Erster Auftritt


[371] Henzi. Wernier.


HENZI kömmt in tiefen Gedanken und wendet sich plötzlich um.

Wer folgt mir? – Liebster Freund, bist dus? – Wen suchst du? – – Mich?

Du folgst mir nach? – – Warum?

WERNIER.

Und warum wunderts dich?

Hat mich nicht Henzi stets mit offnem Arm empfangen?

Nur jetzo fragt er mich, was ich ihm nachgegangen?

Ich sah erstaunt, daß er so früh aufs Rathaus ging,

Sich mit sich selbst besprach, das Haupt zur Erde hing;

Ich sah, daß Zorn und Gram so Blick als Schritt verrieten,

Ob sie der Neugier gleich sich zu entfliehn bemühten.

Der Anblick drang ans Herz – – Was quält den edlen Geist?

Ich floh ihm nach, und seh – –

HENZI.

Was?

WERNIER.

Daß es ihn verdreußt.

Ach! bin ich nicht mehr wert sein Unglück mit zu tragen?

Ist er nicht Freunds genug mirs ungefragt zu sagen?

Hab ichs an ihm verdient, daß er so grausam ist,

Und mir den süßen Weg zu gleichem Gram verschließt?

Bedenke, wie wir da uns brüderlich umfaßten,

Als wir, zu patriotsch, die Hassenswerten haßten,[371]

Als unterdrücktes Recht, als unser Vaterland,

Den zu bescheidnen Mund kühn, doch umsonst, entband.

Bern seufzet noch wie vor. Die Helden sind vertrieben;

Doch ist ihr bester Teil in dir zurück geblieben.

Bern sieht allein auf dich. Bern hofft allein von dir,

Freiheit, und Rach und Wohl. Drum Henzi, gönne mir

Das unermeßne Glück, wenn dich die Nachwelt nennet,

Daß sie mich als den Freund von ihrem Schutzgott kennet.

Wie aber? – – Schweigst du noch? – – Du siehst mich traurig an?

O daß mein schwacher Geist dich nicht erraten kann!

O könnt ich göttlich jetzt in deine Seele blicken,

Und was du mir verhöhlst dir unbewußt entrücken!

O stünde mir dein Geist so frei wie dein Gesicht,

Und schlöß ich dann daraus, was jede Miene spricht!

Ich gäbe, könnt es sein, dein Mißtraun zu bestrafen,

Mein Leben zehnmal hin, dir Ruhe zu verschaffen.

Zu meiner Rache dann erführst du nimmermehr,

Wer dir den Dienst getan, daß ich dein Freund es wär.

Ja, Henzi, könntest du dich nicht erkenntlich zeigen,

Ich weiß, es schmerzte dich, wie mich dein Stilleschweigen.

Erwäge, gestern schon wichst du mir listig aus,

Und flohst, mich nicht zu sehn – – o Gott! – – in Dücrets Haus.

So mußte Dücrets Haus dich von dem Freund befreien?

So hattest du mich mehr, als dieses Haus zu scheuen?

Des Scheusals unsres Staats? Warum nahm Bern ihn ein?

Wird ihm Bern heiliger als Genf und Frankreich sein?

Doch – – du kehrst dich von mir? Du willst mich – – auch nicht sehen.

Freund! – – Henzi! – – noch umsonst? – – Henzi! – – Vergebnes Flehen?

Sprich! Sage was dich quält? Warum beschwer ich dich?

Was suchst du hier so früh? Wie? Du verlässest mich?

Wie? Soll ich dich etwan – – soll ich dich kniend bitten? – –

HENZI.

O Gott! o welcher Kampf! Was hat mein Herz gelitten!

O Freund, dein edler Geist ist größres Glückes wert,

Als, daß zu seiner Pein, er meine Pein erfährt.[372]

Was nutzt mirs, daß mein Freund mit mir gefällig weine?

Nichts, als daß ich in ihm mir zweifach elend scheine.

