Vierter Auftritt


[303] Der Tempelherr und Saladin.


TEMPELHERR.

Ich, dein Gefangner, Sultan ...

SALADIN.

Mein Gefangner?

Wem ich das Leben schenke, werd' ich dem

Nicht auch die Freiheit schenken?

TEMPELHERR.

Was dir ziemt

Zu tun, ziemt mir, erst zu vernehmen, nicht

Vorauszusetzen. Aber, Sultan, – Dank,

Besondern Dank dir für mein Leben zu

Beteuern, stimmt mit meinem Stand' und meinem

Charakter nicht. – Es steht in allen Fällen

Zu deinen Diensten wieder.

SALADIN.

Brauch es nur

Nicht wider mich! – Zwar ein Paar Hände mehr,

Die gönnt' ich meinem Feinde gern. Allein

Ihm so ein Herz auch mehr zu gönnen, fällt

Mir schwer. – Ich habe mich mit dir in nichts

Betrogen, braver junger Mann! Du bist

Mit Seel und Leib mein Assad. Sieh! ich könnte

Dich fragen: wo du denn die ganze Zeit

Gesteckt? in welcher Höhle du geschlafen?

In welchem Ginnistan, von welcher guten

Div diese Blume fort und fort so frisch

Erhalten worden? Sieh! ich könnte dich

Erinnern wollen, was wir dort und dort

Zusammen ausgeführt. Ich könnte mit

Dir zanken, daß du Ein Geheimnis doch

Vor mir gehabt! Ein Abenteuer mir

Doch unterschlagen: – Ja, das könnt' ich; wenn

Ich dich nur säh', und nicht auch mich. – Nun, mags!

Von dieser süßen Träumerei ist immer

Doch so viel wahr, daß mir in meinem Herbst

Ein Assad wieder blühen soll. – Du bist

Es doch zufrieden, Ritter?

TEMPELHERR.

Alles, was[303]

Von dir mir kömmt, – sei was es will – das lag

Als Wunsch in meiner Seele.

SALADIN.

Laß uns das

Sogleich versuchen. – Bliebst du wohl bei mir?

Um mir? – Als Christ, als Muselmann: gleich viel!

Im weißen Mantel, oder Jamerlonk;

Im Tulban, oder deinem Filze: wie

Du willst! Gleich viel! Ich habe nie verlangt,

Daß allen Bäumen Eine Rinde wachse.

TEMPELHERR.

Sonst wärst du wohl auch schwerlich, der du bist:

Der Held, der lieber Gottes Gärtner wäre.

SALADIN.

Nun dann; wenn du nicht schlechter von mir denkst:

So wären wir ja halb schon richtig?

TEMPELHERR.

Ganz!

SALADIN ihm die Hand bietend.

Ein Wort?

TEMPELHERR einschlagend.

Ein Mann! – Hiermit empfange mehr

Als du mir nehmen konntest. Ganz der Deine!

SALADIN.

Zu viel Gewinn für einen Tag! zu viel! –

Kam er nicht mit?

TEMPELHERR.

Wer?

SALADIN.

Nathan.

TEMPELHERR frostig.

Nein. Ich kam

Allein.

SALADIN.

Welch eine Tat von dir! Und welch

Ein weises Glück, daß eine solche Tat

Zum Besten eines solchen Mannes ausschlug.

TEMPELHERR.

Ja, ja!

SALADIN.

So kalt? – Nein, junger Mann! wenn Gott

Was Gutes durch uns tut, muß man so kalt

Nicht sein! – selbst aus Bescheidenheit so kalt

Nicht scheinen wollen!

TEMPELHERR.

Daß doch in der Welt

Ein jedes Ding so manche Seiten hat! –

Von denen oft sich gar nicht denken läßt,

Wie sie zusammenpassen![304]

SALADIN.

Halte dich

Nur immer an die best', und preise Gott!

Der weiß, wie sie zusammenpassen. – Aber,

Wenn du so schwierig sein willst, junger Mann:

So werd' auch ich ja wohl auf meiner Hut

Mich mit dir halten müssen? Leider bin

Auch ich ein Ding von vielen Seiten, die

Oft nicht so recht zu passen scheinen mögen.

TEMPELHERR.

Das schmerzt! – Denn Argwohn ist so wenig sonst

Mein Fehler –

SALADIN.

Nun, so sage doch, mit wem

Dus hast? – Es schien ja gar, mit Nathan. Wie?

Auf Nathan Argwohn? du? – Erklär' dich! sprich!

Komm, gib mir deines Zutrauns erste Probe.

TEMPELHERR.

Ich habe wider Nathan nichts. Ich zürn'

Allein mit mir –

SALADIN.

Und über was?

TEMPELHERR.

Daß mir

Geträumt, ein Jude könn' auch wohl ein Jude

Zu sein verlernen; daß mir wachend so

Geträumt.

SALADIN.

Heraus mit diesem wachen Traume!

TEMPELHERR.

Du weißt von Nathans Tochter, Sultan. Was

Ich für sie tat, das tat ich, – weil ichs tat.

Zu stolz, Dank einzuernten, wo ich ihn

Nicht säete, verschmäht ich Tag für Tag

Das Mädchen noch einmal zu sehn. Der Vater

War fern; er kömmt; er hört; er sucht mich auf;

Er dankt; er wünscht, daß seine Tochter mir

Gefallen möge; spricht von Aussicht, spricht

Von heitern Fernen. – Nun, ich lasse mich

Beschwatzen, komme, sehe, finde wirklich

Ein Mädchen ... Ah, ich muß mich schämen, Sultan! –

SALADIN.

