Viertes Capitel

[47] Darüber kam der Frühling siegreich in das Land. An allen Ecken und Enden begann das Treiben und das Blühen. Renatus hatte seit langen Jahren die Güter nicht im Schmucke der guten Jahreszeit gesehen. Die keimenden Saaten, die knospenden Bäume, die grünenden Büsche freuten ihn ganz anders, als je zuvor, jetzt, wo er sie mit dem Auge des Besitzers ansah. Wind und Wetter, Regen und Sonnenschein bekamen eine Bedeutung für ihn, und die Arbeiten wie die Hoffnungen des geringsten Mannes wurden ihm wichtig, weil sie mit seinen eigenen Nothwendigkeiten und Aussichten zusammentrafen. Es gefiel ihm immer mehr, Grundbesitzer und Hausherr zu sein, er fand auch Behagen an dem Verkehr mit dem Adel der Gegend, mit welchem er durch alte Familienbeziehungen verbunden war; und da der Mensch so glücklich oder so unglücklich geartet ist, daß die Gewohnheit ihn allmählich auch mit demjenigen versöhnt, was ihm Anfangs unertragbar erschienen ist, so war es nicht zu verwundern, wenn Renatus, dessen Natur ohnehin allem Gewaltsamen abhold war, in Bezug auf Hildegard die Dinge gehen ließ, wie sie eben gingen, und von der Zeit eine Entscheidung erwartete, die er zu treffen sich nicht entschließen mochte. Kam ihm dann doch bisweilen der Gedanke, daß diese Handlungsweise oder vielmehr dieses Abwarten nicht redlich, daß es nicht männlich sei, so beschwichtigte er sich mit der Vorstellung, daß es bisweilen edler sei, den Schein der Schwäche und der[47] Unredlichkeit über sich zu nehmen, als sich selbst mit einer Grausamkeit gegen einen Andern, und obenein gegen ein Weib, eine Genugthuung und einen Abschluß zu bereiten, und Hildegard irrte also in der Voraussetzung keineswegs, daß Renatus von ihr die Lösung ihres Verhältnisses erwarte, weil er selber den Muth zu einer solchen nicht in sich fand.

Mit der bestimmten Absicht, sich über die Gutsverwaltung zu unterrichten und aufzuklären, nahm er bei seinem Verkehr mit den benachbarten adeligen Gutsbesitzern jede Gelegenheit wahr, von der Landwirthschaft wie von den Aussichten für die Zukunft der Provinz zu sprechen, und alles, was er dabei hörte und erfuhr, stand mit den Ansichten und Maßnahmen, welche Tremann ihm als die einzige zweckmäßige Handlungsweise vorgezeichnet hatte, sehr im Widerspruche. Das hatte indessen seine guten Gründe.

Es ist ein beschwerlicher Beruf, einem Manne unangenehme Wahrheiten zu sagen, und vollends Jemanden zu entmuthigen, der für sein Wünschen und Hoffen Zuspruch von uns erwartet, ist eine unerfreuliche Sache. Die älteren Edelleute, die Lebensgenossen und Freunde seines Vaters, bei denen der junge Freiherr sich wegen seiner Angelegenheiten gesprächsweise Rath zu holen suchte, gaben ihm zu verstehen, daß die Zeiten für den grundbesitzenden Edelmann allerdings verändert und nicht zum Vortheil verändert wären, seit jeder im Schacher reich gewordene Bürger Besitzer der alten adeligen Güter werden könne. Grade darum aber sei es Pflicht, wenn irgend möglich, den adeligen Grundbesitz nicht zu zersplittern. Ehe man die Güter an Schlächter und Brauer, an Branntweinbrenner und Fabrikanten übergehen lasse, müsse man diese Gewerbe lieber auf den Gütern selbst betreiben und mit neuem Erwerbe die alten Familien aufrecht zu erhalten suchen, bis man wieder so weit gekommen sein werde, die Oberhand zu haben und die Dinge[48] auf den guten, alten Standpunkt zurückführen zu können. Vom Hofe aus werde dieses Verhalten ganz und gar gebilligt; man könne sich von dort her jeder Förderung getrösten, und wenn der verstorbene Freiherr Franz auch kein sonderlicher Landwirth gewesen und vielleicht, ohne streng zu rechnen, ein wenig stark ins Zeug gegangen sei, nun, so sei Renatus nicht der erste Sohn, der solche kleine väterliche Unterlassungssünden ausgleichen müsse. Der und Jener – man nannte die Namen angesehener Grundbesitzer – habe sich in ganz gleicher Lage befunden und sich mit einem tüchtigen Inspector oder Amtmann wieder ganz und gar herausgearbeitet. Es komme also hauptsächlich darauf an, ob Renatus sich auf seinen Amtmann verlassen könne, und das werde er ja wissen.

Die jüngeren Edelleute faßten die Sachlage noch anders auf. Sie hatten davon gehört, daß Angebote auf Neudorf und auf Rothenfeld geschehen wären, daß eine fabrikmäßige Ausbeutung der Steinbrüche und der Torflager in Aussicht genommen sei; indeß sie hegten, wie sie sagten, zu Renatus das feste Vertrauen, daß er nicht verkaufen werde. Sie läugneten nicht, daß die Güter nicht im besten Stande wären, aber das gäbe doch noch keinen Grund, sie loszuschlagen. Wenn Andere sie kaufen wollten, so sei das nur ein Zeichen, daß sie sich große Vortheile davon versprächen, und es sei thöricht, ihnen aus hastiger Muthlosigkeit in den Schooß zu werfen, was man mit einiger Geduld selbst ernten könne. Diejenigen, welche während des Krieges oder gleich nach demselben ihre Güter verkauft hätten, bereuten es schon jetzt wie ein Verbrechen gegen die Ihrigen, und es werde sicherlich Keinem anders damit ergehen. Wenn man zugebe, daß die Krämer und die Juden sich hier im Lande auf den Gütern einnisten dürften, so werde dem Edelmanne bald nichts mehr übrig bleiben, als das flache Land ganz und gar aufzugeben und in die Städte zu ziehen;[49] denn Umgang, Gesellschaft wolle der Mensch doch haben, und mit solchem Volke könne man doch nicht leben, könne man doch seine Frauen und Töchter nicht verkehren lassen.

