Von dem gelehrten Stand.

[556] Der gelehrte Stand ist eigentlich kein besonderer Stand: Es ziemet allen Menschen etwas zu wissen: Wir solten alle nach den Absichten des Schöpffers verständige Creaturen und Schüler der Weißheit seyn. Wir solten uns ein jeder nach seinem Stand und nach der Fähigkeit, die er besitzet, in allerhand nützlichen Künsten und Wissenschaften unterrichten lassen; Denn wo der Weisen viel sind, da ist des Volckes Heyl.

Allein, was findet man nicht unter den Gelehrten für seltsame Menschen? Man solte es in der That für keine Glückseligkeit halten, etwas zu wissen, wenn uns die Erlernung der Wissenschaften in Gefahr setzet, die elendeste unter den vernünftigen Geschöpffen zu werden. Ehedessen hielt man auf blosse Weißheit, und man lernte die Wissenschaften in keiner andern Absicht, als um weise zu werden. Heutiges Tages machen wir daraus ein Handwerck, die Menschen und den Staat damit zu verwirren. Wir zwingen die Leute Meynungen anzunehmen, die sie nicht fassen können, und lassen ihnen übrigens alle Thorheiten und Außschweiffungen frey. Die wenigste Lehrer erfüllen die Pflichten eines[556] Berufs, dessen Wichtigkeit sie selbst nicht kennen. Die meisten lassen sich darzu aus Noth gebrauchen, weil sie nicht besser unterkommen können. Grosses Unglück! Man solte darzu die vortrefliche Männer außsuchen, und sie deswegen vor andern ehren und wohl halten.

In den alten Zeiten hatten die gröste Weltweisen ihre eigene Schulen. Alt und Jung kamen darinn zusammen. Die Redner waren die gröste Leute in der Republick, und es war einem Helden eben so anständig vor dem Volck zu reden, als Schlachten zu gewinnen. Diese Zeiten sind nicht mehr. Die Würde eines Lehrers beflecket nun die Würde des Adels, und die Unwissenheit ist das Kennzeichen einer vornehmen Geburt.

Drey Sachen haben zu unsern Zeiten die Gelehrten in der Welt verächtlich gemacht: Ihre ungesittete Lebens-Art: Ihr närrischer Hochmuth, und die viele Bücher, die sie drucken lassen. Es ist natürlich, daß Leute, die an statt mit Menschen umzugehen, schier immer zu Hause über ihren Büchern sitzen, und sich da in ihre eigene Weißheit, und Vortrefflichkeit verlieben; nach und nach unbelebt, finster und lächerlich werden. Deswegen ehedessen ein gewisser Fürst, auf Befragen, warum er keine Hof-Narren hielt, zur Antwort gab, daß er, wenn er lachen wolte, ein paar von seinen Professoren zu sich auf das Schloß kommen, und sie wacker zusammen disputiren ließ. Man hat also Ursach[557] die Wissenschaften zu fliehen, wenn sie aus Vernünftigen Unwissenden, albere Gelehrten und seltsame Menschen machen.

Ich bin nie der Meynung gewesen, daß die Erfindung der Buchdruckerey der menschlichen Gesellschaft grossen Nutzen solte gebracht haben: Unter wenig guten Büchern, die dadurch den Menschen gemein worden, sind ihnen unzehlich viel schlechte in die Hände kommen. Wir werden dadurch von den reinen Quellen der Wissenschaften abgeführet, und die Zeit, die edle Zeit, die wir anwenden könten, die gründlichste Sachen zu lernen, gehet mit Lesung so vieler nichtswürdigen Dinge verlohren. Der Verstand, welcher die schönste Wahrheiten in seiner ersten Unterweisung am leichtsten fassen könte, wird dadurch nur verwirrt und aufgehalten. Vorurtheile, unrichtige Schlüsse und das Ansehen der Lehrer, welche die Bücher schreiben, umnebeln gleichsam seine Beurtheilungs-Kraft, und er findet desto mehr Müh, das Wahre von dem Falschen zu unterscheiden und seine Begriffe auszuheitern.

Wie viel Unordnung, wie viel Zwiespalt, wie viel Blutvergiessen haben nicht bey uns die Religions-Streitigkeiten schon verursachet? Wir machen einen abscheulichen Lermen, um die Erhaltung der Wahrheit: Ein jeder behauptet, daß er solche hätte; man streitet, man disputiret darüber; man schilt, man verdammet, man verfolget sich einander. Dieses[558] ist noch nicht genug; man schmeisset sich auch wohl gar, wenn man kan, einander darüber todt. Solte man nicht die Wissenschaften verwünschen und verbannen, die in dem menschlichen Geschlecht solche Unordnungen und solchen Jammer verursachen? Solte man nicht vielmehr diejenige glückselige Unwissenheit und Einhalt preisen, die Treu und Redlichkeit erhält, und die Menschen zusammen in einer süssen Eintracht verbindet?

Dieses Ubel würde sich nie so weit ausgebreitet haben, wenn der Mißbrauch einer so edlen Kunst, als die Buchdruckerey ist, nicht darzu noch mehr Gelegenheit gegeben hätte. Die Zänckereyen der Gelehrten würden unter den Gelehrten geblieben seyn, und nicht zugleich auch das Volck in ihre Sectireyen und Banden mit eingeflochten haben: Es würden nicht so viele cursus Theologiæ und Catechismi durch den Druck heraus gekommen seyn; die, indem sie die Stärcke ihrer Verfasser zeigen solten, ihre Schwåche und Blöse entdecken. Wie es dann leicht zu beweisen stünde, daß dergleichen jetzo in einem halben Jahrhundert mehr, als in der gantzen Zeit von Christi Geburt an zu rechnen, heraus gekommen sind; daraus man mit wenig Müh, und durch die Kunst der Folgen eines Satzes aus dem andern, wieder so viele besondere Religionen machen könte. Der ungeheuren Menge der Streit-Schriften, welche mit der grösten Wuth und Schmähsucht geschrieben sind, nicht einmahl zu gedencken.[559]

In der Rechts-Gelährtheit ist dieser Mißbrauch des Bücherdruckens auf einen gleichen Grad gestiegen, doch mit dem glücklichen Unterscheid, daß darinn die verschiedene Meynungen nicht solche Zerrüttungen und Spaltungen im gemeinen Wesen, als die Religions-Streitigkeiten, nach sich gezogen haben.

Ob man in den übrigen Theilen der Gelehrsamkeit, durch die Erfindung der Druckerey, weiter als die Alten, gekommen sey; läßt sich daraus urtheilen, indem wir meistens nur dasjenige wieder aufwärmen, was jene durch ihre Scharfsinnigkeit ausgedacht und der Nachwelt hinterlassen haben. Wir bedienen uns bey allem eingebildeten Fortgang der Wissenschaften, doch noch immer dieser verjahrten Wegweiser; und wenn es einer unter uns im Bücher schreiben sehr weit gebracht hat; so erlanget er doch daraus erstlich den grösten Ruhm, wenn man ihm die Ehre erweiset, daß man seine Schriften mit denjenigen der alten Griechen und Lateiner vergleichet; welche unstreitig die Geschicklichkeit besassen, mit einer Zeile mehr zu sagen, als wir öfters mit vielen mühsam auf einander gearbeiteten Worten, nicht auszudrücken vermögen.

Quelle:
Johann Michael von Loën: Der redliche Mann am Hofe. Frankfurt am Main 1742., S. 556-560.
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