Friedrichs von Logau

Sinngedichte

Zwölf Bücher


Mit Anmerkungen über die Sprache des Dichters

herausgegeben von

C. W. Ramler und G. E. Lessing


Vorrede

Friedrich von Logau, der gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts, unter dem Namen Salomon von Golau, deutscher Sinngedichte drei Tausend herausgegeben hat, ist mit allem Rechte für einen von unsern besten Opitzischen Dichtern zu halten; und dennoch zweifeln wir sehr, ob er vielen von unsern Lesern weiter als dem Namen nach bekannt sein wird.

Wir können uns dieses Zweifels wegen auf verschiedene Umstände berufen. Ein ganzes Jahrhundert, und drüber, haben sich die Liebhaber mit einer einzigen Auflage dieses Dichters beholfen; in wie vieler Händen kann er also noch sein? Und wenn selbst Wernike keinen kennen will, der es gewagt habe, in einer von den lebendigen Sprachen ein ganzes Buch voll Sinngedichte zu schreiben; wenn er dem Urteile seines Lehrers, des berühmten Morhofs, daß insbesondere die Deutsche Sprache, ihrer vielen Umschweife wegen, zu dieser Gattung von Gedichten nicht bequem zu sein scheine, kein Beispiel entgegen zu stellen weiß: so kann er unsern Logau, seinen besten, seinen einzigen Vorgänger, wohl schwerlich gekannt haben. Ist er aber schon damals in solcher Vergessenheit gewesen, wer hätte ihn in dem nachfolgenden Zeitalter wohl daraus gerissen? Ein Meister, oder ein John gewiß nicht, die ihn zwar nennen, die auch Beispiele[337] aus ihm anführen, aber so unglückliche Beispiele, daß sie unmöglich einem Leser können Lust gemacht haben, sich näher nach ihm zu erkundigen.

Wir könnten eine lange Reihe von Kunstrichtern, von Lehrern der Poesie, von Sammlern der gelehrten Geschichte anführen, die alle seiner entweder gar nicht, oder mit merklichen Fehlern gedenken. Allein wozu sollten uns die Beweise dienen, daß Logau unbekannt gewesen ist? Ein jeder Leser, der ihn nicht kennt, glaubt uns dieses auch ohne Beweis.

Was man mit besserm Rechte von uns erwarten dürfte, wäre eine umständliche Lebensbeschreibung dieses würdigen Mannes. Und wie sehr würden wir uns freuen, wenn wir dieser Erwartung ein Genügen leisten könnten! So aber sind alle unsere Nachforschungen nur schlecht belohnt worden; und wir haben wenig mehr als folgendes von ihm entdecken können.

Das Geschlecht derer von Logau, oder Logaw, ist eines von den ältesten adlichen Geschlechtern Schlesiens. Ihr Stammhaus, Altendorf, liegt in dem Fürstentum Schweidnitz. Chr. Gryphius sagt, es sei aus Böhmischen oder Schlesischen Geschichtschreibern zu erweisen, daß schon in dem sechzehnten Jahrhunderte Freiherren von Logau, unter den Kaisern Karl dem fünften, und Ferdinand dem ersten, ansehnliche Kriegsbedingungen bekleidet hätten. Auch blühte unter der Regierung des erstern George von Logau auf Schlaupitz, einer der besten lateinischen Dichter seiner Zeit, dem wir die erste Ausgabe des Gratius und Nemesianus zu danken haben. Desgleichen besaß um eben diese Zeit Caspar von Logau, den Lucä und andere mit nur gedachtem George verschiedentlich verwechseln, den bischöflichen Stuhl zu Breslau.

Unser Friedrich von Logau, ward, zu Folge seiner Grabschrift, die uns Cunrad aufbehalten hat, im Monat Junius des Jahres 1604 geboren. Seine Ältern und den Ort seiner Geburt finden wir nirgends benannt; auch nirgends einige Nachricht von seiner Erziehung, wo er studieret, ob er gereiset u.s.w. Wir finden seiner nicht eher als in Diensten des Herzogs zu Liegnitz und Brieg, Ludewigs des Vierten, gedacht.[338]

Man beliebe sich aus der Geschichte zu erinnern, daß Johann Christian, Herzog von Brieg, drei Söhne hinterließ, die nach seinem 1639 erfolgten Tode das Herzogtum gemeinschaftlich besaßen, doch so, daß jeder von ihnen seine eigenen Räte hatte. Unter den Räten des zweiten, des gedachten Ludewigs, befand sich unser von Logau. Als aber 1653 ihres Vaters Bruder, George Rudolph, starb, und die Fürstentümer Liegnitz und Wohlau an sie fielen, fanden sie das Jahr darauf für gut, sich durch das Los aus einander zu setzen. Ludewig bekam Liegnitz, wohin er nunmehr seinen Sitz verlegte, und seinen Logau als Kanzeleirat mit sich nahm.

