Sechster Auftritt


[466] Laura. Lisette.


LAURA. Was war das? Ich glaube Lelio und Hilaria müssen nicht klug sein. Woher weiß er es denn, daß ich ihn liebe? Und wenn er es auch wissen könnte, ist es nicht etwas sehr Nichtswürdiges, eine so nasenweise Schwester zur Vertrauten zu machen? Gut, mein Herrchen, gut, daß wir miteinander noch nicht so weit sind! – Aber wie stehst du denn da, Lisette? Bist du versteinert? Rede doch!

LISETTE. Noch kann ich mich nicht recht besinnen, was ich gesehen und gehört habe. Lassen Sie mir ein klein wenig Zeit, daß ich mich von meinem Erstaunen erhole! Wer war das Frauenzimmer?

LAURA. Hilaria. Du hast sie die ganze Zeit über ja steif genug angesehen. Sähe sie dem Lelio nicht ähnlich genug, daß du noch daran zweifeln wolltest?

LISETTE. Sie sah ihm nur allzuähnlich; und so ähnlich, so vollkommen ähnlich, daß ich mich wundern muß, warum Sie nicht selbst auf einen Verdacht fallen –

LAURA. Auf was für einen Verdacht?

LISETTE. Auf einen Verdacht, den ich mir nicht mehr ausreden lasse. Hilaria muß entweder Lelio, oder Lelio muß Hilaria sein.

LAURA. Wie meinst du das?

LISETTE. Sie werden wohl tun, wenn Sie auf Ihrer Hut sind, Mamsell. Ich will bald hinter das Geheimnis kommen. Bis dahin aber denken Sie ja fleißig an den Hund, der mit einem Stücke Fleisch durchs Wasser schwamm. Sie haben[466] einen Liebhaber, der Ihnen gewiß ist; kehren Sie sich an den Schatten von einem andern nicht.

LAURA. Schweig mit deinen Kinderlehren! Lelio mag sein, wer er will, er hat es bei mir weg. Er soll es sehen; er soll es sehen, daß man ein Gesichtchen, wie das seine, leichter vergessen kann, als ein anders.

LISETTE. Recht so! Besonders wenn sich bei einem andern Realitäten finden, die bei dem seinen ganz gewiß mangeln. Denn je mehr ich nachdenke, je wahrscheinlicher wird es mir. – Stille! da kömmt ja das andere Gesicht selbst! Zeigen Sie nunmehr, daß ein Stutzerchen, wie Lelio, uns nicht immer bei allen Zipfeln hat.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 466-467.
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