Neunzehnter Auftritt

[407] Der Reisende und hernach Christoph.


DER REISENDE. Wo er nur nicht zu hastig mit ihm verfährt! Denn so groß auch der Verdacht ist, so könnte der Mann doch wohl noch unschuldig sein. – Ich bin ganz verlegen. – – In der Tat ist es nichts Geringes, einem Herrn seine Untergebnen so verdächtig zu machen. Wenn er sie auch unschuldig befindet, so verliert er doch auf immer das Vertrauen zu ihnen. – Gewiß, wenn ich es recht bedenke, ich hätte schweigen sollen – Wird man nicht Eigennutz und Rache für die Ursachen meines Argwohns halten, wenn man erfährt, daß ich ihm meinen Verlust zugeschrieben habe? – Ich wollte ein vieles darum schuldig sein, wenn ich die Untersuchung noch hintertreiben könnte –

CHRISTOPH kömmt gelacht. Ha! ha! ha! wissen Sie, wer Sie sind, mein Herr?

DER REISENDE. Wißt Ihr, daß Ihr ein Narr seid? Was fragt Ihr?[407]

CHRISTOPH. Gut! wenn Sie es denn nicht wissen, so will ich es Ihnen sagen. Sie sind einer von Adel. Sie kommen aus Holland. Allda haben Sie Verdrüßlichkeiten und ein Duell gehabt. Sie sind so glücklich gewesen, einen jungen Naseweis zu erstechen. Die Freunde des Entleibten haben Sie heftig verfolgt. Sie haben sich auf die Flucht begeben. Und ich habe die Ehre, Sie auf der Flucht zu begleiten.

DER REISENDE. Träumt Ihr, oder raset Ihr?

CHRISTOPH. Keines von beiden. Denn für einen Rasenden wäre meine Rede zu klug, und für einen Träumenden zu toll.

DER REISENDE. Wer hat Euch solch unsinniges Zeug weis gemacht?

CHRISTOPH. O dafür ist gebeten, daß man mirs weis macht. Allein finden Sie es nicht recht wohl ausgesonnen? In der kurzen Zeit, die man mir zum Lügen ließ, hätte ich gewiß auf nichts Bessers fallen können. So sind Sie doch wenigstens vor weitrer Neugierigkeit sicher!

DER REISENDE. Was soll ich mir aber aus alle dem nehmen?

CHRISTOPH. Nichts mehr, als was Ihnen gefällt; das übrige lassen Sie mir. Hören Sie nur, wie es zuging. Man fragte mich nach Ihrem Namen, Stande, Vaterlande, Verrichtungen; ich ließ mich nicht lange bitten, ich sagte alles, was ich davon wußte; das ist: ich sagte, ich wüßte nichts. Sie können leicht glauben, daß diese Nachricht sehr unzulänglich war, und daß man wenig Ursache hatte, damit zufrieden zu sein. Man drang also weiter in mich; allein umsonst! Ich blieb verschwiegen, weil ich nichts zu verschweigen hatte. Doch endlich brachte mich ein Geschenk, welches man mir anbot, dahin, daß ich mehr sagte, als ich wußte; das ist: ich log.

DER REISENDE. Schurke! ich befinde mich, wie ich sehe, bei Euch in feinen Händen.

CHRISTOPH. Ich will doch nimmermehr glauben, daß ich von ohngefähr die Wahrheit sollte gelogen haben?

DER REISENDE. Unverschämter Lügner, Ihr habt mich in eine Verwirrung gesetzt, aus der – –

CHRISTOPH. Aus der Sie sich gleich helfen können, sobald Sie[408] das schöne Beiwort, das Sie mir jetzt zu geben beliebten, bekannter machen.

DER REISENDE. Werde ich aber alsdenn nicht genötiget sein, mich zu entdecken?

CHRISTOPH. Desto besser! so lerne ich Sie bei Gelegenheit auch kennen. – Allein, urteilen Sie einmal selbst, ob ich mir wohl, mit gutem Gewissen, dieser Lügen wegen ein Gewissen machen konnte? Er zieht die Dose heraus. Betrachten Sie diese Dose! Hätte ich sie leichter verdienen können?

DER REISENDE. Zeigt mir sie doch! – Er nimmt sie in die Hand. Was seh ich?

CHRISTOPH. Ha! ha! ha! Das dachte ich, daß Sie erstaunen würden. Nicht wahr, Sie lögen selber ein Gesetzchen, wenn Sie so eine Dose verdienen könnten.

DER REISENDE. Und also habt Ihr mir sie entwendet?

CHRISTOPH. Wie? was?

DER REISENDE. Eure Treulosigkeit ärgert mich nicht so sehr, als der übereilte Verdacht, den ich deswegen einem ehrlichen Mann zugezogen habe. Und Ihr könnt noch so rasend frech sein, mich überreden zu wollen, sie wäre ein, – – obgleich beinahe eben so schimpflich erlangtes, – Geschenk? Geht! kommt mir nicht wieder vor die Augen!

CHRISTOPH. Träumen Sie, oder – – aus Respekt will ich das andre noch verschweigen. Der Neid bringt Sie doch nicht auf solche Ausschweifungen? Die Dose soll Ihre sein? Ich soll sie Ihnen, salva venia, gestohlen haben? Wenn das wäre; ich müßte ein dummer Teufel sein, daß ich gegen Sie selbst damit prahlen sollte. – Gut, da kömmt Lisette! Hurtig komm Sie! Helf Sie mir doch meinen Herrn wieder zu Rechte bringen.[409]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 407-410.
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