Die Liebe zur Poesie muß sich zeitig bei ihm geäußert haben. Er sagt uns in einem von seinen Sinngedichten selbst, daß er in seiner Jugend verliebte Gedichte geschrieben habe, die ihm in den Unruhen des Krieges von Händen gekommen wären. Nach der Zeit erlaubten ihm seine Geschäfte allzukurze Erholungen, als daß er sich in größern Gedichten, als das kleine Epigramma ist, hätte versuchen können. Unterdessen hat er es in dieser geringern Gattung so weit gebracht, als man es nur immer bringen kann, und es ist unwidersprechlich, daß wir in ihm allein einen Martial, einen Catull und Dionysius Cato besitzen.

Er gab anfangs nur eine Sammlung von zwei hundert Sinngedichten ans Licht, die, wie er selbst sagt, wohl aufgenommen worden. Wir haben sie nirgends auftreiben können, und wer weiß, ob sie gar mehr in der Welt ist? Die vollständige Sammlung, die den schon erwähnten Titel: »Salomons von Golau deutscher Sinngedichte drei Tausend« führet, ist zu Breslau, in Verlag Caspar Kloßmanns, gedruckt, und macht einen Oktavband von ohngefähr drei Alphabeten aus. Das Jahr des Drucks finden wir nirgends darin ausdrücklich angezeigt. Es muß aber das Jahr 1654 gewesen sein, welches sich aus verschiednen Sinngedichten schließen läßt, und von den Bücherkennern bestätiget wird. Da unterdessen Sinapius sagt, daß Logau seine Sinngedichte im Jahr 1638 herausgegeben habe, so wird man dieses nicht unwahrscheinlich von der ersten kleinen Sammlung verstehen können.

Er war ein Mitglied der fruchtbringenden Gesellschaft, in[339] die er 1648, unter dem Namen des Verkleinernden aufgenommen ward. Wenn der Sprossende, in seiner Beschreibung dieser Gesellschaft, ihn unter diejenigen Glieder nicht rechnet, die sich durch Schriften gezeiget haben, so ist dieses wohl ein abermaliger Beweis, daß das Publikum seine Sinngedichte sehr bald vergessen hat.

Er starb zu Liegnitz, den fünften Julius im Jahr 1655, und hinterließ aus einer zweiten Ehe einen einzigen Sohn. Es war dieses der Freiherr Balthasar Friedrich von Logau, der Freund des Herrn von Lohenstein, und der Mäzen des jüngern Gryphius.

Wir wollen nunmehr von unsrer neuen Ausgabe das Nötige sagen. Die ganze Anzahl der Sinngedichte unsers Logau beläuft sich, außer einigen eingeschobenen größern Poesien, auf drei tausend, fünfhundert und drei und funfzig, indem zu dem zweiten und dritten Tausend noch Zugaben und Anhänge gekommen sind. Ist es wahrscheinlich, ist es möglich, daß sie alle gut sein können? Unsere wahre Meinung zu sagen, diese ungeheuere Menge ist vielleicht eine von den vornehmsten Ursachen, warum der ganze Dichter vernachlässiget worden ist. Denn es konnte leicht kommen, daß die Neugierde das Buch siebenmal aufschlug, und siebenmal etwas sehr mittelmäßiges fand.

Wir ließen es also unsere erste Sorge sein, ihn dieses nachteiligen Reichtums zu entladen. Wir haben ihn fast auf sein Dritteil herabgesetzt; und das ist unter allen Nationen, immer ein sehr vortrefflicher Dichter, von dessen Gedichten ein Dritteil gut ist. Deswegen wollen wir aber nicht sagen, daß alle beibehaltenen Stücke, Meisterstücke sind; genug, daß in dem unbeträchtlichsten noch stets etwas zu finden sein wird, warum es unserer Wahl wert gewesen. Ist es nicht allezeit Witz, so ist es doch allezeit ein guter und großer Sinn, ein poetisches Bild, ein starker Ausdruck, eine naive Wendung, und dergleichen. Auch wird das schlechteste noch immer dazu dienen, dem Leser zu zeigen, wie wenig er den Verlust der übrigen Stücke zu betauern hat.

