– quae facilem ori paret bolum.
Etymologista vetus
Ehrwürdiger Mann
Ich würde ehrwürdiger Freund sagen, wenn ich der Mensch wäre, der durch öffentliche Berufung auf seine Freundschaften ein günstiges Vorurteil für sich zu erschleichen gedächte. Ich bin aber vielmehr der, der durchaus auf keinen seiner Nächsten dadurch ein nachteiliges Licht möchte fallen lassen, daß er der Welt erzählet, er stehe, oder habe mit ihm in einer von den genauern Verbindungen gestanden, welche die Welt Freundschaft zu nennen gewohnt ist. –
Denn berechtiget wäre ich es allerdings, einen Mann Freund zu nennen, der mir mit Verbindlichkeit zuvor gekommen ist; den ich auf einer Seite habe kennen lernen, von welcher ihn viele nicht kennen wollen; dem ich noch Verbindlichkeit habe, wenn es auch nur die wäre, daß seine Wächterstimme noch meines Namens schonen wollen.
Doch, wie gesagt, ich suche, bloß durch meine Freunde, eben so wenig zu gewinnen, als ich möchte, daß sie durch mich verlieren sollten.
Also nur, Ehrwürdiger Mann! Ich ersuche Sie, die Güte zu haben, nachstehende Kleinigkeit in einige Überlegung zu ziehen. Besonders aber dringe ich darauf, sich über die beigefügte Bitte nicht bloß als Polemiker, sondern als rechtschaffner Mann und Christ, auf das baldigste zu erklären.[117]
Ein weiser tätiger König eines großen großen Reiches, hatte in seiner Hauptstadt einen Palast von ganz unermeßlichem Umfange, von ganz besonderer Architektur.
Unermeßlich war der Umfang, weil er in selbem alle um sich versammelt hatte, die er als Gehülfen oder Werkzeuge seiner Regierung brauchte.
Sonderbar war die Architektur: denn sie stritt so ziemlich mit allen angenommenen Regeln; aber sie gefiel doch, und entsprach doch.
Sie gefiel: vornehmlich durch die Bewunderung, welche Einfalt und Größe erregen, wenn sie Reichtum und Schmuck mehr zu verachten, als zu entbehren scheinen.
Sie entsprach: durch Dauer und Bequemlichkeit. Der ganze Palast stand nach vielen vielen Jahren noch in eben der Reinlichkeit und Vollständigkeit da, mit welcher die Baumeister die letzte Hand angelegt hatten: von außen ein wenig unverständlich; von innen überall Licht und Zusammenhang.
Was Kenner von Architektur sein wollte, ward besonders durch die Außenseiten beleidiget, welche mit wenig hin und her zerstreuten, großen und kleinen, runden und viereckten Fenstern unterbrochen waren; dafür aber desto mehr Türen und Tore von mancherlei Form und Größe hatten.
Man begriff nicht, wie durch so wenige Fenster in so viele Gemächer genugsames Licht kommen könne. Denn daß die vornehmsten derselben ihr Licht von oben empfingen, wollte den wenigsten zu Sinne.
Man begriff nicht, wozu so viele und vielerlei Eingänge nötig wären, da ein großes Portal auf jeder Seite ja wohl schicklicher wäre, und eben die Dienste tun würde. Denn daß durch die mehreren kleinen Eingänge ein jeder, der in den Palast gerufen würde, auf dem kürzesten und unfehlbarsten Wege, gerade dahin gelangen solle, wo man seiner bedürfe, wollte den wenigsten zu Sinne.
Und so entstand unter den vermeinten Kennern mancherlei Streit, den gemeiniglich diejenigen am hitzigsten führten, die von dem Innern des Palastes viel zu sehen, die wenigste Gelegenheit gehabt hatten.[118]
Auch war da etwas, wovon man bei dem ersten Anblicke geglaubt hätte, daß es den Streit notwendig sehr leicht und kurz machen müsse; was ihn aber gerade am meisten verwickelte, was ihm gerade zur hartnäckigsten Fortsetzung die reichste Nahrung verschaffte. Man glaubte nämlich verschiedne alte Grundrisse zu haben, die sich von den ersten Baumeistern des Palastes herschreiben sollten: und diese Grundrisse fanden sich mit Worten und Zeichen bemerkt, deren Sprache und Charakteristik so gut als verloren war.
