat nicht gern eine Gelegenheit versäumt, wo er mit guter Art seine ernsthaften Lehren, mit einem Zuge aus der Geschichte lebhafter machen konnte. In dem ersten Buche seiner natürlichen Fragen handelt er unter andern von den Spiegeln, und nachdem er alles beigebracht, was er als ein Physiker davon zu sagen gewußt, so schließt er endlich mit einer Erzählung, die ziemlich schmutzig ist. Vielleicht sollte ich mehr sagen, als ziemlich; wenigstens bin ich nicht der einzige, der es einem stoischen Weisen verdenkt, sie mit allen spitzigen Schönheiten seines lakonischen Witzes ausgekramt zu haben.
Fromondus setzt schon hinzu: honestius tacuisses Seneca; und es gibt Übersetzer, die lieber ihre Urschrift hier verstümmeln,[598] als durch allzugroße Treue ihren Lesern die Röte ins Gesicht treiben wollen. Ich würde eben so behutsam sein, wenn nicht unglücklicher Weise beinahe die ganze Rettung meines Dichters davon abhinge. Der Unschuld zum Nutzen kann man schon den Mund ein wenig weiter auftun. Ich werde bei dem allen noch weit bescheidener als Seneca sein, den diejenigen, welche gründlicher unterrichtet sein wollen, in dem sechzehnten Hauptstücke des angeführten Buchs nachlesen können.
»Bei dieser Gelegenheit, sagt er zu seinem Lucil, muß ich dir doch ein Histörchen erzählen, woraus du erkennen wirst, wie die Geilheit sogar kein Werkzeug zur Anreizung der Wollust verachtet, und wie sinnreich sie ist, ihrem unzüchtigen Feuer Nahrung zu schaffen. Ein gewisser Hostius übertraf an Unkeuschheit alles, was man jemals auf der Bühne gesehen und verabscheuet hat. Er war dabei ein reicher Geizhals, ein Sklave von mehr als tausend Sesterzien. Als ihn seine Sklaven umgebracht hatten, achtete der göttliche August ihn nicht für wert, seinen Tod zu rächen, ob er ihn gleich nicht billigte. Er verunreinigte sich nicht allein mit einem Geschlechte; sondern er war auf das männliche eben so rasend als auf das weibliche. Er ließ sich Spiegel verfertigen, die, wie ich sie in dem vorhergehenden beschrieben habe, die Bilder um vieles vergrößerten, und den Finger an Dicke und Länge einem Arme gleich machten. Diese Spiegel stellte er so, daß wenn er sich selbst von einem seines Geschlechts mißbrauchen ließ, er alle Bewegungen seines Schänders darinne sehen, und sich an der falschen Größe des Gliedes, gleichsam als an einer wahren, vergnügen konnte. Er suchte zwar schon in allen Badstuben die Muster nach dem vergrößerten Maßstabe aus; gleichwohl aber mußte er seine unersättliche Brunst auch noch mit Lügen stillen. Nun sage man mir, ob es wahr ist, daß der Spiegel nur der Reinigkeit wegen erfunden sei?« –
Weiter brauche ich meinen Stoiker nicht zu verdolmetschen Er moralisiert noch eine ziemliche Ecke ins Feld hinein, und gibt sich alle Mühe die Augen seiner Leser auf diesen Gegenstand recht zu heften. Man sollte schwören, er rede von dem freiwilligen Tode des Cato, so feurig wird er dabei![599]
Ich will mich vielmehr so gleich zu den Folgerungen wenden, die daraus fließen. Der göttliche Augustus, welcher hier einen unzüchtigen Mann so verabscheuet, daß er auch seinen Tod, an den nichtswürdigsten Kreaturen in den Augen eines Römers, an meuchelmörderischen Sklaven, nicht ahnden will, ist eben der August, dessen Liebling Horaz war. Nun malt man uns den Horaz zwar nicht völlig als einen Hostius; allein das was daran fehlt, ist auch so groß nicht, als daß es in dem Betragen des Augustus einen so merklichen Unterscheid hätte machen können. Unter den scortis, die der Dichter vor dem Spiegel soll genossen haben, will man nicht bloß weibliche verstehen, deren Gebrauch die Entbehrlichkeit übernatürlicher Anspornung ziemlich voraussetzt. Man muß das männliche Geschlecht mit darunter begreifen, wenn das intemperantior ad res venereas traditur, nicht, wie ich schon gezeigt habe, eine Ungereimtheit sein soll. Begreift man es aber darunter, so ist Hostius dem Horaz nur noch in kleinen Umständen überlegen; und ihr Hauptverbrechen ist eins. Es ist eins, sage ich; und Augustus muß von sehr wankenden Grundsätzen gewesen sein. Was konnte ihn antreiben, eben dasselbe Laster in dem einen zu verfolgen, und bei dem andern in einen Scherz oder vielmehr gar in eine Art von Lobspruch zu verwandeln? Jenen für indignum vindicta, und diesen für purissimum penem zu erklären? Man sage nicht, die Vorzüge die Horaz sonst, als ein schöner Geist besessen, könnten den August über diese Abscheulichkeit wegzusehen bewogen haben. August war der Mann nicht, der in Ansehung des Witzes die allzugroben Ausschweifungen zu vergeben gewohnt war. Wenigstens hat er es an einer ähnlichen Person, an dem Ovid, nicht gewiesen.
Was soll ich von einer so klaren Sache viel Worte machen? Ich glaube die kritische Vermutung vorbereitet genug zu haben, die ich nunmehr vorbringen will. Man betrachte, daß Hostius unter dem August gelebt; man betrachte, daß der Name Hostius Gleichheit genug mit dem Namen Horatius hat, um von einem Unwissenden dafür angesehn zu werden; man überlege endlich, daß die Worte des Seneca, die ich schon übersetzt angeführt habe: specula ita disponebat ut[600] cum virum ipse pateretur, aversus omnes admissarii sui motus in speculo videret; daß, sage ich, diese Worte von den oben angeführten: specula in cubiculo, scortans ita dicitur habuisse disposita, ut quocunque respexisset, ibi ei imago coitus referretur beinahe das Vorbild zu sein scheinen; und wenn man alles dieses genau überlegt hat, so sage man mir, ob ich nicht mit einem ziemlichen Grade von Wahrscheinlichkeit behaupten könnte, daß die streitige Stelle des Suetons, das Einschiebsel eines Abschreibers sei? Eines Abschreibers, der vielleicht bei einem andern, als bei dem Seneca gelesen hatte: zu den Zeiten des Augustus habe ein gewisser Hostius – welcher Name ihm ohne Zweifel unbekannter war, als Horatius – – vor den Spiegeln seine unzüchtigen Lüste gestillt: eines Abschreibers, der ein verdienstliches Werk zu tun glaubte, wenn er mit dieser Anekdote die Nachrichten des Suetons vermehrte.
Ich bin hoffentlich der erste, der diese Vermutung vorträgt, ob ich gleich nicht der erste bin, der die Stelle, die sie betrifft, für untergeschoben hält. Dacier hat sie in seiner Übersetzung stillschweigend ausgelassen, und stillschweigend also verdammt. Baxter läßt sie in seiner Ausgabe gleichfalls weg, und fügt in einer Anmerkung hinzu: quae hic omittuntur, a nescio quo nebulone infarcta sunt, neque enim solum inhonesta, verum etiam deridicula et άσυσατα videntur. Es sollte mir lieb sein, wenn ich das, was Baxter hier mit ganz trocknen Worten sagt, richtig erwiesen hätte.
Und zwar sollte es mir schon deswegen lieb sein, weil die zweite Art von Beweisen, die man von der Unkeuschheit des Horaz aus seinen eignen Schriften nimmt, ein großes verlieret, wann sie von der erstern nicht mehr unterstützt wird.
Gibt man es zu, oder gibt man es nicht zu, daß der Dichter die Natur schildert; daß die sinnlichen Gegenstände ihn nicht bloß und allein, ja nicht einmal vorzüglich beschäftigen müssen; daß die Empfindungen, so wie sie die Natur selbst beleben, auch sein Gemälde beleben müssen? Man gibt es zu. Räumt man es ein, oder räumt man es nicht ein, daß die Empfindungen der Wollust unter allen diejenigen sind, welche sich der meisten Herzen bemächtigen? und sich ihrer am[601] leichtesten bemächtigen; daß sie unter sich der mehresten Abändrungen fähig sind, welche alle Wollust, aber alle eine andre Wollust sind; daß der Dichter, so wie er hier seine meiste Stärke zeigen kann, auch hier seinen meisten Ruhm zu erwarten hat? Man räumt es ein. Also räume man auch ein, daß der Dichter Wein und Liebe, Ruh und Lachen, Schlaf und Tanz besingen, und sie als die vornehmsten Güter dieses Lebens anpreisen darf; oder wenigstens gestehe man zu, daß man dem Dichter, wenn man es ihm untersagen wollte, eines von den schönsten Feldern untersagen würde, wo er die angenehmsten Blumen für das menschliche Herz sammlen könnte. Ich rede von dem menschlichen Herze, so wie es ist, und nicht wie es sein sollte; so wie es ewig bleiben wird, und nicht wie es die strengen Sittenlehrer gern umbilden wollten.
