I

[5] Alfred von Reichenbach, ein Mann in der Mitte der dreißiger Jahre, saß eifrig arbeitend vor dem Schreibtische in seinem Studirzimmer, das, nach den aufgestellten Bücherschränken, Büsten und Bildern zu urtheilen, auf einen Besitzer schließen ließ, der Wissenschaften und Künste liebte und über die Mittel gebot, seinen Neigungen Befriedigung zu verschaffen.

Die mächtigen Bäume, welche sein Schloß umgaben, die geschlossenen Jalousien, verbreiteten eine milde Dämmerung in dem Zimmer und trotz der drückenden Wärme eines Sommerabends war es hier frisch und luftig. Eine tiefe Stille herrschte in dem Gemach, nur unterbrochen von dem leisen Geräusch, welches Alfred's Feder auf dem Papier verursachte. Er schrieb mit wachsender Schnelle und sein Gesicht zeigte den Ausdruck jener freudigen Begeisterung, den das Gelingen einer Arbeit hervorruft.

Da öffnete eine stattliche blonde Frau die Thüre und sagte: es ist drüben so warm in den Stuben, daß man es nicht ertragen kann, ich werde mich mit meiner Arbeit zu Dir setzen.

Es war die Frau des Schloßherrn. Er schreckte aus seinen Gedanken empor, sah sie zerstreut einen Augenblick an, nickte mit dem Kopfe und arbeitete emsig weiter.

Frau von Reichenbach beachtete das nicht. Sie schob mit Geräusch einen Tisch an das Fenster, rückte einen Stuhl zurecht[5] und zog eine Tapisserie-Arbeit aus ihrem Nähkorbe, wobei Scheere und andere Geräthschaften klappernd zur Erde fielen. Alfred fuhr beunruhigt mehrmals mit der Hand über die Stirn, hielt im Schreiben an, überlas das Fertige, wollte weiter arbeiten, aber er war zerstreut worden, konnte dieselbe Gedankenreihe nicht finden und das Schaffen schritt langsamer vorwärts.

Nimm's nicht übel, Alfred! rief die Nähende nach einer kurzen Pause, es ist aber förmlich Nacht in Deiner Stube, ich muß die Jalousien öffnen, ich kann das Muster hier nicht zählen.

Die Jalousien, von ihr losgehakt, flogen zurück, das blendende Licht der untergehenden Sonne fiel plötzlich strahlend in das Zimmer, und mißmuthig sagte Alfred: Du weißt, Caroline, wie peinlich und störend mir solch grelles Licht ist, wenn ich arbeite.

Was soll ich aber thun, wenn ich die Stiche nicht zählen kann? wiederholte sie, und fragte bald darauf: Hast Du davon gehört, daß des Inspectors Tochter eine Liebschaft mit einem Studenten hat, seit sie den Winter in der Stadt war?

Laß mich arbeiten, meine Liebe! bat Alfred, ich möchte das Kapitel gern beendigen.

Caroline schwieg einige Zeit, Alfred's Feder bewegte sich wieder schneller, da bog seine Frau sich weit aus dem geöffneten Fenster hinaus, und rief einem im Hofe beschäftigten Mädchen in scheltendem Tone die Worte zu: Die Röcke sollen ein für allemal nicht mit Nadeln an den Trockenschnüren befestigt werden; wie oft soll ich das sagen?

Alfred stand ungeduldig auf, murmelte leise: Ganz unerträglich! nahm sich dann aber zusammen und fragte ruhig: Wo ist Felix?

Er spielt im Garten.

So laß uns auch hinabgehen.[6]

Jetzt? in dieser Hitze?

In den Alleen ist's schon schattig.

Aber Du wolltest ja arbeiten? meinte Caroline. Wie kann man so launenhaft sein! Du hattest mir beim Kaffee ausdrücklich gesagt, wir sollten Dich nicht stören.

Deshalb kamst Du wohl herein und plaudertest unaufhörlich? sagte Alfred im Tone eines freundlichen Vorwurfs. Sie schickte sich zu einer Entgegnung an, aber er wiederholte seinen Wunsch, zu dem Sohne hinabzugehen, und bald darauf finden wir die Eheleute in den stattlichen Alleen des Gartens wieder.

Der schöne, zehnjährige Felix sprang den Eltern froh entgegen, ward von dem Vater geliebkoset und fing an, von seinen Spielen, von seinen Hunden und von dem Kutscher zu erzählen, während sie durch den Laubgang vorwärtsschritten. Plötzlich hielt der Knabe in seinen Berichten inne, sah dem Vater prüfend in das Gesicht und ging dann schweigend und ruhig neben ihm her. Alfred bemerkte dies Schweigen nicht und schien auch eine gleichgültige Frage seiner Frau zu überhören, so daß sie unmuthig ausrief: Aber wenn Du mich nur hier haben wolltest, damit ich neben Dir hergehe, so hättest Du mich im Hause lassen können, wo ich zu thun hatte.

Alfred erwachte aus seiner Zerstreutheit. Vergib! sagte er, ich habe so plötzlich zu arbeiten aufgehört, da weilt die Seele unwillkürlich noch bei den Vorstellungen, die sie beschäftigten. Ich dachte in diesem Augenblick mehr an die Vergangenheit und an mein Gedicht, als an Euch und an die Gegenwart.