Ein jeder erklärte sich daher diese Worte und Zeichen nach eignem Gefallen. Ein jeder setzte sich daher aus diesen alten Grundrissen einen beliebigen Neuen zusammen; für welchen Neuen nicht selten dieser und jener sich so hinreißen ließ, daß er nicht allein selbst darauf schwor, sondern auch andere darauf zu schwören, bald beredte, bald zwang.
Nur wenige sagten: »was gehen uns eure Grundrisse an? Dieser oder ein andrer: sie sind uns alle gleich. Genug, daß wir jeden Augenblick erfahren, daß die gütigste Weisheit den ganzen Palast erfüllet, und daß sich aus ihm nichts als Schönheit und Ordnung und Wohlstand auf das ganze Land verbreitet.«
Sie kamen oft schlecht an, diese Wenigen! Denn wenn sie lachenden Muts manchmal einen von den besondern Grundrissen ein wenig näher beleuchteten, so wurden sie von denen, welche auf diesen Grundriß geschworen hatten, für Mordbrenner des Palastes selbst ausgeschrien.
Aber sie kehrten sich daran nicht, und wurden gerade dadurch am geschicktesten, denjenigen zugesellet zu werden, die innerhalb des Palastes arbeiteten, und weder Zeit noch Lust hatten, sich in Streitigkeiten zu mengen, die für sie keine waren.
Einsmals, als der Streit über die Grundrisse nicht sowohl beigelegt, als eingeschlummert war, – einsmals um Mitternacht erscholl plötzlich die Stimme der Wächter: Feuer! Feuer in dem Palaste!
Und was geschah? Da fuhr jeder von seinem Lager auf; und jeder, als wäre das Feuer nicht in dem Palaste, sondern in seinem eignen Hause, lief nach dem Kostbarsten, was er zu haben glaubte, – nach seinem Grundrisse. »Laßt uns den nur retten! dachte jeder. Der Palast kann dort nicht eigentlicher verbrennen, als er hier stehet!«[119]
Und so lief ein jeder mit seinem Grundrisse auf die Straße, wo, anstatt dem Palaste zu Hülfe zu eilen, einer dem andern es vorher in seinem Grundrisse zeigen wollte, wo der Palast vermutlich brenne. »Sieh, Nachbar! hier brennt er! Hier ist dem Feuer am besten beizukommen. – Oder hier vielmehr, Nachbar; hier! – Wo denkt ihr beide hin? Er brennt hier! – Was hätt es für Not, wenn er da brennte? Aber er brennt gewiß hier! – Lösch ihn hier, wer da will. Ich lösch ihn hier nicht. – Und ich hier nicht! – Und ich hier nicht! –
Über diese geschäftigen Zänker hätte er denn auch wirklich abbrennen können, der Palast; wenn er gebrannt hätte. – Aber die erschrocknen Wächter hatten ein Nordlicht für eine Feuersbrunst gehalten.
Ein andres ist ein Pastor: ein andres ein Bibliothekar. So verschieden klingen ihre Benennungen nicht: als verschieden ihre Pflichten und Obliegenheiten sind.
Überhaupt denke ich, der Pastor und Bibliothekar verhalten sich gegen einander, wie der Schäfer und der Kräuterkenner.
Der Kräuterkenner durchirret Berg und Tal, durchspähet Wald und Wiese, um ein Kräutchen aufzufinden, dem Linneus noch keinen Namen gegeben hat. Wie herzlich freuet er sich, wenn er eines findet! Wie unbekümmert ist er, ob dieses neue Kräutchen giftig ist, oder nicht! Er denkt, wenn Gifte auch nicht nützlich sind – (und wer sagt es denn, daß sie nicht nützlich wären?) – so ist es doch nützlich, daß die Gifte bekannt sind.
Aber der Schäfer kennt nur die Kräuter seiner Flur; und schätzt und pflegt nur diejenigen Kräuter, die seinen Schafen die angenehmsten und zuträglichsten sind.