Es ist uns ein Exemplar unsers Dichters zu Händen gekommen, das sich aus der Stollischen Bibliothek herschreibt,[340] und in welchem hier und da eine unnatürliche, harte Wortfügung mit der Feder geändert worden war. Der Zug der Schrift wäre alt genug, es für die eigene Hand des Herrn von Logau zu halten. Doch dazu gehören stärkere Beweise, und wir wollen es also nicht behaupten. Unterdessen haben wir doch für gut befunden, einige von diesen Änderungen anzunehmen, und einige, ihnen zu Folge, selbst zu wagen. Der Leser stößt nirgends so ungern an, als in einem Sinngedichte, welches allzu kurz ist, als daß man die Unebenheiten darin übersehen könnte.

Wir sind uns bewußt, daß wir durch diese wenigen und geringen Veränderungen den alten Dichter nicht im geringsten moderner gemacht haben; wir sind ihm nur da ein wenig zu Hülfe gekommen, wo wir ihn allzuweit unter seiner eignen reinen Leichtigkeit fanden; und haben es alsdann in dem Geiste seiner eignen Sprache zu tun gesucht.

Wie groß unsere Hochachtung für diese seine alte Sprache ist, wird man aus unsern Anmerkungen darüber, die wir in Gestalt eines Wörterbuchs dem Werke beigefügt haben, deutlich genug erkennen. Ähnliche Wörterbücher über alle unsere guten Schriftsteller, würden, ohne Zweifel, der erste nähere Schritt zu einem allgemeinen Wörterbuche unsrer Sprache sein. Wir haben die Bahn hierin, wo nicht brechen, doch wenigstens zeigen wollen.

Endlich können wir unsern Lesern auch nicht verbergen, daß bereits vor mehr als funfzig Jahren ein Ungenannter eine ähnliche Arbeit mit unserm Logau unternommen gehabt. Er hat nämlich (1702) »S. V. G. auferweckte Gedichte« herausgegeben. Dieser Titel ist der letzte unwidersprechlichste Beweis, daß diese Sinngedichte damals schon begraben gewesen sind. Allein dieser Ungenannte war vielleicht Schuld, daß unser Logau noch tiefer in die Vergessenheit geriet, und nunmehr mit Recht zu einer neuen Begrabung verdammt werden konnte. Derjenige Teil seiner Gedichte, welchen man, ohne Wahl, auferweckt hat, ist nicht allein mit unendlich schlechten und pöbelhaften Stücken vermischt worden; sondern die Logauischen selbst sind dergestalt verlängert, verkürzt, verändert worden, daß Nachdruck, Feinheit, Witz, alle Sprachrichtigkeit,[341] ein jeder guter poetischer Name, eine jede gute Eigenschaft des Dichters, ja oft der Menschenverstand selber verloren gegangen ist. Wir führen keine Exempel an, um unsern Lesern den Ekel zu ersparen.

Werden die Liebhaber der Poesie an unserm alten Dichter, einigen Geschmack finden: so freuen wir uns, daß dadurch die Beschuldigung immer mehr entkräftet werden wird, als ob wir Neuern allbereits von der Bahn des Natürlichschönen abgewichen wären, und nichts mehr empfinden könnten, als was auf einer gewissen Seite übertrieben ist.

Die Herausgeber

Berlin

den 5ten Mai 1759

Wörterbuch

Vorbericht von der Sprache des Logau

Die Sprache unsers Dichters ist, überhaupt zu reden, die Sprache des Opitz und der besten seiner Zeitverwandten und Landesleute. Und wenn Tscherningen hierin die erste Stelle nach Opitzen gebühret, so gebühret die erste Stelle nach Tscherningen unserm Logau.

Das Sinngedicht konnte ihm die beste Gelegenheit geben, die Schicklichkeit zu zeigen, welche die deutsche Sprache zu allen Gattungen von Materie, unter der Bearbeitung eines Kopfes erhält, der sich selbst in alle Gattungen von Materie zu finden weiß. Seine Worte sind überall der Sache angemessen: nachdrücklich und körnicht, wenn er lehrt; pathetisch und vollklingend, wenn er straft; sanft, einschmeichelnd, angenehm tändelnd, wenn er von Liebe spricht; komisch und naiv, wenn er spottet; possierlich und launisch, wenn er bloß Lachen zu erregen sucht.