Ich habe für den Horaz schon viel gewonnen, wenn der Dichter von der Liebe singen darf. Allein die Liebe, hat sie nicht jedes Jahrhundert eine andere Gestalt? Man hat angemerkt, daß sie in den barbarischen Zeiten ungemein bescheiden, ehrerbietig, und bis zur Schwärmerei züchtig und beständig gewesen ist; es waren die Zeiten der irrenden Ritter. In den Zeiten hingegen, in welchen sich Witz und Geschmack aus dem Bezirke der Künste und Wissenschaften bis in den Bezirk der Sitten ausgebreitet hatten, war sie immer kühn, flatterhaft, schlüpfrigt, und schweifte wohl gar aus dem Gleise der Natur ein wenig aus. Ist es aber nicht die Pflicht eines Dichters, den Ton seines Jahrhunderts anzunehmen? Sie ist es, und Horaz konnte unmöglich anders von der Liebe reden, als nach der Denkungsart seiner Zeitgenossen. – – Noch mehr also für ihn gewonnen.
Hierzu füge man die Anmerkung, daß alles, woraus ein Dichter seine eigne Angelegenheit macht, weit mehr rührt, als das, was er nur erzählt. Er muß die Empfindungen, die er erregen will, in sich selbst zu haben scheinen; er muß scheinen aus der Erfahrung und nicht aus der bloßen Einbildungskraft zu sprechen. Diese, durch welche er seinem geschmeidigen Geiste alle mögliche Formen auf kurze Zeit zu geben, und ihn in alle Leidenschaften zu setzen weiß, ist eben das, was seinen Vorzug vor andern Sterblichen ausmacht; allein es ist gleich[602] auch das, wovon sich diejenigen, denen er versagt ist, ganz und gar keinen Begriff machen können. Sie können sich nicht vorstellen, wie ein Dichter zornig sein könne, ohne zu zürnen; wie er von Liebe seufzen könne, ohne sie zu fühlen. Sie, die alle Leidenschaften nur durch Wirklichkeiten in sich erwecken lassen, wissen von dem Geheimnisse nichts, sie durch willkürliche Vorstellungen rege zu machen. Sie gleichen den gemeinen Schiffern, die ihren Lauf nach dem Winde einrichten müssen, wenn der Dichter einem Äneas gleicht, der die Winde in verschlossenen Schläuchen bei sich führt, und sie nach seinem Laufe einrichten kann. Gleichwohl muß er, ihren Beifall zu haben, sich ihnen gleich stellen. Weil sie nicht ehr feurig von der Liebe reden können, als bis sie verliebt sind; so muß er selbst ihnen zu gefallen verliebt sein, wenn er feurig davon reden will. Weil sie nicht wissen, wie sich der Schmerz über den Verlust einer Geliebten ausdrücken würde, ohne ihn gefühlt zu haben; so muß ihm selbst eine Neära untreu geworden sein, wann er die Natur und ihre Ausbrüche bei einer solchen Gelegenheit, schildern will.
Da man aber dieses weiß, oder wenigstens wissen könnte, schämt man sich denn nicht, alles im Ernste auf die Rechnung des Dichters zu schreiben, was er selbst, des künstlichen Blendwerks wegen, darauf geschrieben hat? Muß er denn alle Gläser geleert und alle Mädgens geküßt haben, die er geleert und geküßt zu haben vorgibt? Die Bosheit herrscht hier wie überall. Man lasse ihn die herrlichsten Sittensprüche, die erhabensten Gedanken, von Gott und Tugend vortragen; man wird sich wohl hüten sein Herz zur Quelle derselben zu machen; alles das Schöne, spricht man, sagt er als Dichter. Aber es entfahre ihm das geringste Anstößige, schnell soll der Mund von dem übergeflossen sein, dessen das Herz voll ist.
Weg also mit allen den unwürdigen Anwendungen, die man von den Gedichten des Horaz auf den moralischen Charakter desselben oft genug gemacht hat! Sie sind die größten Ungerechtigkeiten, die man ihm erweisen kann, und allzu oft wiederholt, werden sie endlich alle seine Nachahmer bewegen, uns die Natur nur auf ihrer störrischen Seite zu weisen, und alle Grazien aus ihren Liedern zu verbannen.[603]
Niemand hat diese verhaßten Anwendungen weiter getrieben, als einige Franzosen. Und in welcher Torheit tragen nicht immer die Franzosen den Preis davon? De la Chapelle fand mit seinen Liebsgeschichten des Catulls und Tibulls Nachahmer, so ein elender Schriftsteller er auch war. Doch habe ich es schon vergessen, daß es eben die elendesten Schriftsteller sind, welche die meisten Nachahmer finden? Nicht einer, sondern zwei wahrhafte Beauxesprits, das ist, wahrhafte seichte Köpfe, haben uns les Amours d'Horace geliefert. Der eine hat in fünf Briefen an einen Marquis – denn ein Marquis muß es wenigstens sein, mit dem ein französischer Autor in Briefwechsel steht – – alle weibliche Namen, die in den Gedichten des Horaz vorkommen, in ein Ganzes zu bringen gewußt. Sie sind ihm eine Reihe von willigen Schwestern, die alle der flatterhafte Horaz durchgeschwärmt ist. Schon die Menge derselben hätte ihm das Abgeschmackte seines Unternehmens sichtbar machen können; allein eben dieselbe Menge macht er zu einem Beweise, daß Horaz in der Galanterie ein Held ohn gleichen müsse gewesen sein. Er erzwingt überall aus den Worten des Dichters, welche oft die unschuldigsten von der Welt sind, kleine scandaleuse Umstände, um seinen Erdichtungen eine Art von Zusammenhang zu verschaffen. Horaz, zum Exempel, begleitet die zur See gehende Galathee mit aufrichtigen Wünschen der Freundschaft; der Freundschaft, sag ich, die ihr alle Gefährlichkeiten des tobenden Ozeans vorstellt, und sie durch das Exempel der Europa, keine ungewisse Reise anzutreten, ermahnet. Dieses ist der Inhalt der 27ten Ode des dritten Buchs. Das Zärtlichste, was Horaz der Galathee darinne sagt, sind die Zeilen:
Sis licet felix ubicunque mavis,
Et memor nostri, Galatea, vivas.
Was kann unschuldiger sein, als diese Zeilen? Sie scheinen aus dem Munde eines Bruders geflossen zu sein, der sich einer geliebten Schwester, die ihn verlassen will, empfiehlt. Doch was nicht darinne liegt, hat der Franzose hineingelegt; er übersetzt die Worte memor nostri vivas durch daignez toujours[604] conserver le souvenir de ma tendresse, und nunmehr ist es klar, daß Galathee eine Buhlerin des Horaz gewesen ist. Noch nicht genug; zum Trotze aller Ausleger, die zu dieser Ode setzen, »man weiß nicht, wer diese Galathee gewesen ist, noch vielweniger ob sie Horaz geliebt hat« – ihnen zum Trotze, sage ich, weiß er beides. Galathee, sagt er, war ein gutes Weibchen, so wie sie Horaz, der nun bald ausgedient hatte, brauchte. Sie wollte lieber gleich Anfangs die Waffen niederlegen, als sich mit Verteidigung eines Platzes aufhalten, von dem sie vorher sahe, daß er sich doch würde ergeben müssen. Ihre Leidenschaften waren sehr feurig, und die Heftigkeit derselben war in allen ihren Mienen zu lesen. Ihr Mund war von den häufigen Küssen, die sie zu empfangen gewohnt war, wie verwelkt. Alles das machte sie für den Horaz recht bequem; für ihn, der gleichfalls gern so geschwind als möglich zu entern suchte; nur Schade, daß sie sich etwas mehr von ihm versprach, als kalte Versicherungen seiner Treue. Sie ließ es ihm daher auch gar bald merken, daß nichts als Liebe, selten ein Frauenzimmer zur Liebe bewege. Den Verfolgungen dieses abgelebten Liebhabers zu entgehen, und was das vornehmste war, sich für seine Lieder, für die gewöhnlichen Werkzeuge seiner Rache, in Sicherheit zu setzen, beschloß sie, Rom zu verlassen. Sie machte sich fertig zur See zu gehen, um vielleicht auf gut Glück ihren Mann aufzusuchen –
Ist es erlaubt, solche Nichtswürdigkeiten zu erdenken, die auch nicht den allermindesten Grund haben? Doch ich will mich bei diesem Schriftsteller nicht aufhalten. Gegen das Andenken eines großen Dichters so wenig Ehrerbietigkeit haben, daß man sich nicht scheuet, es durch einen unsinnigen Roman zu verdunkeln, ist ein Beweis der aller pöbelhaftesten Art zu denken, und des aller elendesten Geschmacks. Genug, daß jedem, der die Oden gegen einander halten will, die Horaz an einerlei Frauenzimmer, dem Namen nach, geschrieben zu haben scheinet, Widersprüche in die Augen fallen werden, die sogleich das Erdichtete der Gegenstände verraten. Mehr braucht es nicht, aus allen seinen Lydien, Neären, Chloen, Leuconoen, Glyceren, und wie sie alle heißen, Wesen[605] der Einbildung zu machen. Wesen der Einbildung, wofür ich beiläufig auch meine Phyllis und Laura und Corinna erklären will. – – Wird man nicht lachen, daß man mich um meinen Nachruhm so besorgt sieht?
