Gotthold Ephraim Lessing

Selbstbetrachtungen und Einfälle

Ich bin nicht gelehrt – ich habe nie die Absicht gehabt gelehrt zu werden – ich möchte nicht gelehrt sein, und wenn ich es im Traume werden könnte. Alles, wornach ich ein wenig gestrebt habe, ist, im Fall der Not ein gelehrtes Buch brauchen zu können.

Eben so möchte ich um wie vieles nicht reich sein, wenn ich allen meinen Reichtum in barem Gelde besitzen und alle meine Ausgaben und Einnahmen in klingender Münze vorzählen und nachzählen müßte.

Bare Kasse ist gut – aber ich mag sie nicht mit mir unter einem Dache haben. Ich will sie Wechslern anvertrauen, und nur die Freiheit behalten, an diese meine Gläubiger und meine Schuldner zu verweisen.


Der aus Büchern erworbne Reichtum fremder Erfahrung heißt Gelehrsamkeit. Eigne Erfahrung ist Weisheit. Das kleinste Kapitel von dieser, ist mehr wert, als Millionen von jener.


Ich werde nicht eher spielen, als bis ich Niemanden finden kann, der mir umsonst Gesellschaft leistet.

Das Spiel soll den Mangel der Unterredung ersetzen. Es kann daher nur denen erlaubt sein, die Karten beständig in Händen zu haben, die nichts als das Wetter in ihrem Munde haben.


Er füllt Därme mit Sand, und verkauft sie für Stricke. Wer? Etwa der Dichter, der den Lebenslauf eines Mannes in Dialogen bringt, und das Ding für Drama ausschreit?[788]


Bergab ist lustig wandeln. Aber doch werden bergab mehr Hasen gefangen, als bergauf. Das ist die Rezension von der andern Hälfte vieler Bücher.


Dann und wann gehört es unter die unerkannten Segen der Ehe, wenn sie nicht gesegnet ist.


Der gute Name sei die Seele der Tugend, ist so gar unrecht nicht gesagt. Denn sie lebt noch lange, wenn der Körper schon tot ist.


Armut macht eben so viel Hahnreie als Diebe.


Ich habe gegen die christliche Religion nichts: ich bin vielmehr ihr Freund, und werde ihr Zeitlebens hold und zugetan bleiben. Sie entspricht der Absicht einer positiven Religion, so gut wie irgend eine andere. Ich glaube sie und halte sie für wahr, so gut und so sehr man nur irgend etwas historisches glauben und für wahr halten kann. Denn ich kann sie in ihren historischen Beweisen schlechterdings nicht widerlegen. Ich kann den Zeugnissen, die man für sie anführt, keine andere entgegen setzen: es sei nun, daß es keine andere gegeben, oder daß alle andere vertilgt oder geflissentlich entkräftet worden. Das gilt mir itzt gleich viel, da die Sache in einer Waage abgewogen wird, in welcher aller Verdacht, alle Möglichkeit, alle Wahrscheinlichkeit, gegen ein einziges wirkliches Zeugnis nun einmal so viel als nichts verschlagen soll.

Mit dieser Erklärung, sollte ich meinen, könnten doch wenigstens diejenigen Theologen zufrieden sein, die allen christlichen Glauben auf menschlichen Beifall herabsetzen, und von keiner übernatürlichen Einwirkung des heiligen Geistes wissen wollen. Zur Beruhigung der andern aber, die eine solche Einwirkung noch annehmen, setze ich hinzu, daß[789] ich diese ihre Meinung allerdings für die in dem christlichen Lehrbegriffe gegründetere und von Anfang des Christentums hergebrachte Meinung halte, die durch ein bloßes philosophisches Raisonnement schwerlich zu widerlegen steht. Ich kann die Möglichkeit der unmittelbaren Einwirkung des heiligen Geistes nicht leugnen: und tue wissentlich gewiß nichts, was diese Möglichkeit zur Wirklichkeit zu gelangen hindern könnte.

Freilich muß ich gestehen –


Wenn ich mich recht untersuche, so beneide ich alle itzt regierende Könige in Europa, den einzigen König von Preußen ausgenommen, der es einzig mit der Tat beweist, Königswürde sei eine glorreiche Sklaverei.


