Zehntes Capitel

[85] Thalberg an den Hauptmann v. Feld.


Den 18. December.


Du hast wahr prophezeit, mein Freund, ich bin noch immer in Berlin und bleibe wol auch noch einige Zeit hier. Was soll ich auch am Ende jetzt in Hochberg beginnen? Ich sitze dort an den langen Winterabenden allein, grüble über Gott und Menschen und reformire die Welt in Gedanken, ohne daß damit in der Wirklichkeit das Geringste gebessert wird. Augenblicklich bin ich auf meinen Gütern gar nicht beschäftigt; meine Anordnungen für die Ausführung meiner Zwecke sind getroffen und müssen nun ruhig fortwachsen, ungestört, um zu gedeihen. Meine Geschäfte besorgt mein Verwalter, auf den ich mich verlassen kann, und ich habe ihm heute die nöthigen Befehle zukommen lassen, mit der Weisung, daß ich die Weihnachtszeit, ja vielleicht den ganzen Winter hier zubringen würde, und daß er mir mein Reitpferd und ein Paar Schlittenpferde herschicken solle. Ich behalte mein Coupee, das ich zur Reise benutzte, hier und habe gestern einen Schlitten gekauft, der Dir sehr gefallen würde.

Ich habe mir nun hier ein Quartier genommen, mich häuslich eingerichtet, die alten Verbindungen erneut und[85] finde mich wieder einmal ganz heimisch in Berlin. Die Abende, welche nicht durch bestimmte Einladungen besetzt sind, bringe ich häufig bei Geheimrath von Meining zu, wo in kleinem Zirkel die Zeit auf das Angenehmste vergeht. Sehr viel trägt dazu die Geheimräthin bei. Sie ist voller Geist und Gefühl; anregend, wie keine Andere; dabei die angenehmste Haltung und eine Höflichkeit, die bei ihr aus dem Herzen kommt. Alles um sie her ist Grazie und weibliche Eleganz! Mich dünkt oft, wenn ich ihren Hut oder ihren Handschuh liegen sehe, ich müßte ihn aus hundert andern als den ihren erkennen. Es ist ein Zauber von Weiblichkeit und Reinheit in Allem, was zu ihr gehört; und obgleich ihr Haus ganz nach dem jetzigen Geschmack eingerichtet ist, sieht es doch vollkommen anders aus, als bei den Uebrigen. Mir wenigstens wird schon behaglich und heimisch, wenn ich im Vorzimmer den Duft von Reseda bemerke, den sie sehr liebt und der ihre Zimmer erfüllt. Wenn ich mir denke, daß diese schöne junge Frau dem alten Manne gehört, den sie doch nur wie ihren Vater lieben kann, thut sie mir immer leid; und ich gestehe Dir, mir ist oft der Gedanke gekommen, ich hätte ein Unrecht gegen sie gut zu machen, und sie wäre glücklicher gewesen, wenn sie mein geworden wäre. Fände ich eine Frau, die ihr gliche, in deren Seele ich so klar lesen könnte und die mich so vollkommen verstände, als sie, ich glaube, dann entschlösse ich mich doch zur Ehe. Daß mein einsames Leben auf Hochberg im Grunde traurig ist, das fange ich erst hier wieder zu fühlen an.

Du siehst, Dein guter Rath von neulich trägt vielleicht noch seine Früchte; willst Du ihn aber wirksam[86] unterstützen, so benutze die treffliche Schlittenbahn, mich hier zu besuchen. Ich habe hinlänglich Platz für uns Beide.


Derselbe an Denselben.


Am zweiten Weihnachtstage.