In dem weichen Sinne des Freiherrn blieb von allen solchen Ansichten und Gesprächen dasjenige haften, was seinen persönlichen Wünschen am meisten diente, und es lag nicht im Vortheile seines Amtmannes, ihn anderen Sinnes werden zu lassen.

Paul hatte in verständiger Voraussicht der verschiedenen Möglichkeiten den neuen Contract mit dem Amtmanne der Art gemacht, daß der Freiherr nach seiner Heimkehr darüber entscheiden konnte, ob der Contract, wie bisher, immer auf drei neue Jahre oder, wie es eben jetzt geschehen war, nur auf ein Jahr verlängert werden solle, und der junge Gutsherr hatte seine Entschließung endlich bis zum letzten Tage hinausgeschoben, auf welchen man die Zulässigkeit einer solchen für ihn festgesetzt hatte.

Er war ohne alles Vertrauen in sich und seine Einsicht auf seinen Gütern angelangt; indeß eben weil ihm eine gründliche Kenntniß der Wirthschaft abging, war er leicht dahin gekommen, sein gelegentlich und schnell erworbenes Wissen von den Dingen sehr hoch zu veranschlagen und sich auf sein richtiges Auge, auf seinen natürlichen Blick, auf seinen gesunden Verstand, mit Einem Worte, auf alle jene angeborenen Fähigkeiten zu verlassen, in deren Besitz die Unkenntniß sich beruhigt fühlt und die sich immer als unzulänglich erweisen, wo ein umsichtiges Wissen und ein folgerechtes, auf genaue Einsicht und Erfahrung begründetes Handeln vonnöthen sind.

Trotzdem konnte Renatus in der Nacht, welche dem entscheidenden Morgen voranging, keine Ruhe finden. Alles, was er erlebt hatte, seit er den deutschen Boden wieder betreten, alles, was er innerlich erfahren hatte, seit er wieder in seinem Schlosse weilte, zog in seinem Geiste an ihm vorüber, und wie[50] er sich nun von Stunde zu Stunde mehr gedrängt fand, mit sich ins Klare zu kommen, sah er deutlich ein, daß die Maßregel, welche er jetzt unabweislich treffen mußte, ihn zu einer Erklärung gegen Hildegard nöthigen, ihn zwingen würde, auch mit ihr zu einem Abschlusse zu gelangen, und sie erleichterte ihm dieses nicht.

Wenn er die drei Güter, dieses alte Erbe seines Hauses, zusammen zu erhalten suchte, wenn er in Richten blieb, und die Wirthschaft mit Hülfe eines den Ansprüchen der neuen Zeit gewachsenen Inspektors, der freilich erst noch gefunden werden mußte und bei dessen Wahl man ebenfalls fehlgreifen konnte, selbst zu führen übernahm, so fehlte ihm jeder Grund, seine Verheirathung hinauszuschieben. Hildegard war seine Verlobte, der Adel der Umgegend erwartete mit Recht täglich die öffentliche Erklärung seiner Verlobung, die Gräfin sprach beständig von der jetzt nahe bevorstehenden Verbindung des jungen Paares, nur Renatus und Hildegard erwähnten derselben nicht, und der Verkehr der beiden war allmählich ein ganz besonderer geworden.

Hildegard hatte sich nicht vortheilhaft entwickelt, indeß der Grund ihres Wesens war ursprünglich rein und edel gewesen, und wo sie fehlte und irrte, geschah es in der Regel durch Uebertreibung eines an sich Guten und Lobenswerthen. Sie besaß in hohem Grade jenes Schamgefühl, das der verschmähten Liebe eigen ist, und jene Selbstachtung, die sich im Unglücke zu bescheiden weiß. Seit dem Tage aber, an welchem sie es sich zum ersten Male deutlich gemacht hatte, daß die Zeit ihrer Jugend vorüber sei, daß Renatus sie nicht liebe, daß er daran denken könne, sie zu verlassen, war eine jener Wandlungen mit ihr vorgegangen, die sich in religiösen Frauennaturen oft mit einer unerwarteten Plötzlichkeit vollziehen. Sie hatte es aufgegeben, ihr Schicksal selbst bestimmen und gestalten zu wollen, und mit einer aus Entmuthigung und Frömmigkeit zusammengesetzten[51] Ergebung, Alles der Fügung des höchsten Wesens anheimgestellt, dem sie sich in Demuth unterzuordnen beschloß. Was Gott zulassen, was er bestimmen würde, das sollte, so hatte sie es sich gesagt, auch ihr erwähltes Theil sein; und wie edel und richtig von ihrem religiösen Standpunkte aus diese Entsagung auch sein mochte, war ihr dieselbe doch in ihrem Verhältnisse zu Renatus nicht förderlich gewesen, sondern nur ihm allein zu Statten gekommen.