So auch wir, ehrwürdiger Mann! – Ich bin Aufseher von Bücherschätzen; und möchte nicht gern der Hund sein, der das Heu bewacht: ob ich schon freilich auch nicht der Stallknecht sein mag, der jedem hungrigen Pferde das Heu in die Raufe trägt. Wenn ich nun unter den mir anvertrauten Schätzen etwas finde, von dem ich glaube, daß es nicht bekannt ist: so zeige ich es an.[120] Vors erste in unsern Katalogen; und dann nach und nach, so wie ich lerne, daß es diese oder jene Lücke füllen, dieses oder jenes berichtigen hilft, auch öffentlich: und ich bin ganz gleichgültig dabei, ob es dieser für wichtig, oder jener für unwichtig erkläret, ob es dem einen frommet, oder dem andern schadet. Nützlich und verderblich, sind eben so relative Begriffe, als groß und klein.
Sie hingegen, ehrwürdiger Mann, würdigen alle literarische Schätze nur nach dem Einflusse, den sie auf Ihre Gemeinde haben können, und wollen lieber zu besorglich als zu fahrlässig sein. Was geht es Sie an, ob etwas bekannt, oder nicht bekannt ist? wenn es nur Einen auch von den Kleinsten ärgern könnte, die Ihrer geistlichen Aufsicht anvertrauet sind.
Recht gut! Ich lobe Sie darum, Ehrwürdiger Mann. Aber weil ich Sie lobe, daß Sie Ihre Pflicht tun: so schelten Sie mich nicht, daß ich die meinige tue; – oder, welches einerlei ist, zu tun glaube.
Sie würden vor Ihrer Todesstunde zittern, wenn Sie an der Bekanntmachung der bewußten Fragmente den geringsten Anteil hätten. – Ich werde vielleicht in meiner Todesstunde zittern; aber vor meiner Todesstunde werde ich nie zittern. Am allerwenigsten deswegen, daß ich getan habe, was verständige Christen itzt wünschen, daß es die alten Bibliothekare zu Alexandria, zu Cäsarea, zu Constantinopel, mit den Schriften des Celsus, des Fronto, des Porphyrius, wenn sie es hätten tun können, möchten getan haben. Um die Schriften des letztern, sagt ein Mann, der sich auf solche Dinge verstehet, gäbe itzt mancher Freund der Religion gern einen frommen Kirchenvater hin.
Und ich hoffe ja nicht, Ehrwürdiger Mann, daß Sie sagen werden: »jene alten Feinde der Religion hätten es allerdings verdient, daß ihre Schriften sorgfältiger wären aufbehalten worden. Aber wozu der Neuern ihre aufbewahren, die nach siebzehnhundert Jahren doch nichts Neues sagen könnten?«
Wer weiß das, ohne sie gehört zu haben? Wer von unsern Nachkommen glaubt das, ohne es zu sehen? Dazu bin ich der festen Meinung, daß Welt und Christentum noch so lange stehen werden, daß in Betracht der Religion die Schriftsteller der ersten zwei Tausend Jahre nach Christi Geburt, der Welt eben so[121] wichtig sein werden, als uns itzt die Schriftsteller der ersten zwei Hundert Jahre sind.
Das Christentum geht seinen ewigen allmähligen Schritt: und Verfinsterungen bringen die Planeten aus ihrer Bahn nicht. Aber die Sekten des Christentums sind die Phases desselben, die sich nicht anders erhalten können, als durch Stockung der ganzen Natur, wenn Sonn und Planet und Betrachter auf dem nämlichen Punkte verharren. Gott bewahre uns vor dieser schrecklichen Stockung!
Also, ehrwürdiger Mann: mißbilligen Sie es wenigstens weniger hart, daß ich ehrlich genug gewesen, eben sowohl sehr unchristliche Fragmente, als eine sehr christliche Schrift des Berengarius, von ihrem Untergange zu retten, und an das Licht zu bringen.
Doch das ist die Bitte noch nicht, ehrwürdiger Mann, die ich Ihnen zu tun habe. Ich bitte von gewissen Leuten nichts, was ich nicht allenfalls auch Recht hätte, von ihnen zu fodern. Und mit dieser Bitte allerdings können Sie es halten, wie Sie wollen.
Sondern meine eigentliche Bitte ist der Art, daß Sie die Gewährung derselben mir nicht wohl verweigern können. Sie haben mir Unrecht getan; und einem ehrlichen Manne ist nichts angelegner, als Unrecht, welches er nicht tun wollen, und doch getan, wieder gut zu machen.