Ich kam gestern Abend zu Clementinen, um sie zu bitten, morgen bei einer Schlittenpartie, die wir am Vormittage bei Frau von Stein verabredet hatten, meine Dame zu sein. Es war etwa sechs Uhr. Der Diener, der mich melden ging, sagte mir gleich, Herr Geheimrath hätte außer dem Hause gespeist, die gnädige Frau sei zu Hause, aber er zweifle, daß sie mich annehmen würde. Dabei that er so geheimnißvoll, lächelte so pfiffig, daß ich neugierig wurde und ihm bis in den kleinen Eßsaal folgte, der nur noch durch Clementinen's Wohnzimmer von ihrem Arbeitskabinet getrennt ist, das ich noch nicht kannte. Im Wohnzimmer brannte nur eine matte Lampe, und da der Diener nicht ahnte, daß ich ihm durch die dunkle Zimmerreihe gefolgt war, ließ er die Thüre offen, so daß ich den reizendsten Anblick von der Welt hatte. Ich sah in ein höchst zierliches, kleines Gemach, mit grüner Seide tapeziert. Gegen das Fenster hin brannte ein Weihnachtsbaum mit seinen bunten Lichtern, eine Menge Spielzeug lag schon zerstreut umher, und ich hörte das jubelnde Lachen von Kinderstimmen, ehe ich die Kleinen sah. Eine der kleinen Stimmen rief grade: Aber Tante Clementine! Du hältst ja gar nicht still!

Endlich sah ich Clementine. Sie lag in einer grünen Couchette, die vor dem Kamin stand, und hielt ein schönes,[87] zweijähriges Mädchen in den Armen. Zwei ältere Mädchen, etwa fünf- und siebenjährig, waren um sie beschäftigt, das eine ihr das Haar aufzuflechten, das andere ihr eine Masse von Corallen, die auf einem Tische vor ihnen lagen, umzubinden. Es war ein wundervolles Bild! Clementine war schöner, als ich sie je zuvor gesehen. Das schwarze Haar hing in aufgelösten Wellen herab, gemischt mit dicken Corallenschnüren, von denen ihr einige wie eine Binde über der Stirne lagen. Die Kinder hatten ihr die Aermel zurückgeschlagen, das Tuch abgebunden und sie mit mancherlei Schmuck behängt, den sie ihnen zum Spiele gegeben hatte. Hände, Hals und Arme waren marmorklar in der Beleuchtung und das fein geröthete Gesicht bezaubernd in dem Ausdruck von Glück, der aus ihren Augen strahlte.

Sie erhob sich, als ich gemeldet wurde, rasch von ihrem Divan, und gab dem Diener den Befehl, mich in ihr Wohnzimmer zu führen; sie würde gleich bereit sein, mich zu sehen. Die Thüren wurden zugemacht, ich ging schnell von meinem Lauscherposten zurück und wurde nach einigen Augenblicken in das Cabinet geführt, das einen ganz veränderten Anblick gewonnen hatte.

Die zerstreuten Spielsachen waren einigermaßen geordnet, die beiden größern Mädchen spielten seitwärts an dem Weihnachtsbaume, und nur das kleinste saß bei Clementine auf dem Divan. Sie selbst hatte in der Eile eine Haube aufgesetzt, sich in eine große, schwarze Mantille gewickelt und kam mir mit den Worten entgegen: Entschuldigen Sie es, daß ich Sie hier in der Unordnung empfange; ich habe mir aber für den heutigen Abend diese kleinen[88] Gäste geladen und muß nun zusehen, daß sie keinen Schaden bei den Lichtern nehmen. Sie hielt das Kind, das sich ängstlich an sie schmiegte, auf dem Arme, während sie stand; nöthigte mich dann zum Sitzen und fragte nach meinem Begehr. Ich war so entzückt über die Scene, daß ich eigentlich Nichts begehrte, als sie anzusehen; die Schlittenfahrt hatte ich fast vergessen. Ich fragte, wer die Kinder wären, und erfuhr, es wären die Töchter einer Familie, die in dem Hause wohne und ihr die Kinder bisweilen überlasse. Es sind meine Gäste, fügte sie hinzu, wenn Meining nicht zu Hause ist, dem sie zu viel Geräusch machen, und ich habe sie mir heute geladen, um ihnen mit einem Weihnachtsbaume die Freude zu vergelten, die ich ihnen oft verdanke. Jetzt im Winter, wo die Natur uns keine Blume bietet, sind das meine lieben Pflänzchen, deren Wachsen und Gedeihen mich unsäglich freut. Sie glauben nicht, wie gut und wie gescheut solch ein unverdorbenes Kind ist. Halb mit mir, halb mit den Kindern beschäftigt, sprach sie abwechselnd scherzend mit ihnen und mit mir.

