Vierzehntes Capitel

[119] Aus Clementinen's Tagebuch.


Den 27. Februar. Gott Lob! Der erste Tag ist vorüber! und noch ein Tag und noch einer, so geht das Leben hin. Armer Meining! sollst Du es büßen, daß Du mich lieb hast, mir vertraust? Soll das der Lohn Deiner Arbeit, die Freude Deines Alters sein, daß Dich in Deinem Hause ein kränkelndes, mißmüthiges Geschöpf empfängt? Und wie gut er ist, wie er für mich sorgt; und wie elend ich's ihm danke! Nur zur Pein lebe ich noch in der Welt, mir und Allen. Wenn Robert – fort, fort mit den Gedanken. Ich bin Meining's Frau, sein Glück, sein Wohl allein dürfen mein Ziel sein, und Gott wird mir die Kraft geben, es zu erreichen, wenn er sieht, wie ernst ich danach ringe.

Den 3. März. Ich bin wohler, Meining ist ruhig über mich. Es kann, es wird Alles noch gut werden, und warum sollte es nicht? Konnte ich dafür, wenn ein Gefühl, welches ich nicht absichtlich hervorrief, sich nicht gleich unterdrücken ließ und mich beherrschte? Habe ich nicht Alles versucht, was mir Pflicht und Recht geboten? Nun ist es vorüber, er ist fort. Auch er wird seinen Frieden wiederfinden und wird glücklich werden. Ich? – Ich muß es ja sein, weil ich nicht mir selbst gehöre.[119]

Im Landhause, den 2. April. So wäre ich denn hier eingerichtet! Krank, traurig und müde! o! so müde! Es gibt Leiden, die den meisten Menschen glücklicher Weise unbekannt bleiben. Nicht alt zu sein, und hoffnungslos in das Leben zu blicken, ohne Aussicht, ohne Wunsch für die Zukunft, nicht einmal den, daß es jemals anders werden möge. Wo ist die erste, frohe Jugendzeit hin, in der ich reich an Muth, an Lust, und so überreich an Liebe in das Leben sah? Ich fühlte mich glücklich in der Liebe meines Vaters, kein andres Gefühl in meiner Seele, als ihm Freude zu machen und gut zu sein, um des Guten willen. Damals, es war, ehe ich Robert kannte, war ich frei! Frei? wenn ich es endlich würde, wenn mein Tod endlich diesem Elend ein Ende machte – das wäre das Einzige, was ich wünschen darf, was ich wünsche. Dann würden Meining und auch Robert freundlich mein gedenken, und ich schliefe still, wie mein müdes Herz es fordert.

Den 10. April. Die Welt ist so schön, Alles scheint glücklich, warum kann ich es nicht sein? Dadurch kommt oft ein Gefühl von Bitterkeit in mein Herz, das mich erschreckt. Der Vogel darf glücklich und fröhlich von Blatt zu Blatt fliegen, die Blume findet Sonne und Regen, so viel sie bedarf, um schön zu erblühen; nur ich entbehre Das, was mein Dasein zum Leben machen könnte. Wenn ich Abends hinaufsehe zu dem Firmament und die Milliarden Sterne in seliger Ruhe ihre ewige Bahn durch leuchten, so begreife ich nicht, wie nicht Einer von all den Sternen Mitleid fühlt mit mir, warum nicht Einer herunterkommt, mich zu trösten, oder warum er nicht heller hervorleuchtet, um mir ein Zeichen zu geben,[120] daß er mich versteht, daß er mein Leiden, mein Sehnen, mein Verzagen kennt. Hätte ich meine Mutter noch, der ich Alles klagen durfte, die würde mich nicht so kalt, so streng an meine Pflicht verweisen, als die Tante; sie würde ihr müdes Kind ausweinen lassen an ihrer Brust, sie würde mit mir weinen, würde mich bedauern.

Pflicht! – Hat denn irgend ein Geschöpf außer dem Menschen eine andre Pflicht, als glücklich zu werden? Freilich aber ist nur der Mensch in seinem wahnsinnigen Dünkel so selbstvermessen, sich Pflichten zu schaffen, die zu erfüllen ihm fast unmöglich ist.

Den 27. April. Nach mehrtägigem Ueberlegen und Zaudern hat Meining sich entschlossen, mit dem Prinzen zu gehen, und ist heute abgereist. Der Prinz hat dringend seine Begleitung gefordert, und er hat sie nicht ablehnen dürfen. Ich habe ihm angeboten, nachzufolgen, damit wir am Ziel der Reise zusammenträfen; ich wäre dann mit Marianne und ihrem Manne bis Wien gegangen und hätte den übrigen Theil der Reise allein mit meinem Mädchen und dem Diener meines Mannes fortgesetzt. Vielleicht hätte mir die Zerstreuung wohlgethan; hauptsächlich hoffte ich aber Meining damit eine Freude zu machen, wenn er mich bald wieder um sich hätte, wenn er in G.... seine Häuslichkeit wieder fände, wo der Prinz sechs bis acht Wochen die Cur gebrauchen muß. Meining hat es aber nicht gewünscht, weil er glaubt, ich würde die Luft dort nicht ertragen können. Nun ist er abgereist und hat mit rührender Innigkeit mich mir selbst empfohlen. Ich solle mich schonen, wie ich sein Leben schonen würde, mich pflegen, mich zerstreuen, damit er[121] mich gesund und froh wiederfände, denn ich sei sein höchstes Gut! – Wie mich das gedemüthigt hat! Ich weinte vor Scham, und Meining glaubte, daß meine Thränen nur dem Abschiede von ihm galten – ich täusche ihn mit jedem Athemzuge! Elendes Dasein! Wenn er mein Vater wäre, wie könnte ich ihn lieben, ihn, der so gut, so gut ist; wie zufrieden würde er mit dem Gefühl von Verehrung sein, das ich für ihn hege, wie würde er sich der Liebe seiner Tochter für Thalberg, den er so hoch hält, erfreuen. Jetzt aber!

Den 4. Mai. Ich fühle mich freier, besser in Meining's Abwesenheit, weil ich mich nicht, wie ein harter Aufseher den widerspenstigen Sklaven, in jedem Augenblick zu bewachen, zu strafen habe, weil ich nicht, wie ein feiger Sklave, Herz und Geist verstellen muß. Auch die vollkommene Stille um mich her thut mir sehr wohl. Ich überschreite die Schwelle unsers Gartens kaum, ich ziehe mich ganz in mich selbst zurück, und es scheint mir, als ob dadurch mehr Klarheit und Friede in mein Gemüth käme. Aber noch einmal, nur noch einmal möchte ich ihn sehen, nur noch ein einziges Mal ihn sprechen! Und wozu? frage ich mich dann wieder. Könnte ich unter diesen schönen, säuselnden Bäumen schlafen, immerfort schlafen – bis zu Meining's Rückkehr; tief, tief schlafen und dann erwachen, und die ganze Vergangenheit wäre mir entschwunden, wie das Bewußtsein eines bösen Traumes, wenn man früh die Augen aufschlägt und der liebe, helle Tag fröhlich durch die Fenster grüßt.

Den 5. Mai. Die Tante kommt noch immer nicht,[122] obgleich ich sie nochmals darum bat. Erst im Juni darf ich sie erwarten.

Den 8. Mai. Schon seit Tagen kommt wieder kein Gedanke in mir auf, als der an Robert. Ich kann sein Bild nicht aus meinem Herzen bannen, in dessen Pulsschlägen es seit meiner Kindheit lebt. Leben und ihn lieben ist mir Eins – wie konnte ich jemals wähnen, ich würde aufhören, ihn zu lieben? Wie hat man versuchen dürfen, mich zu einer Heirath zu überreden? Ich habe in der Zeit, die meiner Verlobung folgte, selbst geglaubt, ich müsse ihn einst ruhig wieder sehen können, weil er mein Herz, meinen Stolz so tief gekränkt hat, ich würde ihn deshalb nicht mehr lieben. Thörichter Wahn! Jedes andre Empfinden ist ohnmächtig gegen die Liebe. Sie ist Alles: Demuth, Hingebung, Selbstverläugnung, Geist, Wahrheit und Stolz; aber nur Stolz auf den Besitz des Geliebten, Stolz auf das Glück, von ihm gewählt zu sein. Das Alles habe ich selbst in mir vernichtet und keine Möglichkeit, es jemals zu ändern. Nun fühle ich die Folgen dieses Schrittes an der innern Zerstörtheit meines Daseins. Mit aller Gluth der Seele zieht es mich zu dem Geliebten, ich möchte ihn nur einmal sehen, nur den Ton seiner Stimme hören – ach und an seinem Herzen alles Elend vergessen und weinen.

Den 12. Mai. Er ist wieder hier; hier, in meiner Nähe. Ich habe seine Stimme im Vorzimmer nach mir fragen hören, ich sah ihn durch den Garten zurückkehren und hinaufblicken nach meinen Fenstern. Das ist Glück! Das ist Sonne und Frühling! Er hat mir geschrieben, und ich habe den Brief uneröffnet zurückgesandt; ich hätte[123] es nicht thun sollen. Und doch! Weiß ich nicht, was er schreibt, was er begehrt, und kann ich es gewähren? Auch seinen Besuch habe ich abgelehnt. Wie einen Ueberlästigen habe ich ihn abweisen lassen. Wie wird er lächeln über die Feigheit, die sich nur sicher fühlt hinter gewaltsamem Schutz, wie verächtlich wird sie ihm erscheinen. Ich habe verboten, mir irgend einen Besuch zu melden, weil ich Robert allein nicht zurückweisen konnte. Mehr vermag ich nicht. Alle meine Gedanken sind auf ihn gerichtet, mein Herz verlangt ihn, die Sehnsucht ist zum körperlichen Schmerz geworden; ich fühle mich der Verzweiflung, dem Wahnsinn nahe, so verwirren sich meine Gedanken. Ich möchte zu ihm eilen, ich möchte ihm sagen, wie ich ihn liebe. – Ich! die dreißigjährige Frau, das Weib eines Andern!