Sonst hatte sie seine Zärtlichkeit gesucht und ihm die ihrige mit unverhehlter Liebe kundgegeben; jetzt hielt sie sich zurück, obschon das Herz ihr blutete, wenn Renatus ihre Liebesbeweise nicht forderte, nicht einmal vermißte. Sie beklagte sich nicht, wenn er ihre Gesellschaft nicht verlangte, sie ließ ihn gewähren, wenn er sich oft für mehrere Tage entfernte, sie setzte Vittoria's Bemühungen um ihn kein Hinderniß in den Weg. Konnte Renatus seinen Schwüren untreu werden, obschon er's sehen mußte, daß der Kummer ihre Wange bleichte, konnte Cäciliens beständige und oft so grundlose Fröhlichkeit ihn mehr befriedigen, ihm mehr werth sein, als ihr treues Herz, nun so hatte er sie nie geliebt, so hatte Gott es zugelassen, daß sie ihre Liebe einem Unwürdigen zugewendet hatte, und sie mußte in Demuth hinnehmen und tragen, was ihr von Gott beschieden war, auch wenn sie seine Wege nicht verstehen konnte.

Das Schweigen, die Entsagung, welchen Hildegard sich überließ, täuschten den Freiherrn, denn wo die Blindheit ihnen Vortheil bringt, strengen die Wenigsten ihr Auge zum Sehen an. Er meinte, sie erkenne es jetzt bereits, daß sie nicht für einander paßten, und sie wolle es ihm erleichtern, sich von ihr loszusagen, ohne deßhalb ihr einstiges, schönes Jugendverhältniß zu verläugnen. Er wußte ihr Dank für ihre Zurückhaltung, Dank dafür, daß sie ihn seinen freien Weg und Willen haben ließ, und während er Anfangs sich davor gefürchtet hatte, ihr[52] von seinen Planen zu sprechen, begegnete es ihm jetzt bisweilen, daß er ihr erzählte, was er zu thun, wie er sich einzurichten denke, ohne daß bei diesen Vorsätzen irgendwie von ihr die Rede gewesen wäre. Er gewann zu ihr jene unbedingte Zuversicht, welche grausam macht, und weil ihr Ehrgefühl sie hinderte, sich zu beklagen, überließ er sich bereitwillig dem Glauben, daß sie keinen Schmerz empfinde. So begann er, sich seine Unentschlossenheit und sein feiges Zuwarten zum Verdienste und als eine Maßregel milder Klugheit anzurechnen, für welche alle Theile ihn zu loben hätten, und er bestärkte sich an seinem eigenen Verhalten in der Lehre: daß man gewaltsame Schritte überall vermeiden müsse, daß man die Dinge nur gehen zu lassen brauche, damit sie in die richtige Bahn und zu einer naturgemäßen Entwicklung hingeleitet würden.

Als er sich niedergelegt, hatte er sich an dem betreffenden Abende gefragt: Was werde ich mit Hildegard machen, wenn ich die Güter behalte? – Am Morgen, da er sich erhob, stand er noch vor derselben Frage, und als sich dann im Laufe des Vormittags zur anberaumten Stunde sein Amtmann bei ihm einfand, war Renatus auch noch nicht über seine Ungewißheit hinausgekommen. Er fand es nach wie vor eben so unwürdig, sein Wort zu brechen, als grausam gegen ein Weib zu sein; denn von seinen täglich wiederkehrenden kleinen Grausamkeiten hatte er kein Bewußtsein, und daneben sagte er sich dennoch immer wieder, daß ihm gar nichts übrig bleiben werde, als seinem Worte, seiner Ehre und seinem Gewissen zuwider zu handeln, wenn er sich nicht gegen sein eigenes Glück versündigen, wenn er nicht ein gealtertes, kränkelndes Mädchen zu seiner Gattin, zur Mutter seiner Kinder, zur Mutter eines Geschlechtes machen wolle, das mit Fug und Recht bisher auf seine schönen und kräftigen Männer und Frauen so stolz gewesen war.

Jetzt, wo die Stunde der Entscheidung da war, drohte[53] sein Glaube an die Weisheit des Abwartens wankend zu werden, und doch verließ ihn ein Selbstbewußtsein nicht, das ihn erhob: er stand auf seinem Grunde und Boden, in seiner Väter Schloß, er war hier der Herr. Die Vergangenheit dieses Hauses war die seinige, sich die Zukunft in demselben zu bewahren, stand in seiner Macht. Er hegte das volle Herrenbewußtsein, jene Ueberzeugung von der eigenen Bedeutung, welche rücksichtslose Selbsterhaltung und Selbstbefriedigung als ihr angeborenes Recht betrachtet. Er meinte seines Vaters Geist in sich zu fühlen, und er gelobte sich, in diesem Geiste auch zu handeln. Er durfte, er wollte sich von dem Boden nicht trennen, aus dem er ihm erwuchs. Nur mit Hildegard mußte er zu einem Abschlusse, einem Ende gelangen!

Er war eben von seinem Spaziergange mit Cäcilien heimgekommen, als man ihm den Amtmann meldete. Die Jahre hatten diesen wenig angefochten. Er war jetzt allerdings auch kein junger Mann mehr, aber er sah besser aus, als in früheren Zeiten, denn er war stark geworden und blickte selbstzufrieden und behaglich lächelnd um sich her. Nur aus den kleinen, grauen Augen, deren schwere Lider sich beinahe schlossen, wenn er den Mund zur Freundlichkeit verzog, schoß hier und da ein Ausdruck achtsamer Schlauheit unheimlich hervor, der sonderbar gegen das offene Wesen abstach, dessen der Amtmann sich sonst befleißigte und rühmte.