Ich hätte stundenlang so sitzen mögen. Plötzlich merkten wir ein helleres Aufflammen der Weihnachtslichter. Clementine, die sehr ängstlich besorgt für die Kinder schien, bat mich, die untern Lichter, an welche die Kinder reichen könnten, auszulöschen. Ich that es und nahm nun auch die beiden größern Mädchen zu uns hin. Nun ging es an ein Plaudern: Tante! wer ist der Herr? Ist das auch ein Onkel? Clementine bejahte die Frage und nannte meinen Namen. Warum bist Du nicht immer hier, Onkel? – Weil ich nicht immer hier sein darf. – Hast Du[89] denn die Tante Clementine nicht lieb? – O! sehr, sehr lieb! rief ich hingerissen aus. – Kannst Du uns denn leiden? fragte die kleine Emma, unsre Wärterin sagt, der Onkel Geheimrath könne uns nicht leiden, weil er schon so alt ist. – Tante, unterbrach Röschen, behalte lieber diesen Onkel hier und schicke den alten Onkel Meining fort. Ja! Tante! thue das, dieser Onkel, der ist so schön und freundlich wie Du bist, schick' den alten Onkel fort! – Das Alles schwatzten die kleinen Dinger so schnell durch einander, daß man gar nicht Einhalt thun konnte.

Clementine wurde roth, und Thränen, die sie mir verbergen wollte, traten ihr in die Augen, als sie sich rasch zu Emma bückte. Schäme Dich, sagte sie, daß Du so von dem guten Onkel Meining sprichst. Wenn Du ihn nicht lieb hast, dann kann ich Dir auch nicht gut sein, und Du darfst nicht wiederkommen, Du böses Kind! Ihre Stimme bebte, ich fühlte, was sich in ihr regte, und ich hätte ihr dies Leiden mit meinem ganzen Sein vergelten mögen; denn, was soll ich es Dir verbergen – ich liebe Clementine.

Wie spielt das Leben mit uns, mein Freund! und wie wenig verstehen wir unser Glück. Diese Frau war einst von Herzen mein, und ich konnte sie verschmähen; sie liebt mich noch, und ich kann sie nicht besitzen. Ich habe ihr Leben zerstört, das fühle ich, und die Rache bleibt nicht aus; denn jetzt erst weiß ich, daß ich Nichts mehr vom Leben zu erwarten habe. Wie war es möglich, daß ich diese Liebe verkannte? Sie ist das einzige, wahre Gefühl meines Herzens gewesen, und ich selbst habe mich[90] um mein Glück gebracht. Ihr und mein Unglück habe ich selbst bereitet.

Um ihr nicht zu sagen: ich bete Dich an! um ihr nicht zu Füßen zu fallen, stand ich auf und brachte meine Schlittenfahrt in Vorschlag. Clementine lehnte sie entschieden ab, da ihr Mann an dergleichen keinen Theil nähme und sie, ohne ihn, solche Partien nicht mitmache. Ich bekam einen Dank und empfahl mich – ein unvergeßliches Bild in der Seele.

Aber es ist mir lieb, sehr lieb, daß sie nicht mit mir fährt; sie hat Recht, sie soll Alles vermeiden, was sie dem Schatten eines Vorwurfs aussetzen könnte. Grade weil ich sie liebe, will ich selbst über sie wachen; ja fast könnte ich wünschen, sie liebte mich nicht mehr, damit der reine Friede ihres Herzens nicht getrübt werde – und doch scheint mir das Leben sehr arm ohne das Bewußtsein ihrer Liebe.

Daß ich bleibe, bedarf nun keiner weiteren Bestätigung mehr.


Der Hauptmann an Robert.


Den 27. December.


Sage mir, was fängst Du an? Wirst Du denn niemals Ruhe finden? Denkst Du nicht mehr, daß Du Brigitte eben so heiß geliebt, daß sie Dir auch das vollkommenste der Weiber dünkte? Rede mir nicht mehr davon, daß Du noch bleiben willst; wenn Dir Clementinen's Ruhe und Ehre werth sind, eile sie zu verlassen, ehe es für Euch Beide zu spät wird. Grade weil ich überzeugt[91] bin, daß Clementine nie einen Andern liebte, als Dich, weil auch ich glaube, daß nur Vernunft und Pflicht sie an ihren Mann fesseln, weil ich ihre und Deine Leidenschaftlichkeit kenne und fürchte, grade darum mußt Du fort.

