[154] Graf Appiani. Die Vorigen.
APPIANI tritt tiefsinnig, mit vor sich hingeschlagnen Augen herein, und kömmt ihnen näher, ohne sie zu erblicken; bis Emilia ihm entgegen springt. Ah, meine Teuerste! – Ich war mir Sie in dem Vorzimmer nicht vermutend.
EMILIA. Ich wünschte Sie heiter, Herr Graf, auch wo Sie mich nicht vermuten. – So feierlich? so ernsthaft? – Ist dieser Tag keiner freudigern Aufwallung wert?
APPIANI. Er ist mehr wert, als mein ganzes Leben. Aber schwanger mit so viel Glückseligkeit für mich, – mag es wohl diese Glückseligkeit selbst sein, die mich so ernst, die mich, wie Sie es nennen, mein Fräulein, so feierlich macht. – Indem er die Mutter erblickt. Ha! auch Sie hier, meine gnädige Frau! – nun bald mir mit einem innigern Namen zu verehrende!
CLAUDIA. Der mein größter Stolz sein wird! – Wie glücklich bist du, meine Emilia! – Warum hat dein Vater unsere Entzückung nicht teilen wollen?
APPIANI. Eben hab' ich mich aus seinen Armen gerissen; – oder vielmehr er, sich aus meinen. – Welch ein Mann, meine Emilia, Ihr Vater! Das Muster aller männlichen Tugend! Zu was für Gesinnungen erhebt sich meine Seele in seiner Gegenwart! Nie ist mein Entschluß immer gut, immer edel zu sein, lebendiger, als wenn ich ihn sehe – wenn ich ihn mir denke. Und womit sonst, als mit der Erfüllung dieses Entschlusses kann ich mich der Ehre würdig machen, sein Sohn zu heißen; – der Ihrige zu sein, meine Emilia?
EMILIA. Und er wollte mich nicht erwarten!
APPIANI. Ich urteile, weil ihn seine Emilia, für diesen augenblicklichen Besuch, zu sehr erschüttert, zu sehr sich seiner ganzen Seele bemächtiget hätte.
CLAUDIA. Er glaubte dich mit deinem Brautschmucke beschäftiget zu finden: und hörte –
APPIANI. Was ich mit der zärtlichsten Bewunderung wieder von ihm gehört habe. – So recht, meine Emilia! Ich werde eine[154] fromme Frau an Ihnen haben; und die nicht stolz auf ihre Frömmigkeit ist.
CLAUDIA. Aber, meine Kinder, eines tun, und das andere nicht lassen! – Nun ist es hohe Zeit; nun mach', Emilia!
APPIANI. Was? meine gnädige Frau.
CLAUDIA. Sie wollen sie doch nicht so, Herr Graf, so wie sie da ist, zum Altare führen?
APPIANI. Wahrlich, das werd' ich nun erst gewahr. – Wer kann Sie sehen, Emilia, und auch auf Ihren Putz achten? – Und warum nicht so, so wie sie da ist?
EMILIA. Nein, mein lieber Graf, nicht so; nicht ganz so. Aber auch nicht viel prächtiger; nicht viel. – Husch, husch, und ich bin fertig! – Nichts, gar nichts von dem Geschmeide, dem letzten Geschenke Ihrer verschwendrischen Großmut! Nichts, gar nichts, was sich nur zu solchem Geschmeide schickte! – Ich könnte ihm gram sein, diesem Geschmeide, wenn es nicht von Ihnen wäre. – Denn dreimal hat mir von ihm geträumet –
CLAUDIA. Nun! davon weiß ich ja nichts.
EMILIA. Als ob ich es trüge, und als ob plötzlich sich jeder Stein desselben in eine Perle verwandle. – Perlen aber, meine Mutter, Perlen bedeuten Tränen.
CLAUDIA. Kind! Die Bedeutung ist träumerischer, als der Traum. – Warest du nicht von je her eine größere Liebhaberin von Perlen, als von Steinen? –
EMILIA. Freilich, meine Mutter, freilich –
APPIANI nackdenkend und schwermütig. Bedeuten Tränen – bedeuten Tränen!
EMILIA. Wie? Ihnen fällt das auf? Ihnen?
APPIANI. Ja wohl; ich sollte mich schämen. – Aber, wenn die Einbildungskraft einmal zu traurigen Bildern gestimmt ist –
EMILIA. Warum ist sie das auch? – Und was meinen Sie, das ich mir ausgedacht habe? – Was trug ich, wie sah ich, als ich Ihnen zuerst gefiel, – Wissen Sie es noch?
APPIANI. Ob ich es noch weiß? Ich sehe Sie in Gedanken nie anders, als so; und sehe Sie so, auch wenn ich Sie nicht so sehe.
EMILIA. Also, ein Kleid von der nämlichen Farbe, von dem nämlichen Schnitte; fliegend und frei –[155]
APPIANI. Vortrefflich!
EMILIA. Und das Haar –
APPIANI. In seinem eignen braunen Glanze; in Locken, wie sie die Natur schlug –
EMILIA. Die Rose darin nicht zu vergessen! Recht! recht! – Eine kleine Geduld, und ich stehe so vor Ihnen da!
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Emilia Galotti
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