Demüthig und doch nicht ohne Zuversicht trat er bei dem Freiherrn ein. Er sagte, daß er gekommen sei, die Befehle und die letztlichen Entschließungen des gnädigen Herrn zu vernehmen, und er hoffe, daß diese nicht zu seinem Schaden sein würden. Die Herren von Arten hätten ja treue Dienste immer zu würdigen verstanden, und so werde denn ja auch der jetzige Freiherr wohl das Gleiche an ihm thun.

Renatus hatte den Amtmann seine Anrede ruhig vollenden[54] lassen. Dann nöthigte er ihn, sich zu setzen, und ohne ihm irgend eine Anerkennung auszusprechen oder ihn zu einer Hoffnung zu ermuthigen, blieb er selber, den Arm auf die Lehne seines hohen Schreibtisches gestützt, vor dem Sitzenden stehen, so daß er auf ihn herniedersah. Er genoß in diesem Augenblicke das Bewußtsein seiner Herrschaft, er wollte sie den Amtmann auch empfinden lassen, und erst nach längerem Schweigen sagte er mit jener nur auf das eigene Interesse gerichteten Weise, in welcher die Fürsten gegen ihre Unterthanen, die Besitzenden gegen die Nichtbesitzenden in der Regel Meister sind, und welche sie oft sogar verhindert, sich die Zeit zu nehmen, dem Angeredeten auch nur die Ehre seiner Namensnennung zu gewähren: Ich höre aus Ihren Worten, daß Sie die Ansichten kennen, welche mein Bevollmächtigter, der Kaufmann Tremann, in Bezug auf diese Güter hegt, und ich lasse es vorläufig dahingestellt sein, in wie weit er mit denselben Recht hat. Ich war bei meiner Ankunft allerdings der Meinung, daß ich hier durchgreifende Veränderungen machen müßte, indeß ich mag nichts übereilen, und da, wie Sie richtig bemerken, wir in unserem Hause es nicht lieben, unsere Beamten und Diener oft zu wechseln, so wäre ich in gewissem Sinne nicht abgeneigt, auch mit Ihnen einen neuen Versuch, einen neuen Contract zu machen, obschon ich mich während meines langen Aufenthaltes im Auslande davon überzeugte, daß Ihnen in der That, darin hat Herr Tremann Recht, die Kenntniß der Fortschritte mangelt, welche man in der rationellen Bewirthschaftung und Verwerthung großer Güter in den letzten Jahrzehenden überall gemacht hat.

Er hielt inne, nahm eine Feder zur Hand, prüfte auf dem Nagel des Daumens ihre Spitze, legte sie dann wieder fort und streifte mit dem Auge über den Amtmann hin, der, die Hände über dem Leibe gefaltet, andächtig und unbeweglich, als ob er vor der Kanzel säße, die Aussprüche des jungen Freiherrn, von[55] dessen landwirthschaftlichen Kenntnissen er hinwiederum auch seine besondere Meinung hegte, über sich ergehen ließ. Er fand es weder nöthig noch zweckmäßig, ihm eine Antwort zu geben, ehe eine solche unvermeidlich war, und Renatus sah sich dadurch also gezwungen, seiner ersten Rede die Bemerkung hinzuzufügen, daß große Verbesserungen auf den Gütern, wie er sich überzeugt habe, unerläßlich wären, und den Amtmann daran zu erinnern, wie derselbe es ihm für möglich erklärt habe, die Ameliorationen ohne alle Hülfe von auswärts, aus den eigenen Mitteln zu bewerkstelligen. Aber auch hierauf antwortete der Amtmann nur mit einer stummen Kopfneigung, und der Freiherr mußte also auf's Neue zu sprechen beginnen.

Da Sie wußten, sagte er, daß ich heute die Entscheidung treffen muß, werden Sie Sich die Verhältnisse wohl durchdacht haben. Erklären Sie Sich also nach Ihrem besten Wissen und Gewissen darüber, ob und wie Sie es für möglich erachten, daß wir, ohne zu neuen Geldaufnahmen unsere Zuflucht zu nehmen und ohne eines der Güter abzutrennen, – er vermied das Wort verkaufen geflissentlich, – die Wirthschaft weiter führen und den Schaden ersetzen können, den die Kriege uns gethan haben. Man hat mir, ich verhehle Ihnen das nicht, nicht nur gegen Ihre Einsicht und Ihre Kenntnisse, sondern auch gegen Ihre Person Mißtrauen eingeflößt, aber ich gestehe Ihnen mit Vergnügen ein, daß ich glaube, man habe Ihnen Unrecht gethan. Ich habe nichts, gar nichts wider Sie, im Gegentheil! Die Frau Baronin hat mir Ihre gefällige Dienstfertigkeit gerühmt. Sie können also zuversichtlich sprechen und der billigsten Beurtheilung, der genauesten Erwägung des Für und Wider Sich versichert halten. Ohne eine zwingende Nothwendigkeit entferne ich Sie nicht!

