Dritter Auftritt

[66] Norton. Mellefont.


MELLEFONT. Du störest mich, Norton!

NORTON. Verzeihen Sie also mein Herr – Indem er wieder zurück gehen will.

MELLEFONT. Nein, nein, bleib da. Es ist eben so gut, daß du mich störest. Was willst du?

NORTON. Ich habe von Betty eine sehr freudige Neuigkeit gehört, und ich komme Ihnen dazu Glück zu wünschen.

MELLEFONT. Zur Versöhnung des Vaters doch wohl? Ich danke dir.

NORTON. Der Himmel will Sie also noch glücklich machen.

MELLEFONT. Wenn er es will – du siehst, Norton, ich lasse mir Gerechtigkeit widerfahren – so will er es meinetwegen gewiß nicht.

NORTON. Nein, wenn Sie dieses erkennen, so will er es auch Ihretwegen.

MELLEFONT. Meiner Sara wegen, einzig und allein meiner Sara wegen. Wollte seine schon gerüstete Rache eine ganze sündige Stadt, weniger Gerechten wegen, verschonen: so kann er ja wohl auch Einen Verbrecher dulden, wenn eine ihm gefällige Seele an dem Schicksale desselben Anteil nimmt.

NORTON. Sie sprechen sehr ernsthaft und rührend. Aber drückt sich die Freude nicht etwas anders aus?

MELLEFONT. Die Freude, Norton? Sie ist nun für mich dahin.

NORTON. Darf ich frei reden? Indem er ihn scharf ansieht.

MELLEFONT. Du darfst.

NORTON. Der Vorwurf, den ich an dem heutigen Morgen von Ihnen hören mußte, daß ich mich Ihrer Verbrechen teilhaftig gemacht, weil ich dazu geschwiegen, mag mich bei Ihnen entschuldigen, wenn ich von nun an seltner schweige.

MELLEFONT. Nur vergiß nicht, wer du bist.

NORTON. Ich will es nicht vergessen, daß ich ein Bedienter bin: ein Bedienter, der auch etwas Bessers sein könnte, wenn er, leider! darnach gelebt hätte. Ich bin Ihr Bedienter, ja; aber[66] nicht auf dem Fuße, daß ich mich gern mit Ihnen möchte verdammen lassen.

MELLEFONT. Mit mir? Und warum sagst du das itzt?

NORTON. Weil ich nicht wenig erstaune, Sie anders zu finden, als ich mir vorstellte.

MELLEFONT. Willst du mich nicht wissen lassen, was du dir vorstelltest.

NORTON. Sie in lauter Entzückung zu finden.

MELLEFONT. Nur der Pöbel wird gleich außer sich gebracht, wenn ihn das Glück einmal anlächelt.

NORTON. Vielleicht, weil der Pöbel noch sein Gefühl hat, das bei Vornehmern durch tausend unnatürliche Vorstellungen verderbt und geschwächt wird. Allein in Ihrem Gesichte ist noch etwas anders als Mäßigung zu lesen. Kaltsinn, Unentschlossenheit, Widerwille – –

MELLEFONT. Und wenn auch? Hast du es vergessen, wer noch außer der Sara hier ist? Die Gegenwart der Marwood – –

NORTON. Könnte Sie wohl besorgt, aber nicht niedergeschlagen machen. – Sie beunruhiget etwas anders. Und ich will mich gern geirret haben, wenn Sie es nicht lieber gesehen hätten, der Vater wäre noch nicht versöhnt. Die Aussicht in einen Stand, der sich so wenig zu Ihrer Denkungsart schickt – –

MELLEFONT. Norton! Norton! du mußt ein erschrecklicher Bösewicht, entweder gewesen sein, oder noch sein, daß du mich so erraten kannst. Weil du es getroffen hast, so will ich es nicht leugnen. Es ist wahr; so gewiß es ist, daß ich meine Sara ewig lieben werde: so wenig will es mir ein, daß ich sie ewig lieben soll, – Soll! – Aber besorge nichts; ich will über diese närrische Grille siegen. Oder meinst du nicht, daß es eine Grille ist? Wer heißt mich, die Ehe als einen Zwang ansehen? Ich wünsche es mir ja nicht, freier zu sein, als sie mich lassen wird.

NORTON. Diese Betrachtungen sind sehr gut. Aber Marwood, Marwood wird Ihren alten Vorurteilen zu Hülfe kommen, und ich fürchte, ich fürchte, – –

MELLEFONT. Was nie geschehen wird. Du sollst sie noch heute nach London zurückreisen sehen. Da ich dir meine geheimste[67] – Narrheit will ich es nur unterdessen nennen – gestanden habe, so darf ich dir auch nicht verbergen, daß ich die Marwood in solche Furcht gejagt habe, daß sie sich durchaus nach meinem geringsten Winke bequemen muß.

NORTON. Sie sagen mir etwas Unglaubliches.

MELLEFONT. Sieh, dieses Mördereisen riß ich ihr aus der Hand, Er zeigt ihm den Dolch, den er der Marwood genommen. als sie mir in der schrecklichsten Wut das Herz damit durchstoßen wollte. Glaubst du es nun bald, daß ich ihr festen Obstand gehalten habe? Anfangs zwar fehlte es nicht viel, sie hätte mir ihre Schlinge wieder um den Hals geworfen. Die Verräterin hat Arabellen bei sich.

NORTON. Arabellen?

MELLEFONT. Ich habe es noch nicht untersuchen können, durch welche List sie das Kind wieder in ihre Hände bekommen. Genug, der Erfolg fiel für sie nicht so aus, als sie es ohne Zweifel gehofft hatte.

NORTON. Erlauben Sie, daß ich mich über Ihre Standhaftigkeit freuen, und Ihre Besserung schon für halb geborgen halten darf. Allein – da Sie mich doch alles wollen wissen lassen – was hat sie unter dem Namen der Lady Solmes hier gesollt?

MELLEFONT. Sie wollte ihre Nebenbuhlerin mit aller Gewalt sehen. Ich willigte in ihr Verlangen, teils aus Nachsicht, teils aus Übereilung, teils aus Begierde, sie durch den Anblick der Besten ihres Geschlechts zu demütigen. – Du schüttelst den Kopf, Norton? – –

NORTON. Das hätte ich nicht gewagt.

MELLEFONT. Gewagt? Eigentlich wagte ich nichts mehr dabei, als ich im Falle der Weigerung gewagt hätte. Sie würde als Marwood vorzukommen gesucht haben; und das Schlimmste, was bei ihrem unbekannten Besuche zu besorgen steht, ist nichts Schlimmers.

NORTON. Danken Sie dem Himmel, daß es so ruhig abgelaufen.

MELLEFONT. Es ist noch nicht ganz vorbei, Norton. Es stieß ihr eine kleine Unbäßlichkeit zu, daß sie sich, ohne Abschied zu nehmen, wegbegeben mußte. Sie will wiederkommen. – Mag sie doch! Die Wespe, die den Stachel verloren hat, Indem er auf den Dolch weiset, den er wieder in den Busen steckt.[68] kann doch weiter nichts, als summen. Aber auch das Summen soll ihr teuer werden, wenn sie zu überlästig damit wird. – Hör' ich nicht jemand kommen? Verlaß mich, wenn sie es ist. – Sie ist es. Geh! Norton geht ab.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 66-69.
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