Und was willst Du? Sie zwingen, noch unglücklicher zu werden, als sie es vielleicht schon ist? Vielleicht war es nur ihr reines Bewußtsein, das sie bisher aufrecht erhielt, willst Du ihr das rauben? Willst Du die Ehre ihres Mannes, der Dich gastlich aufgenommen, ihren häuslichen Frieden, Deinen Wünschen opfern? Du wirst es thun, aber sage mir nie mehr, daß Du Clementine geliebt hast.


Robert an den Hauptmann.


Den 29. December.


Deinen Brief habe ich erhalten, lieber Feld! Deine Vorwürfe vergebe ich Dir, weil ich sie nicht verdiene. Clementine ist mir heilig wie meine Ehre. Wie kannst Du aber Brigitten's nur erwähnen, im Vergleich zu Clementinen? Jetzt fühle ich es mehr als je, daß nur Sinnlichkeit und Verblendung mich an Brigitte fesselten. Als ich sie zuerst sah, als der entzückte, stürmische Beifall des Publikums sie über sich selbst erhob und sie alle Leidenschaften, die das Herz der Orsina durchtobten, selbst zu fühlen schien, und nun dastand, ruhend in sich, abgeschlossen, fest und groß, mitten in einer untergehenden Welt, erschien sie mir so gewaltig, daß es mich trieb, dies Weib kennen zu lernen. Ich fand in ihr, was ich erwartet hatte, einen großen Charakter, ein glühendes Herz, versunken[92] im Strudel des Lebens. Stunden des leidenschaftlichsten Entzückens hat sie mir gegeben. Liebe bedurfte sie nicht, flößte sie nicht ein. Ich war eitel darauf, sie zu besitzen, die Alle mir beneideten; ich freute mich ihrer und schwelgte wie sie in ihren Triumphen. Wenn die Blicke der staunenden Menge trunken an ihr hingen und ihr kühnes Auge nur mich suchte, dann habe ich ein eigenthümliches Glück empfunden. Es liegt ein großer Reiz in der Hingebung einer Frau, die der Bühne, der Welt angehört. Sie regte meine Phantasie mächtig an, meine Sinne waren in dem höchsten Aufruhr, ich war außer mir. Ich hätte sie und den Grafen ermorden können, als sie mit ihm entfloh – ich hätte mit ihr die Welt durchziehen, mich mit ihr vernichten mögen; aber nie ist es mir eingefallen, niemals, sie mir als meine Hausfrau zu denken, wie Clementine mir ewig vor Augen steht. Wäre Brigitte mir treu gewesen, ich hätte vielleicht nie an Haus und Weib gedacht, sie hätte mich fortgerissen. An ihr unstätes Leben gekettet, hätte ich mich über mich selbst, über sie, über Alles noch lange, wer weiß, ob nicht fast für immer getäuscht; denn sie war eine Titanennatur, der man schwer widerstand. Nun aber! Hättest Du Clementine, die schöne Geliebte meiner ersten Jugend, gesehen wie ich, in der züchtigen Haube, die Kinder um sie her und sie selbst ein frohes Kind mit ihnen: Du würdest wie ich keinen andern Gedanken haben, als sie. Wenn ich sie mir denke, als mein Weib, mit meinem Kinde, in den Zimmern meines Schlosses – ich wäre der seligste Mensch geworden. Ach! »ich wollte unendlich glücklich sein oder unendlich elend – und jetzo bin ich elend.«[93]

Sie verlassen kann ich nicht; genug, daß sie sich mir entzieht, so viel sie kann, daß ich sie fast nur in Gesellschaft sehe. Ich weiß es ihr Dank, daß sie mich flieht; denn grade ihre Sittenreinheit ist es, die ich an ihr liebe. Und doch bleibe ich in Ihrer sanften Nähe. Ich weiß, sie und ich, wir haben Beide keine Hoffnung auf Glück, als das, uns in flüchtigen Momenten zu begegnen, die abzukürzen ich nicht den Muth habe. Denke von mir, was Du willst; ich bleibe.[94]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 8, Berlin 1872, S. 85-95.
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