Aber ich will wohl also gar, den Horaz zu einem Priester der Keuschheit machen? Nichts weniger als das. Er mag immer geliebt haben; wenn ich nur so viel für ihn erlange, daß man seine Oden nicht wider ihn brauchen darf, und die Spiele seines Witzes nicht zu Bekenntnissen seines Herzens macht. Ich dringe hierauf besonders deswegen, um ihn von dem widernatürlichen Verbrechen der Wollüstlinge seiner Zeit los zu sprechen, und wenigstens die weichlichen Knaben den Ligurin und Lyciscus aus der Rolle seiner Buhlerinnen zu streichen.
Um es wahrscheinlich zu machen, daß Horaz nur das erlaubtre Vergnügen genossen habe, erinnre man sich des Eifers, mit welchem er den Ehebruch bestraft. Man lese seine sechste Oder des dritten Buchs. Was für eine Strophe!
Foecunda culpae secula nuptias
Primum inquinavere, et genus et domus;
Hoc fonte derivata clades
In patriam populumque fluxit.
Konnte er die Verletzung des ehelichen Bandes mit schrecklichern Farben abschildern, als daß er sie zur Quelle machte, woraus alles Unglück über die Römer daher geflossen sei? Nicht genug, daß er dieses Laster verfolgte, er bestrebte sich so gar es lächerlich zu machen, um seine Römer durch das Ungereimte davon abzuhalten, wovon sie die Furcht der Strafe nicht abhalten konnte. Ich berufe mich deswegen auf seine zweite Satyre des ersten Buchs. Auf was dringt er mehr, als auf die Verschonung der Matronen? Er beschreibt ihren Genuß unsicher, mit weniger Reiz verbunden als den Genuß lediger Buhlerinnen, und mit hundert Gefahren umgeben, die man in den Armen einer Freigelassenen nicht zu befürchten habe. – – Sollte also wohl der, welcher für die gesellschaftlichen Gesetze so viel Ehrerbietung hatte, die weit heiligern Gesetze der Natur übertreten haben? Er kannte sie, diese[606] Natur, und wußte, daß sie unsern Begierden gewisse Grenzen gesetzt habe, welche zu kennen eine der ersten Pflichten sei.
Nonne cupidinibus statuit natura modum? quem
Quid latura sibi, quid sit dolitura negatum,
Quaerere plus prodest, et inane abscindere soldo.
Ich kann es zwar nicht verbergen, daß er in eben dieser Satyre von dem Gebrauche der Knaben ziemlich gleichgültig spricht; aber wie? So, daß er zugleich deutlich zeigt, nach seinem Geschmacke sei ihm der gewöhnlichste Weg der liebste. Es ist wahr: er sagt:
tument tibi quum inguina, num, si
Ancilla aut verna est praesto puer, impetus in quem
Continuo fiat, malis tentigine rumpi?
Es ist wahr er setzt sogleich hinzu: non ego. Allein er schließt auch in den nachfolgenden Versen seine Begierde offenbar nur auf die erste ein, so daß er durch dieses Bekenntnis weiter nichts sagen will, als daß er parabilem venerem facilemque liebe. Er fährt fort:
Haec ubi supposuit dextro corpus mihi laevum,
Ilia et Egeria est; do nomen quodlibet illi.
Ich dringe auf das haec, und bemerke noch dabei, daß Horaz die Natur so geliebt habe, daß er auch an dieser Haec nicht einmal die Schmünke und die hohen Absätze leiden wollen.
ut neque longa
Nec magis alba velit, quam det natura, videri.
Nimmermehr wird man mich überreden können, daß einer welcher der Natur in solchen Kleinigkeiten nachgehet, sie in dem allerwichtigsten sollte verkannt haben. Der, welcher von einem Laster, das die Mode gebilliget hat, so wie von einer Mode redet, die man mitmachen kann oder nicht, muß deswegen nicht dieses Laster selbst ausgeübet haben. Er kann es im Herzen verdammen, ohne deswegen wider den Strom schwimmen zu wollen.
Damit ich mich aber nicht bloß bei allgemeinen Entschuldigungen[607] aufzuhalten scheine, so will ich mich zu einer von den Oden selbst wenden, die seine Knabenliebe, wie man sagt, beweisen. Ich wähle die erste des vierten Buchs. Sie ist an die Venus gerichtet und von dem Dichter in einem Alter von fast funfzig Jahren gesungen worden. Er bittet darinne die Göttin, ihn nicht aufs neue zu bekriegen, sondern sich vielmehr mit allen ihren Reizungen zu den Maximus zu verfügen, welcher nicht unterlassen werde, ihr einen marmornen Altar zu errichten, und den lieblichsten Weihrauch bei festlichen Tänzen zu ihr aufsteigen zu lassen. Für ihn selbst schicke es sich nun nicht mehr, bei dem freundlichen Kampfe der Becher, die Haare mit Blumen zu durchflechten, und allzuleichtgläubig auf Gegenliebe zu hoffen – Hier bricht der Dichter ab, und fügt durch eine ihm eigne Wendung hinzu:
Sed cur heu, Ligurine, cur
Manat rara meas lacryma per genas?
Cur facunda parum decoro
Inter verba cadit lingua silentio?
Nocturnis te ego somniis
Jam captum teneo, jam volucrem sequor
Te per gramina Martii
Campi, te per aquas, dure, volubiles.
Was läßt sich zärtlichers gedenken als diese Stelle? Wenn sie doch nur keinen Ligurin beträfe! Doch wie, wenn Ligurin nichts als ein Gedanke des Dichters wäre? Wie wann es nichts als eine Nachbildung des anakreontischen Bathylls sein sollte? Ich will es entdecken, was mich auf die Vermutungen bringt. Horaz sagt in der vierzehnten Ode des fünften Buchs:
Non aliter Samio dicunt arsisse Bathyllo
Anacreonta Teium
Qui persaepe cava testudine flevit amorem
Non elaboratum ad pedem.
Unter den Liedern des Anakreons, wie wir sie jetzt haben, werden etwa drei an den Bathyll sein, welche aber alle von einem ganz andern Charakter sind, als daß ihnen das Flevit[608] zukommen könnte. Diejenigen müssen also verloren gegangen sein, welche Horaz hier in Gedanken hatte. Fragt man mich aber, was man sich für eine Vorstellung von denselben zu ma chen habe, so muß ich sagen, daß ich mir sie vollkommen, wie die angeführte Stelle des Horaz von seinem Ligurin, einbilde. Unmöglich kann der Grieche seine Liebe glücklicher daher geweinet haben! Oder vielmehr, unmöglich hätte der Römer sie so glücklich daher geweint, wenn er das Muster seines Lehrers in der Zärtlichkeit nicht vor sich gehabt hätte. Mit einem Worte also: Horaz welcher allen griechischen Liederdichtern die schönsten Blumen abborgte, und sie mit glücklicher Hand auf den römischen Boden zu verpflanzen wußte; Horaz, sage ich, ward von den verliebten Tränen des Anakreons so gerührt, daß er sie zu den seinigen zu machen beschloß. Man kann zwar, wie gesagt, das Lied des Griechen nicht dagegen aufstellen; allein ich frage Kenner, welche die eigentümlichen Bilder des einen und des andern Dichters zu unterscheiden vermögen, ob sie nicht lauter anakreontische in der Stelle des Horaz finden? Ja gewiß; und dieses noch um so viel deutlicher, da man schon in den übrig gebliebenen Liedern des Anakreons ähnliche Züge aufweisen kann. Man erinnere sich unter andern des achten, wo sich der Tejer im Traume sowohl mit schönen Mädchen als Knaben herumjagt. Man erinnere sich ferner des siebenden, wo Amor mit einem hyazinthnen Stabe den Anakreon durch Felder und Gesträuche, durch Täler und Flüsse vor sich her treibt. Lauter gleichende Dichtungen! Und wann Horaz die beiden Zeilen:
Cur facunda parum decoro
Inter verba cadit lingua silentio?
nicht auch dem Anakreon zu danken hat; so hat er sie wenigstens der Sappho abgesehen, die schon längst vor ihm das finstre Stillschweigen zu einem verräterischen Merkmale der Liebe gemacht hatte. Man vergleiche sie nur mit der Übersetzung des Catulls:
– – – nihil est super mi
Quod loquar amens.
Lingua sed torpet – – –[609]
Wann nun also diese Nachahmung seine Richtigkeit hat, so habe ich mich weiter auf nichts als auf eine ganz bekannte Anmerkung zu berufen. Auf diese nämlich, daß eine wahre Leidenschaft viel zu unruhig ist, als daß sie uns Zeit lassen sollte, fremde Empfindungen nachzubilden. Wenn man das, was man fühlt, singt, so singt man es allezeit mit ursprünglichen Gedanken und Wendungen. Sind aber diese angenommen, so ist auch gewiß ihr ganzer Grund angenommen. Der Dichter hat alsdenn ruhig in seiner Stube gesessen, er hat die Züge der schönen Natur aus verschiednen Bildern mühsam zusammen gesucht, und ein Ganzes daraus gemacht, wovon er sich selbst, aus einem kleinen Ehrgeize, zum Subjekte annimmt. Ich verrate hier vielleicht ein Geheimnis, wovon die galante Ehre so mancher witzigen Köpfe abhängt; doch ich will es lieber verraten, als zugeben, daß es unverraten schimpfliche Vermutungen veranlasse.