Gott hat keinen Witz, und die Könige sollten auch keinen haben. Denn hat ein König Witz, wer steht uns für die Gefahr, daß er deswegen einen ungerechten Ausspruch tut, weil er einen witzigen Einfall dabei anbringen kann?


Folgende Anmerkung des Barclaius in Ansehung des Nachteils der Aristokratie vor der Monarchie ist vortrefflich:

Pone vero tam regnum, quam rempublicam, Principum vitiis tanquam affecta valetudine laborare; utribi faciliora exspectes ad publicam sanitatem remedia? Nimirum et Regem et ipsius vitia mors saltem de medio tollet, poteruntque a successoris indole sperari meliora. At labem corrupti senatus non unius cujusque mors eluit, sed afflicti semel mores in deteriora semper labuntur, donec publicam salutem suo easu obruerint.


Argenis I. c. 15


Bei der katholischen Kirche in Berlin, welche der König neben dem Opernhause erbauen lassen, ist mir die Stelle aus dem Statius eingefallen: Par operi sedes.[790]


Besold, der berühmte Rechtsgelehrte in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, der aber der guten lutherischen Kirche den Dampf antat, und von ihr ausschied, soll in dem Anhange zu seinen Axiomat. polit. sagen: Vanissimum proverbium esse putes: In omnibus aliquid et de toto nihil. Nam qui non est in omnibus aliquid, in singulis est nihil. Um diesen einzigen Gedanken will ich das Buch des Besold lesen, sobald ich es habhaft werde. Wo das steht, wird mehr gutes stehen.

Ist es besser, nur ein Ding wissen, oder mehrere? Welche Frage! Wenn man nun unter diesen mehreren auch dieses Eine weiß. Es kann überflüssig sein, mehrere zu wissen; aber es wird darum nicht besser, nur Eins zu wissen.

Freilich, wenn es ausgemacht ist, daß man mehrere Dinge unmöglich so gründlich, so fertig wissen kann, als ein Einziges, dem man alle seine Zeit, alle seine Kräfte gewidmet hat. Wenn es ausgemacht ist! Ist das denn aber so ausgemacht, als man annimmt?

Und doch gesetzt, es wäre. Auch alsdenn frägt es sich noch, ob es besser sei, nur ein Ding vollkommen gründlich, vollkommen fertig zu wissen, als mehrere weniger gründlich, weniger fertig.

Besser? Ja und Nein. Denn besser ist Beziehungswort, und der Beziehungen sind wenigstens hier drei. Es kann besser sein in der einen, und schlimmer in der andern.

Für wen besser? Für den Menschen selbst, der da weiß? – oder für das, was er weiß? – oder für die, denen zum besten er wissen soll? – – –


Ich will mich eine Zeit lang als ein häßlicher Wurm einspinnen, um wieder als ein glänzender Vogel an das Licht kommen zu können.


Ich wünschte, daß ich mir, vom Anfange an, alle Lobsprüche und alle Tadel und Schmähungen, die ich und meine Schriften im Druck erhalten habe, jede in ein besonders Buch zusammengetragen[791] hätte: um das eine zu lesen, wenn ich mich zu übermütig, und das andre, wenn ich mich zu niedergeschlagen fühle.


Das Wort Zeitvertreib sollte der Name einer Arznei, irgend eines Opiats, eines Schlafmachenden Mittels sein, durch das uns auf dem Krankenbette die Zeit unmerklich verstreicht; aber nicht der Name eines Vergnügens. Doch kommen wir denn nicht auch öfters in Gesellschaften in welchen wir aushalten müssen, und in welchen uns die Zeit eben so unerträglich langweilig wird, als auf dem Krankenlager? Der Sprachgebrauch hat immer seinen Grund. Nur sollte man diesem zufolge das Wort auf diejenigen Ergötzungen und Zerstreuungen einschränken, die wir in solchen Gesellschaften, nicht aber, die wir vor uns allein vornehmen.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 5, München 1970 ff., S. 788-792.
Entstanden zwischen 1770 und 1781, Erstdruck in: Nebenstunden (Breslau), 1799.
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