Sechster Brief

Vom 20. Junius

[542] O, ich glaube es Ihnen sehr wohl, mein Herr, daß verschiedene in Ihrer Gegend, welche an der Myliusischen Reise Teil gehabt, über den unglücklichen Ausgang derselben verdrüßlich sind, und ihr Geld bereuen. Was haben wir nun davon? heißt es bei einigen auch hier. Ehre! habe ich denen, die ich näher kenne, geantwortet. Ehre! – – »Nichts weiter? versetzte man. Wir glaubten, wie vortrefflich wir unsre Naturaliensammlungen würden vermehren können.« – – Ei! und also sahen Sie den Hrn. Mylius nicht so wohl für einen Gelehrten, welcher Entdeckungen machen sollte, als für einen Commissionair an, der für Sie nach Amerika reisete, um die Lücken Ihres Cabinets, so wohlfeil als möglich, zu erfüllen? – – »Nicht viel anders!« – – Nicht viel anders? So nehme ich mir die Freiheit aufrichtig zu gestehen, daß ich Ihnen den vorgegebenen Schaden von Grund des Herzens gönne. Aber wissen Sie wohl, bin ich in meinem Komplimente fortgefahren, für was Hr. Mylius eigentlich Sie, und alle Beförderer seiner Reise angesehen hat? Für Verschwender; für Leute die ihr überflüssiges Vermögen zu sonst nichts bessern anzuwenden wüßten; die nur Geld verschenkten, um es zu verschenken, und – – »Was? hat man mich unterbrochen; uns für Verschwender anzusehen?« – – Wahrhaftig, meine Herren, dafür hat Sie Hr. Mylius angesehen, noch ehe er die Ehre hatte, Sie zu kennen. Ich habe ihnen hierauf, um sie rechtschaffen zu kränken, eine Stelle aus dem satyrischen Sendschreiben2 meines Freundes vorgelesen, in welchem er verschiedne Anschläge erteilet, wie man die Torheiten und Laster der Menschen zum Aufnehmen der Naturlehre nützen könne. Er hat dieses Sendschreiben in die »Ermunterungen« eingerückt, und die Stelle, auf welche ich ziele, ist viel zu sonderbar, als daß mich die Mühe tauern sollte, sie Ihnen, mein Herr, hier abzuschreiben. »Die Verschwender, sagt er, lasse man ihr Geld auf die Besoldung einer Anzahl Reisender wenden, welche[542] die Welt die Länge und Quere durchreisen und durchschiffen, und, wenn es das Glück will, allerlei physikalische und zur Naturgeschichte gehörige Entdeckungen machen. Man lasse auf ihre Unkosten Luftschiffe bauen, und den Erfolg auf ein Geratewohl ankommen. Die Ausführung solcher Unternehmungen trage man irrenden Rittern, Don Quixoden und Wagehälsen auf, und erwarte mit Vergnügen und Gelassenheit, ob die Naturlehre dadurch mit neuen Erfindungen und Lehrsätzen wird bereichert werden. Die Sache mag so übel ausschlagen, als sie will, so werden doch weder die physikalischen Wissenschaften, noch ihre uneigennützige Handlanger einigen Schaden davon haben.« – – Was sagen Sie zu dieser Stelle, mein Herr? Vielleicht, daß sie etwas prophetisches hat. Doch ich bin gewiß überzeugt, daß Hr. Mylius ein sehr lobenswürdiger und vorsichtiger Wagehals würde gewesen sein, wenn ihm der Tod vergönnt hätte, seine Geschicklichkeit zu zeigen. Er würde sich nicht begnügt haben, so er hingekommen wäre, bloß mit den Augen eines Naturforschers zu sehen, und um nichts, als um einen Stein oder um ein Kraut sich Gefahren auszusetzen. Er würde ein allgemeiner Beobachter gewesen sein, und die Kenntnis des Schönsten in der Natur, des Menschen, für keine Kleinigkeit angesehen haben, ob sie gleich in dem gemeinen Plane seiner Reise nicht in Betrachtung gezogen war. – – Doch, erlauben Sie mir, mein Herr, daß ich Ihnen auch endlich einmal von etwas andern schreibe. Die Erinnerung der Geschicklichkeiten meines Freundes ist mir zu peinlich, und ich empfinde seinen Verlust zu lebhaft, wenn ich derselben allzusehr nachhänge. – – – Lassen Sie uns vielmehr etc. – – –


Hier gerieten wir in unserm Briefwechsel auf eine andre Materie, welche für den Leser wenig reizendes haben würde und hierher nicht gehöret. Alles, was ich noch für ihn hinzutun muß, ist etwas weniges, was diese Sammlung genauer angeht. Sie bestehet aus lauter Stücken, welche teils in verschiednen Monatsschriften zerstreut, teils auch einzeln gedruckt waren. Alles dessen, was in den vorstehenden Briefen gesagt worden, ungeachtet, glaube ich, daß sehr viele Leser[543] die meisten nicht ohne besonderes Vergnügen lesen werden. Die Poesien insbesondere habe ich überall zusammen gesucht, und hätte zwar mit leichter Mühe noch weit mehrere, bessere aber wohl schwerlich auftreiben können. Mit was für Augen man sie betrachten müsse, habe ich deutlich gnug zu verstehen gegeben, und ich füge nur noch hinzu, daß die Gedichte des Hrn. Mylius ganz anders aussehen würden, wenn sie alle mit dem Gefühle und dem Fleiße gemacht wären, mit welchem er seinen »Abschied aus Europa« gemacht hat. Es schien, als ob er erst um diese Zeit recht anfangen wollte, sein Herz und seinen Witz zu brauchen. – – Mir ist jetzt weiter nichts zu tun übrig, als den Leser den Inhalt der Sammlung auf einmal übersehen zu lassen, und mich seiner Gunst zu empfehlen.[544]

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 3, München 1970 ff., S. 542-545.
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