Vierter Auftritt


[762] Lelio. Jungfer Ohldin. Herr Kräusel.


HERR KRÄUSEL. Kommen Sie! Kommen Sie! Ich bin fertig. Ich bin fertig. O! ein ganz wunderbar schönes Gedichte habe ich gemacht. Ich habe mich hier so zu sagen selbst übertroffen. Ich hätte nimmermehr geglaubt, daß ich so eine Gabe zu scherzen hätte. Sonst habe ich meine Stärke im Ernsthaften. Sonderlich die theologisch-polemisch-poetischen Sachen laufen mir gut von Händen. Sie haben doch wohl die erbauliche Komödie gelesen, die ich wider Edelmannen gemacht habe? O! das ist ein Stück, als schwerlich jemals auf das Theater wird gekommen sein. Doch wieder auf mein Carmen zu kommen. Hier ist es,[762] meine liebe Jungfer Ohldin. Sie können es nun drucken lassen, unter was für einem Namen Sie wollen.

JUNGFER OHLDIN. Ganz gut. Ich muß es aber nur vorher dem Herrn von Schlag zeigen. Die Adlichen sind sehr ekel in dergleichen Sachen. Er möchte doch wohl hier und da was zu ändern finden.

HERR KRÄUSEL. Das steht Ihnen frei. Nur werden Sie so gütig sein, und beiderseits den Vers, den ich nicht ohne Ursache habe mit einfließen lassen, in Erwägung ziehn. Er ist allen christlichen Herzen zum Nachdenken geschrieben.

JUNGFER OHLDIN. Welchen?

HERR KRÄUSEL. Hier auf der andern Seite:


Ich schmelze itzt Miseriam.


JUNGFER OHLDIN. Was ist das? Miseriam?

HERR KRÄUSEL. Ja, die Poeten sind sehr schamhaft. Sie sagen es nicht gern allzu deutsch, wo sie der Schuh drückt. Doch ich habe das gute Vertrauen, daß Ihre milde Großmut Ihrer Unwissenheit hierinnen schon abhelfen wird.

LELIO. Sollten Sie es nun nicht bald verstehn, Jungfer Muhme?

JUNGFER OHLDIN. Nein, in der Tat.

HERR KRÄUSEL. O, ich bitte, mein Herr, haben Sie die Gutheit für mich, und überheben Sie mich einer deutlichen Erklärung, die mir allzuviel Schamröte kosten würde. Er hält den Hut vors Gesichte.

LELIO. Sorgen Sie nicht. Meine Muhme wird sich schon erkenntlich gegen Sie bezeigen.

JUNGFER OHLDIN. War es das? Ja, ja, mein Herr Poete, ich will mich schon bei Ihnen abfinden.

HERR KRÄUSEL. Ach! es hat gar nichts zu bedeuten. Glauben Sie nicht, daß ich so eigennützig bin. Die Ehre, nichts als die Ehre, ist es, was ich durch meine Poesie suche. Denn unsre Arbeit kann uns so nicht bezahlt werden. Aber was dächten Sie, daß ich oft für so ein Carmen genommen habe?

LELIO. Sonst haben die Herren Poeten in Gewohnheit, daß sie nehmen, was sie kriegen. Ich weiß nicht, wie Sies halten.[763]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 762-764.
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