Robert an den Hauptmann v. Feld.


Berlin, den 16. Mai.


Ich hielt es nicht länger aus in Hochberg, und bin wieder hier. Man hatte mir zufällig geschrieben, daß Clementine krank sei, daß ein Nervenleiden ihr Leben zu bedrohen scheine. Da litt es mich nicht länger dort, ich mußte sie sehen, ich eilte hieher. Begreifst Du es, mein Freund? Sie leidet, sie stirbt, und ich, ich trage daran die Schuld, wenn ich sie und mich nicht rette. Nun bin ich acht Tage hier, bin täglich bei ihr gewesen, aber niemals angenommen worden. Es hieß, sie sei zu angegriffen, um Besuche anzunehmen. Was ich auch that, sie zu sehen, Alles war vergeblich, und es gibt Stunden, in[124] denen ich trotz ihres Verbotes in ihr Zimmer dringen, und von ihr fordern möchte, mir nach Hochberg zu folgen, und die Meine zu werden. Ich weiß es, ich fühle es an meiner Liebe für sie, daß sie mich liebt, daß sie für Meining nur kindliche Verehrung hat; warum sollen wir es büßen, daß sie sich unwürdige Fesseln anlegen ließ, die sie und mich erdrücken? Was kann der alte Mann an ihr lieben? Er, der es nicht weiß, was ihr reiches Herz bedarf, wie es geliebt werden muß, wie es zu lieben vermag. Und grade jetzt kann und muß ich sie sprechen, mich mit ihr verständigen, denn Meining ist nicht hier.

Heute habe ich ihr geschrieben; sie hat selbstquälerisch meinen Brief ungelesen zurückgesandt. Ich möchte ihr die Qualen, die sie sich vergrößert, ersparen, und kann es nicht. Sie muß sie durchkämpfen, wie ich es that, um später die Ruhe in sich zu finden, deren sie bedarf. Sie muß es fühlen, wie ich, daß unsre Verbindung eine innere Nothwendigkeit ist, der zu widerstehen eine Thorheit, eine Sünde ist. Waren je zwei Wesen für einander geschaffen, so ist sie es für mich; ich könnte sagen, sie sei mein anderes Ich, so finde ich mein Denken in ihr wieder, so theile ich jedes ihrer Gefühle; und doch drückt es Das nicht aus, was wir einander sind. Plato hat Recht, die Natur schuf den Menschen und trennte ihn in Mann und Weib, damit beide Theile nach Vereinigung streben und ein doppelt glückliches Ganze werden, wenn sie nach schmerzlichem Entbehren sich zusammenfinden und harmonisch vollendet in Eins verschmelzen. Sie ist mein, ein Theil meines Selbst, das ich nicht aufgeben kann, feige, wie der Selbstmörder sein Leben von sich wirft;[125] sie ist die Liebe, der Duft, das Licht meiner Seele, der zarte Wiederhall alles Großen, das ich gedacht – sie war einst mein, sie soll es wieder werden.

Wende mir nicht ein, daß ich selbst sie aufgegeben habe; ich hatte sie vernachlässigt, wir hatten uns vom Wege verirrt, uns verloren; aber früh oder spät mußten wir uns wiederfinden, wie es geschehen ist, weil wir Eins sind. Nichts, selbst ihr eigner Wille nicht, soll sie mir jetzt entreißen. Ich will mein Glück um jeden Preis! Ich will es nicht selbstsüchtig wie ein wilder Jüngling; ich will es, mit der ruhigen, ernsten Ueberzeugung des Mannes von Meining fordern und von ihr selbst, weil mein Glück das ihre ist und ihr Leben rettet.

Warum weiset sie mich ab? Kann sie mich fürchten? So klein ist Clementine nicht, so gering kann sie von mir nicht denken. Glaubt sie mich zu überreden, daß es ihr gelingen werde, mich für Meining zu opfern, der mir mein Eigenthum, mein Leben geraubt hat? Nimmermehr! Hätte ich sie nur gesprochen! Aber ich kenne ihre Ueberspannung, ihre übertriebene Gewissenhaftigkeit. Freiwillig wird sie mir die Gunst des Wiedersehens nicht gewähren, und Niemand ist hier, bei dem ich sie treffen könnte. Marianne und Frau von Stein sind beide bereits verreist; sie verläßt ihr Haus nicht, seit Meining abwesend ist, ich habe also keine Wahl. Denke an mich. In wenig Stunden wird mein Loos – ich hoffe es – zu meinem Glück entschieden sein.[126]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 8, Berlin 1872, S. 119-127.
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