Dreizehnter Auftritt

[398] Lisette. Das Fräulein.


DAS FRÄULEIN. Hätte ichs doch nicht geglaubt, wenn ichs nicht selbst gesehen hätte. Du läßt dich küssen? und noch dazu vom Vogt?

LISETTE. Ich weiß auch gar nicht, was Sie für Recht haben, mich zu belauschen? Ich denke, Sie gehen im Garten mit dem Fremden spazieren.

DAS FRÄULEIN. Ja, und ich wäre noch bei ihm, wenn der Papa nicht nachgekommen wäre. Aber so kann ich ja kein kluges Wort mit ihm sprechen. Der Papa ist gar zu ernsthaft – –

LISETTE. Ei, was nennen Sie denn ein kluges Wort? Was haben Sie denn wohl mit ihm zu sprechen, das der Papa nicht hören dürfte?

DAS FRÄULEIN. Tausenderlei! – Aber du machst mich böse, wo du mich noch mehr fragst. Genug, ich bin dem fremden Herrn gut. Das darf ich doch wohl gestehn?

LISETTE. Sie würden wohl greulich mit dem Papa zanken, wenn er Ihnen einmal so einen Bräutigam verschaffte? Und im Ernst, wer weiß, was er tut. Schade nur, daß Sie nicht einige Jahre älter sind: es könnte vielleicht bald zu Stande kommen.

DAS FRÄULEIN. O, wenn es nur am Alter liegt, so kann mich ja der Papa einige Jahr älter machen. Ich werde ihm gewiß nicht widersprechen.

LISETTE. Nein, ich weiß noch einen bessern Rat. Ich will Ihnen einige Jahre von den meinigen geben, so ist uns[398] allen beiden geholfen. Ich bin alsdann nicht zu alt, und Sie nicht zu jung.

DAS FRÄULEIN. Das ist auch wahr; das geht ja an!

LISETTE. Da kömmt des Fremden Bedienter; ich muß mit ihm sprechen. Es ist alles zu Ihrem Besten – Lassen Sie mich mit ihm allein. – Gehen Sie.

DAS FRÄULEIN. Vergiß es aber nicht, wegen der Jahre – – Hörst du, Lisette?


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 398-399.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Juden
Sämmtliche Schriften: Sinngedichte, Lieder, Oden, Etc.-Junge Gelehrte.-Juden.-Misogyn.-Der Freygeist.-Schatz.-Minna Von Barnhelm (German Edition)