Der Sprachenmengerei, die zu seiner Zeit schon stark eingerissen war,7 und die er nicht unrecht von den vielen fremden[342] Völkern, welche der Krieg damals auf deutschen Boden brachte, herleitet,8 machte er sich nicht schuldig; und was er mit einem deutschen Worte ausdrücken konnte, das drückte er mit keinem lateinischen und französischen aus, welche letztere Sprache auch seine Zeitverwandten bereits für unentbehrlich hielten.9 Er hat verschiedene aus andern Sprachen entlehnte Kunstwörter nicht unglücklich übersetzt. So nennt er z. E.


Nomen adjectivum et substantivum, das zusetzliche und eigenständige Wort10

Accentus, Beilaut11

Inventarium, Fundregister etc.12


Doch war er auch kein übertriebener Purist, er spottet über die zu weitgehenden Neuerungen des Zesen,13 ob er gleich[343] mit ihm in einem Jahre (1648) in die fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen ward.

Es bedarf aber nur einer ganz geringen Aufmerksamkeit, zu erkennen, wie sehr die Sprache unserer neuesten und besten Schriftsteller, von dieser alten, lautern und reichen Sprache der guten Dichter aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, unterschieden ist. Der fremden Wendungen und Wortfügungen, welche die erstern aus dem Französischen und Englischen, nach dem diese oder jene eines jeden Lieblingssprache ist, häufig herüber nehmen, nicht zu gedenken; so haben sie keine geringe Anzahl guter, brauchbarer Wörter veralten lassen.

Und auf diese veralteten Wörter haben wir geglaubt, daß wir unser Augenmerk vornehmlich richten müßten. Wir haben alle sorgfältig gesammelt, so viele derselben bei unserm Dichter vorkommen; und haben dabei nicht allein auf den Leser, der sie verstehen muß, sondern auch auf diejenigen von unsern Rednern und Dichtern gesehen, welche Ansehen genug hätten, die besten derselben wieder einzuführen. Wir brauchen denselben nicht zu sagen, daß sie der Sprache dadurch einen weit größern Dienst tun würden, als durch die Prägung ganz neuer Wörter, von welchen es ungewiß ist, ob ihr Stempel ihnen den rechten Lauf so bald geben möchte. Noch weniger brauchen wir sie zu erinnern, wie ein veraltetes Wort auch dem ekelsten Leser, durch das, was Horaz callidam juncturam nennt, annehmlich zu machen ist.

Ferner haben wir unsern Fleiß auf die Provinzialsprache des Dichters gerichtet. Die Schlesische Mundart ist deswegen einer kritischen Aufmerksamkeit, vor allen andern Mundarten würdig, weil wir in ihr die ersten guten Dichter bekommen haben. Die Vorteile, welche diese Männer an eigenen Wörtern, Verbindungsarten und Wendungen darin haben, verdienen, wo nicht für allgemeine Vorteile der Sprache angenommen, doch wenigstens gekannt und geprüft zu werden.

Von diesen Vorteilen, so fern wir dergleichen bei unserm Logau bemerkt, wollen wir diejenigen, die in dem Wörterbuche selbst keine fügliche Stelle finden können, unter folgende allgemeine Anmerkungen bringen.[344]

I.

Logau läßt vielfältig die Geschlechtswörter weg. Z. E.

Man hat den Feind aufs Haupt geschlagen,

Doch Fuß hat Haupt hinweggetragen.14


Er tut dieses 1. bei denjenigen Hauptwörtern, welche Abstracta ausdrücken, und gewissermaßen zu Geschlechtsnamen werden; allwo es zu einer besondern Schönheit wird:


Aber Neid hat scheel gesehen;

Und Verhängniß ließ geschehen,

Daß ein schäumend wilder Eber

Ward Adonis Todtengräber.15


Hier werden der Neid und das Verhängnis, durch die Weglassung des Artikels, zu Personen gemacht, welches weit stärker und poetischer ist, als wenn es hieße: »Der Neid hat scheel gesehen; Das Verhängniß ließ geschehen.« Eben so auch (IV. II)

Scävus wird mit Ewigkeit immer in die Wette leben etc. Hier wird die Ewigkeit zu einem lebendigen Wesen.


2. Tut er es bei denjenigen Hauptwörtern, welchen der unbebestimmte Artikel ein, eine zukömmt, den man in der vielfachen Zahl ohnedem schon wegzulassen genötigt ist. Z. E. (VII. 71)


Hat Land durch diesen Krieg, hat Stadt mehr ausgestanden?


