Siebenter Auftritt


[724] Oronte. Damon.


ORONTE. Nun, da ist Er ja. Versteh Er mich! Vetter, habe ich Ihn doch müssen in zehn Häusern suchen. Versteh Er mich! Und ich hätte Ihn eher sonst wo zu finden geglaubt als bei der jungen Witwe. Versteh Er mich.

DAMON. Je was führt Sie denn hieher, Herr Vetter?

ORONTE. So? sieht Er mirs nicht an, versteh Er mich, was ich will? Mache Er sich nur parat, versteh Er mich, eine Nachricht von mir zu hören, die Ihn halb tot, versteh Er mich, und wenn Er noch ein klein wenig Vernunft übrig hat, versteh Er mich, die Ihn rasend machen wird.

DAMON. Sie erschrecken mich. Was ist es denn?

ORONTE. Habe ichs Ihm nicht gesagt, versteh Er mich, daß es Ihm mit Seinem Kapitale würde unglücklich gehen? Versteh Er mich. Da seh Er, lese Er – – Sein Schiff ist untergegangen. Da, lese Er nur, versteh Er mich – – Er wird alle Umstände finden, versteh Er mich.

DAMON. So?

ORONTE. Nun, hab ichs Ihm doch vorher gesagt, versteh Er mich. Aber ihr jungen Leute, laßt euch doch niemals sagen, versteh Er mich. Alles, alles wollt ihr besser einsehen. Schon recht! versteh Er mich, schon recht!

DAMON. Dieses Unglück hätte ich mir nicht versehen – – –

ORONTE. Ist das das Ganze, was man sagen kann, versteh Er[724] mich, wenn man sein Vermögen verliert? O Leichtsinnigkeit! o gottlose Leichtsinnigkeit! versteh Er mich. Auf 12000 Rtlr. versteh Er mich. Auf zwölf tausend! Nun, Vetter, sag Er, was will Er nun anfangen? versteh Er mich. Er ist von der ganzen Welt verlassen, verlassen, und mit Recht. Versteh Er mich. Kann Ers leugnen, daß ichs Ihm vorher verkündigt habe? Kann Ers leugnen? Versteh Er mich. Wie vielmal habe ich Ihm die güldne Regel gegeben: Was aufs Wasser kömmt, versteh Er mich, ist so gut, als halb verloren.

DAMON. Ach! möchte doch das Geld sein, wo es wollte – – – – wenn nur – – –

ORONTE. Ach! Schade um das Geld! Das sind gescheute Reden. Versteh Er mich. Damon, Damon, ein Mensch, der so denken kann, ist nicht wert, daß er mein Vetter sei. Versteh Er mich. Ach! schade ums Geld! Nein, Gott sei Dank, versteh Er mich, so albern und gottesvergessen bin ich in meiner Jugend nicht gewesen. Denkt Er, versteh Er mich, daß Ihn die junge Witwe nun heiraten wird? versteh Er mich. Sie müßte eine Närrin sein. Versteh Er mich.

DAMON. Ja, Herr Vetter, dieses besorge ich. Und dieses ist auch das einzige, was mir mein Unglück empfindlich macht.

ORONTE. Der Narr, versteh Er mich. Als wenn es nicht so schon empfindlich genug wäre. Versteh Er mich. Doch Vetter, daß Er sehn soll, versteh Er mich, wie gut ich es mit Ihm meine, so will ich Ihm, versteh Er mich, bei den Umständen raten: mache Er banquerout.

DAMON. Wie, so niederträchtig – – –

ORONTE. Was? Was? Niederträchtig? versteh Er mich. Das nennt Er niederträchtig, versteh Er mich, Vetter, wenn man banqueroute macht? Zum Henker! versteh Er mich, habe ich nicht fünf mal banqueroute gemacht? Und bin ich niederträchtig gewesen? versteh Er mich. Habe ich mich mein ganzes Vermögen dem Banqueroute zu danken? versteh Er mich. Zu dem ersten brachte mich meine Frau! versteh Er mich. Das war eine stolze verschwenderische Närrin! Gott habe sie selig, versteh Er mich. Aber das vergelte[725] ihr noch Gott im Himmel, wo sie ohne Zweifel sein wird, versteh Er mich, denn sie war allezeit gern, wo es fein lustig und fein prächtig zuging, versteh Er mich; das, sage ich, vergelte ihr der liebe Gott, daß sie mir auf den so kurzen Weg zum Reichtume zu gelangen geholfen hat. Versteh Er mich. Denkt Er, Vetter, daß ich mit fünf Banquerouten, versteh Er mich, würde aufgehört haben, wenn mir es nicht wäre ausdrücklich verboten worden, versteh Er mich, die Handlung aufs neue anzufangen?