Frei, fröhlich, ungequält hab ich dir sonst gedeucht;

Denn sich verstellen ist bei kleinen Übeln leicht.

Warum hast du in mich jetzt tiefer blicken müssen,

Und mir der Freudigkeit erborgte Larv entrissen?

O wär es selbst vor mir, wornach du fragst, versteckt!

Liebt ich dich weniger, hätt ich dir mehr entdeckt.

Du weißt es Zeit genug, wenn du es dann wirst wissen,

Wann wir, steht Gott uns bei, die Frucht davon genießen.

O Bern! o Vaterland! – – – doch schon zu viel gesagt!

Freund habe nichts gehört! – – Freund habe nichts gefragt!

Noch warte bis der Tag – – nur dieser Tag vergangen,

Und morgen, liebster Freund – –

WERNIER.

Wär ich für Gram vergangen.

O Bern? O Vaterland? Ja, ja, dein großer Geist,

Für Bern erzeugt, weiß nicht, was mindre Sorge heißt.

Wie selig, Henzi, ists, fürs Vaterland sich grämen,

Und sein verlaßnes Wohl freiwillig auf sich nehmen.

Doch sei nicht ungerecht, und glaube, daß in mir

Auch Schweizer Blut noch fließt, und wirket wie in dir.

Teil deine Last mit mir. Kann ich gleich minder fassen,

So kann ich doch wie du, für Bern mein Leben lassen.

Nicht morgen, heute noch, eröffne mir die Bahn,

Worauf ich unter dir, Bern und dich rächen kann.

HENZI.

O sage nichts von mir. Enterbt von Amt und Ehre,

Ertrüg ich mein Geschick, wanns einzig meines wäre.

Wär jedes Amt im Staat mit einem Mann bestellt,

Der dienen kann und will; ich spräch als jener Held:

Glückselig Vaterland! du kannst mich nicht versorgen,

Der Helden sind zu viel; und bliebe gern verborgen.

Allein, wann Eigennutz den kühnen Rat belebt;

Und wann den Grund des Staats die Herrschsucht untergräbt;

Wann die das Volk gewählt zu seiner Freiheit Stützen,

Den anvertrauten Rang gleich strengen Szeptern nützen;

Wann Freundschaft statt Verdienst, wann Blut für Würde gilt;[373]

Wann der gemeine Schatz des Geizes Beutel füllt;

Wann man des Staates Flehn, der sie aus Gunst erkoren,

Der nur aus Nachsicht fleht, empfängt mit tauben Ohren;

Wann wer der Freiheit sich das Wort zu reden traut,

Zum Lohn für seine Müh ein schimpflich Elend baut;

Freiheit! wann uns von dir, du aller Tugend Same,

Du aller Laster Gift, nichts bleibet als der Name:

Und dann mein weichlich Herz gerechten Zorn nicht hört,

So bin ich meines Bluts – – ich bin des Tags nicht wert.

WERNIER.

Jetzt redte Henzi! Freund, ich fühl es, was er sagte.

O wer gleich Bruto denkt, sich auch gleich Bruto wagte.

Freund, du verstehst mich schon. Doch, sieh hier meine Faust!

Gönn ihr den süßen Stoß, wann du vor Blut dich graust.

Glaub mir, noch heute kann ich hundert Brüder finden,

Wann du – – wann Henzi nur sich will mit uns verbinden.

Du weißt, was jetzt den Rat mit bangen Warten quält.

Vielleicht, daß dieser Streich geschwind und glücklich fällt.

Vielleicht, daß das Geschick, das noch den Wütrich stützet,

Zum Wohl des Vaterlands verschworne Helden schützet.

Denn noch ist nichts entdeckt, als was ein dunkles Blatt

Von Mannschaft und Gewehr kaum halb verraten hat.

So bald man Freiheit! Bern! als ihre Lösung höret,

Muß ich der erste sein, der das Geschrei vermehret.

O hört ichs heute noch! Und Henzi rief mit mir!

Und Bern wär heut noch frei, und frei gehorcht es dir!

