Zweiter Auftritt


[494] Theophan. Juliane. Henriette. Lisette.


HENRIETTE springt dem Theophan entgegen. Kommen Sie doch, Theophan, kommen Sie! – – Können Sie wohl glauben, daß ich Ihre Partei gegen meine Schwester habe halten müssen? Bewundern Sie meine Uneigennützigkeit. Ich habe Sie bis in den Himmel erhoben, da ich doch weiß, daß ich Sie nicht bekomme, sondern daß Sie für meine Schwester bestimmt sind, die Ihren Wert nicht kennet. Denken Sie nur, sie behauptet, daß Sie keine so schöne Person vorstellten, als Adrast. Ich weiß nicht, wie sie das behaupten kann. Ich sehe doch den Adrast mit den Augen einer Verliebten an, das ist, ich mache mir ihn noch zehnmal schöner, als er ist, und gleichwohl geben Sie ihm, meines Bedünkens, nichts nach. Sie spricht zwar, auf der Seite des Geistes hätten Sie mehr Vorzüge; aber was wissen wir Frauenzimmer denn vom Geiste?

JULIANE. Die Schwätzerin! Sie kennen sie, Theophan: glauben Sie ihr nicht.

THEOPHAN. Ich ihr nicht glauben, schönste Juliane? Warum wollen Sie mich nicht in der glücklichen Überzeugung lassen, daß Sie so vorteilhaft von mir gesprochen haben? – – Ich danke Ihnen, angenehmste Henriette, für Ihre Verteidigung; ich danke Ihnen um so vielmehr, je stärker ich selbst überführet bin, daß Sie eine schlechte Sache haben verteidigen müssen. Allein – –[494]

HENRIETTE. O! Theophan, von Ihnen verlange ich es nicht, daß Sie mir Recht geben sollen. Es ist eine andere gewisse Person – –

JULIANE. Lassen Sie dieser andern Person Gerechtigkeit widerfahren, Theophan. Sie werden, hoffe ich, meine Gesinnungen kennen – –

THEOPHAN. Gehen Sie nicht mit mir, als mit einem Fremden um, liebste Juliane. Brauchen Sie keine Einlenkungen; ich würde bei jeder nähern Bestimmung verlieren. – – Bei den Büchern, in einer engen staubigten Studierstube, vergißt man des Körpers sehr leicht; und Sie wissen, der Körper muß eben so wohl bearbeitet werden, als die Seele, wenn beide diejenigen Vollkommenheiten erhalten sollen, deren sie fähig sind. Adrast ist in der großen Welt erzogen worden; er hat alles, was bei derselben beliebt macht –

HENRIETTE. Und wenn es auch Fehler sein sollten. – –

THEOPHAN. Wenigstens habe ich diese Anmerkung nicht machen wollen. – – Aber nur Geduld! ein großer Verstand kann diesen Fehlern nicht immer ergeben sein. Adrast wird das Kleine derselben endlich einsehen, welches sich nur allzusehr durch das Leere verrät, das sie in unsern Herzen zurück lassen. Ich bin seiner Umkehr so gewiß, daß ich ihn schon im voraus darum liebe. – – Wie glücklich werden Sie mit ihm leben, glückliche Henriette!

HENRIETTE. So edel spricht Adrast niemals von Ihnen, Theophan. – –

JULIANE. Abermals eine recht garstige Anmerkung, meine liebe Schwester. – – Was suchst du damit, daß du dem Theophan dieses sagst? Es ist allezeit besser, wenn man es nicht weiß, wer von uns übel spricht. Die Kenntnis unserer Verleumder wirkt auch in dem großmütigsten Herzen eine Art von Entfernung gegen sie, die ihre Aussöhnung mit der beleidigten Person nur noch schwerer macht.

THEOPHAN. Sie entzücken mich, Juliane. Aber fürchten Sie nichts! Eben darin soll über kurz oder lang mein Triumph bestehen, daß ich den mich jetzt verachtenden Adrast besser von mir zu urteilen gezwungen habe. Würde ich aber nicht diesen ganzen Triumph zernichten, wenn ich selbst[495] einigen Groll gegen ihn fassen wollte? Noch hat er sich nicht die Mühe genommen, mich näher kennen zu lernen. Vielleicht daß ich ein Mittel finde, ihn dazu zu vermögen. – – Lassen Sie uns nur jetzt davon abbrechen; und erlauben Sie, daß ich einen meiner nächsten Blutsfreunde bei Ihnen anmelden darf, der sich ein Vergnügen daraus gemacht hat, mich hier zu überraschen. –

JULIANE. Einen Anverwandten?

HENRIETTE. Und wer ist es?

THEOPHAN. Araspe.

JULIANE. Araspe?

HENRIETTE. Ei! das ist ja vortrefflich! Wo ist er denn?

THEOPHAN. Er war eben abgestiegen, und hat mir versprochen, unverzüglich nachzufolgen.

HENRIETTE. Weiß es der Papa schon?

THEOPHAN. Ich glaube nicht.

JULIANE. Und die Großmama?

HENRIETTE. Komm, Schwesterchen! diese fröhliche Nachricht müssen wir ihnen zu erst bringen. – – Du bist doch nicht böse auf mich?

JULIANE. Wer kann auf dich böse sein, Schmeichlerin? Komm nur!

THEOPHAN. Erlauben Sie, daß ich ihn hier erwarte.

HENRIETTE. Bringen Sie ihn aber nur bald. Hören Sie!


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 494-496.
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