Das sah ich, Vater! bemerkte Felix, und darum war ich lieber still. Ich weiß es gleich, wenn Du an Deine Arbeiten denkst. Dann sehen Deine Augen ganz anders aus, als könntest Du nicht mit ihnen sehen, was um Dich her vorgeht. Bist[7] Du vergnügt, wenn Du Dir Deine Gedichte und Geschichten ausdenkst?

Ja, mein Sohn, und recht vergnügt! Ich wollte, auch in Deine Brust hätte die Natur den schöpferischen Funken gelegt, der in uns eine neue Welt voll Freuden und Leiden hervorruft. Indeß selbst in den Leiden liegt noch Glück und Schönheit, und wohl Dem, der jenes doppelte Leben kennt, das den Dichter in den Momenten des Schaffens zum glücklichsten Menschen macht, sagte Alfred, zu seiner Frau gewendet.

Das ist aber ein sehr einseitiges Glück, meinte diese, von dem Niemand etwas genießt, als nur Du selbst. Für Deine Umgebung bist Du verloren, wenn Du so in das Arbeiten hineinkommst. Ob ich mich mit den Leuten plagen muß, ob ich Verdruß und Aerger habe, danach fragst Du nicht; Du dichtest! Und gerade heute habe ich Verdruß gehabt, denn ich habe der neuen Wirthschafterin den Dienst gleich wieder aufkündigen müssen.

So! sagte Alfred gleichgültig und theilnahmlos.

Und Du fragst nicht einmal weshalb?

Gewöhnlich, Beste, scheinen mir Deine Gründe für diese sich oft wiederholenden Gewaltmaßregeln nicht ausreichend. Du weißt, ich habe dabei früher stets zu vermitteln, einzuschreiten versucht, jetzt bin ich es müde geworden. Du willst nicht einsehen, daß Du Dir all den Verdruß durch Deine Ungeduld mit den Leuten selbst bereitest; deshalb lasse ich Dich nach Belieben schalten und ertrage die Unbequemlichkeit, fortwährend neue Dienstboten um uns zu haben.

Als ob Dich auch nur Etwas von diesen Unbequemlichkeiten träfe! als ob ich nicht Alles auf mich nähme! Ich denke, Du kannst Dich nicht darüber beklagen, daß Du je Deine gewohnte Bequemlichkeit entbehrst, daß ich es Dich je empfinden lasse, welche Plage die schlechten Leute sind! rief Caroline empfindlich,[8] und Alle schwiegen, bis Felix den Vater bat, den Garten zu verlassen, um durch die Felder auf den Berg zu gehen.

Der Vater war es gern zufrieden, indeß die Mutter machte Einwendungen. Sie fürchtete die Wärme, den weiten Weg, ließ sich aber dennoch überreden, ihres Mannes Arm zu nehmen und die Ihrigen zu begleiten. Der Knabe lief fröhlich voran und bald hatte man die Höhe erreicht, von der aus sich ein weiter Blick über die großen Reichenbach'schen Besitzungen eröffnete.

Mäßige Hügelketten durchzogen das Land, bald mit üppigen Laubwäldern, bald mit wogenden Getreidefeldern geschmückt, die in goldiger Fülle der Ernte entgegenreiften. Dazwischen schlängelte sich von der Höhe ein Flüßchen hinab, das im Thale einen Kupferhammer trieb und weiter hin einen hellen Teich bildete, der, wie die blaue Wunderblume der Märchenwelt, funkelnd und strahlend aus der Tiefe hervorleuchtete. Glitzernd zitterten die letzten Sonnenstrahlen auf dem ruhigen Gewässer und färbten mit bräunlichem Golde die Spitzen der Bäume, die sich leise unter dem erfrischenden Wehen der Abendluft zu regen begannen. Die ersten langgezogenen Finkenschläge tönten aus den Büschen, Säulen von schwärmenden Mücken sonnten sich in der Luft, und Alles was lebte, schien sich der schönen letzten Tagesstunde mit Glück bewußt zu sein.

Alfred blickte lange entzückt umher, schwelgend in Anbetung und Freude. Caroline hatte sich auf einen Stein niedergesetzt, sie war mit den Bändern ihrer Schuhe beschäftigt. Ihr Mann ließ sie ruhig gewähren. Plötzlich, als die Farben immer tiefer wurden, als es überall heller leuchtete, rief er wie im Selbstgespräch: Wie verdient man diese Welt? wie genießt man all diese Herrlichkeit? Felix! siehst Du denn, mein Sohn, wie schön es hier ist? Siehst Du, wie dort, wo Dein Schwan[9] durch den Teich zieht, lange, lange Goldstreifen sich spiegeln, als Widerschein des Lichtes? Da streichelt die Sonne mit goldener Hand die feuchte, heiße Wange der müden, entschlummernden Erde, und wünscht ihr gute Ruhe und selige Träume, wie wir es mit Dir machen. Und die Erde wird still und ruhig und träumt von Glück und Frieden! Wollte Gott, daß morgen, wenn sie erwacht, der Traum Wahrheit geworden wäre, daß – –

Hier ist's aber vor Mücken nicht zu bleiben! fiel seine Frau ihm in das Wort, und überhaupt möchte ich zurückgehen, mich drücken die Schuhe und ich will auch der Haushälterin noch etwas sagen.

So komm! sagte Alfred seufzend und, eine düstere Wolke des Unmuthes auf der Stirne, trat er den Rückweg an, seine Frau am Arme führend, die sich fest und schwer darauf lehnte und unablässig über ihre unbequemen Schuhe klagte.[10]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872, S. 5-11.
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