Warum kenn ich sie nicht, und trage gleiche Bürde,

Daß mir des Staates Wohl wie ihnen sauer würde,

Daß ich auch einst mit Ruhm zun Kindern sagen kann:

»So sauer ward es mir! mein Leben wagt ich dran,

Daß ich euch, mein Geschlecht, als Freie könnte küssen.

Seid stark, und laßt dies Glück auch euer Kind genießen.«

HENZI.

Du willst sie kennen?

WERNIER.

Ja.

HENZI.

So kenn sie dann in mir!

WERNIER.

O redte Henzi wahr!

HENZI.

Kenn sie in mir!

WERNIER.

In dir?[374]

Und hast mir nichts gesagt? Mußt ich in deinen Augen

Der Freiheit sonst zu nichts, als sie zu wünschen taugen?

Freund, ungerechter Freund! – – Doch ich vergeß es schon,

Du hast mirs noch entdeckt. Freund hier nimm deinen Lohn!


Er umarmt ihn.


Doch eile, lehre mich, wer? wo sind deine Glieder?

Sind sie des Hauptes wert? Sinds meiner würdge Brüder?

Wie weit ists? Ist ihr Zweck mehr als Bern zu befrein?

Doch, du regierst das Werk, wie kanns zu tadeln sein?

Vergib dem ekeln Stolz, der gern nichts wagen möchte,

Als was ihm Ruhm und Bern die alte Hoheit brächte.

HENZI.

Besorge nichts, auch uns ist nicht die Ehre feil.

Auch unser Endzweck ist nichts Schlechters, als Berns Heil.

Der Gott des Vaterlands, der unsern Schwur vernommen,

Von dem, von dem allein uns Glück und Sieg muß kommen,

Der dreimal mächtge Gott straf uns, und unser Kind,

Wann sein allsehend Aug uns eigennützig findt;

Wann wir die Tyrannei nur darum rächen wollen,

Daß unsre Brüder sie in uns vertauschen sollen;

Wann nach vollbrachter Tat – – doch so weit komm es nie,

Sind wir so rasend frech, dann mehr zu sein als sie.

Fuetter, Richard, Wyß, die ehrenvollen Namen,

Der unverfälschte Rest vom freien Schweizer Samen,

Die weder Stand noch Glück zum Pöbel niederdrückt,

Den Freiheit kaum so lang, als sie neu ist entzückt,

Die sinds, und andre mehr, die heut im Rat es wagen,

Den ungerechten Dienst ihm drohend aufzusagen.

Sieh! darum bin ich hier. Ich führ für sie das Wort – –

WERNIER.

Und morgen zieht ihr dann aus Bern vertrieben fort.

Wie? mehr vermögt ihr nicht? Ohnmächtiges Beschwören!

Euch, nur im Drohen stark, wird keine Otter hören!

Ja führe nur das Wort! donnre wie Cicero.

Du weißt es wie er starb, vielleicht stirbst du auch so.

Den Wütrichen das Recht keck unter Augen setzen,

Gibt unglückselgen Stoff, daß sies nur mehr verletzen.

Besinn dich, wie es ging, nun ists das fünfte Jahr – –

Nein, wenn der Nachdruck fehlt, so unterlaßts nur gar.

HENZI.

Auch diesen haben wir. Bewehrt zum nahen Streite[375]

Steht uns bei Tausenden das Landvolk treu zur Seite.

Fuetter wacht am Tor, und läßt es heut noch ein;

Denn länger als den Tag, soll Bern nicht dienstbar sein.

Ich selbst kann tausend Mann mit Flint und Schwerd bewehren,

Die bei dem ersten Sturm sich mutig zu uns kehren.

Und zweifelst du, wann uns der Ausbruch nur gelingt,

Daß nicht Berns bester Teil zu unsrer Fahne dringt?

Doch alles wird man eh, als dieses Äußre wagen.

Den Fleck des Bürgerbluts kann kein Schwerd rühmlich tragen.

Drum wollte Gott, der Rat vernähm uns heute noch!

