Sechster Auftritt


[634] Der Wirt. Just. Die Vorigen.


DER WIRT. Mit genauer Not bring ich ihn.

FRANZISKA. Ein fremdes Gesicht! Ich kenne ihn nicht.[634]

DAS FRÄULEIN. Mein Freund, ist Er bei dem Major von Tellheim?

JUST. Ja.

DAS FRÄULEIN. Wo ist Sein Herr?

JUST. Nicht hier.

DAS FRÄULEIN. Aber Er weiß ihn zu finden?

JUST. Ja.

DAS FRÄULEIN. Will Er ihn nicht geschwind herholen?

JUST. Nein.

DAS FRÄULEIN. Er erweiset mir damit einen Gefallen. –

JUST. Ei!

DAS FRÄULEIN. Und Seinem Herrn einen Dienst. –

JUST. Vielleicht auch nicht. –

DAS FRÄULEIN. Woher vermutet Er das?

JUST. Sie sind doch die fremde Herrschaft, die ihn diesen Morgen komplimentieren lassen?

DAS FRÄULEIN. Ja.

JUST. So bin ich schon recht.

DAS FRÄULEIN. Weiß Sein Herr meinen Namen?

JUST. Nein; aber er kann die allzu höflichen Damen eben so wenig leiden, als die allzu groben Wirte.

DER WIRT. Das soll wohl mit auf mich gehn?

JUST. Ja.

DER WIRT. So laß Er es doch dem gnädigen Fräulein nicht entgelten; und hole Er ihn geschwind her.

DAS FRÄULEIN zur Franziska. Franziska, gib ihm etwas –

FRANZISKA die dem Just Geld in die Hand drücken will. Wir verlangen Seine Dienste nicht umsonst. –

JUST. Und ich Ihr Geld nicht ohne Dienste.

FRANZISKA. Eines für das andere.

JUST. Ich kann nicht. Mein Herr hat mir befohlen, auszuräumen. Das tu ich jetzt, und daran, bitte ich, mich nicht weiter zu verhindern. Wenn ich fertig bin, so will ich es ihm ja wohl sagen, daß er herkommen kann. Er ist neben an auf dem Kaffeehause; und wenn er da nichts Bessers zu tun findet, wird er auch wohl kommen. Will fortgehen.

FRANZISKA. So warte Er doch. – Das gnädige Fräulein ist des Herrn Majors – Schwester. –[635]

DAS FRÄULEIN. Ja, ja, seine Schwester.

JUST. Das weiß ich besser, daß der Major keine Schwester hat. Er hat mich in sechs Monaten zweimal an seine Familie nach Kurland geschickt. – Zwar es gibt mancherlei Schwestern –

FRANZISKA. Unverschämter!

JUST. Muß man es nicht sein, wenn einen die Leute sollen gehn lassen? Geht ab.

FRANZISKA. Das ist ein Schlingel!

DER WIRT. Ich sagt es ja. Aber lassen Sie ihn nur! Weiß ich doch nunmehr, wo sein Herr ist. Ich will ihn gleich selbst holen. – Nur, gnädiges Fräulein, bitte ich untertänigst, sodann ja mich bei dem Herrn Major zu entschuldigen, daß ich so unglücklich gewesen, wider meinen Willen, einen Mann von seinen Verdiensten –

DAS FRÄULEIN. Gehen Sie nur geschwind, Herr Wirt. Das will ich alles wieder gut machen. Der Wirt geht ab, und hierauf. Franziska, lauf ihm nach: er soll ihm meinen Namen nicht nennen! Franziska, dem Wirte nach.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 634-636.
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