Es besteht aber dieses mir zugefügte Unrecht darin, daß Sie eine von mir geschriebene Stelle ganz wider ihren Zusammenhang zu kommentieren, das Unglück gehabt. Ihr Kopf war eben wärmer, als helle. Ich erkläre mich an einem Gleichnisse.
Wenn ein Fuhrmann, der in einem grundlosen Wege mit seinem schwerbeladenen Wagen festgefahren, nach mancherlei vergeblichen Versuchen, sich los zu arbeiten, endlich sagt, wenn alle Stränge reißen, so muß ich abladen: wäre es billig, aus dieser seiner Rede zu schließen, daß er gern abladen wollen, daß er mit Fleiß die schwächsten mürbesten Stränge vorgebunden, um mit guter Art abladen zu dürfen? Wäre der Betrachter nicht ungerecht, der aus diesem Grunde die Vergütung alles Schadens, selbst alles innern von außen unmerklichen Schadens, an welchem eben sowohl der Einpacker Schuld könnte gehabt haben, von dem Fuhrmanne verlangen wollte?[122]
Dieser Fuhrmann bin ich: dieser Befrachter sind Sie, ehrwürdiger Mann. Ich habe gesagt, wenn man auch nicht im Stande sein sollte, alle die Einwürfe zu heben, welche die Vernunft gegen die Bibel zu machen, so geschäftig ist: so bliebe dennoch die Religion in den Herzen derjenigen Christen unverrückt und unverkümmert, welche ein inneres Gefühl von den wesentlichen Wahrheiten derselben erlangt haben. Dieses zu unterstützen, schrieb ich die Stelle nieder, die eine so unmilde Ausdehnung von Ihnen erdulden müssen. Ich soll und muß gesagt haben, daß auf die Einwürfe gegen die Bibel sich schlechterdings nichts antworten lasse; daß es nur umsonst sei, darauf antworten zu wollen. Ich soll und muß die letzte unfehlbare Zuflucht des Christen dem Theologen, je eher je lieber zu nehmen, angeraten haben; damit ein schwacher, aber großsprecherischer Feind desto eher das Feld behaupten könne.
Das ist nicht die wahre Vorstellung meiner Gedanken, ehrwürdiger Mann. Gleichwohl kann es bei Ihnen auch nicht Vorsatz gewesen sein, eine so falsche Vorstellung meiner Gedanken zu machen. Sie waren, in Zuversicht auf Ihre gute Sache, die Sie auch von mir angegriffen zu sein vermeinten, zu hastig: Sie übereilten sich.
Ehrwürdiger Mann, die sich am leichtesten übereilen, sind nicht die schlechtesten Menschen. Denn sie sind größten Teils eben so fertig, ihre Übereilung zu bekennen; und eingestandene Übereilung ist oft lehrreicher, als kalte überdachte Unfehlbarkeit.
Sonach erwarte ich denn auch von Ihnen, ehrwürdiger Mann, daß Sie, in einem der nächsten Stücke Ihrer freiwilligen Beiträge, eine so gut als freiwillige Erklärung zu tun, nicht ermangeln werden; des Inhalts: daß allerdings noch ein gewisser Gesichtspunkt übrig sei, in welchem meine von Ihnen angegriffene Stelle sehr unschuldig erscheine; daß Sie diesen Gesichtspunkt übersehen; daß Sie weiter keine Ursache haben, diesen übersehenen Gesichtspunkt, nachdem Sie von mir darauf geführet worden, nicht für den zu halten, auf welchen ich hier gearbeitet.
Nur eine solche Erklärung kann dem Verdachte Einhalt tun, den Sie, ehrwürdiger Mann, über meine Absichten verbreiten zu wollen scheinen. Nur nach einer solchen Erklärung darf ich auf[123] das wieder begierig sein, was Ihnen ferner gegen mich zu erinnern, gefallen möchte. Ohne eine solche Erklärung aber, ehrwürdiger Mann, muß ich Sie schreiben lassen, – so wie ich Sie predigen lasse.
Mein Herr Pastor,
Mit vorstehenden friedlichen Blättern glaubte ich von Ihnen abzukommen; und schon freute ich mich in Gedanken auf den freiwilligen Beitrag, in welchem Ihre heilige Faust das christliche Banier wieder über mich schwenken würde.