DAMON. Nein, Herr Vetter, ich kann Ihnen durchaus nicht schmeicheln. Es bringt Ihnen ein so schlimm erworbener Reichtum wenig Ehre.

ORONTE. Ach! ach! Ehre! Ehre! Versteh Er mich. Um die Ehre ist es auch zu tun. Es muß mancher, versteh Er mich, bei aller Ehre, die er hat, verhungern. Ach! die Ehre. Ist Er nicht ein Grillenfänger? Versteh Er mich. Nicht wahr, versteh Er mich, es wird meinen Erben gleichviel sein, ob ich ihn mit Ehre oder ohne Ehre besessen habe. Versteh Er mich. Sie werden mirs danken, und wenn ich ihn gestohlen hätte. Versteh Er mich.

DAMON. Nein, Herr Vetter, wenn Ihre Erben vernünftig sein werden, so werden sie nach Ihrem Tode Ihre Verlassenschaft dazu anwenden, daß sie denjenigen, die durch Ihre Banqueroute unglücklich geworden sind, wieder aufhelfen.

ORONTE. Was? Was? Versteh Er mich. Das sollen meine Erben tun? Ja, wenn ich das voraus sehen könnte, gewiß, versteh Er mich, gewiß ich ließe mir eher einmal alle mein Hab und Gut mit ins Grab geben. Hätte ich mirs deswegen so sauer werden lassen? Versteh Er mich. Fünfmal habe ich müssen schwören. Fünfmal hätte ich also umsonst geschworen? Versteh Er mich. Höre Er, Vetter, weil ich sehe, daß Er so wider Recht und Pflicht handeln würde, versteh Er mich, so will ich Ihn fein aus meinem Testamente lassen. Versteh Er mich. Darnach mag Er vollends sehn, was man anfängt, wenn man nichts hat, versteh Er mich.

DAMON. Alsdenn wird der Himmel für mich sorgen.[726]

ORONTE. Wer? Wer? Versteh Er mich. Wer wird für Ihn sorgen? Der Himmel? Ja, getröste Er sich nur. Ja, er wird für Ihn sorgen, versteh Er mich, wie für die Sperlinge im Winter. Der Himmel will haben, versteh Er mich, daß wir für uns selbst fein sorgen sollen. Dazu hat er uns Verstand und Klugheit gegeben; versteh Er mich.

DAMON. Ja, und manchem noch über dieses Bosheit und Geiz, wenn Verstand und Klugheit etwan nicht hinlänglich sein wollten.

ORONTE. Vetter, soll das auf mich gehen? Versteh Er mich! Sei Er mir nicht so naseweis! Ich weiß schon, auf was Er trotzt. Versteh Er mich. Er denkt itzo eine gute Heirat zu tun. Aber sieht Er mich? Ich will dem Wolfe das Schäfchen noch schon entreißen, versteh Er mich. Leander hat nunmehr Recht dazu. Dessen Schiff ist glücklich angekommen, ob man ihm gleich erst geschrieben hatte, versteh Er mich, daß es verunglückt wäre. Es ist aber nichts weiter, als eine Irrung, versteh Er mich. Seines, Seines ist drauf gegangen. Versteh Er mich.

DAMON. Wie? Leandern ist dies geschrieben worden? Und er hat mir nichts gesagt?

ORONTE. Muß man Ihm denn alles auf die Nase binden? Versteh Er mich. Nun, nun. Er soll schon sehn, was ihm Sein Unglück, trotz Seiner Ehre und trotz des Himmels! schaden soll. Ich gehe itzo gleich selber zu der Witwe. Sie soll alles erfahren. Versteh Er mich. Leb Er wohl, versteh Er mich.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 724-727.
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