Aufgabe

[633] Die Akademie verlangt eine Untersuchung des Popischen Systems, welches in dem Satze alles ist gut enthalten ist. Und zwar so, daß man Erstlich den wahren Sinn dieses Satzes, der Hypothes seines Urhebers gemäß, bestimme.

Zweitens ihn mit dem System des Optimismus, oder der Wahl des Besten, genau vergleiche, und

Drittens die Gründe anführe, warum dieses Popische System entweder zu behaupten oder zu verwerfen sei.[633]

Die Akademie verlangt eine Untersuchung des Popischen Systems, welches in dem Satze: alles ist gut, enthalten ist.

Ich bitte um Verzeihung, wenn ich gleich Anfangs gestehen muß, daß mir die Art, mit welcher diese Aufgabe ausgedrückt worden, nicht die beste zu sein scheinet. Da Thales, Plato, Chrysippus, Leibniz und Spinosa, und unzählig andere, einmütig bekennen: es sei alles gut; so müssen in diesen Worten entweder alle Systemata, oder es muß keines darin enthalten sein. Sie sind der Schluß, welchen jeder aus seinem besondern Lehrgebäude gezogen hat, und der vielleicht noch aus hundert andern wird gezogen werden. Sie sind das Bekenntnis derer, welche ohne Lehrgebäude philosophiert haben. Wollte man sie zu einem Kanon machen, nach welchem alle dahin einschlagende Fragen zu entscheiden wären; so würde mehr Bequemlichkeit als Verstand dabei sein. GOtt hat es so haben wollen, und weil er es so hat haben wollen, muß es gut sein: ist wahrhaftig eine sehr leichte Antwort, mit welcher man nie auf dem Trocknen bleibt. Man wird damit abgewiesen, aber nicht erleuchtet. Sie ist das beträchtlichste Stück der Weltweisheit der Faulen; denn was ist fauler, als sich bei einer jeden Naturbegebenheit auf den Willen GOttes zu berufen, ohne zu überlegen, ob der vorhabende Fall auch ein Gegenstand des göttlichen Willens habe sein können?

Wenn ich also glauben könnte, der Konzipient der Akademischen Aufgabe habe schlechterdings in den Worten Alles ist gut ein System zu finden verlangt; so würde ich billig fragen, ob er auch das Wort System in der strengen Bedeutung nehme, die es eigentlich haben soll? Allein er kann mit Recht begehren, daß man sich mehr an seinen Sinn, als an seine Worte halte. Besonders alsdenn, wenn der wahre Sinn, der falschen Worte ungeachtet durchstrahlet, wie es hier in den nähern Bestimmungen des Satzes hinlänglich geschiehet.

Diesem zu folge stelle ich mir also vor, die Akademie verlange eine Untersuchung desjenigen Systems, welches Pope erfunden oder angenommen habe, um die Wahrheit: daß alles gut sei, dadurch zu erhärten, oder daraus herzuleiten, oder wie man sonst sagen will. Nur muß man nicht sagen, daß das System in diesen Worten liegen solle. Es liegt nicht[634] eigentlicher darinne, als die Prämissen in einer Konklusion liegen, deren zu eben derselben eine unendliche Menge sein können.

Vielleicht wird man es mir verdenken, daß ich mich bei dieser Kleinigkeit aufgehalten habe. – – Zur Sache also! Eine Untersuchung des Popischen Systems – –

Ich habe nicht darüber nachdenken können, ohne mich vorher mit einem ziemlichen Erstaunen gefragt zu haben: wer ist Pope? – – – Ein Dichter – – – Ein Dichter? Was macht Saul unter den Propheten? Was macht ein Dichter unter den Metaphysikern?

Doch ein Dichter braucht nicht alle Zeit ein Dichter zu sein. Ich sehe keinen Widerspruch, daß er nicht auch ein Philosoph sein könne. Ebenderselbe, welcher in dem Frühlinge seines Lebens unter Liebesgöttern und Grazien, unter Musen und Faunen, mit dem Thyrsus in der Hand, herum geschwärmt; eben derselbe kann sich ja leicht in dem reifen Herbste seiner Jahre, in den philosophischen Mantel einhüllen, und jugendlichen Scherz mit männlichem Ernst abwechseln lassen. Diese Veränderung ist der Art, wie sich die Kräfte unserer Seelen entwickeln, gemäß genug.

Doch eine andere Frage machte diese Ausflucht zu nichte. – – Wenn? Wo hat Pope den Metaphysiker gespielt, den ich ihm nicht zutraue? – – Eben, als er seine Stärke in der Dichtkunst am meisten zeigte. In einem Gedichte. In einem Gedichte also, und zwar in einem Gedichte, das diesen Namen nach aller Strenge verdient, hat er ein System aufgeführet, welches eine ganze Akademie der Untersuchung wert erkennet? So sind also bei ihm der Poet und der strenge Philosoph – – strenger aber als der systematische kann keiner sein – – nicht zwei mit einander abwechselnde Gestalten, sondern er ist beides zugleich; er ist das eine, indem er das andere ist?

Dieses wollte mir schwer ein – – Gleichwohl suchte ich mich auf alle Art davon zu überzeugen. Und endlich behielten folgende Gedanken Platz, die ich eine[635]

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 3, München 1970 ff., S. 633-636.
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Pope ein Metaphysiker!
Sämmtliche Schriften: Pope, Ein Metaphysiker, 1755. Fabeln, 1759. Etc (German Edition)