Aber, wird man vielleicht einwenden, hat denn Horaz nicht etwas edlers nachbilden können, als die Symptomata eines so häßlichen Lasters? Und verrät denn nicht schon die Nachbildung desselben einen Wohlgefallen daran? Das erste gebe ich zu, das andre aber leugne ich. Er würde etwas edlers in der Liebe nachgebildet haben, wann zu seiner Zeit etwas edlers darinne Mode gewesen wäre. Wäre dieses aber gewesen, und hätte er es nachgebildet, zum Exempel alle Täuschereien der platonischen Liebe, so könnte man doch daraus eben so wenig auf seine Keuschheit schließen, als man jetzt aus dem Gegenteile auf seine Unkeuschheit zu schließen befugt ist.
Wem aber alles dieses noch nicht genug ist, den Horaz von der Knabenliebe loszusprechen, den bitte ich, sich aus der Geschichte des Augustus noch folgender Umstände zu erinnern. Ich bitte ihn, an das Gesetz de adulteriis et pudicitia, und an das Gesetz de maritandis ordinibus zu denken. Wie angelegen ließ es sich dieser Kaiser sein, ihre alte Kraft wieder herzustellen, um allen Ausschweifungen der Unzucht, die in den gesetzlosen Zeiten des bürgerlichen Krieges eingerissen waren, vorzukommen. Das erstre Gesetz, welches lex Julia genennet ward, bestrafte die Knabenschänderei weit härter, als sie ein älteres Gesetz, lex Scantinia, bestraft wissen wollte.[610] Das zweite verbot eben dieses Laster, in so ferne es schnurstracks mit der Vermehrung des menschlichen Geschlechts streitet, auf welche niemals ein Staat aufmerksamer war, als der römische. Man kann es bei dem Sueton (Hauptstück 34) nachlesen, wieviel Mühe es dem August gekostet hat, mit Erneuerung besonders des letztern Gesetzes durchzudringen, und wie sorgfältig er alle Schlupflöcher, wodurch man sich der Verbindlichkeit desselben zu entziehen suchte, verstopft hat. Nun muß man, entweder in das Wesen eines Hofmanns, welcher auch seine liebsten Leidenschaften unterdrückt, sobald er dem dadurch zu gefallen hofft, von welchem er all sein Glück erwartet, nicht tief eingedrungen sein, oder man muß glauben, daß Horaz ein schlechter Hofmann gewesen ist, wenn man ihn für fähig halten will, durch sein eigen Exempel die Verachtung der liebsten Gesetze seines Kaisers befördert zu haben. Seines Kaisers, den er selbst, an mehr als einem Orte, dieser heiligen Anstalten wegen lobt:
Nullis polluitur casta domus stupris:
Mos et lex maculosum edomuit nefas,
Laudantur simili prole puerperae:
Culpam poena premit comes.
Alles dieses, sagt Horaz, sind die Vorteile der Regierung unsers Augusts! Man versteht ihn aber sehr schlecht, wenn man das maculosum nefas für etwas anders annimmt, als für das Laster, von welchem hier die Rede ist. Auch diesem Laster folgte die Strafe auf dem Fuße nach; culpam poena premit comes. Und Horaz sollte es gleichwohl begangen haben? Ich will nicht hoffen, daß man Verleumdungen mit Verleumdungen beweisen, und den August selbst in gleiche Verdammnis werde setzen wollen. Es ist wahr, wie Sueton meldet, so hat man ihm in seinen jüngern Jahren verschiedne schändliche Verbrechen vorgeworfen. Sex. Pompejus ut effoeminatum insectatus est; M. Antonius, adoptionem avunculi stupro meritum etc. Aber waren nicht Pompejus und Antonius seine Feinde? Und sagt nicht Sueton selbst bald darauf: ex quibus sive criminibus sive maledictis infamiam impudicitiae facillime refutavit, et praesentis et posterae vitae castitate? Der[611] Ehebruch war das einzige, wovon ihn auch seine Freunde nicht loszählen konnten: sie machten ihn aber, nicht ohne Wahrscheinlichkeit, mehr zu einer Staatslist, als zu einer grenzenlosen Wollust. Adulteria quidem exercuisse ne amici quidem negant: excusantes sane, non libidine sed ratione commissa; quo facilius consilia adversariorum per cujusque mulieres exquireret. Man weiß, daß ein neuer August eben diesen Weg ging, den er aber eben nicht aus der Geschichte brauchte erlernet zu haben.
Ich weiß nicht, ob ich noch eine kahle Ausflucht hier zu widerlegen nötig habe. Man könnte sagen, Horaz habe sich der Knabenliebe schuldig gemacht, noch ehe August die Gesetze darwider erneuert hätte. Doch haben wir nicht oben ausdrücklich gesehen, daß der Dichter an die funfzig Jahre alt war, als er sich in den Ligurin verliebt stellte? Dieser Zeitpunkt fällt lange nach dem erstern, und wer weiß welcher gute Geist den Horaz getrieben hat, ihn zu seiner künftigen Entschuldigung, so genau anzumerken. August hatte damals längst die Knabenliebe durch die schärfsten Gesetze aus dem Staate verbannt; aber sie aus den Liedern der Dichter zu verbannen, die sich gerne keinen Gegenstand entziehen lassen, an welchem sie ihren Witz zeigen können, war niemals sein Wille gewesen. Er konnte es allzuwohl wissen, daß in den Versen nur ihr Schatten wäre, welcher dem menschlichen Geschlechte wenig Abbruch tun würde.
Wenn ich nunmehr auf alles das zurück sehe, was ich in dem Punkte der Unkeuschheit zur Rettung meines Dichters beigebracht habe; obschon ein wenig unordentlich, wie ich, leider, gewahr werde – – so glaube ich wenigstens so weit gekommen zu sein, daß man aus dem untergeschobenen Zeugnisse nichts, und aus seinen eignen Gedichten noch weniger als nichts, schließen darf. Es bleibet vielmehr bei dem Urteile des Augusts: purissimus penis! Das letztere, weil er freilich wohl seinen Teil an den fleischlichen Ergötzungen mochte genossen haben; das erstere aber, weil er durchaus in den Grenzen der Natur geblieben war. – – Doch genug hiervon!
Ich wende mich zu einer zweiten Beschuldigung, welche einen Römer, in so fern er ein Römer ist, fast noch mehr[612] schimpfet, als die erste. Horaz soll ein feigherziger Flüchtling gewesen sein, welcher sich nicht geschämt habe, seine Schande selbst zu gestehen. Man weiß, daß Horaz, als er sich in Athen, seine Studien fortzusetzen befand, unter der Armee des Brutus Dienste nahm. Die historischen Umstände davon sind zu bekannt, als daß ich mich dabei aufhalten dürfte. Man weiß, wie unglücklich die Schlacht bei Philippis für den Brutus ausfiel. Sie ist es, an welche Horaz in der siebenden Ode des zweiten Buchs seinen Freund, den Pompejus Varus, erinnert:
Tecum Philippos, et celerem fugam
Sensi, relicta non bene parmula,
Cum fracta Virtus et minaces
Turpe solum tetigere mento.
Was für ein Bekenntnis! rufen alle aus, die sich des Schimpfs erinnern, der sowohl bei den Griechen als Römern mit dem Verluste des Schildes verbunden war – – Wir wollen doch sehen, ob sie diese Ausrufung nötig haben?
Ich will nicht darauf dringen, daß ein Soldat, der sein Schild in der Schlacht eingebüßt, gleichwohl vollkommen tapfer könne gewesen sein; daß er es nur eben dadurch könne eingebüßt haben, weil er allzutapfer gewesen ist. Ich will nicht anführen, daß es eine Torheit ist, sich die Flucht durch eine unnötige Last schwer zu machen, wenn man sie ein vor allemal ergreifen muß. Alle diese Entschuldigungen möchten zu allgemein sein, und also nichts entschuldigen; ob ich gleich die erstre auf einen sehr hohen Grad der Wahrscheinlichkeit bringen könnte. Horaz war ein junger Mensch ohne Ahnen und Vermögen, und dennoch gelangte er, gleich Anfangs, zu der Würde eines Tribuns. Ist es also nicht klar, daß Brutus persönliche Eigenschaften in ihm müsse entdeckt haben, welche den Mangel an Ahnen und Vermögen ersetzen? Was konnten dieses aber für Eigenschaften sein, wenn es nicht ein entschiedner Mut und eine vorzügliche Fähigkeit zur Kriegskunst wären? Und rühmt er nicht in eben dieser Ode selbst von sich, daß er noch vor der Schlacht bei Philippis, sein Leben mehr als einmal in die Schanze geschlagen habe?[613]
O saepe mecum tempus in ultimum
Deducte – –
Oder will man ihm dieses für eine Prahlerei auslegen, und ihm nirgends als da glauben, wo er seine Schande bekannt zu machen scheinet?
Doch wie gesagt, alle diese Ausflüchte sind mir zu klein. Wäre Horaz auch sonst noch so tapfer gewesen, so würde es ihm dennoch zu wenig Ehren gereichen, wenn ihn gleich bei der wichtigsten Gelegenheit sein Mut verlassen hätte. Bei kleinen Scharmützeln etwas wagen, und in einem ernstlichen Treffen davon fliehen, schickt sich wohl für einen Husaren, aber für keinen Römer. Ich bin folglich mit allen seinen Auslegern sehr schlecht zufrieden, die ihn durch nichts anders zu entschuldigen wissen, als durch die überlegene Macht des Augusts; die das Geständnis seiner Flucht, aufs höchste zu einer feinen Schmeichelei machen, und dabei den Umstand des weggeworfenen Schildes als eine sichere Wahrheit annehmen.