Denn heute noch ists Zeit, und linderte sein Joch,

Und gönnte sich den Ruhm, der keinen König zieret,

Daß er ein freies Volk durch freie Wahl regieret.

Dies macht Regenten groß, kein angemaßtes Recht,

Kein Menschen ähnlich Heer, von Gott verdammt zum Knecht.

Freund, kann es möglich sein, daß die sich glücklich schätzen,

Die unverschämt sich selbst an Gottes Stelle setzen?

Daß der vor Scham nicht stirbt, der überzeugt kann sein,

Kein Herz räum ihm die Ehr, die er sich raubet, ein?

WERNIER.

So weit denkt kein Tyrann. Er schätzt sich gnug verehret,

Wann sich ein scheuer Blick vor ihm zur Erde kehret.

Doch, welche Lust, o Freund, erfüllt mein bebend Herz,

Empfindbar dem allein, der mit gerechtem Schmerz

Für Bern in Tränen floß, und flehte Gottes Rechte,

Daß sie uns einen Held zum Rächer rüsten möchte.

Hier steht er dann in dir. Aus Ehrfurcht nenn ich dich

Nun nicht mehr meinen Freund.

HENZI.

Freund, so beschämst du mich?

WERNIER.

Nun wohl, komm, eile dann, den Helden mich zu zeigen.

Wo sind sie? – Komm! – Du bleibst? – Du schweigst? – Was sagt das Schweigen?[376]

HENZI.

Freund dies verlange nicht.

WERNIER.

Wie? Komm doch! Soll ich nun

Den Schwur, den sie getan, nicht dir und ihnen tun?

HENZI.

Ich trau dir ohne Schwur.

WERNIER.

Allein ich will sie sehen.

HENZI.

Du wirst, wenn du sie siehst, erzürnt von ihnen gehen.

WERNIER.

Fuetter, Richard, Wyß – – die solltens, sprachst du, sein.

Sind sie es nicht?

HENZI.

Sie sinds, doch sind sies nicht allein.

Es hat ein Ungeheur sich unter uns gedrungen,

Der flüchtge Rottengeist, verflucht von tausend Zungen,

Und nach Verdienst verflucht; den nicht die Sorg um Staat,

Den Rach und Grausamkeit uns zugeführet hat;

Der die Tyrannen haßt, nur um Blut zu vergießen,

Und den, o hart Geschick, wir doch erhalten müssen.

Sieh! das macht meinen Gram. Ich scheu den tollen Geist,

Der uns vielleicht mit sich in sein Verderben reißt.

WERNIER.

Wer ists?

HENZI.

Er, der wohin er kam die Ruhe störte,

Der jüngst mit frecher Stirn dein Kind zur Eh begehrte.

WERNIER.

Wer? Dücret?

HENZI.

Eben der.

WERNIER.

Der ehrenlose Mann?

Was geht Fremdlingen Bern, und unsre Freiheit an?

O speit ihn aus von euch! daß er die beste Sache,

Die besten Bürger nicht durch sich verdächtig mache.

O speit ihn aus von euch! Nehmt mich an seine Statt,

Der mindre Bosheit zwar, doch gleiche Kühnheit hat.

Wer wird sich lieber nicht zur Sklaverei bequemen,

Wenn er die Freiheit soll von Dücrets Händen nehmen?

O heute stoßt ihn noch – –

HENZI.

Und so verlangst du wohl,

Daß er uns heute noch mit Bern verraten soll?

Sonst wär es längst geschehn – –

WERNIER.

O dem ist vorzubeugen.[377]

Mein Arm lehrt ihn geschwind ein ewig Stilleschweigen.

HENZI.

Nur gleich getötet! Freund, wenn wir selbst uneins sind – –

Doch, hör ich recht? Er kömmt. Verlaß mich! Geh! Geschwind!

Ich hab ihn her bestellt. Ich will dich wieder finden.

Geh! und laß deinen Zorn die Klugheit überwinden.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 371-378.
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