Renatus war äußerst wohl mit sich und mit dieser Rede zufrieden; sie war eben so bestimmt, wie er meinte, als menschlich und gerecht gewesen, und der Amtmann hatte sie auch mit der[56] tiefsten Ergebenheit vernommen. Er hatte nur zu verschiedenen Malen gewichtig mit dem Kopfe genickt; dann wieder hatte er gelächelt, wie einer, dem das Gehörte nicht unerwartet kommt, und sich zur Antwort und zum Ueberlegen bedächtig Zeit lassend, sagte er endlich: Gnädiger Herr, ich habe mich nicht herangedrängt, Ihnen meine Meinung zu sagen; ich habe gedacht, Sie sollten Sich nur, wie Sie das ja auch gethan haben, hier zu Lande umsehen, denn die Verantwortung, die Unsereiner auf sich nimmt, ist gar zu groß. Nun Sie hier Bescheid wissen und, wie das in der Ordnung ist, überall selber herumgehört haben, was von mir geglaubt und gehalten wird, nun sind Sie doch wenigstens so weit in Ihrem Zutrauen zu mir gekommen, daß Sie meine Stimme zu vernehmen wünschen. Gerade heraus also, gnädiger Herr, es sind die Spekulanten, den Steinert und den Tremann an der Spitze, die ihre Augen auf die Güter hier geworfen haben, das ist das ganze Elend! Sonst hat es noch keine Noth, wenn man nur erst wieder gelassen an die Arbeit gehen kann. Verschuldet sind die Güter, schwer verschuldet, das ist wahr; wer verlangt denn aber, daß man morgen oder übermorgen die Schulden abbezahlt? Wer verlangt das anders, als die Spekulanten, die am liebsten Alles zu Geld und alles Geld in der Welt flüssig machen möchten, damit es, wie bei Tremann, alljährlich drei, vier Mal durch ihre Hände laufen und immer etwas davon kleben bleiben kann? Im Gutsbesitz, im Landbesitz ist es just das stricte Gegentheil. Da will Alles seine Zeit und seine Ruhe haben. Und wenn Sie, gnädiger Herr, mir ganz allein vertrauen und Sich auf mich allein verlassen wollten, so sollten Sie erleben, ob ich mich auf mein Fach verstehe und ob ich meines Herrn Vortheil mit meiner alten Wirthschaftsmanier nicht besser wahrzunehmen weiß, als die Anderen mit all ihren neuen Künsten.

Der Amtmann gab dem Freiherrn zu bedenken, wie leicht[57] es die Steinert, seine Vorgänger im Amte, während der langen Friedensjahre gehabt hätten, die dem siebenjährigen Kriege gefolgt waren, und unter wie ungünstigen Umständen er die Verwaltung übernommen habe. Er wies den unverhältnißmäßigen Geldverbrauch des Freiherrn Franz nach, er erinnerte an die furchtbaren Kriege und Kriegszüge, an den allgemeinen Nothstand, an die Aufhebung der Leibeigenschaft, um zu erklären, wie unmöglich es bisher für ihn gewesen sei, an irgend eine Verbesserung auf den Gütern, oder gar an die Erzielung von Ueberschüssen zur Schuldentilgung denken zu können. Nun, sagte er, sei noch der völlige Mißwachs des vorigen Jahres dazu gekommen, in welchem man das eigene Vieh zu schlachten versucht gewesen sei, weil man nicht gewußt habe, wie man es ernähren solle, und trotzdem habe er in diesem Jahre am ersten Quartale allen Verpflichtungen genügen können, die auf den Gütern und auf dem gnädigen Herrn persönlich gehaftet hätten.

Sehen Sie, gnädiger Herr, rief er und wies in die Landschaft hinaus, Gott der Herr hat doch endlich wieder eine Einsicht! Seit man gedenken kann, haben die Saaten nicht so gestanden, haben wir kein so frühes Jahr gehabt, haben die Bäume nicht solche Blüthenlast getragen. Wenn Gott uns weiter gnädig ist, gibt das eine Ernte, die manches Loch verstopft! Denn die Theurung ist noch immer ungeheuer und die Preise halten sich nothwendig noch bis in das nächste Jahr. Es ist nichts mit den Spekulanten und mit den Fabriken, von denen sie immer reden! Aus dem Boden muß man es herausholen mit Egge und Pflug! Langsam geht das freilich, dafür jedoch ist's sicherer, sicherer wie der Dampf, mit dem sie jetzt in England ihr Wesen zu betreiben anfangen und der auch dem Steinert im Kopfe spukt, seit er den Sohn in Amerika da drüben sitzen hat. Mit Dampf wollen sie brennen und brauen in Marienfeld, mit Dampf möchten sie Steine schleifen in Neudorf, und dazu sollen die[58] Torfstiche in Rothenfeld die Feuerung liefern. Aber wir können ja selber Torfstiche eröffnen, wenn wir nur erst so weit sind, die Bauten in Angriff nehmen, neue Häuser aufführen und Leute zur Arbeit hieherziehen und ernähren zu können. Auch die Wege müssen wir erst wieder so weit im Stande haben, daß man den Torf bis zum Wasser bringen kann. Machen können wir das alles, nur Geduld müssen wir haben, nur Geduld! Das Geld wird sich schon finden, wenn man uns nur Zeit läßt. Und weil sie das Alles wissen, so gut wie ich, darum drängen sie den gnädigen Herrn so gewaltig zum Verkaufen. Diese Spekulanten haben ja ihre Augen überall. Wie die Stoßvögel hangen sie in der Luft, und ehe man's gewahr wird, schießen sie herunter und haben's in den Krallen!

Der Amtmann lachte, als er von den Summen hörte, welche Tremann für die Hebung der Güter als unerläßlich bezeichnet hatte. Daran allein können der gnädige Herr ja sehen, daß es ihnen bloß darauf ankommt, den gnädigen Herrn abzuschrecken. Und das nennen diese Leute Landwirthschaft! Kaufen, Alles fertig kaufen, Alles baar bezahlen! Nichts erschaffen, nichts erziehen, das ist ihre neue Weisheit! Sie wollen die Ziegel nicht streichen zum Baue und das Thier nicht austragen lassen im Mutterleibe; Stallungen aufrichten im Handumdrehen und fremde Heerden einführen, ohne zu denken, ob sie sich hier zu Lande halten; Hunderttausende in die Güter hineinstecken und sie dann verkaufen und das Doppelte herausziehen! Und dann sieh' Du zu, was nun aus dem Grunde und Boden wird! Spekulanten und Roßtäuscher – die sind Einer wie der Andere! Elendes Gesindel, das der Landwirth sich vom Hofe und vom Leibe halten muß!

