Zwanzigstes Kapitel

[349] Die Nacht war schön gewesen, als wir aus dem gastlichen Hause fortgegangen waren. Am andern Morgen regnete es in Strömen.

Ich saß am Schreibtisch, aber ich konnte nicht arbeiten, denn mir lag eine Ungeschicktheit im Sinne, die ich am Abend vorher begangen hatte, und die ich nicht gleich gut zu machen wußte.

Therese war sehr liebenswürdig, sehr freundlich gegen mich gewesen. Sie hatte mich gefragt, ob ich Hamburg kenne, und als ich das verneint, hatte sie mir zugeredet, es bald zu besuchen, und dann zu ihr zu kommen, und ganz über sie zu verfügen; und ich hatte mir das sagen lassen, hatte dafür gedankt, ohne ihr die Bitte auszusprechen, daß sie mich hier in Berlin besuchen möge. Ich schämte mich dieser Achtlosigkeit, die unhöflich aussehen mußte, und ich beklagte dieselbe im eigenen Interesse noch viel mehr. Denn Therese hatte mir ungemein gefallen, ich wünschte sehr, sie wiederzusehen, und ich hatte nicht einmal gefragt, in welchem Hôtel sie abgestiegen sei.

Während ich, sehr unzufrieden mit mehr selbst, noch überlegte, ob ich an Frau Clara Mundt oder an wen sonst schreiben solle, um Theresen's Adresse zu erfahren,[349] klopfte es an meine Thüre. Ich ging öffnen, und naß und ganz durchregnet stand Therese vor mir.

»Sie haben mir zwar nicht gesagt, daß ich Sie besuchen solle,« sprach sie mit ihrem süßen Tone, »aber ich bin überzeugt, es ist Ihnen nicht unlieb, daß ich komme, und ich wollte Sie doch vor meiner Abreise gern noch einmal sprechen.«

Ich erzählte ihr, wie mich eben in diesem Augenblicke der Gedanke an sie beschäftigt habe, und mir in das Wort fallend, sagte sie: »Ich bin sehr abergläubisch und Sie lachen mich deshalb vielleicht aus. Ich hatte gleich gestern einen merkwürdigen Zug zu Ihnen, habe die ganze Nacht von Ihnen geträumt, und Sie haben mir sehr viel Gutes im Traum gethan. Daß Sie nun, wo ich auf dem Wege zu Ihnen war, auch grade an mich dachten, und mit schlechtem Gewissen an mich dachten, das ist mir ganz besonders lieb.«

»Warum das?« fragte ich.

»Haben Sie denn nicht die Erfahrung gemacht, daß man die Menschen, gegen die man Unrecht thut, immer ein Bischen dafür liebt?«

Sie sah ganz bezaubernd aus, während sie das sagte, aber ich konnte mich der Freude an ihrer Anmuth nicht überlassen, weil ich die Bemerkung machte, daß sie von dem Regen noch mehr gelitten, als ich Anfangs geglaubt hatte. Ihr Schawl, ihr Hut, ihre Schuhe und Kleider waren ganz durchnäßt. Ich machte sie darauf aufmerksam, sie legte kein Gewicht dar auf.

»Ich habe eine eiserne Gesundheit!« sagte sie, »und bin alle solche Dinge, wie Regen und Kälte und Hitze,[350] und wenn sie wollen, auch Hunger und Durst bei meinem vielen Reisen gewöhnt worden. Aber eine Frage: haben Sie Zeit? kann ich bei Ihnen bleiben?«

Ich versicherte sie, daß ich nichts Besseres verlange, und sie legte nun selbst die nassen Tücher ab, ließ es geschehen, daß ich ihr andere Schuhe besorgte, und meinte: »Ich hatte mit Bacheracht verabredet, daß er mich fünf, sechs Minuten vor der Thüre erwarten solle; käme ich dann nicht, so bliebe ich hier. Nun wird er fort sein, und nun bleibe ich auch.