Indes aber entweder mich die Presse, oder ich die Presse nicht genugsam fördern konnte, erhalte ich das 61 – 63ste Stück besagter Beiträge, – und bin wie vernichtet!
Das hat der nämliche Mann geschrieben? Wie soll die Nachwelt, auf welche die freiwilligen Beiträge doch ganz gewiß kommen werden, einen so plötzlichen Sprung von Weiß auf Schwarz sich erklären? – »Goeze, wird die Nachwelt sagen, Goeze wäre der Mann gewesen, der in Einem Atem gegen einen und eben denselben Schriftsteller sauersüße Komplimente zwischen den Zähnen murmeln, und aus vollem Halse laute Verleumdungen ausstoßen können? Er hätte zu gleich die Katze und den Eber gespielt? Die Katze, die um den heißen Brei gehet; und den Eber, der blind auf den Spieß rennet? Das ist unglaublich! In dem 55sten Stücke ist sein Eifer noch so gemäßiget, noch so ganz anonymisch; er nennet weder Sack noch Esel, auf die sein Stecken zuschlägt: und auf einmal im 61sten Stücke ist Lessing namentlich hinten und vorne; muß Lessing namentlich geknippen werden, so oft er den Krampf in seine orthodoxen Finger bekömmt? Dort will er das Wasser kaum regen: und hier, Plumps! Das ist unbegreiflich! Notwendig müssen also zwischen dem 55sten und 61sten Stücke dieser kostbaren Blätter, wie wir sie itzt haben, alle diejenigen verloren gegangen sein, die uns dieses Plumps! erklären würden.«
So wird die Nachwelt sagen, Herr Pastor. Doch was kümmert Uns die Nachwelt, Herr Pastor, die vielleicht auch so nicht sagen wird? Genug, Sie wissen selbst am besten, wie sehr sich die[124] Nachwelt irren würde; und ich berühre diese Saite bloß, um es bei der itztlebenden Welt, – versteht sich, der Welt, die wir Beide füllen – zu entschuldigen, Falls auch mein Ton, den ich mir künftig mit dem Hrn. Pastor Goeze erlauben dürfte, ihr von dem allzuviel abzuweichen scheinen sollte, den ich noch bisher anzugeben, für schicklicher gehalten.
Denn wahrlich, Herr Pastor, der zudringlichen Griffe, mit welchen Sie an mich setzen, werden allmählig zu viel! Erwarten Sie nicht, daß ich sie Ihnen alle vorrechne: es würde Sie kitzeln, wenn Sie sähen, daß ich alle gefühlt habe. Ich will Ihnen nur sagen, was daraus kommen wird.
Ich will schlechterdings von Ihnen nicht als der Mann verschrien werden, der es mit der Lutherischen Kirche weniger gut meinet, als Sie. Denn ich bin mir bewußt, daß ich es weit besser mit ihr meine, als der, welcher uns jede zärtliche Empfindung für sein einträgliches Pastorat, oder dergleichen, lieber für heiligen Eifer um die Sache Gottes einschwatzen möchte.
Sie, Herr Pastor, Sie hätten den allergeringsten Funken Lutherischen Geistes? – Sie? der Sie auch nicht einmal Luthers Schulsystem zu übersehen im Stande sind? – Sie? der Sie, mit stillschweigendem Beifall, von ungewaschenen, auch wohl treulosen Händen die Seite des Lutherischen Gebäudes, die ein wenig gesunken war, weit über den Wasserpaß hinaus schrauben lassen? – Sie? der Sie den ehrlichen Mann, der freilich ungebeten, aber doch aufrichtig, den Männern bei der Schraube zuruft: schraubt dort nicht weiter! damit das Gebäude nicht hier stürze! – der Sie diesen ehrlichen Mann mit Steinen verfolgen?
Und warum? – Weil dieser ehrliche Mann zugleich den schriftlich gegebenen Rat eines ungenannten Baumeisters, das Gebäude lieber ganz abzutragen, – gebilliget? unterstützt? ausführen wollen? auszuführen angefangen? – Nicht doch! – nur nicht unterschlagen zu dürfen, geglaubt.
O sancta simplicitas! – Aber noch bin ich nicht da, Herr Pastor, wo der gute Mann, der dieses ausrief, nur noch dieses ausrufen konnte. – Erst soll uns hören, erst soll über uns urteilen, wer hören und urteilen kann und will!
