Pompeji

[37] Komm! Auch nur auf eine Stunde,

Komm herauf, versunkne Welt,

Aus dem düstern Säulengrunde,

Hier vom Abendlicht erhellt!

Wölbet euch, ihr Prachtgebäude,

Glimm durch Lorbeer, Fackelglanz,

Festchor hall', Gelag der Freude,

Flöte, Syrinx, ruf zum Tanz!
[37]

Ach, wie gern ihr kommen möchtet,

Daß ihr nach der langen Rast

Neu den Kranz des Lebens flöchtet!

Stets habt ihr den Tod gehaßt.

Längst schloß euch der nie gesehne

Allvertilger von uns aus;

Keinen Raum hat das Geschehne

Im Gebiet des Weltenbaus!


Doch um diese Villen immer

Lächelt aus den Trümmern noch

Eures frohen Sinns ein Schimmer,

In Gedanken lebt ihr doch!

Lebt im Bild auf Marmorplatten,

Auf den Urnen und noch mehr,

Wenn auch Bruchstück nur und Schatten,

In der Dinge Wiederkehr.


Denn es wiederholt sich Alles,

Es begeht im Ahnungswehn

Eines leisen Widerhalles

Alles ein Sichwiedersehn! –

Leiser durch die Pinienzweige

Wehet, Lüfte, daß ich still

Lauschend hier dem Einst mich neige,

Das zum Jetzt erwachen will!

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 37-38.
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