Der Morgen verging mir, ich wußte nicht wie. Wir sprachen von Büchern, von unsern Arbeiten, von unsern Lebensverhältnissen, von unserer Vergangenheit, wie man von solchen Dingen im Beginne einer Bekanntschaft redet, und es fand sich, daß wir fast über Alles verschieden dachten, daß unsere Ansichten, unsere Erfahrungen, unsere Lebenswege noch viel weiter von einander abwichen, als es durch unsere verschiedene Stellung im Leben an und für sich bedingt war; und dennoch wurden wir einander immer werther, dennoch faßten wir eine Zuneigung zu einander. Wie das geschehen konnte? Ihr Leben in weiten Kreisen beschäftigte meine Phantasie, ihre Anmuth, ihre unverkennbare Güte gewannen mein Herz; die Einfach heit meiner Vergangenheit hatte etwas Rührendes für sie, mein Ernst und meine Offenheit flößten ihr Vertrauen ein.

Es war drei Uhr, als wir uns trennten. Sie beabsichtigte im Beginn des Sommers mit Carl Gutzkow eine Reise nach Tyrol anzutreten, und später allein nach Interlaken zu gehen. Von dort wollte sie mir schreiben,[351] wenn der Sonderbundkrieg das Reisen und den Aufenthalt in der Schweiz irgend wie behindre. Schreibe sie mir nicht, so sei Nichts zu befahren und ich versprach ihr, für diesen letztern Fall meinen Weg so einzurichten, daß wir uns im Anfang des August in Interlaken wieder sähen.

Einen Tag später verließ sie Berlin. Ich hatte sie noch in ihrer Wohnung im Hôtel du Nord aufgesucht, aber ich hatte sie dabei kaum gesprochen. Sie war in großer Toilette gewesen, mit Brillanten und Blumen geschmückt, um zu einer Gesellschaft zu fahren, und verschiedene Männer, die gekommen waren, ihr die Aufwartung zu machen, nahmen sie in Beschlag. Die Scene hatte etwas Blendendes für mich. Therese sah so schön aus, der Luxus, der sie umgab, die Huldigung, welche man ihr darbrachte, die Sorgenfreiheit, welche ich bei ihr voraussetzte, kamen mir wie ein Glück vor, und ich beneidete sie fast darum, daß sie tausend Dinge nach der Natur zu malen und zu schildern im Stande war, die ich aus meiner Phantasie oder nach Hörensagen auferbauen mußte. Sie war ganz und gar eine große Dame in ihrer prächtigen Kleidung, in der sichern Haltung, in der freundlichen Herablassung, mit welcher sie den Männern begegnete. Mitten in der Unterhaltung mit denselben wendete sie sich aber einmal ganz plötzlich zu mir, drückte mir die Hand und sagte leise und schnell: »Ach! ich wollte, ich säße bei Ihnen auf dem Sopha, und hätte die Gesellschaft erst überstanden. Ich bin heut' ganz zerschlagen.«[352]

Ich war betroffen. »Was ist Ihnen denn geschehen?« fragte ich.

»Mir ist wieder einmal der Boden unter den Füßen fortgezogen, und Jahre lange Arbeit zertrümmert worden!« Sie brach dann plötzlich seufzend ab.

Man meldete ihr, daß der Wagen auf sie warte, ich ging fort, als sie ihrem Mädchen den Befehl gab, Herrn von Bacheracht zu rufen, aber ich hörte nicht auf, an sie zu denken. Ich hätte wissen mögen, ob sie wirklich nicht glücklich sei? ob hinter dieser sanften, heitern Miene ein ernster Schmerz verborgen liegen könne? Und weil ich hoffen konnte, Therese auf der Reise wiederzusehen, wurde die Aussicht auf diese letztere mir von da ab nur noch lieber.

Theresen's Besuch in Berlin hatte den ganzen Kreis, in welchem ich sie gesehen, wieder auf's Neue mit ihr beschäftigt, und ohne daß ich besondere Nachfragen über sie zu thun nöthig gehabt hätte, hörte ich in den folgenden Wochen häufig von ihr sprechen, erfuhr ich von ihren Schicksalen, was man eben oberflächlich von denselben sehen und wissen konnte.

Therese war eine geborene von Struve, Tochter eines russischen Gesandten, der bei den Höfen von Oldenburg und Mecklenburg, und bei den Hansestädten accreditirt war, und in Hamburg residirte. Sie war jung mit einem Legationssekretär von Bacheracht verheirathet worden, der im Jahre fünfundvierzig Staatsrath und russischer Generalkonsul in Hamburg war, hatte mit diesem für eine kurze Zeit den Petersburger Hof besucht, große Reisen mit ihm gemacht, aber ihre Ehe war keine glückliche. Wie man von Therese sprach, schien man sie damals überhaupt nicht für die Ruhe einer friedlichen Ehe gemacht zu glauben. Man wollte von traurigen Herzensangelegenheiten[353] wissen, die sie durchlebt haben sollte, und es war daneben viel von einem seit einigen Jahren obwaltenden leidenschaftlichen Verhältniß zu einem deutschen Schriftsteller die Rede, das sie vollends unglücklich machen sollte.

Wer sie aber nur einigermaßen näher kannte, sprach mit großem Antheil von ihr, und zu den Personen, welche sich am Liebevollsten über Therese äußerten, gehörte Frau Palzow. »Denken Sie immer das Beste von ihr,« sagte sie mir eines Abends, als wir von ihr sprachen, und ich ihr den angenehmen Eindruck schilderte, welchen Therese auf mich gemacht hatte, »und Sie werden ihr nur gerecht sein. Theresen's unschätzbare gute Eigenschaften sind alle ihr eigen, ihre Irrthümer rühren zum Theil von ihren Verhältnissen her; und wenn man von irgend einem Menschen sagen kann, daß er nur die Fehler besitzt, die von seinen Tugenden herstammen, so ist das bei Therese gewiß der Fall.« – Dies Urtheil machte mir große Freude, ja ich fühlte an dieser Freude, wie lieb mir Therese bereits geworden war, und ich liebte Frau Palzow für die Wärme, mit welcher sie sich über Therese aussprach. Ich habe sie selten für Jemand so von Herzen eingenommen gesehen, als eben für Therese.

Ich selbst war in der Zeit ohne alle direkte Nachricht von meiner neuen Bekannten, und ich vermißte sie auch nicht, denn ich war sehr beschäftigt. Ich hatte, um mich für den Aufenthalt in Italien einigermaßen vorzubereiten, angefangen Italienisch zu lernen, schrieb fleißig an meiner Novelle für die Urania, hatte viel Zeitverlust mit dem Suchen nach einer passenden Reisegefährtin, und war nebenher viel in Gesellschaft. Meine alten Freunde freuten sich meines Fortschreitens, neue Verbindungen boten sich[354] mir von allen Seiten dar, ich war unabhängig und selbstständig genug, um auf meinem Wege in die Gesellschaft Niemandes Hülfe mehr nöthig zu haben, und doch noch nicht so alt und so festgestellt, daß ich den Schutz älterer oder bedeutenderer Personen nicht hätte bereitwillig annehmen können. Ich befand mich also, um ein Bild zu brauchen, in jenem beneidenswerthen Zustand, welcher uns die Kinder von fünf, sechs Jahren so anmuthig erscheinen läßt, und sie uns zu einer so erheiternden Unterhaltung macht. Sie legen uns keine wesentliche Mühe mehr auf, können uns aber noch brauchen, und begegnen also unserm passiven und unserm aktiven Egoismus in der uns zusagendsten Weise. Könnte man sein Lebelang den Leuten als ein solches Kind erscheinen, das sie ohne Unbequemlichkeit für sich selbst zu fördern und zu verpflichten vermögen, man würde lauter Freunde und ein leichtes, heiteres Dasein haben; denn Jeder mag gern hülfreich sein und den Beschützer machen, während er sich amüsirt. Indeß diese angenehme Rolle läßt sich für selbstständige Menschen nicht fortdauernd aufrecht erhalten. Es kommt die Zeit, in welcher man fremden Rath zwar anhören, aber nicht mehr unbedingt befolgen, in welcher man fremden Schutz, ohne zu heucheln, nicht mehr benutzen kann, und in der man genöthigt ist, sein eigener Berather, sein eigener Maaßstab und sein eigener Richter zu werden, wenn man sich auf dem Wege behaupten will, den man für sich ausgewählt, weil man ihn als den richtigen für sich erkannt hat. Dann wendet sich das Wohlwollen nur zu leicht von uns ab, man nennt uns kalt, nennt uns hochmüthig, zweifelt an der ehrlichen Dankbarkeit unseres Herzens; und solch ein Mißkennen[355] würde ganz unbegreiflich sein, steckte nicht in Jedem von uns ein Stück von einem Tyrannen, machte man nicht von Seiten des Gefühls noch ungerechterer Ansprüche an einander, als man es in praktischen Dingen zu thun pflegt.

Das ist freilich sonderbar genug! Denn Niemand wird Etwas dagegen haben, wenn ein Mann, den er Jahrelang mit Geld unterstützt hat, ihm endlich sagen kann: »Dank Deiner Hülfe brauche ich dieselbe fortan nicht mehr. Dein Geld hat mir die Möglichkeit gegeben, mich auszubilden, mich in der Welt umzusehen, nun habe ich mir ein Geschäft, ein Gewerbe eingerichtet, das mich ernährt. Es ist ein anderes, als dasjenige, welches Du betrieben hast, aber mein Kapital und meine Fähigkeiten sind auch von den Deinen verschieden, und um in meinem Geschäfte vorwärts zu kommen, muß ich andere Mittel und Wege benutzen, als Du es Deiner Zeit gethan!« Gewiß der Mann, der das nicht einsähe und respektirte, der nicht sehr damit zufrieden wäre, sein Geld für sich zu behalten, und es nicht mehr bei einem Dritten einem immer zweifelhaften Erfolge preiszugeben, müßte ein schlechter Geschäftsmann oder ein großer Thor sein.

Mit dem Rath ertheilen, Rath verleihen ist es nun im Grunde ganz dasselbe, und doch verhalten sich die Leute völlig anders dazu. Ich habe eben in der Zeit, in welcher ich meine Reise antreten wollte, und auch später noch vielfach in meinem Leben den Ausruf nicht unterdrücken können: wenn Rath doch baares Geld wäre! wie unangefochten könnte man leben! Und in der That, ein Frauenzimmer ist sehr übel daran, wenn es im Leben einen andern Weg zu gehen hat, als den von ihres Vaters Tisch in ihres Mannes Haus. Wie kann es aber anders sein?[356]

Das Staatsgesetz, das allgemeine Recht, erklären die Frau ein für allemal als unmündig, wie sollte der Einzelne nicht geneigt sein, ein Gleiches zu thun? Die Familie erzieht nach überkommenen Grundsätzen die Frau zur Abhängigkeit und Unterordnung, und sie thut auf ihre Weise recht daran, denn die Frau ist unter uns so gestellt, daß ihr keine Veranlassung zu selbstständigem Handeln und Entscheiden gegeben ist – vorausgesetzt, daß sie immer das Glück hat, Männer zu finden, die für sie denken und sorgen. Wenn es einem Mädchen so gut wird, einen verständigen Vater zu haben, und von diesem einem verständigen Manne zur Frau gegeben zu werden, der ihr ihre Söhne und Töchter gut versorgt und gut erzieht, so mag sie ihr Leben hindurch in sanfter Abhängigkeit sich glücklich fühlen, mag vor jeder eigenen Entscheidung und vor fremdem Berathen durch die Rücksicht gesichert sein, daß sie ja ihren natürlichen Berather habe. Es mag dann sehr anmuthig sein, ihre Fügsamkeit zu betrachten, und sie sagen zu hören, daß sie von den Welthändeln Nichts verstehe, daß sie von Geld und Erwerb Nichts wisse, daß sie sich diese und jene Verhältnisse nie klar gemacht habe, weil es ihr weh gethan, ihr Auge auf die Nacht- und Schattenseiten des Lebens zu richten. Sie mag dann als glückliche uralte Matrone aus der Welt gehen, und der Prediger, der ihr die Leichenrede hält, mag von ihr sagen, sie habe durch ihr ganzes Leben sich das reine sanfte gehorsame Herz eines Kindes bewahrt.

Aber die Medaille hat zwei Seiten – wenden wir sie um!

Nicht jeder Frau ist es gegeben, in Verhältnissen aufzuwachsen, die sie aller Sorge um ihre Zukunft entheben.[357] Nicht Jede von uns hat wohlhabende Eltern, nicht Jede von uns findet sich, wenn sie zum Selbstbewußtsein kommt, in der Lage, für welche ihre angebornen Eigenschaften sie befähigen, oder welche diese ihr zu einem Bedürfniß machen. Sie hat für sich zu sorgen, ihren Unterhalt zu ernten, oft für unversorgte Familienglieder das Brod zu schaffen. Sie heirathet. Die Ehe bewährt sich aber oft nicht als das Glück, als die Versorgung, welche man von ihr erwartete. Der Mann ist unfähig, die Frau zu ernähren, er ist krank, er ist kein Haushalter, er versteht die Kinder nicht zu erziehen. Die Frau fühlt, daß sie helfen müßte – aber sie versteht Nichts von den Dingen der Welt, sie kennt das Leben nicht, sie weiß nicht, wie man Geld verwaltet, sie hat es nicht gelernt auf die Schattenseiten des Lebens zu blicken, sie weiß nicht, wie man einer Tochter über die traurige Aussichtlosigkeit eines armen Mädchens forthilft, sie weiß nicht, wie man einen irrenden Sohn auf den rechten Weg zurückführt. Sie ist rein, sie ist sanft, sie ist gehorsam – und sie ist ein Unsegen an der Stelle, an der sie ein Segen sein müßte! Sie bricht sich das Herz mit ihrem duldenden Grame, wo sie sich ein Herz fassen und handeln müßte. Nehmt einem Weibe die Voraussetzung des Glückes, für welches Ihr dasselbe mit Euren Theorien der Unterordnung erzieht und alle Vorzüge, welche Ihr an ihm rühmtet, werden zu Mängeln an ihm, und alle die unthätigen Tugenden, welche Ihr ihm gegeben und anerzogen habt, werden zu Sünden, zu schweren Unterlassungssünden, die auf Euch zurückfallen.

Oder habt Ihr noch nicht dagestanden vor der weiblichen Hülflosigkeit, die sich nicht zu rathen, sich und den[358] Ihren nicht zu helfen wußte! Die mit herabgesunkenen Armen, mit gefalteten Händen den Blick zu Euch erhob, als ob Ihr allmächtig wäret? als ob Ihr mit Eurem Willen und Eurem Rathe nun mit einem Male ihre Schwäche in Stärke, ihre Zaghaftigkeit in Entschlossenheit, ihre Unkenntniß in Einsicht und Umsicht verwandeln könntet?

Wenn Ihr aber vor solchen Mädchen, vor solchen Töchtern, Frauen, Müttern, Wittwen gestanden habt – und wer von uns hätte das nicht – habt Ihr dann nicht bitter und schwer die Unmündigkeit beklagt, zu welcher der Staat und die Familie die Frau erziehen und verdammen? Trat dann der Anblick der Einen trostlosen unfähigen Hülflosigkeit nicht anmahnend und anklagend für alle vorhandene weibliche Hülflosigkeit vor Euch hin? Hättet Ihr dann nicht wünschen mögen, daß diese Demuth Selbstgefühl, daß diese Weichheit Stärke und Kraft, daß diese Zuversicht zu Euch und zu des lieben Herrgotts Hülfe, Selbstvertrauen und Thatkraft gewesen wären? Hättet Ihr Euch nicht gern des Rather-Amtes und der daraus erwachsenden Verantwortung enthoben gesehen?

Es wird nicht viele Menschen geben, welche so leidenschaftlich für das Hülfeleisten eingenommen sind, daß sie diese Frage mit Nein beantworten sollten.

Wenn dem aber so ist, warum mißfällt es Euch, warum wartet Ihr den Erfolg nicht ab, warum scheltet Ihr es, wenn ein Frauenzimmer den Muth und den Beruf fühlt, seine eigene Straße zu gehen, wenn es sagt: Irre ich, so irre ich mir! Täusche ich mich, so trage ich die Folgen! – Ihr fürchtet mit Recht, es fällt auf Eure Schultern zurück, wenn es sich getäuscht hat, denn Ihr habt es von Jugend auf gewöhnt, sich auf Andere[359] zu verlassen, und statt die Frau wie den Mann, selbst verantwortlich zu machen für ihr Handeln und Erleiden, habt Ihr ihr die Möglichkeit gegeben, sich im Nothfall damit zu entschuldigen, daß sie fremdem Rathe gefolgt sei, fremder Bestimmung nachgegeben habe. Was wird damit für die Frau, für Euch gewonnen? was ist damit erreicht? was ist die Folge davon?

Die Antwort darauf kann ich aus meiner eigenen Erfahrung geben. Ich bin meiner Anlage nach keine Natur, die es nöthig hat, sich auf Andre zu lehnen und zu stützen, und doch habe ich den Unsegen an mir selbst erprobt, den unsere Erziehung zur Unmündigkeit über uns verhängt. So lange ich mich zu erinnern vermag, habe ich immer ziemlich bestimmt gewußt, was ich wollte, und das Ziel nicht leicht aus dem Auge verloren, dem ich zustrebte. Ich hatte unabhängig sein wollen, nun war ich es; aber ich sah, daß ein großer Theil meiner Bekannten sich darüber wunderte, daß Manche den Entschluß mißbilligten, den ich gefaßt hatte; und statt sie sich und ihren Ansichten ruhig zu überlassen, und meiner Wege zu gehen, woran mich Niemand hindern konnte, wollte ich jeden Einzelnen von der Richtigkeit und Nothwendigkeit meiner Handlungsweise überzeugen, und für jede einzelne Handlung wo möglich die Zustimmung und Anerkennung von Personen erlangen, an denen mir oftmals herzlich wenig gelegen war, und mit denen ich kaum einen andern Zusammenhang hatte, als den, daß mir gelegentlich erzählt werden konnte, was sie etwa über mich dächten und sagten. Ich war wie die Matrosen, die mitten in den wirklichen Gefahren eines Sturmes guten Muthes sind, und sich daneben in ruhigen Stunden[360] vor dem Seegespenste fürchten. Wer aber geneigt ist Gespenster zu sehen, späht beständig nach ihnen aus, starrt so lange in die Dunkelheit hinein, bis sein Inneres selbst phantastische Bilder erzeugt, und ist schließlich von jedem Menschen zu erschrecken, der festen Blickes in die Leere hineinschaut. Einen Furchtsamen in Angst zu versetzen, einen Zaghaften zu beunruhigen, ist ein Vergnügen, das nur die Wenigsten sich versagen; und man merkte nicht sobald, daß ich die Schwäche hatte, vor gutem Rathe still zu halten, als guter Rath und wohlgemeinte Warnungen von allen Ecken und Enden gegen mich losgelassen wurden.

Dabei that ich nicht das Geringste, was irgend hätte Anstoß geben oder auch nur ein Bedenken verursachen können. Mein Umgang beschränkte sich ausschließlich auf Familienkreise. Die wenigen jungen Männer, die ich ab und zu bei mir sah, waren Männer von Ehre, welche ich und die Meinen seit Jahren kannten, oder irgend ein Fremder, ein Schriftsteller, der mir einmal einen Besuch machte. Ihr Verhältniß zu mir war kein Anderes, als es junge Männer zu einem Mädchen in ihrem Vaterhause haben. Es hatte Keiner von ihnen eine wirkliche Liebe oder Leidenschaft für mich, es machte mir kaum Jemand ernstlich den Hof, ja ich hatte nicht einmal einen männlichen Freund in meiner Nähe. Indeß das half mir gar Nichts.

Ich konnte mich oft vor wohlgemeinten Ermahnungen und gutem Rathe gar nicht bergen; und hätte ich halb so viel Hülfe und Förderung als gute Lehren erhalten, so wäre ich wirklich zu beneiden und mein Leben ein sehr leichtes gewesen. Glücklicher Weise beirrte mich das berathende[361] Gerede nicht. Es brachte mich auch nicht von demjenigen ab, was ich für mich als das Richtige und Nothwendige erkannte, aber es verstimmte mich, und was noch schlimmer war, es machte mich zornig und forderte mich zu einem trotzigen Widerstand heraus, in welchem ich dann schroffe Aeußerungen that, die viel weiter gingen, als ich selbst zu gehen irgend geneigt war, und die gethan zu haben ich meist bereute, wenn ich später bei ruhiger Ueberlegung zu der Einsicht gelangte, wie wenig die Personen, welche meine Heftigkeit hervorgerufen hatten, eines solchen unnöthigen, und mir grade ihnen gegenüber nur zu nachtheiligen Kraftaufwandes werth gewesen waren.

Ich kämpfte gegen Windmühlen mit so schweren Waffen, daß ich mir den Arm mit ihnen auszuheben riskirte, und das Alles nur, weil ich, zur Abhängigkeit erzogen, mich nicht mit meinem guten Bewußtsein zu beruhigen vermochte; weil ich fortdauernd auf das Urtheil der Andern hinhorchte; weil ich jenes Sicherheitsgefühls ermangelte, welches Männer, die viel unbedeutender waren als ich, in unbeirrter Ruhe ihren Zweck verfolgen und die Mittel zu demselben ohne alle Nebenrücksichten wählen ließ.

Manches ist seit der Zeit, von welcher ich spreche, schon anders, die Stellung der Frauen ist in vielem Betrachte in diesen letzten Jahrzehnten schon eine freiere geworden, und es fällt jetzt kaum noch einem vernünftigen Menschen ein, sich darüber zu wundern, wenn ein verständiges, völlig unbescholtenes Mädchen von vierunddreißig Jahren sich einen eigenen Heerd begründet, in die Oeffentlichkeit tritt, oder allein eine größere Reise unternimmt. Damals aber war es noch anders, und manchem Mädchen, das jetzt unangefochten seinen Weg gehen[362] kann, habe ich ihn mit nicht immer angenehmen Erfahrungen und manchem mich ermüdenden Axtschlag bahnen geholfen.

Glücklicher Weise hatte ich den felsenfesten Glauben an das sittliche Element im Menschen, den Glauben an mich selbst, und mit ihm das unwandelbare Vertrauen, daß eine Frau wie ich sich auf ihre Weise unter den guten und unter den sittlichen Menschen zu behaupten und durchzusetzen im Stande sein müsse. Ich war überzeugt, daß es möglich sein müsse, ohne heuchlerischen Schein den graden Weg zu gehen, und allmählich Anerkennung für sich selbst, und in der für sich selbst errungenen Freiheit und Anerkennung, auch für Andere ein Stück Freiheit zu gewinnen. Denn das ist das Schöne und das Ermuthigende an der Freiheit, daß Niemand sie für sich allein erkämpft. Ihr geringster Strahl leuchtet wie die Sonne, wo immer er durch das Dunkel bricht, für Alle, die sich in seinem Bereiche finden.

Eine Lehre aber hat jene Zeit mir ganz besonders gegeben, und sie ist gewiß vielen Personen zu Statten gekommen, mit denen ich in Berührung getreten bin, die Lehre: daß es eine hochmüthige Anmaßung ist, unaufgefordert Rath zu ertheilen, wenn man nicht zugleich entschlossen ist, mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln die Hülfe zu leisten, welche die Befolgung unseres Rathes nöthig macht. Rathgeber, die nicht zugleich ehrliche und beharrliche Helfer sind, soll man fliehen, denn sie sind oder werden in der Regel unsere Feinde, mögen wir ihnen folgen oder nicht, mag unsere Fügsamkeit oder unser Widerstand uns Vortheil oder Nachtheil bringen.[363]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 3, Berlin 1871, S. 349-364.
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