Vorbericht

[1] Folgende Briefe sind von einem Frauenzimmer geschrieben, und würden wohl schwerlich jemals vor die Augen des Publikums gekommen seyn, wenn der Vorredner die Verfasserinn nicht dazu ermuntert, und die Besorgung der Herausgabe übernommen hätte.

Es kann seyn, daß ein Theil des lesenden Publikums mir für diese Mühe wenig Dank weiß. Der andere Theil hingegen[1] ist gewiß mit mir darinn einig, daß gut geschriebene Frauenzimmerbriefe Reize und Schönheiten haben, die Männer nur höchst selten den ihrigen zu geben vermögen. Eine reichere und lebhaftere Einbildungskraft, feinere, sanftere, biegsamere und mannichfaltigere Wendungen im Ausdruck, kurz, alle diejenigen einzelnen Schönheiten, aus deren Zusammensetzung der Charakter des Weiblichschönen entsteht, scheinen das Gepräge solcher Ausarbeitungen zu seyn, und werden gewiß bey Lesern von warmer Empfindung nie verfehlen, eine höchst angenehme, und selbst (wenn der Gegenstand darnach gewählt ist) nützliche Unterhaltung[2] zu seyn. Sollten auch diese Vorzüge noch nicht allen und jeden Briefen dieser Sammlung in gleichem Maaß zu Theil geworden seyn, so wird der Leser doch wenigstens überall die beste Anlage dazu gewahr werden, und, in diesem Betracht, meine Ermunterung zur fernern Vervollkommnung solcher Anlagen nicht übel angewendet finden.

Die hier erzählte Geschichte gründet sich größtentheils auf Wahrheit; ist also in so ferne nur als Dichtung anzusehen, als Charaktere untergemischt sind, die bloß der größern Mannichfaltigkeit und der bessern Unterhaltung wegen gewählt wurden. Einige Hauptcharaktere wird[3] man vielleicht für übertrieben und unnatürlich halten, weil sich die Originale dazu in dieser Welt selten finden lassen. Ob es aber überhaupt eine billige Forderung sey, die man in den neuesten Zeiten an diese Gattung der Dichtungsarten macht, daß sie nämlich bloß kopiren, nie aber sich zu nachahmungswürdigen Idealen hinauf schwingen soll, will ich hier unausgemacht lassen. Ich kann aber nicht umhin, zu bemerken, daß nach meinem Bedünken diese Dichtungsart mit allen übrigen schönen Künsten das Grundgesetz: einzeln in der Natur befindliche und zerstreuete Schönheiten zu gewissen Zwecken in ein Ganzes zu versammeln, gemein haben[4] muß. Was soll die Darstellung eines Gegenstandes mit allen seinen Gebrechen, Mängeln und Fehlern für Nutzen stiften? Und liegt nicht eben die größte Nützlichkeit aller schönen Künste und Wissenschaften in der erregten Nacheiferung nach Vollkommenheiten, die in dieser Welt selten vereinigt anzutreffen sind? Mir scheint es daher in der That eine sehr nachtheilige Forderung zu seyn, nach welcher man den Künstler seines größten Vorzugs, der in der Schöpfung musterhafter Ideale besteht, berauben, und ihn in die enge Sphäre eines bloßen unnützen Copisten einschränken will.

Auch unsere neuere Pädagogen werden, im Fall ihnen diese Briefe in die Hände[5] fallen sollten, vielleicht einige Steine des Anstoßes finden. Die Verfasserinn ist in ihrem Erziehungssystem Sirachs eifrige Anhängerinn, und traut in gewissen Jahren dem Stock und der Ruthe weit nützlichere Wirkungen zu, als den vernünftigsten und gütigsten Vorstellungen. Jedoch erstreckt sich ihre Meynung hierinn bloß auf die ersten Jahre der Kindheit, die aber um so viel wichtiger sind, je gewisser in ihnen der Grund zur ganzen Erziehung des Menschen gelegt werden muß. Da also die neuern Anti-Sirachianer spätere Jahre der Kindheit zum Augenmerk haben, so könnten die geäußerten Erziehungsgrundsätze der Verfasserinn dennoch[6] vielleicht ohne beträchtliche Collisionen davon kommen, und wohl gar Gnade vor ihren Augen finden.

Uebrigens wird der Leser in dem Verfolg dieser Briefe bald sehen, daß die Hauptabsicht der Verfasserinn dahin gehe, in dem höchstliebenswürdigen, aber schwachen Charakter der Marie die Gefahren und Nachtheile einer allzu großen Empfindsamkeit, auch selbst dann, wenn sie von den allervorzüglichsten Tugenden des Herzens, Verstandes, und sogar der Religion begleitet wird, zu zeigen. Wenn auch alle diese vereinigte Tugenden im Stande sind, ein allzuempfindsames Herz vor wirklich groben Vergehungen zu bewahren,[7] so können sie doch nicht verhindern, daß ein solches Herz am Ende nicht sich selbst aufreibe, und ein in gewissem Betracht zwar erhabener, aber doch unglücklicher Märtyrer seiner eignen Gefühle werde.

Ich wünsche, daß diese Briefe den Lesern eben so viel Vergnügen machen mögen, als sie mir gemacht haben.

Der Herausgeber.

Quelle:
Margareta Sophia Liebeskind: Maria. Theil 1–2, Theil 1, Leipzig 1784.
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