Der Amtmann hatte sich in Zorn gesprochen, denn die Sache ging ihm an das Leben. Er kannte seinen jungen Herrn wenig, indeß langjähriges Dienen hatte ihn die Edelleute der[59] Gegend im Allgemeinen kennen gelehrt, und er hatte bewußt und unbewußt den rechten Ton getroffen, um auf seinen Herrn zu wirken. Renatus liebte es nicht, in denjenigen, mit welchen er Geschäfte abzumachen hatte, seines Gleichen oder gar einer Ueberlegenheit zu begegnen, und Tremann's völlig freie Bildung war ihm eben so unangenehm gewesen, als die Leichtigkeit, mit der er sich in allem Geschäftlichen bewegte, und die rasche Entschiedenheit, welche er von dem Freiherrn forderte. Des Amtmanns Ansichten vom Abwarten stimmten zudem auf das genaueste mit denen seines Herrn überein, und da jede fest ausgesprochene Meinung ihre Wirkung auf den Unerfahrenen nie verfehlt, verlangte Renatus, dessen Zutrauen zu seinem Beamten sich steigerte, von demselben endlich eine genaue Auseinandersetzung über die Wege, welche dieser bei der Ausführung seiner Plane einzuschlagen denke.

Der Amtmann zuckte die Schultern. Gnädiger Herr, sagte er, ich allein kann's nicht machen und Einer allein kann's überhaupt nicht. Aber wenn der gnädige Herr selber mit dazu thun wollen, so ist's keine Hexerei und gar kein Zweifel, daß wir vorwärts und zu Stande kommen.

Renatus befahl ihm, sich deutlicher zu erklären; der Amtmann ließ sich das nicht zweimal sagen. Es war ihm, als er vor seinem Herrn erschienen war, nicht besonders wohl gewesen, jetzt aber begann er, Muth zu fassen. Er knöpfte den braunen Oberrock auf, daß die großgeblümte, wollene Weste in ihrer ganzen Farbenpracht zu sehen war, zog sein blaues Taschentuch hervor, und sich die Stirn und die feisten Wangen trocknend, während die kleinen Augen in freundlicher Zuversicht listig zwinkerten, sagte er: Was sie dem gnädigen Herrn auch von den neuen Wirthschafts-Methoden und neuen Theorieen gesprochen haben mögen, es gibt zum Vorwärtskommen, um in die Höhe zu kommen, immer nur die eine praktische Theorie:[60] viel einnehmen und wenig brauchen, daß man Ueberschuß erzielt. So haben sie's ja auch gemacht, die Steinert und der alte Flies, die ihr Schäfchen so vorsichtig in's Trockene gebracht haben, während sie den seligen Herrn in die Patsche führten. Warum soll's denn jetzt, da es nicht ihren, sondern des gnädigen Herrn Vortheil gilt, mit neuen Mitteln angefangen werden?

Er begann darauf, dem Freiherrn die Erträge der Güter und die zunächst nothwendigen Ausgaben vorzurechnen, wobei die Verhältnisse sich allerdings weit günstiger als nach den Annahmen von Tremann auswiesen, schilderte darauf aber die großen Mühen, welche man in den kommenden Jahren haben werde, die mancherlei Unsicherheiten, denen man immer in der Wirthschaft ausgesetzt sei, und nachdem er Renatus mit jener Menge von Einzelheiten, die für den Uneingeweihten stets etwas Beunruhigendes und Verwirrendes haben, ermüdet hatte, so daß derselbe bedenklich zu werden begann, trat der Amtmann ganz unerwartet und plötzlich mit dem Vorschlage hervor, die Güter in Pacht zu nehmen, falls der Freiherr es unter den obwaltenden Umständen etwa vorziehen sollte, im militärischen Dienste zu verbleiben, wo ihm bei seinen jungen Jahren ein schönes Vorwärtskommen nicht entgehen könne, da jetzt nach dem Kriege viele der älteren Offiziere ihren Abschied fordern oder erhalten würden.

Renatus stand noch immer an dem Schreibtische, aber seine Stirne sah nicht mehr so heiter und so klar aus. Der Vorschlag des Amtmanns beunruhigte ihn sehr; denn auch Tremann hatte ihn darauf hingewiesen, daß es gerathen für ihn sein würde, in seiner militärischen Laufbahn zu beharren und zu versuchen, in wie weit sich mit dem festen Ertrage eines Pachtzinses seine Vermögens-Umstände verbessern ließen. Wenn man aber von zwei so verschiedenen Ausgangspunkten, wie die von Tremann und von dem Amtmanne es waren, an das[61] gleiche Ziel gelangen konnte, so mußte dies ein richtiges sein; indeß es widerstrebte dem Freiherrn immer noch, an die Verpachtung seiner Güter zu denken.

Er hatte die Feder wieder zur Hand genommen und riß, ohne zu wissen, was er that, ihre Fahne in kleinen Stücken herunter, bis er den nackten, kahlen Kiel erblickte. Stückweise! murmelte er kaum hörbar zwischen den Zähnen hin, knickte die Feder um und warf sie mit einer heftigen Bewegung fort.

Der Amtmann beobachtete ihn genau, aber er drängte ihn mit keinem Worte zu einer entscheidenden Antwort hin. Er erklärte sich sogar aus freiem Antriebe bereit, das Belieben des gnädigen Herrn noch acht Tage zu erwarten, damit derselbe volle Zeit habe, die Sache reiflich zu erwägen. Und als man danach auf die Bürgschaft zu reden kam, welche der Amtmann als Pächter der Güter zu leisten haben würde, meinte er, bescheiden und vertrauensvoll lächelnd, er sei ja nicht nackt und bloß gewesen, als er in den Dienst der Herrschaften getreten sei. Er habe sich in all den schweren Jahren schlicht und recht und kümmerlich wie der ärmste Mann beholfen, habe also immer doch etwas zurückgelegt, und wenn der Freiherr von ihm die Bürgschaft nicht über die Gebühr hoch begehre, so hoffe er mit Gottes Hülfe und mit dem Beistande seiner Freunde wohl im Stande zu sein, sie aufzubringen.

Damit waren für's Erste diese Verhandlungen beendet, aber der Sinn des Freiherrn blieb mit ihnen immerfort beschäftigt, und wie er sich's auch vorhielt, daß es ja noch völlig in seinem Belieben und in seinem Ermessen liege, was er thun wolle, kam er sich nicht mehr so frei, so selbständig als noch vor wenigen Stunden vor, denn, mochte er sich auch gegen die Einsicht sträuben, das erkannte er deutlich, er konnte das Leben nicht in der Weise seines Vaters weiterführen; er war heruntergekommen, und Alle um ihn her, Alle, die in seinen Diensten[62] gearbeitet, selbst gearbeitet hatten, waren im Wohlstande fortgeschritten.

Er hatte den Neid niemals gekannt, jetzt aber regte sich in ihm eine zornige Empfindung gegen alle jene Emporkömmlinge, und obschon er sich durchaus in der Lage befand, den Werth und die Bedeutung des Geldes schätzen zu lernen, dünkte das Geld ihn an und für sich als etwas Verächtliches, weil der gemeine Mann, weil Jedweder es erwerben konnte, der eine schwielige Hand nicht scheute, der sich entschließen mochte, die Gegenwart um der Zukunft willen daran zu geben, und, wie der Amtmann es nannte, gleich einem gemeinen Manne zu arbeiten und zu leben. Es lag für des Freiherrn Empfinden auch etwas sehr Gemeines in dem beständigen Denken an Hab und Gut, an Vermehrung des Besitzes. Er hatte eine Erinnerung an die Zeiten, in welchen in seinem väterlichen Schlosse von Geld und Besitz niemals die Rede gewesen war, weil man ihr Vorhandensein als ein Selbstverständliches angenommen hatte. Damals hatte man sich selbst gelebt, man hatte Muße und Freiheit gehabt, sich seinen Neigungen, seinen Gefühlen zu überlassen; jetzt trat überall die zwingende Nothwendigkeit zwischen ihn und seine Wünsche, und sogar in dem Augenblicke, in welchem er sich enger als je zuvor mit seinem Besitze verwachsen fühlen gelernt, trachteten die Emporkömmlinge ihm von allen Seiten die Ueberzeugung aufzudrängen, daß für ihn die alten Zustände nicht mehr aufrecht zu halten seien, daß er ohne ihren Beistand nothwendig zu Grunde gehen müsse.

Er hatte es durchaus vorgehabt, auf seinen Gütern und unter seinen Leuten, die ihm lieb geworden waren, zu weilen und zu leben. Nun sollte er das menschliche Verhältniß, das sich zwischen ihnen zu bilden begonnen hatte, plötzlich wieder zerstören, indem er sie einem fremden Willen überließ; nun sollte er wieder von seiner Heimath scheiden und das Erbe seiner[63] Väter einzig als den Boden behandeln, von dessen Frucht er sich ernährte – es wollte ihm nicht eingehen!

Es war gegen den Mittag hin, als der Amtmann sich von dem Freiherrn verabschiedete. Renatus blieb eine Weile an seinem Schreibtische sitzen. Das Haupt auf den Arm gestützt, sah er unverwandten Auges auf die Berechnungen nieder, welche der Amtmann ihm vorgelegt hatte. Er zählte die Reihen zusammen, er verglich die verschiedenen Posten, es wurde damit nicht viel für ihn gefördert.

War das aber eine Aufgabe, die sich für ihn, für einen Edelmann geziemte? Tag für Tag nur dem Erwerbe, dem elenden Gelderwerbe leben! Heute dem Gewinne eine kleine Summe hinzufügen, morgen sie von den Schulden abstreichen; und das Jahr aus, Jahr ein, und das Alles ohne die bestimmte Aussicht auf einen sicheren Erfolg? Es dünkte ihn eine sehr untröstliche Beschäftigung. Hinter dem Pfluge herzugehen, die Furche in dem fruchtgebenden Boden aufzureißen, die goldenen Samenkörner dem warmen Schooße der Erde anzuvertrauen, die reife Frucht des Feldes einzuernten, den Kampf mit des Wetters Ungunst zu bestehen, dieses Thun und Erleiden des gemeinen Mannes däuchten ihm ein Genuß neben dem Zuwarten aus der Ferne, zu welchem der Edelmann, zu welchem er selber verdammt war, wenn er sich des persönlichen Eingreifens in seine Angelegenheit durch die Verpachtung seiner Güter mehr noch als bisher begab.

Er konnte zu keinem Entschlusse kommen, und von der inneren Ungeduld hinweggetrieben, verließ er sein Gemach. Er stieg die Treppen hinunter und ging in den Garten hinaus. Gleich an der rechten Seite, wo die große Allee sich anschloß, ging er von der Terrasse hinunter und durch den Park.

Die Bäume, die Büsche hatten schon ihr volles Laub. Der Schatten war tief und erquicklich, aber die Stille und die[64] Einsamkeit waren ihm heute nicht erwünscht. Er hätte gestört werden mögen in den Gedanken, die auf ihm lasteten, er hätte die Trompeten seines Regimentes einmal wieder schmettern hören mögen, um sich an ihrem muthigen Klange das Herz zu erfrischen. Und während er noch vor wenigen Stunden seinen Besitz als eine Ehrensache angesehen hätte, erschien ihm jetzt der ärmste Soldat, der in seinem Degen sein ganzes Erbe besaß und am Tage den Tag zu leben vermochte, bei Weitem als der Glücklichere. Warum war es gerade ihm denn auferlegt, einzustehen für die Ehre und das Ansehen einer Reihe von Altvordern, deren Genüsse und Befriedigungen er nicht getheilt, und an deren Irrthümern er doch so schwer zu tragen hatte?

Er war jetzt seit einer Reihe von Jahren an ein bewegtes Dasein, an Thätigkeit gewöhnt, er verstand das Waffenhandwerk, das er bisher getrieben hatte. Auch in seinem Regimente kannte man ihn, auch in seinem Regimente vertraute ihm der gemeine Mann und liebte man ihn so gut wie hier auf seinem Grunde und Boden. Auch in seinem Regimente hatte er eine Heimath, eine Bedeutung, eine Wirksamkeit, und sie waren völlig unabhängig von allem, was von seinen Ahnen als Erbe auf ihn gekommen war, sie waren mehr als alles Andere sein eigen. Weßhalb sollte er darauf verzichten? Weßhalb sollte er sich auf seine Güter zurückziehen, wenn er sich dazu verdammen mußte, auf ihnen als ein Einsiedler und in der halben Abhängigkeit von einem ihm untergebenen geringen Manne zu leben? Welche Verpflichtungen hatte er gegen den Adel der Nachbarschaft, der ihm so dringend vom Verkaufe der Güter abrieth? Sie waren ihm im Grunde sammt und sonders fremd, diese Edelleute. In seinem Regimente hatte er Freunde, hatte er die Kameraden, mit denen die Erinnerung an Noth, an Gefahr und Sieg ihn eng verband. Er sehnte sich nach seinem Regimente. Dort hatte er seiner Sorgen nicht in jedem Augenblicke denken müssen, dort[65] hatte er sich jung gefühlt; hier lastete das Leben schwer auf ihm und drückte ihn hernieder. Er wollte seinen Frohsinn, seine Freunde wieder haben, er wollte sich die schönen Tage der goldenen Jugend nicht verkümmern lassen. Mochte der Ernst beginnen, wenn die Jugend ihm entflohen war.

Er hatte den Park verlassen und war hinausgetreten in die Rothenfelder Feldmark. Die Kirche lag in stiller Ruhe vor ihm. Sie sah sehr mächtig aus mit ihrem hohen Thurme, mit dem schönen Eingangsthore; aber er konnte es sich nicht verbergen, es war für ihre Erbauung keine Nothwendigkeit vorhanden gewesen. Seine Eltern hatten damit einem ganz persönlichen Bedürfen und Belieben nachgegeben und sie hatten, wie es ihm heute erschien, damit auch Recht gehabt. Es sollte Jeder vor allem Anderen sich selbst genug zu thun trachten. Er für seinen Theil bedurfte dieses Gotteshauses freilich nicht, denn des Amtmanns Vorschlag, daß er im Regimente bleiben solle, war im Grunde sehr verständig. Wenn er wirklich im Regimente blieb, wenn er sich künftig nicht für immer in seinem Schlosse aufhielt, brauchte man z.B. auch die Pfarre für's Erste nicht fortbestehen zu lassen. Man konnte den Fürstbischof ersuchen, den Pfarrer zurückzuberufen und anderweitig zu verwenden. Die Baronin Vittoria konnte, so oft sie es begehrte, nach einer der Städte, welche eine katholische Kirche hatten, zur Messe fahren, und die Gräber zu bewachen, war der Sakristan genug.

Je länger Renatus über die Ersparungsvorschläge, welche der Amtmann ihm im Laufe ihrer Unterredung gethan hatte, nachsann, um so mehr leuchteten ihm dieselben ein. Die Entlassung der sämmtlichen noch im Schlosse vorhandenen Dienerschaft war verständig; nur Gaetana und der alte Kammerdiener sollten bei der Baronin bleiben. Seinen Bruder Valerio, welcher der weiblichen Hand durchaus entwachsen war, wollte der junge Freiherr mit sich nehmen, um ihn in einer der militärischen Erziehungsanstalten[66] unterzubringen; und wie er in solcher Weise das Schloß zu entvölkern begann, wurde sein eigenes Verlangen, es zu verlassen, immer größer.

Vor wenigen Tagen hatte ihn die Liebe überrascht, welche er für dasselbe, für seine Besitzungen hegte, jetzt erschreckte ihn die Gleichgültigkeit beinahe, in welcher er an die theilweise Zerstörung der Verhältnisse denken konnte, mit denen er sich so unauflöslich verbunden geglaubt hatte; und wie er tiefer in sein Herz hineinsah, wie er mit dem grübelnden Sinne, der ihm von der Mutter angeboren war, sich fragte: was ist es, das mir die Aussicht in die Ferne plötzlich so erheitert? da blieb er sich die Antwort schuldig, denn er sah Hildegard den kleinen Seitenpfad von der Margarethenhöhe herunterkommen, und er mußte gehen, sie zu begrüßen.[67]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 7, Berlin 1871, S. 47-68.
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