O daß Er es könnte, Er, den ich am liebsten zu meinem Richter haben möchte! – Luther, du! – Großer, verkannter Mann! Und[125] von niemanden mehr verkannt, als von den kurzsichtigen Starrköpfen, die, deine Pantoffeln in der Hand, den von dir gebahnten Weg, schreiend aber gleichgültig daher schlendern! – Du hast uns von dem Joche der Tradition erlöset: wer erlöset uns von dem unerträglichern Joche des Buchstabens! Wer bringt uns endlich ein Christentum, wie du es itzt lehren würdest; wie es Christus selbst lehren würde! Wer – –
Aber ich vergesse mich; und würde noch mehr Sie vergessen, Herr Pastor, wenn ich, auf eine dergleichen Äußerung, Ihnen vertraulich zuspräche: »Herr Pastor, bis dahin, was weder Sie noch ich erleben werden; bis dahin, was aber gewiß kömmt, gewiß! gewiß! – wäre es nicht besser, unsers Gleichen schwiegen? unsers Gleichen verhielten sich nur ganz leidend? Was einer von Uns zurück halten will, möchte der andere übereilen: so daß der eine mehr die Absichten des andern beförderte, als seine eignen. Wie wäre es, Herr Pastor, wenn wir den Strauß, den ich noch mit Ihnen auszufechten habe, den ersten und letzten sein ließen? Ich bin bereit, kein Wort weiter mit Ihnen zu verlieren, als was ich schon verloren habe.«
Denn nein; das werden Sie nicht wollen. Goeze hat noch keinem seiner Gegner das letzte Wort gelassen; ob er sich gleich immer das erste genommen. Er wird, was ich zu meiner Verteidigung sagen müssen, als Angriff betrachten. Denn der Tummelplatz des seligen Ziegra muß ihm nicht vergebens nun ganz angestorben sein.
Ich beklage: denn sehen Sie, Herr Pastor, es wird mir unmöglich sein, nicht gegen Ihren Stachel zu läcken, und die Furchen, fürchte ich, die Sie auf dem Acker Gottes mich und mit aller Gewalt wollen ziehen lassen, werden immer krümmer und krümmer werden.
Nicht zwar, daß ich Ihnen jede hämische Anspielung; jeden, wenn Gott will, giftigen Biß; jeden komischen Ausbruch Ihres tragischen Mitleids; jeden knirschenden Seufzer, der es beseufzet, nur ein Seufzer zu sein; jede pflichtschuldige Pastoralverhetzung der weltlichen Obrigkeit, womit Sie gegen mich von nun an Ihre freiwilligen Beiträge spicken und würzen werden, aufmutzen, oder, wenn ich auch könnte, verwehren wollte. So unbillig bin ich nicht, daß ich von Einem Vogel in der Welt eine einzige[126] andere Feder verlangen sollte, als er hat. Auch haben dieserlei Pharmaka ihren Credit längst verloren.
Sondern nur eines werde ich nicht aushalten können: Ihren Stolz nicht; der einem Jeden Vernunft und Gelehrsamkeit abspricht, welcher Vernunft und Gelehrsamkeit anders braucht, als Sie. Besonders wird alle meine Galle rege werden, wenn Sie meinen Ungenannten, den Sie nur noch aus unzusammenhängenden Bruchstücken kennen, so schülerhaft und bubenmäßig zu behandeln fortfahren. Denn Mann gegen Mann, – nicht Sache gegen Sache – zu schätzen: so war dieser Ungenannte des Gewichts, daß in aller Art von Gelehrsamkeit, sieben Goeze nicht ein Siebenteil von ihm aufzuwägen vermögend sind. Das glauben Sie mir indes, Herr Pastor, auf mein Wort.
Und sonach meine Ritterliche Absage nur kurz. Schreiben Sie, Herr Pastor, und lassen Sie schreiben, so viel das Zeug halten will: ich schreibe auch. Wenn ich Ihnen in dem geringsten Dinge, was mich oder meinen Ungenannten angeht, Recht lasse, wo Sie nicht Recht haben: dann kann ich die Feder nicht mehr rühren.
Buchempfehlung
1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.
220 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro