Sechster Brief

[53] Also, beharren Sie bei dem Vorsatz: was Sie können, zur Förderung der weiblichen Gewerbthätigkeit zu thun. An die Emancipation der Frauen zur Arbeit knüpft sich, nach meiner festen Ueberzeugung, eine veredelnde Neugestaltung aller unserer gesellschaftlichen Zustände; denn wir dürfen es uns nicht verhehlen, die Frauen sind hinter der Bildung der Männer ungemein zurückgeblieben. Man braucht nur darauf zu achten, mit welcher Hast sie sich zu jeder, auch zu der thörichtesten neuen Mode drängen, um zu wissen, daß das nicht die Frauen sind, welche den großen oder auch nur den ernsten Gedanken eines verständigen Mannes zu folgen, einem vernünftigen Manne die passende Gefährtin, einem heranwachsenden Geschlechte eine würdige und besonnene Führerin zu werden fähig sind.

Wir dürfen es fordern, daß man die Frauen zu Erwerb und Arbeit emancipirt, denn es steht zu erwarten, daß sie sich selber dadurch von einer Menge der Fehler emancipiren werden, die sie jetzt zu einer verständigen Auffassung des Lebens noch völlig ungeeignet[53] machen. Es sind der Müßiggang und die Geistesleere, welche eine große Anzahl Frauen zu einem spielenden Spielzeug heruntergedrückt haben; es sind die Kenntnißlosigkeit und die Noth, welche tausend andere ins Verderben stürzten, und es giebt gewiß nicht leicht eine wahrhaft tüchtige und gebildete Frau, welche von ihrem eigenen Geschlechte so niedrig denken könnte, daß sie anzunehmen im Stande wäre, die Frauen könnten durch eben dasjenige an ihrer Gesittung und an ihrer Würde Schaden nehmen, was sich für die Männer als ein Mittel der Erhebung bewährt hat – durch Aufklärung, durch Unterricht, durch Arbeit, durch einen ausreichenden Erwerb, und durch die aus diesen Vorbedingungen erwachsende freie Selbstbestimmung.

Den Männern hingegen, welche Mißtrauen gegen die Gewerbthätigkeit der Frauen hegen, weil sie befürchten, daß wir weniger liebende Gattinnen sein könnten, wenn wir in dem Gatten nicht auch den Ernährer sehen, daß wir weniger sorgliche Mütter sein möchten, wenn wir wissen, daß wir im Nothfall unsere Kinder selbst vor Mangel schützen könnten, muß man zu bedenken geben, daß ja im Gegentheile jene Empfindungen der Liebe nur um so reiner und tiefer – und dies bei allen Bildungsgraden – hervortreten können und hervortreten werden, wenn sie nicht durch den Hinblick auf des Lebens Nothdurft und das tägliche Brod beeinflußt werden.

Wenn ein Mädchen, das sich selbst ernähren kann,[54] sich mit einem Manne verbindet, so hat er eine ganz andere Bürgschaft für die freie Herzensneigung seiner Braut, als wenn er sich die Frage vorzulegen hat: welchen Antheil hat die Gewißheit, jetzt versorgt zu sein, an der Freude, mit der dies Mädchen mir sein Jawort giebt? – Und mit der Liebe für die Kinder ist es ganz dasselbe. Man begrüßt die Ankunft eines neuen Kindes in den Familien, deren Mittel beschränkt sind, wie Jedermann weiß, nicht mit Freuden; und ich habe manches zärtliche Frauenauge von dem neugebornen Kinde angstvoll auf den bleichen, von Arbeit niedergedrückten Gatten blicken sehen, das anders geleuchtet haben würde, hätte die Frau sich sagen können: »nun! wir sind unserer Zwei, für unser Kind zu sorgen!«

Man muß es erfahren haben, – und ich darf sagen, daß ich dies erfahren habe und noch jeden Tag erfahre, – welch ein Glück auch für eine Frau in einer wohlgebrauchten Selbständigkeit liegt, wie viel gewissenhafter die Freiheit macht, wie jede Empfindung durch sie an Reinheit und an Kraft gewinnt, um den Zweifel gegen die Emancipation der Frauen zur Arbeit als einen Frevel gegen die menschliche Natur zu betrachten.

Gehen Sie also getrost mit Ihrem höchst verdienstlichen Unternehmen vorwärts. Das Gute, das Vernünftige bricht sich immer seine Bahn, besonders wenn ihm die Nothwendigkeit, die Noth zu Hilfe kommen. Sie haben auch sicherlich, als Sie mich um meine Meinung[55] fragten, nicht erwartet, daß ich Ihnen neue Belege, neue Beweise für die Nothwendigkeit der Emancipation der Frauen zur Arbeit beibringen könnte. Größere als ich, die bedeutendsten Denker unserer Zeit, haben sich in ihren theoretischen Werken ausführlich und so erschöpfend über dieses Thema ausgesprochen, daß für den, der diese Schriften kennt, fast nichts mehr hinzuzusetzen bleibt. Aber für die Einsicht derer, welchen jene umfassende Schriften nicht zugänglich sind, und für die große Zahl jener Andern, welche zu sagen lieben: daß dies Alles in der Theorie recht schön, in der Praxis aber nicht ausführbar sei, oder daß es in der Praxis doch anders herauskomme – für diese ist es vielleicht von Nutzen, wenn eine Frau ihnen aus dem ziemlich weit reichenden Kreise ihrer persönlichen Erfahrungen immer und immer wieder die Beispiele vorhält, welche für diese gute Sache sprechen. Mehr habe ich in diesen Briefen nicht thun können, nicht thun wollen, und ich lege sie hiermit den Zweiflern wie den Zuversichtigen an's Herz.

Halten wir nur das Eine fest: die Gewerbeschulen, wie sie jetzt eingerichtet werden, sind die ersten unerläßlichen Anfänge für die Aufgabe, welche vor uns liegt. Die Mädchen, welche sich in diesen und durch diese Gewerbeschulen auch nur eine Stufe über den Boden ihrer bisherigen Lebensbedingungen emporschwingen, leisten nicht nur sich selber, sondern der günstigen Fortentwickelung unserer gesammten Zustände einen wesentlichen Dienst.[56]

Diejenigen nicht bemittelten und doch den gebildeten Ständen angehörenden Familien, deren Geist frei genug ist, ihren Töchtern die Freiheit der Arbeit zu gewähren, thun ein wahrhaft verdienstliches Werk; und diejenigen jungen gebildeten und gesitteten Frauenzimmer der sogenannten höheren Stände, die sich selber zur Arbeit bequemen und durch ihr Wohlverhalten darthun, daß die Seelenreinheit und die Sittlichkeit eines Mädchens nicht die Frucht der Abhängigkeit sind, zu welcher die Erwerblosigkeit die Frauen verdammte, leisten der Menschheit einen ähnlichen Dienst, als wenn sie plötzlich einen fruchtbaren und völlig in Cultur stehenden Erdtheil für die Hungerleidenden entdeckten.

Aber – die Frauen, welche nicht arbeiten, welche sich dem Genusse einer freien Muße überlassen dürfen, diese Frauen, ich wiederhole es, haben auch das Ihrige für die Emancipation der Frauen zu leisten, die in anderem Sinne und vielleicht einst in weit ausgedehnterem Maßstabe auch ihnen in späteren Zeiten zu gute kommen wird. Die nichtarbeitenden Frauen sind den arbeitenden dieselbe volle Anerkennung schuldig, welche der nicht arbeitende Mann dem arbeitenden und gewerbtreibenden Manne entgegenbringt. Die Frauen selber müssen es anerkennen, daß die Arbeit und die Selbständigkeit jedem Geschlechte zur Ehre gereichen. Thun sie dieses nicht – nun so verdienen sie die stumpfe Glückseligkeit des Harems, aber sie verdienen es dann allerdings nicht, in einer Zeit[57] zu leben, die endlich anfängt, jene großen Culturgedanken in sich zur Ausführung zu bringen, deren Emporkommen und Gedeihen nur zu lange durch Beschränktheit und blinde Vorurtheile zurückgehalten worden sind. Denn Sie kennen ja das Wort: plus les gens sont bornés, plus ils aiment à rire de ceux qui montrent du bon sens. (Je beschränkter die Menschen sind, um so mehr lieben sie über Diejenigen zu lachen, die gesunde Vernunft besitzen.)

Also getrost vorwärts! und empfangen Sie meine besten Wünsche für das Gedeihen aller Ihrer Bestrebungen.[58]

Quelle:
Fanny Lewald: Für und wider die Frauen. Berlin 1870, S. 53-59.
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