Nicht die Stadt, eine gewisse Stadt, sondern unbestimmt: Städte. Ferner (X. 87)


Gieb mir geneigten Blick.


Anstatt: einen geneigten Blick, oder geneigte Blicke. Man sehe, welche gute Wirkung dieses in den »Kriegesliedern des Preußischen Grenadiers« hervorbringt.


»Wie kriegrische Trompete laut

Erschalle, mein Gesang!«


anstatt: laut wie eine Trompete, oder wie Trompeten.[345]


»Drum singet herrlichen Gesang etc.«


anstatt: einen herrlichen Gesang, oder, herrliche Gesänge.


»Er faßte weisen Schluß,«


anstatt: er faßte einen weisen Schluß.

II.

Logau läßt die Endung der Beiwörter, nicht allein in dem ungewissen, sondern auch in dem männlichen Geschlechte weg. Er sagt: »ein groß Verdruß, ein gut Soldat,16 ein stätig Gaul,17 ein kriechend Erdegeist u.s.w.

III.

Logau braucht sehr häufig das Beiwort in dem ungewissen Geschlechte als ein Hauptwort. Z. E.


Seither ist unser Frey in Dienstbarkeit verkehret,18


für: unsere Freiheit.


Nachwelt werd ihm alles Frech gar vergessen oder schenken;19


für: alle Frechheit.


– – – – Ein solches Klug,

Dafür ein keuscher Sinn Entsetz und Grauen trug,20


für: eine solche Klugheit.


Bey welchem freyes Wahr, der Freundschaft Seele wohnt;21


für: freie Wahrheit.[346]


Canus geht gar krumm gebückt,

Weil ihn Arm und Alt so drückt;22


für: Armut und Alter.


Und ernähren fremdes Faul,23


für: fremde Faulheit.

IV.

Logau läßt von den Zeitwörtern die selbständigen Fürwörter da weg, wo sie zur Deutlichkeit nichts mehr beitragen, und erhält dadurch mehr Nachdruck und Feuer. Z. E.


Mich, sagt Elsa, schreckt es nicht, werde brünstig nur gemacht,

Unter Augen dem zu gehn etc.24


für: ich werde nur brünstig gemacht.


Picus nahm die dritte Frau, immer eine von den Alten:

Wollte, meyn ich, ein Spital, schwerlich einen Ehstand halten.25


für: er wollte ein Spital halten.


Nisus buhlte stark um Nisa: Dieses gab ihr viel Beschwerden;

Wollt' ihn nicht; sie freyt ihn aber, seiner dadurch los zu werden.26


für: sie wollt' ihn nicht.


Wenn im Schatten kühler Myrthen

Sie sich kamen zu bewirthen:

Folgte nichts als lieblich Liebeln,

Folgte nichts als tückisch Bübeln;[347]

Wollten ohne süßes Küssen

Nimmer keine Zeit vermissen.27


für: sie wollten keine Zeit vermissen.

V.

Logau trennet von den zusammengesetzten Zeitwörtern die Vorwörter auch da, wo wir sie nicht zu trennen pflegen, und setzet zwischen beide irgend ein ander Redeteilchen, um die Worte für das Sylbenmaß bequemer zu machen. Wenn wir uns dieser Freiheit nicht mehr bedienen, so werden wir wenigstens Ursache finden, ihn darum zu beneiden. Z. E.


Ey, ich wills ihm ein noch treiben; dieses Ding muß seyn gerochen;28


für: ich wills ihm noch eintreiben.


Lieb und Geiz sind solche Brillen, welche dem, der auf sie stellt,29


für: der sie aufstellt etc. Itzo müssen wir uns durch die Umkehrung helfen: er stellt es auf, er trieb es ein; und in der unbestimmten Weise durch das Wörtchen zu: einzutreiben, aufzustellen; und in zwei vergangenen Zeiten durch die Sylbe ge: er hat eingetrieben, er hatte aufgestellt. Alles gute Mittel; die wir aber zuweilen nicht ohne Zwang und Weitschweifigkeit gebrauchen können.

VI.