Es kömmt darauf an, ob ich es besser treffen werde. Ich erinnerte mich zur rechten Zeit bei dem Dio Cassius gelesen zu haben, (B. 47) daß die Sieger nach der verlornen Schlacht bei Philippis die Flüchtigen zwar scharf verfolgten; daß sie aber keinen einzigen weder töteten, noch gefangen nahmen, sondern sie bloß, so viel als möglich zerstreueten, damit sie sich auf keine Art wider setzen könnten – Was konnte mir also natürlicher einfallen als der Gedanke, daß Horaz, wenn er wirklich sein Schild weggeworfen hätte, es ganz und gar ohne Ursach müsse weggeworfen haben. Konnte er denn nicht etwa gemächlich genug fliehen? Er brauchte ja so geschwind eben nicht zu sein, da weder Tod noch Gefangenschaft hinter ihm her waren. Mit dieser vorgefaßten Meinung las ich die gleich darauf folgenden Zeilen.
Sed me per hostes Mercurins celer
Denso paventem sustulit aëre.
Man darf, glaube ich, der Scharfsinnigste eben nicht sein, in diesen Worten den Dichter zu entdecken, der nichts weniger[614] als ein Geschichtschreiber sein will. Auch darf man der Belesenste nicht sein, um zu wissen, daß Horaz hier den Homer nachgeahmt hat, bei dem es eben nichts seltnes ist, daß ein Gott mitten in der Feldschlacht, einen umringten Helden mit einer dicken Wolke umgibt, und ihn auf diese Art seinen Feinden entrückt. Wie aber, wann auch die vorhergehenden Zeilen von dieser Art wären? Wie wenn man auch in jenen Spuren einer Nachahmung fände, die den Dichter mehr zu sagen verführt hätte, als er der strengen Wahrheit gemäß hätte sagen sollen? Würde nicht daraus folgen, daß man von dem weggeworfenen Schilde nicht mehr und nicht weniger glauben müsse, als von der Wolke, in die ihn Merkur soll gehüllt haben?
Man erinnere sich also, was uns Herodotus und Strabo von dem Alkäus, demjenigen lyrischen Dichter melden, welchen Horaz zu seinem vornehmsten Muster gemacht hatte. Dieser Grieche war so wenig ein bloßer Poete, daß er vielmehr die Poesie nur dessentwegen zu lieben schien, weil er durch sie seinen Haß wider die Unterdrücker des Vaterlandes am nachdrücklichsten erklären konnte. Er war der Gegner des Pittacus, der die Oberherrschaft in Mitylene mit Gewalt an sich riß, und den ein Paar Sittensprüche, die noch so ziemlich sind, unter die Zahl der sieben Weisen gesetzt haben. Sein Unglück wollte, daß er nicht allein diesen seinem Feinde in die Hände fiel, sondern auch in einem Treffen, welches die Athenienser wider die von Lesbos gewannen, sein Leben mit der Flucht retten, und seine Waffen im Stiche lassen mußte. Man weiß, daß er diesen Umstand in seinen eignen Gedichten nicht verschwiegen hat, und ihn auch nicht zu verschweigen brauchte, weil er schon zu viel Proben von seiner Tapferkeit gegeben hatte, als daß ihm dieser Zufall hätte nachteilig sein können. Die Athenienser hingen seine Waffen in einem Tempel der Pallas auf, und auch dieses war ein Beweis, daß man sie für keine schlechte Beute müsse angesehen haben -Vollkommen in diesem Falle war nun zwar Horaz nicht; aber was hindert uns gleichwohl zu glauben, daß Pompejus Varus, an welchen er die Ode richtet, und den er primum suorum sodalium nennet, genugsam von dem Mute des Horaz könne[615] überzeugt gewesen sein, um das weggeworfene Schild für nichts als für einen poetischen Zug anzusehen? Für einen Zug, der seinem Freunde eine Gleichheit mit demjenigen Griechen geben sollte, mit welchem er so viel Ähnliches als möglich zu haben wünschte.
Kurz, die ganze siebende Ode des zweiten Buchs ist nichts als ein Scherz. Und was ist im Scherze gewöhnlicher, als daß man sich selbst eine ganz andre Gestalt gibt; daß sich der Tapfre als einen Feigen, und der Freigebige als einen Knicker abbildet! In diesen Verstellungen liegt nur allzuoft ein feines Eigenlob, von welchem vielleicht auch Horaz hier nicht frei zu sprechen ist. Vielleicht war er einer von denen, die sich bei Philippis am tapfersten gehalten hatten; vielleicht wußte er seine Taten auf keine feinre und zugleich klügre Art zu erwähnen, als durch das Gegenteil. Ich sage: auf keine klügere Art; weil es ihm nach der Zeit, als einem Lieblinge des Augusts, sehr schlecht angestanden hätte, so gerade hin damit zu prahlen. Ich berufe mich deswegen kühnlich auf die Empfindung aller Dichter, ob sie wohl, wenn sie an des Horaz Stelle gewesen wären, aus einer andern Ursache etwas Schlechtes von sich würden gesagt haben, als um etwas desto rühmlichers darunter verstehen zu lassen?
Was mich noch mehr in der Vermutung bestärkt, daß das weggeworfne Schild eine poetische Verkleinerung seiner selbst sei, ist die zweite Stelle, wo Horaz seines Soldatenstandes gedenkt. Sie befindet sich in dem zweiten Briefe des zweiten Buchs, und also in einer Art von Gedichten, die der Wahrheit historischer Umstände weit fähiger ist, als eine Ode. Was sagt er aber da von seiner Flucht? Nichts als:
Unde simul primum me dimisere Philippi
Decisis humilem pennis, inopemque paterni
Et laris et fundi: paupertas impulit audax
Ut versus facerem – –
Kein einziger Ausleger scheint mir auf das Wort dimisere gehörig Achtung gegeben zu haben; und auch die Übersetzer übersehen es alle. Dimittere ist ein militärisches Wort, und bedeutet eine rühmliche Abdankung. Exercitum dimittere[616] wird man unzähligmal bei den klassischen Schriftstellern, besonders den Geschichtschreibern antreffen, wo es überall die Armee auseinander lassen heißt, und zwar mit Erkennung ihrer geleisteten Dienste. Nimmermehr kömmt dieses Wort einem Flüchtigen, geschweige einem, der seine Waffen im Stiche gelassen hat, zu. Beide wurden nach der römischen Kriegszucht gestraft und nicht dimittiert. Da aber Horaz dieses letztere von sich sagt, muß er sich nicht eines weit bessern bewußt gewesen sein, als was er sich im Scherze gegen einen vertrauten Freund Schuld gibt?
Daß verschiedne Sprachforscher die erwähnte Nachahmung des Alkäus gewußt, und gleichwohl nicht die gehörige Folgerung daraus gezogen haben, wundert mich nicht; aber daß Bayle sie gewußt und nicht nach seiner Scharfsinnigkeit angewendet hat, das wundert mich. Er sagt unter dem Artikel dieses Griechen: »derjenige unter den lateinischen Poeten, welcher dem Alkäus am ähnlichsten ist, hat so wohl als er, in seinen Gedichten bekannt, daß er sich mit Wegwerfung seiner Waffen, als eines den Flüchtigen ganz unnützen Dinges, mit der Flucht aus der Schlacht gerettet habe. Dem Archilochus begegnete vor dem Alkäus dergleichen Zufall, und er bekannte ihn öffentlich. Horaz würde vielleicht in diesem Stücke nicht so aufrichtig gewesen sein, wenn er nicht diese großen Beispiele vor Augen gehabt hätte.« Diese großen Beispiele, hätte Bayle vielmehr sagen sollen, machten ihn noch mehr als aufrichtig; sie machten ihn zum Selbstverleugner, welchem es nicht genug war seinen griechischen Mustern in der Flucht ähnlich zu sein, wenn er ihnen nicht auch in der schimpflichen Flucht gleichen sollte. Soviel er dadurch bei Unwissenden auf der Seite des tapfern Mannes verlor, so viel, und noch mehr, gewann er auf der Seite eines Freundes der Musen. Wenn er Tribun geblieben wäre, so würde ihn vielleicht das Beispiel des Epaminondas zu dem Wunsche bewogen haben, auf seinem Schilde zu sterben; da er aber aus dem Tribun ein Dichter geworden war, so war das Beispiel eines Alkäus für ihn reizender. Es war ihm angenehm, das Volk denken zu lassen, zwei Dichter die einerlei Schicksal gehabt, könnten nicht anders, als auch einerlei Geist haben.[617]
Nichts ist daher abgeschmackter als die Folgerung, welche Herr Müller aus dieser Ähnlichkeit ziehen wollen. Hieraus, sagt er, an dem angeführten Orte, sollte man fast das Vorurteil fassen, daß die geistigsten Odendichter eben nicht die tapfersten Soldaten sind. – – Das fast, ist ein recht nützliches Wörtchen, wenn man etwas ungereimtes sagen, und zugleich auch nicht sagen will.
Je größer überhaupt der Dichter ist, je weiter wird das, was er von sich selbst mit einfließen läßt, von der strengen Wahrheit entfernt sein. Nur ein elender Gelegenheitsdichter, gibt in seinen Versen die eigentlichen Umstände an, die ein Zusammenschreiber nötig hat, seinen Charakter einmal daraus zu entwerfen. Der wahre Dichter weiß, daß er alles nach seiner Art verschönern muß, und also auch sich selbst, welches er oft so fein zu tun weiß, daß blöde Augen eine Bekenntnis seiner Fehler sehen, wo der Kenner einen Zug seines schmeichelnden Pinsels wahrnimmt.
Noch weit schwerer, oder vielmehr gar unmöglich ist es, aus seinen Gedichten seine Meinungen zu schließen, sie mögen nun die Religion oder die Weltweisheit betreffen; es müßte denn sein, daß er die einen oder die andern, in eigentlichen Lehrgedichten ausdrücklich hätte entdecken wollen. Die Gegenstände, mit welchen er sich beschäftiget, nötigen ihn die schönsten Gedanken zu ihrer Ausbildung von allen Seiten zu borgen, ohne viel zu untersuchen, welchem Lehrgebäude sie eigen sind. Er wird nicht viel Erhabnes von der Tugend sagen können, ohne ein Stoiker zu scheinen; und nicht viel Rührendes von der Wollust, ohne das Ansehen eines Epikurers zu bekommen.
Der Odendichter besonders pflegt zwar fast immer in der ersten Person zu reden, aber nur selten ist das ich sein eigen ich. Er muß sich dann und wann in fremde Umstände setzen, oder setzt sich mit Willen hinein, um seinen Witz auch außer der Sphäre seiner Empfindungen zu üben. Man soll den Rousseau einsmals gefragt haben, wie es möglich sei, daß er eben sowohl die unzüchtigsten Sinnschriften, als die göttlichsten Psalme machen könne? Rousseau soll geantwortet haben: er verfertige jene eben sowohl ohne Ruchlosigkeit, als[618] diese ohne Andacht. Seine Antwort ist vielleicht zu aufrichtig gewesen, obgleich dem Genie eines Dichters vollkommen gemäß.
Wird also nicht schon diese einzige Anmerkung hinlänglich sein, alles was man von der Philosophie des Horaz weiß, zu widerlegen? Und was weiß man denn endlich davon? Dieses, daß er in seinem Alter, als er ein ernsthaftes Geschäfte aus derselben zu machen anfing, auf keines Weltweisen Worte schwur, sondern das Beste nahm wo er es fand; überall aber diejenigen Spitzfindigkeiten, welche keinen Einfluß auf die Sitten haben, unberühret ließ. So malt er sich in dem ersten Briefe seines ersten Buchs, an einem Orte, wo er sich ausdrücklich malen will. Alles, was man außer diesen Zügen hinzusetzet, sind die ungegründesten Folgerungen, die man aus dieser oder jener Ode, ohne Geschmack, gezogen hat.
Wir wollen ein Exempel davon an der bekannten Ode Parcus Deorum cultor etc. welches die vier und dreißigste des ersten Buchs ist, sehen. Es ist unbeschreiblich, was man für wunderbare Auslegungen davon gemacht hat. Ich glaube diese Materie nicht besser schließen zu können, als wenn ich meine Gedanken darüber mitteile, die ich dem Urteile derjenigen überlassen will, welche Gelehrsamkeit und Geschmack verbinden. Hier ist die Ode, und zugleich eine Übersetzung in einer so viel als möglich poetischen Prose. Ich glaube dieses wird besser sein, als wenn die Poesie so viel als möglich prosaisch wäre.
34. Ode des ersten Buchs
Parcus Deorum cultor et infrequens
Insanientis dum sapientiae
Consultus erro, nunc retrorsum
Vela dare atque iterare cursus
Cogor relictos: namque Diespiter
Igni corusco nubila dividens
Plerumque, per purum tonantes
Egit equos, volucremque currum:
Quo bruta tellus et vaga flumina,
Quo Styx, et invisi horrida Taenari[619]
Sedes, Atlanteusque finis
Concutitur. Valet ima summis
Mutare et insignem attenuat Deus
Obscura promens. Hinc apicem rapax
Fortuna cum stridore acuto
Sustulit; hic posuisse gaudet.
Übersetzung
»In unsinnige Weisheit vertieft, irrt ich umher, ein karger, saumseliger Verehrer der Götter. Doch nun, nun spann ich, den verlaßnen Lauf zu erneuern, gezwungen die Segel zurück.
Denn sonst nur gewohnt die Wolken mit blendenden Blitzen zu trennen, trieb der Vater der Tage, durch den heitern Himmel, die donnernden Pferde und den beflügelten Wagen.
Auf ihm erschüttert er der Erde sinnlosen Klumpen, und die schweifenden Ströme; auf ihm den Styx und die niegesehenen Wohnungen im schrecklichen Tänarus, und die Wurzeln des Atlas.
Gott ist es, der das Tiefste ins Höchste zu verwandeln vermag, der den Stolzen erniedrigt, und das, was im Dunkeln ist, hervor zieht. Hier riß mit scharfem Geräusche das räuberische Glück den Wipfel hinweg, und dort gefällt es ihm, ihn anzusetzen.«
Es wird nötig sein, ehe ich mich in die Erklärung dieser Ode einlasse, einige grammatikalische Anmerkungen, zur Rettung meiner Übersetzung, beizubringen. Gleich in dem ersten Worte habe ich mir die Freiheit genommen, den Haufen der Ausleger zu verlassen. Parcus ist ihnen so viel als rarus; selten. Und infrequens? Auch selten. So verschwendrisch mit den Worten ist Horaz schwerlich gewesen. Zwei Beiwörter, die nur einerlei sagen, sind seine Sache gar nicht. Dacier spricht parcus cultor Deorum bedeute nicht so wohl einen, welcher die Götter wenig verehrt, als vielmehr einen, der sie ganz und gar nicht verehrt. Wir wollen es annehmen; aber was heißt denn nun infrequens cultor? Infrequens, sagt dieser Kunstrichter, ist ein sehr merkwürdiges Wort, dessen Schönheit[620] man nicht genugsam eingesehen hat. Er ist eine Metapher, die von den Soldaten genommen worden, welche sich von ihren Fahnen entfernen. Er beweiset dieses aus dem Festus, welcher mit ausdrücklichen Worten sagt: infrequens appellabatur miles qui abest, abfuitve a signis. – – Ein klares Exempel, daß es den Criticis gleichviel ist, ob sie ihren Schriftsteller etwas ungereimtes sagen lassen, oder nicht, wann sie nur ihre Belesenheit auskramen können! Nach dem Sinne des Dacier müßte man also die Worte: parcus Deorum cultor et infrequens übersetzen: ich, der ich die Götter ganz und gar nicht verehrte, und ihren Dienst oft unterließ, bei welchem ich gleichwohl wie der Soldat bei der Fahne hätte verharren sollen. Der geringste Sylbenhenker würde kein so widersinniges Climax gemacht haben – Aber was hat denn alle diese Leute bewogen, von der natürlichen Bedeutung der Worte abzugehen? Warum soll denn parcus hier nicht heißen, was es fast immer heißt? Macht nicht karger Verehrer der Götter, einen sehr schönen Sinn, wenn man überlegt, daß ein Heide in Erwählung schlechter Opfer und in ihrer Seltenheit eine sehr unheilige Kargheit verraten konnte? Das andere Beiwort infrequens habe ich durch saumselig gegeben; selten aber würde vielleicht eben so gut gewesen sein. Der Sinn, den ich ihm beilege, ist dieser, daß es einen anzeiget, welcher sich selten in den Tempeln bei feierlicher Begehung der Festtäge, und öffentlichen Opfern einfand. Wenn man diese beiden Erklärungen annimmt, so wird man hoffentlich einsehen, daß Horaz nichts umsonst gesetzt hat. Herr Lange hat parcus durch träge gegeben; aus was für Ursachen kann unmöglich jemand anders, als er selbst wissen; doch vielleicht auch er selbst nicht einmal.
Bei der zweiten Strophe muß ich dieses erinnern, daß ich von der gewöhnlichen Interpunktion, doch nicht ohne Vorgänger, abgegangen bin. Die meisten Ausgaben haben das Komma nach dividens; so viel ich mich erinnere, der einzige Baxter setzt es nach plerumque, und beruft sich deswegen auf den Scholiasten. Baxter hat Recht, und wann er sich auch auf keinen Wehrmann berufen könnte. Ich glaube nicht, daß man leichter ein klärer Beispiel finden könne, was für Zweideutigkeiten[621] die lateinische Sprache unterworfen sei, als das gegenwärtige. Horaz kann eben sowohl gesagt haben: Diespiter igni corusco plerumque nubila dividit als: plerumque per purum tonantes egit equos. Beides aber kann er doch nicht zugleich gesagt haben, und man muß also dasjenige wählen, welches den ungezwungensten Verstand gibt. Nun ist es wohl keine Frage, ob es öftrer bei heiterm Himmel, oder öftrer alsdann donnert, wenn der Himmel mit Wolken umzogen ist? Soll also der Dichter nichts ungereimtes gesagt haben, so kann nur die erstre Auslegung Statt finden, welcher ich in der Übersetzung gefolgt bin; ob ich gleich ganz gerne gestehe, daß es sonst der Gebrauch des Horaz nicht ist, die Adverbia so nachzuschleppen, als er es hier mit dem plerumque tut. Doch lieber ein Paar verkehrte Worte, als einen verkehrten Sinn! Verschiedene Ausleger scheinen den letztern gemerkt zu haben, wann sie das plerumque zu per purum egit zögen, und suchen sich also durch besondre Wendungen zu helfen. Lubinus, zum Exempel, will bei plerumque, hisce vero diebus einschieben; und Dacier gibt das plerumque durch souvent. Aber seit wenn hat es denn aufgehört, mehrenteils zu heißen? Und seit wenn ist es denn den Paraphrasten erlaubt, ganz neue Bestimmungen in ihren Text zu flicken, die nicht den geringsten Grund darinne haben?
In der dritten Strophe habe ich die Übersetzung des Worts invisi und die Vertauschung der Beiwörter zu rechtfertigen. Ich weiß wohl, daß den meisten Auslegern invisus hier, verhaßt, scheußlich und dergleichen heißt; ich habe aber deswegen lieber die allereigentlichste Bedeutung, nach welcher es so viel als ungesehen ist, beibehalten wollen, weil ich glaube, daß Horaz dadurch der Griechen αιδης habe ausdrücken wollen. Tänarus war, wie bekannt, ein Vorgebürge in Lakonien, durch welches die Dichter einen Eingang in die Hölle angelegt hatten. Die Hölle aber hielten Griechen und Römer für einen τοπον ζοφερον και ανηλιον, wie sie bei dem Lucian περι πεντους beschrieben wird. Daher nun, oder vielmehr weil sie von keinem sterblichen Auge erblickt wird, ward sie αιδης genennt; und Horaz war Nachahmers genug, nach diesem Exempel seine invisam sedem horridi Taenari zu[622] machen. Ich ordne hier die Beiwörter so, wie ich glaube, daß sie natürlicher Weise zu ordnen sind. Der Dichter hat ihre eigentliche Ordnung verrückt und horridam sedem invisi Taenari daraus gemacht, welches ohne Zweifel in seinem römischen Ohre eine beßre Wirkung tat. Mir aber schien der ungesehene Tänarus im Deutschen zu verwegen, weil man glauben könnte, als sollte es so viel anzeigen, daß man dieses Vorgebürge niemals zu sehen bekomme. Ich stelle also dieses Beiwort wieder dahin, wo es diese Zweideutigkeit nicht verursacht, und der Stärke des Ausdrucks dabei nichts benimmt. Die Treue eines Übersetzers wird zur Untreue, wann er seine Urschrift dadurch verdunkelt. Man sage nicht, daß alle diese Schwierigkeiten wegfallen, wenn man die gewöhnliche Bedeutung von invisus annimmt. Ich weiß es; aber ich weiß auch, daß alsdann dieses Beiwort mit dem andern horrida, eine vielzugroße Gleichheit bekömmt, als daß ich glauben könnte, derjenige Dichter werde beide so nahe zusammen gebracht haben, welcher die Beiwörter gewiß nicht häuft, wenn nicht jedes dem Leser ein besondres Bild in die Gedanken schildert. Die grause Höhle des scheußlichen Tänars, sagt wohl ein Lange, aber kein Horaz. Es ist eben als wollte man sagen, die hohe Spitze des erhabnen Berges. – – Noch sollte ich mich vielleicht in dieser Strophe, wegen des atlanteus finis entschuldigen. Aber will ich denn ein wörtlicher Übersetzer sein?
Nach diesen wenigen Anmerkungen, komme ich auf den Inhalt der Ode selbst. Fast alle Ausleger halten dafür, daß Horaz der Sekte des Epikurs darinne absage, daß er die Regierung der Götter zu erkennen anfange, und ihnen eine bessere Verehrung verspreche. – – Diese Erklärung scheinet dem ersten Anblicke nach ziemlich ungezwungen und richtig. Sie war allgemein angenommen, bis Tanaquill Faber sie in Zweifel zu ziehen anfing. Dacier, welcher mit der Tochter dieses Gelehrten, auch dessen Meinungen geheiratet zu haben schien, trat seinem Schwiegervater bei, und erklärte die Ode für nichts anders, als kindisch und abgeschmackt, wann sie eine ernstliche Widerrufung sein sollte. Er kam auf den Einfall sie zu einer Spötterei über die Stoische Sekte zu[623] machen; welches zu erweisen, er sie folgender Gestalt umschrieb. »Es ist wahr, so lange ich den Lehren einer närrischen Weisheit folgte, habe ich die Götter, nicht so, wie ich wohl sollte, verehret. Ihr aber, ihr Herren Stoiker, dringt mit so starken Gründen in mich, daß ich gezwungen bin, auf andre Art zu leben, und einen neuen Weg zu erwählen. Was mich in meiner Halsstarrigkeit befestigte, war dieses, daß ich gewiß überzeugt war, der Donner könne nichts als die Wirkung der Ausdünstungen sein, die sich in Wolken zusammen ziehen, und sich unter einander stoßen. Allein nunmehr beweiset ihr mir, daß es oft am heitern Himmel donnert. Hierauf nun habe ich nichts zu antworten, und ich muß mit euch erkennen, daß Gott selbst, den Wagen seines Donners durch den Himmel führt, so oft es ihm gefällt, und die Blitze mit eigner Hand wirft, wohin er will.« – – Bis hieher fließt alles noch ziemlich natürlich; allein von den letzten fünf Versen gestehet Dacier selbst, daß sie mit seiner Auslegung schon etwas schwerer zu vereinigen sind. Horaz, sagt er, fängt in diesen letztern Zeilen an, ernstlich zu reden, und entdeckt in wenig Worten, was er von der Vorsehung glaube. »Ich weiß, soll des Dichters Meinung sein, daß Gott diesen erniedrigen und jenen erhöhen kann. Aber ich weiß auch, daß er diese Sorge dem Zufalle und dem Glücke überläßt, welches mit scharfem Geräusche dem Haupte des einen das Diadem entreißt, und das Haupt des andern damit krönet.«
Der stärkste Beweis des Dacier läuft dahin aus, daß unmöglich Horaz eine so nichtige Ursache seiner Bekehrung könne angeführt haben, als der Donner am heitern Himmel in den Augen eines jeden Verständigen sein muß. »Man braucht, sagt er, in der Naturlehre nur sehr schlecht erfahren zu sein, wenn man wissen will, daß kein Donner ohne Wolken sein könne; Horaz muß also notwendig die Stoiker nur damit lächerlich machen wollen, die den Epikurern wegen der Vorsehung weiter nichts als ungefähr dieses entgegen zu setzen wußten: ihr könnt, sagten die Stoiker, die Vorsehung nicht leugnen, wenn ihr auf den Donner und auf seine verschiedene Wirkungen Achtung geben wollt. Wann nun die Epikurer ihnen antworteten, daß der Donner aus natürlichen Ursachen[624] hervorgebracht würde, und man also nichts weniger als eine Vorsehung daraus beweisen könne: so glaubten die Stoiker ihnen nicht besser den Mund zu stopfen, als wenn sie sagten, daß es auch bei heiterm Wetter donnre; zu einer Zeit also, da alle natürliche Ursachen wegfielen, und man deutlich sehen könne, daß der Donner allerdings von den Göttern regiert werden müsse.«
Dieses, wie gesagt, ist der stärkste Grund womit Dacier seine neue Auslegung unterstützt; ich muß aber gestehen, daß mich seine Schwäche nicht wenig befremdet. Ist es nicht gleich anfangs offenbar, daß er, entweder aus Unwissenheit oder aus List, die Stoischen Beweise der Vorsehung ganz kraftlos verstellet? Diese Weltweisen beruften sich zwar auf die natürlichen Begebenheiten, und auf die weise Einrichtung derselben; niemals aber leugneten sie ihre in dem Wesen der Dinge gegründeten Ursachen, sondern hielten es vielmehr für unanständig, sich irgendwo auf die unmittelbare Regierung der Götter zu berufen. Ihre Gedanken von derselben waren die gegründesten und edelsten, die man je, auch in den aufgeklärtesten Zeiten, gehabt hat. Ich berufe mich auf das ganze zweite Buch der natürlichen Fragen des Seneca, wo er die Natur des Donners untersucht. Aus dem 18. Hauptstücke desselben hätte Dacier genugsam sehen können, daß die Stoiker auch bei den Donnerschlägen am heitern Himmel die natürlichen Ursachen nicht bei Seite setzten, und das purus aër im geringsten nicht alle Donnerwolken ausschließt. Quare et sereno tonat? heißt es daselbst; quia tunc quoque per crassum et siccum aera spiritus prosilit. Was kann deutlicher sein? Seneca sagt dieses zwar nach den Grundsätzen des Anaximanders; aber er erinnert nichts darwider; er billiget sie also. Eine Stelle aus dem 31. Hauptstücke wird es noch deutlicher machen, in wie fern die Stoiker geglaubt haben, daß in dem Donner etwas göttliches sei: mira fulminis, si intueri velis, opera sunt, nec quidquam dubii relinquentia, quindi vina insit illis et subtilis potentia. Man gebe wohl Acht, daß er das divina durch subtilis erklärt, welche Erklärung die Exempel, die er gleich darauf anführt, auch einzig und allein nur zulassen. Der Blitz, fährt er fort, zerschmelzt[625] das Gold in dem Beutel, ohne diesen zu verletzen; desgleichen die Klinge in der Scheide, ob schon diese ganz bleibt. Schöne Wunder einer göttlichen Macht, wenn sie unmittelbare Wirkungen derselben sein sollten! Es ist wahr, die Stoiker glaubten sogar, daß der Donner das Zukünftige vorherverkündige. Aber wie glaubten sie es? So, daß sie Gott sehr ruhig dabei ließen, und diese Vorherverkündigung bloß aus der Ordnung, wie die Dinge in der Natur auf einander folgen müßten, erklärten. Die Tusker waren es, welche gröbre Begriffe damit verbanden, und glaubten, der Donner rollte nur deswegen, damit er etwas verkündige, nicht aber, daß er etwas verkündige, weil er rolle. Ich muß die Worte des Seneca notwendig selbst einrücken. Hoc autem, sagt er in dem 32. Hauptstücke, inter nos et Tuscos, quibus summa persequendorum fulminum est scientia, interest. Nos putamus quod nubes collisae sunt, ideo fulmina emitti. Ipsi existimant, nubes collidi, ut fulmina emittantur. Nam cum omnia ad Deum referant, in ea sunt opinione, tamquam non quia facta sunt significent; sed quia significatura sunt, fiant: eadem tamen ratione fiunt, sive illis significare propositum est, sive consequens. Quomodo ergo significant, nisi a Deo mittantur? Quomodo aves non in hoc motae, ut nobis occurrerent, dextrum auspicium, sinistrumve fecerunt. Et illas, inquit, Deus movit. Nimis illum otiosum et pusillae rei ministrum facis, si aliis somnia, aliis exta disponit. Ista nihilominus divina ope geruntur – Alia ratione fatorum series explicatur, indicia venturi ubique praemittens, ex quibus nobis quaedam familiaria, quaedam ignota sunt – – Cujus rei ordo est, etiam praedictio est.
Man überlege diese Stelle genau, und sage, ob es dem Inhalte derselben zufolge möglich sei, daß die Stoiker jemals so abgeschmackt gegen die Epikurer können gestritten haben, als sie Dacier streiten läßt. Ist es aber nicht möglich, so muß ja auch die vorgegebene Spötterei des Horaz, und mit ihr die ganze sich darauf gründende Erklärung wegfallen. Es ist nicht nötig, ihr mehr entgegen zu setzen, ob es gleich etwas sehr leichtes sein würde; besonders wenn man die Gründe aus der Verdrehung der letzten fünf Zeilen, und aus der gewaltsamen[626] Hineinpressung des Wörtchens sed vor hinc apicem, nehmen wollte.
Nach dieser Widerlegung wird man vielleicht glauben, daß ich die alte Auslegung dieser Ode beibehalten wolle. Doch auch diese kann, meinem Urteile nach, nicht statt finden. Die Veränderung der Sekte wäre für den Horaz eine zu wichtige Begebenheit gewesen, als daß er ihrer nicht öfter in seinen Briefen oder Satyren, wo er so unzählich viel Kleinigkeiten von sich einfließen läßt, hätte erwähnen sollen. Aber überall ist ein tiefes Stillschweigen davon. Auch das kann nicht erwiesen werden, daß Horaz gleich Anfangs der stoischen Philosophie solle zugetan gewesen sein, welches doch sein müßte, wann er sie cursus relictos nennen wollen. Außer diesen schon bekannten Schwierigkeiten, setze ich noch eine neue hinzu, die aus meiner Anmerkung über die Art, mit welcher die Stoiker von der göttlichen Regierung der natürlichen Dinge philosophierten, hergenommen ist. Wenn es wahr ist, daß nach ihren Grundsätzen der Donner am umzognen Himmel nicht mehr und nicht weniger die Mitwirkung der Götter bewies, als der Donner am heitern Himmel; so kann Horaz den letztern eben so wenig im Ernste als im Scherze als eine Ereignung ansehen, die ihn den Stoikern wieder beizutreten nötige. Das erstere ist wahr, und also auch das letztre. Oder will man etwa vermuten, daß Horaz die stoische Weltweisheit nicht besser werde verstanden haben, als seine Ausleger?
Laßt uns eine beßre Meinung von ihm haben, und ihn wo möglich wider ihre unzeitige Gelehrsamkeit verteidigen! Unzeitig ist sie, daß sie da Sekten sehen, wo keine sind; daß sie Abschwörungen und Spöttereien wahrnehmen, wo nichts als gelegentliche Empfindungen herrschen. Denn mit einem Worte, ich glaube, daß Horaz in dieser Ode weder an die Stoiker noch an die Epikurer gedacht hat, und daß sie nichts ist, als der Ausbruch der Regungen, die er bei einem außerordentlichen am hellen Himmel plötzlich entstandenen Donnerwetter gefühlt hat. Man sage nicht, daß die Furcht für den Donner etwas so kleines sei, daß man sie dem Dichter schwerlich Schuld geben könne. Der natürlichste Zufall, wenn er unerwartet kömmt, ist vermögend auch das männlichste[627] Gemüt auf wenig Augenblicke in eine Art von Bestürzung zu setzen. Und was braucht es mehr, als daß Horaz in einer solchen kurzen Bestürzung einige erhabene und rührende Gedanken gehabt hat, um das Andenken derselben in ein Paar Strophen aufzubehalten? Affekt und Poesie sind zu nahe verwandt, als daß dieses unbegreiflich sein sollte.
Ich will meine Erklärung nicht Zeile auf Zeile anwenden, weil es eine sehr überflüssige Mühe sein würde. Ich will nur noch eine Vermutung hinzutun, die hier mit allem Rechte eine Stelle verdient. Man erinnere sich, was uns Sueton von dem Augustus in dem 90. Hauptstücke seiner Lebensbeschreibung meldet. Tonitrua et fulgura paulo infirmius expavescebat, ut semper et ubique pellem vituli marini circumferret, pro remedio: atque ad omnem majoris tempestatis suspicionem in abditum et concameratum locum se reciperet. Wie gerne stellt sich ein Hofmann in allen Gesinnungen seinem Regenten gleich! Gesetzt also, Horaz habe sich nicht selbst vor dem Donner gefürchtet, kann er nicht diese Schwachheit, dem August zu schmeicheln angenommen haben? Es scheint mir, als ob dieser Umstand auf die Ode ein gewisses Licht werfe, bei welchem man eine Art von Schönheiten entdeckt, die sich besser fühlen als umständlich zergliedern lassen.
Soll ich noch etwas aus dem Leben des Augusts beibringen, woraus vielleicht eine neue Erklärung herzuholen ist? Ich will gleich voraussagen, daß sie ein wenig kühn sein wird; aber wer weiß, ob sie nicht eben das Kühne bei vielen empfehlen wird? Als August, nach dem Tode des Cäsars von Apollonien zurück kam, und eben in die Stadt eintrat, erschien plötzlich am hellen und klaren Himmel ein Zirkel, in Gestalt eines Regenbogens, rings um die Sonne; und gleich darauf schlug der Donner auf das Grabmal der Julia, des Cäsars Tochter. Diese Ereignung ward, wie man sich leicht vorstellen kann, zum größten Vorteile des Augusts ausgelegt. Und wie, wann eben sie es wäre, auf welche Horaz hier zielet? Er war zwar, wenn ich die Zeiten vergleiche, damals nicht in Rom, aber kann auch nicht schon die Erzählung einen hinlänglichen Eindruck auf ihn gemacht haben? Und dieses vielleicht um so viel eher, je lieber es ihm bei seiner Zurückkunft,[628] nach der Schlacht bei Philippis, sein mußte, eine Art einer göttlichen Antreibung angeben zu können, warum er nunmehr von der Partei der Mörder des Cäsars abstehe. Wollte man diesen Einfall billigen, so müßte man unter den Göttern, die Horaz wenig verehrt zu haben gestehet, den Cäsar und Augustus, welchen er mehr als einmal diesen Namen gibt, verstehen; und die insanam sapientiam müßte man für den Anhang des Brutus annehmen, welcher in der Tat zwar ein tugendhafter Mann war, aber auch in gewissen Stücken, besonders wo die Freiheit mit einschlug, die Tugend bis zur Raserei übertrieb. Diese Auslegung, glaube ich, hat ihre Schönheiten, welche sich besonders in den letzten Zeilen ausnehmen, wo der Dichter von der Erniedrigung des Stolzen, und von der Übertragung der höchsten Gewalt redet, die er unter dem Bilde des Wipfels will verstanden wissen.
Ich will nichts mehr hinzu setzen, sondern vielmehr nochmals bekennen, daß ich die erstere plane Erklärung, welche ohne alle Anspielungen ist, dieser andern weit vorziehe. Meine Leser aber mögen es halten wie sie wollen, wenn sie mir nur so viel eingestehen, daß nach der letztern, aus dem Parcus Deorum cultor et infrequens, wider die Religion des Horaz gar nichts zu schließen ist, nach der erstern aber nicht mehr, als man aus dem Liede des rechtschaffensten Theologen, in welchem er sich einen armen Sünder nennet, wider dessen Frömmigkeit zu folgern berechtiget ist. Das ist alles was ich verlange.
Ich weiß, daß man noch vieles zur Rettung des Horaz beibringen könnte; ich weiß aber auch, daß man eben nicht alles erschöpfen muß.
1 Der Herr Müller in seiner Einleitung zur Kenntnis der lateinischen Schriftsteller, Teil III. Seite 403.
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