Sechster Auftritt

[59] Betty. Sara.


BETTY. Das war ja wohl ein sehr kurzer Besuch.

SARA. Ja, Betty. Es ist Lady Solmes; eine Anverwandte meines Mellefont. Es wandelte ihr gähling eine kleine Schwachheit an. Wo ist sie jetzt?

BETTY. Mellefont hat sie bis an die Türe begleitet.[59]

SARA. So ist sie ja wohl wieder fort?

BETTY. Ich vermute es. – Aber je mehr ich Sie ansehe, Miß – Sie müssen mir meine Freiheit verzeihen – je mehr finde ich Sie verändert. Es ist etwas Ruhiges, etwas Zufriednes in Ihren Blicken. Lady muß ein sehr angenehmer Besuch, oder der alte Mann ein sehr angenehmer Bote gewesen sein.

SARA. Das letzte, Betty, das letzte. Er kam von meinem Vater. Was für einen zärtlichen Brief will ich dich lesen lassen! Dein gutes Herz hat so oft mit mir geweint, nun soll es sich auch mit mir freuen. Ich werde wieder glücklich sein, und dich für deine guten Dienste belohnen können.

BETTY. Was habe ich Ihnen in kurzen neun Wochen für Dienste leisten können?

SARA. Du hättest mir ihrer in meinem ganzen andern Leben nicht mehrere leisten können, als in diesen neun Wochen. – Sie sind vorüber! – Komm nur itzt, Betty; weil Mellefont vielleicht wieder allein ist, so muß ich ihn noch sprechen. Ich bekomme eben den Einfall, daß es sehr gut sein würde, wenn er zugleich mit mir an meinen Vater schriebe, dem seine Danksagung schwerlich unerwartet sein dürfte. Komm! Sie gehen ab.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 59-60.
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