Logau setzet die Endsylbe, ley, die wir itzt nur bei den teilenden Zahlwörtern dulden wollen, auch zu fast allen Arten von Fürwörtern, und erlangt dadurch, (wie man es nun nennen will) ein Nebenwort, oder ein unabänderliches Beiwort von besonderm Nachdrucke. Z. E.[348]


Zu etwas Großen noch wird Sordalus wohl werden,

Denn seinerley Geburt ist nicht gemein auf Erden etc.30


Wie weitschweifig müssen wir itzt dafür sagen: »denn eine Geburt, wie seine war etc.«


Du Schelme, du Bauer! So zierliche Titel

Verehrten die Krieger den Bauern ins Mittel.

Nun Krieger getreten in Zippelpelzorden

Sind dieserley Titel Besitzer sie worden.31


Dieserley, sagt hier nicht so viel, als dieser; es scheinet auch nicht so viel zu sagen, als dergleichen, sondern es begreift beides: Dieser und dergleichen Titel. Überdem da wir dieses ley bei den uneigentlichen Fürwörtern sehr wohl leiden; denn wir sagen ohne Tadel, mancherlei, solcherlei, keinerlei, vielerlei, allerlei: warum sollte es nicht auch an die eigentlichen Fürwörter gesetzt werden können? Die Schlesische Mundart kömmt hier mit der Schweizerischen überein, welches man aus folgender Stelle, die Frisch aus Geilers von Kaysersberg Postille anführet, ersehen wird. Sie erläutert zugleich den Gebrauch dieser Fürwörter in ley vortrefflich. »Ein Sun ist nit anders, dann ein Ding das da lebet von einem lebendigen seinerley. Ich hätte einen Sun, der wär meinerley, ejusdem speciei. Ich kann die Species nicht baß teutschen. Würme, die du in dir hast, sind nicht deinerley

VII.

Logau konstruiert die Zahlwörter gern mit der Zeugendung. Z. E.


Für ein einzles, das man thut,

So es ist zu nennen gut,

Kann man zehen böser Stücke,

Rechnen ab, und ziehn zurücke.32[349]


Nicht: zehn böse Stücke. Man wird sich dieser Zeugendung sehr wohl bedienen können, so oft das Hauptwort mit einem Selbstlauter anfängt, und man den Hiatus vermeiden will.

VIII.

Logau läßt von sehr vielen Wörtern die Anfangssylbe ge weg, wodurch sie an ihrem Nachdrucke nichts verlieren, oft aber an dem Wohlklange gewinnen. Er sagt z. E.


Die weitgereiste Würze –33


wofür wir Gewürze sagen und es in ein Neutrum verwandeln; wiewohl wir auch die erste Art, besonders im höhern Stil, beibehalten.


Gott sey Dank für meinen Schmack etc.34


für Geschmack; desgleichen auch Ruch für Geruch.35


Wer der Arbeit Mark will nießen etc.36


für genießen. So auch Hirn für Gehirn, (welches noch üblich ist) linde für gelinde, Sang für Gesang,37 bracht für gebracht etc. Mit der Anfangssylbe be verfährt er oft auf gleiche Weise. Z. E. sonders für besonders:


Ein sonders Lob ist dieß, daß einer Lobens werth etc.38


müht für bemüht,39 hausen für behausen, mir liebet für mir beliebet etc.


Und so viel von den allgemeinen Anmerkungen über die Provinzialsprache unsers Dichters; einzelne wird man in dem nachstehenden kleinen Wörterbuche häufig antreffen. Man wird aber wohl sehen, daß unsere Absicht weder hier noch dort gewesen ist, alle Eigentümlichkeiten der Schlesischen[350] Mundart damit zu erschöpfen. Sie kommen bei unserm Dichter nicht alle vor, und von denen, welche vorkommen, haben wir, wie schon gedacht, nur diejenigen ausgesucht, von welchen er einigen Nutzen gezogen, und von welchen auch noch unsre heutigen Schriftsteller vielleicht einigen Vorteil ziehen könnten.[351]

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 5, München 1970 ff., S. 19,352.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Vorreden
Gotthold Ephraim Lessings Sämmtliche Schriften: Teil 8. Gesammelte Vorreden. Beiträge zur Kenntniss der deutschen Sprache. Vom Alter der Ölmalerei aus dem Theophilus Presbyter

Buchempfehlung

Anonym

Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishaden. Indische Philosophie Band 5

Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishaden. Indische Philosophie Band 5

Die ältesten Texte der indischen Literatur aus dem zweiten bis siebten vorchristlichen Jahrhundert erregten großes Aufsehen als sie 1879 von Paul Deussen ins Deutsche übersetzt erschienen.

158 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon