[34] Arabella. Hannah. Mellefont. Marwood.
MELLEFONT. Was seh ich? Sie ist es! – Marwood, wie haben Sie sich unterstehen können – –
MARWOOD. Soll ich umsonst Mutter sein? – Komm, meine Bella, komm; sieh hier deinen Beschützer wieder, deinen Freund, deinen – Ach! das Herz mag es ihm sagen, was er noch mehr, als dein Beschützer, als dein Freund sein kann.
MELLEFONT mit abgewandtem Gesichte. Gott! wie wird es mir hier ergehen?
ARABELLA indem sie ihm furchtsam näher tritt. Ach, mein Herr! Sind Sie es? Sind Sie unser Mellefont? – Nein doch, Madam, er ist es nicht. – Würde er mich nicht ansehen, wenn er es wäre? Würde er mich nicht in seine Arme schließen? Er hat es ja sonst getan. Ich unglückliches Kind! Womit hätte ich ihn denn erzürnt, diesen Mann, diesen liebsten Mann, der mir erlaubte, mich seine Tochter zu nennen?
MARWOOD. Sie schweigen, Mellefont? Sie gönnen der Unschuldigen keinen Blick?
MELLEFONT. Ach! – –
ARABELLA. Er seufzet ja, Madam. Was fehlt ihm? Können wir ihm nicht helfen? Ich nicht? Sie auch nicht? So lassen Sie uns doch mit ihm seufzen. – Ach, nun sieht er mich an! – Nein, er sieht wieder weg! Er sieht gen Himmel! Was wünscht er? Was bittet er vom Himmel? Möchte er ihm doch alles gewähren, wenn er mir auch alles dafür versagte!
MARWOOD. Geh, mein Kind, geh; fall ihm zu Füßen. Er will uns verlassen; er will uns auf ewig verlassen.
ARABELLA die vor ihm niederfällt. Hier liege ich schon. Sie uns verlassen? Sie uns auf ewig verlassen? War es nicht schon eine kleine Ewigkeit, die wir Sie jetzt vermißt haben? Wir sollen Sie wieder vermissen? Sie haben ja so oft gesagt, daß Sie uns liebten. Verläßt man denn die, die man liebt? So muß ich Sie wohl nicht lieben: denn ich wünschte, Sie nie zu verlassen. Nie; und will Sie auch nie verlassen.
MARWOOD. Ich will dir bitten helfen, mein Kind; hilf nur auch[34] mir – Nun, Mellefont, sehen Sie auch mich zu Ihren Füßen – –
MELLEFONT hält sie zurück, indem sie sich niederwerfen will. Marwood, gefährliche Marwood – Und auch du, meine liebste Bella, Hebt sie auf. auch du bist wider deinen Mellefont?
ARABELLA. Ich wider Sie?
MARWOOD. Was beschließen Sie, Mellefont?
MELLEFONT. Was ich nicht sollte, Marwood; was ich nicht sollte.
MARWOOD die ihn umarmt. Ach, ich weiß es ja, daß die Redlichkeit Ihres Herzens allezeit über den Eigensinn Ihrer Begierden gesiegt hat.
MELLEFONT. Bestürmen Sie mich nicht weiter. Ich bin schon, was Sie aus mir machen wollen: ein Meineidiger, ein Verführer, ein Räuber, ein Mörder.
MARWOOD. Itzt werden Sie es einige Tage in Ihrer Einbildung sein, und hernach werden Sie erkennen, daß ich Sie abgehalten habe, es wirklich zu werden. Machen Sie nur, und kehren Sie wieder mit uns zurück.
ARABELLA schmeichelnd. O ja! tun Sie dieses.
MELLEFONT. Mit euch zurückkehren? Kann ich denn?
MARWOOD. Nichts ist leichter, wenn Sie nur wollen.
MELLEFONT. Und meine Miß – –
MARWOOD. Und Ihre Miß mag sehen, wo sie bleibt! – –
MELLEFONT. Ha! barbarische Marwood, diese Rede ließ mich bis auf den Grund Ihres Herzens sehen – – Und ich Verruchter gehe doch nicht wieder in mich?
MARWOOD. Wenn Sie bis auf den Grund meines Herzens gesehen hätten, so würden Sie entdeckt haben, daß es mehr wahres Erbarmen gegen Ihre Miß fühlt, als Sie selbst. Ich sage, wahres Erbarmen: denn das Ihre ist ein eigennütziges, weichherziges Erbarmen. Sie haben überhaupt diesen Liebeshandel viel zu weit getrieben. Daß Sie, als ein Mann, der bei einem langen Umgange mit unserm Geschlechte, in der Kunst zu verführen ausgelernt hatte, gegen ein so junges Frauenzimmer sich Ihre Überlegenheit an Verstellung und Erfahrung zu Nutze machten und nicht eher ruhten, als bis Sie Ihren Zweck erreichten: das möchte noch hingehen; Sie[35] können sich mit der Heftigkeit Ihrer Leidenschaft entschuldigen. Allein, daß Sie einem alten Vater sein einziges Kind raubten; daß Sie einem rechtschaffnen Greise die wenigen Schritte zu seinem Grabe noch so schwer und bitter machten; daß Sie, Ihrer Lust wegen, die stärksten Banden der Natur trennten: das, Mellefont, das können Sie nicht verantworten. Machen Sie also Ihren Fehler wieder gut, so weit es möglich ist, ihn gut zu machen. Geben Sie dem weinenden Alter seine Stütze wieder, und schicken Sie eine leichtgläubige Tochter in ihr Haus zurück, das Sie deswegen, weil Sie es beschimpft haben, nicht auch öde machen müssen.
MELLEFONT. Das fehlte noch, daß Sie auch mein Gewissen wider mich zu Hülfe riefen! Aber gesetzt, es wäre billig, was Sie sagen; müßte ich nicht eine eiserne Stirne haben, wenn ich es der unglücklichen Miß selbst vorschlagen sollte?
MARWOOD. Nunmehr will ich es Ihnen gestehen, daß ich schon im voraus bedacht gewesen bin, Ihnen diese Verwirrung zu ersparen. So bald ich Ihren Aufenthalt erfuhr, habe ich auch dem alten Sampson unter der Hand Nachricht davon geben lassen. Er ist vor Freuden darüber ganz außer sich gewesen, und hat sich sogleich auf den Weg machen wollen. Ich wundre mich, daß er noch nicht hier ist.
MELLEFONT. Was sagen Sie?
MARWOOD. Erwarten Sie nur ruhig seine Ankunft; und lassen sich gegen die Miß nichts merken. Ich will Sie selbst jetzt nicht länger aufhalten. Gehen Sie wieder zu ihr; sie möchte Verdacht bekommen. Doch versprech' ich mir, Sie heute noch einmal zu sehen.
MELLEFONT. O Marwood, mit was für Gesinnungen kam ich zu Ihnen, und mit welchen muß ich Sie verlassen! Einen Kuß, meine liebe Bella – –
ARABELLA. Der war für Sie; aber nun einen für mich. Kommen Sie nur ja bald wieder; ich bitte. Mellefont geht ab.[36]
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Miß Sara Sampson
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