Dich schämen? – daß ein Judenmädchen auf

Dich Eindruck machte: doch wohl nimmermehr?

TEMPELHERR.

Daß diesem Eindruck, auf das liebliche

Geschwätz des Vaters hin, mein rasches Herz[305]

So wenig Widerstand entgegen setzte! –

Ich Tropf! ich sprang zum zweitenmal ins Feuer. –

Denn nun warb ich, und nun ward ich verschmäht.

SALADIN.

Verschmäht?

TEMPELHERR.

Der weise Vater schlägt nun wohl

Mich platterdings nicht aus. Der weise Vater

Muß aber doch sich erst erkunden, erst

Besinnen. Allerdings! Tat ich denn das

Nicht auch? Erkundete, besann ich denn

Mich erst nicht auch, als sie im Feuer schrie? –

Fürwahr! bei Gott! Es ist doch gar was Schönes,

So weise, so bedächtig sein!

SALADIN.

Nun, nun!

So sieh doch einem Alten etwas nach!

Wie lange können seine Weigerungen

Denn dauern? Wird er denn von dir verlangen,

Daß du erst Jude werden sollst?

TEMPELHERR.

Wer weiß!

SALADIN.

Wer weiß? – der diesen Nathan besser kennt.

TEMPELHERR.

Der Aberglaub', in dem wir aufgewachsen,

Verliert, auch wenn wir ihn erkennen, darum

Doch seine Macht nicht über uns. – Es sind

Nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.

SALADIN.

Sehr reif bemerkt! Doch Nathan wahrlich, Nathan ...

TEMPELHERR.

Der Aberglauben schlimmster ist, den seinen

Für den erträglichern zu halten ...

SALADIN.

Mag

Wohl sein! Doch Nathan ...

TEMPELHERR.

Dem allein

Die blöde Menschheit zu vertrauen, bis

Sie hellern Wahrheitstag gewöhne; dem

Allein ...

SALADIN.

Gut! Aber Nathan! – Nathans Los

Ist diese Schwachheit nicht.

TEMPELHERR.

So dacht' ich auch! ...

Wenn gleichwohl dieser Ausbund aller Menschen

So ein gemeiner Jude wäre, daß

Er Christenkinder zu bekommen suche,[306]

Um sie als Juden aufzuziehn: – wie dann?

SALADIN.

Wer sagt ihm so was nach?

TEMPELHERR.

Das Mädchen selbst,

Mit welcher er mich körnt, mit deren Hoffnung

Er gern mir zu bezahlen schiene, was

Ich nicht umsonst für sie getan soll haben: –

Dies Mädchen selbst, ist seine Tochter – nicht;

Ist ein verzettelt Christenkind.

SALADIN.

Das er

Dem ungeachtet dir nicht geben wollte?

TEMPELHERR heftig.

Woll' oder wolle nicht! Er ist entdeckt.

Der tolerante Schwätzer ist entdeckt!

Ich werde hinter diesen jüd'schen Wolf

Im philosoph'schen Schafpelz, Hunde schon

Zu bringen wissen, die ihn zausen sollen!

SALADIN ernst.

Sei ruhig, Christ!

TEMPELHERR.

Was? ruhig Christ? – Wenn Jud'

Und Muselmann, auf Jud', auf Muselmann

Bestehen: soll allein der Christ den Christen

Nicht machen dürfen?

SALADIN noch ernster.

Ruhig, Christ!

TEMPELHERR gelassen.

Ich fühle

Des Vorwurfs ganze Last, – die Saladin

In diese Silbe preßt! Ah, wenn ich wüßte,

Wie Assad, – Assad sich an meiner Stelle

Hierbei genommen hätte!

SALADIN.

Nicht viel besser! –

Vermutlich, ganz so brausend! – Doch, wer hat

Denn dich auch schon gelehrt, mich so wie er

Mit Einem Worte zu bestechen? Freilich

Wenn alles sich verhält, wie du mir sagest:

Kann ich mich selber kaum in Nathan finden. –

Indes, er ist mein Freund, und meiner Freunde

Muß keiner mit dem andern hadern. – Laß

Dich weisen! Geh behutsam! Gib ihn nicht

Sofort den Schwärmern deines Pöbels Preis!

Verschweig, was deine Geistlichkeit, an ihm[307]

Zu rächen, mir so nahe legen würde!

Sei keinem Juden, keinem Muselmanne

Zum Trotz ein Christ!

TEMPELHERR.

Bald wärs damit zu spät!

Doch Dank der Blutbegier des Patriarchen,

Des Werkzeug mir zu werden graute!

SALADIN.

Wie?

Du kamst zum Patriarchen eher, als

Zu mir?

TEMPELHERR.

Im Sturm der Leidenschaft, im Wirbel

Der Unentschlossenheit! – Verzeih! – Du wirst

Von deinem Assad, fürcht' ich, ferner nun

Nichts mehr in mir erkennen wollen.

SALADIN.

Wär'

Es diese Furcht nicht selbst! Mich dünkt, ich weiß,

Aus welchen Fehlern unsre Tugend keimt.

Pfleg' diese ferner nur, und jene sollen

Bei mir dir wenig schaden. – Aber geh!

Such du nun Nathan, wie er dich gesucht;

Und bring' ihn her. Ich muß euch doch zusammen

Verständigen. – Wär' um das Mädchen dir

Im Ernst zu tun: sei ruhig. Sie ist dein!

Auch soll es Nathan schon empfinden, daß

Er ohne Schweinefleisch ein Christenkind

Erziehen dürfen! – Geh!


Der Tempelherr geht ab, und Sittah verläßt den Sofa.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 303-308.
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