Vierter Auftritt

[166] Marinelli, und bald darauf dessen Bedienter.

Battista mit Emilien.


MARINELLI. Wenn sie ihn nicht selbst stürzen gesehen – Und das muß sie wohl nicht; da sie so fortgeeilet – Sie kömmt. Auch ich will nicht das erste sein, was ihr hier in die Augen fällt. Er zieht sich in einen Winkel des Saales zurück.

BATTISTA. Nur hier herein, gnädiges Fräulein.[166]

EMILIA außer Atem. Ah! – Ah! – Ich danke Ihm, mein Freund; – ich dank' Ihm. – Aber Gott, Gott! wo bin ich? – Und so ganz allein? Wo bleibt meine Mutter? Wo blieb der Graf? – Sie kommen doch nach? mir auf dem Fuße nach?

BATTISTA. Ich vermute.

EMILIA. Er vermutet? Er weiß es nicht? Er sah sie nicht? – Ward nicht gar hinter uns geschossen? –

BATTISTA. Geschossen? – Das wäre! –

EMILIA. Ganz gewiß! Und das hat den Grafen, oder meine Mutter getroffen. –

BATTISTA. Ich will gleich nach ihnen ausgehen.

EMILIA. Nicht ohne mich. – Ich will mit; ich muß mit: komm Er, mein Freund!

MARINELLI der plötzlich herzu tritt, als ob er eben herein käme. Ah, gnädiges Fräulein! Was für ein Unglück, oder vielmehr, was für ein Glück, – was für ein glückliches Unglück verschafft uns die Ehre –

EMILIA stutzend. Wie? Sie hier, mein Herr? – Ich bin also wohl bei Ihnen? – Verzeihen Sie, Herr Kammerherr. Wir sind von Räubern ohnfern überfallen worden. Da kamen uns gute Leute zu Hülfe; – und dieser ehrliche Mann hob mich aus dem Wagen, und brachte mich hierher. – Aber ich erschrecke, mich allein gerettet zu sehen. Meine Mutter ist noch in der Gefahr. Hinter uns ward sogar geschossen. Sie ist vielleicht tot; – und ich lebe? – Verzeihen Sie. Ich muß fort; ich muß wieder hin, – wo ich gleich hätte bleiben sollen.

MARINELLI. Beruhigen Sie sich, gnädiges Fräulein. Es stehet alles gut; sie werden bald bei Ihnen sein, die geliebten Personen, für die Sie so viel zärtliche Angst empfinden. – Indes, Battista, geh', lauf: sie dürften vielleicht nicht wissen, wo das Fräulein ist. Sie dürften sie vielleicht in einem von den Wirtschaftshäusern des Gartens suchen. Bringe sie unverzüglich hierher. Battista geht ab.

EMILIA. Gewiß? Sind sie alle geborgen? Ist ihnen nichts widerfahren? – Ah, was ist dieser Tag für ein Tag des Schreckens für mich! – Aber ich sollte nicht hier bleiben; ich sollte ihnen entgegen eilen –

MARINELLI. Wozu das, gnädiges Fräulein? Sie sind ohnedem[167] schon ohne Atem und Kräfte. Erholen Sie sich vielmehr, und geruhen in ein Zimmer zu treten, wo mehr Bequemlichkeit ist. – Ich will wetten, daß der Prinz schon selbst um Ihre teuere ehrwürdige Mutter ist, und sie Ihnen zuführet.

EMILIA. Wer, sagen Sie?

MARINELLI. Unser gnädigster Prinz selbst.

EMILIA äußerst bestürzt. Der Prinz?

MARINELLI. Er floh, auf die erste Nachricht, Ihnen zu Hülfe. – Er ist höchst ergrimmt, daß ein solches Verbrechen ihm so nahe, unter seinen Augen gleichsam, hat dürfen gewagt werden. Er läßt den Tätern nachsetzen, und ihre Strafe, wenn sie ergriffen werden, wird unerhört sein.

EMILIA. Der Prinz! – Wo bin ich denn also?

MARINELLI. Auf Dosalo, dem Lustschlosse des Prinzen.

EMILIA. Welch ein Zufall! – Und Sie glauben, daß er gleich selbst erscheinen könne? – Aber doch in Gesellschaft meiner Mutter?

MARINELLI. Hier ist er schon.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 166-168.
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