1.

Das ist von der Rose die Geschichte,

Wo Amor's Kunst ich ganz berichte.


Es sagen Manche, daß im Traum'

Durchaus Nichts sei als Lüg' und Schaum –

Doch wahrlich giebt es Träume wohl

Die mehr sind als nur Schäume hohl,

Die sich erfüll'n in Wirklichkeit. –

Auch ist berühmt in alter Zeit

Ein Mann, Makrobius genannt,

Der Träum' als eitel nicht erkannt.

Auch liest man von dem Traum, der schon

Erschienen König Cipio'n1.[3]

Und wer da denkt, und wer da schreit,

Daß Narrheit sei und Albernheit,

Zu glauben, daß der Traum nicht Lug; –

Sag', wenn er will: ich sei nicht klug.

Mir für mein Theil bleibt sicher sta'n,

Daß Zeichen oft im Traum' geschahn,

Von Aergerniß und Lust der Leut'.

Denn Vielen träumt bei nächt'ger Zeit

Manch' Ding' nur dunkel übergleist,

Das nachher deutlich sich erweist.


Ich war kaum zwanzig Jahre voll,

Wo Minne anhebt ihren Zoll

Von Jünglingen. Wie meist ich thu',

Lieg' ich da eine Nacht in Ruh'

Und schlafe ziemlich fest und schwer –

Kommt mir im Schlaf' ein Traum daher,

Der, gar sehr bunt, mir wohl gefällt –

Doch gab's im Traum Nichts in der Welt,

Das dann nicht ganz so wär' gescheh'n,

Als wie es mich der Traum ließ seh'n:

Nun will ich diesen Traum erzähl'n,

Recht Euern Herzen zu empfehl'n,

Wie Minn' im Traum mich hat ergötzt;

Und wollt ihr wissen nun zuletzt,

Wie ich will nennen das Gedicht,

Von dem der Anfang hier geschieht?[4]

S' ist von der Rose die Geschichte, –

Wo Künst' der Minn' ich all' berichte.

Der Stoff ist neu und gut daran. –

Gott geb', daß dies nun leiden kann

Sie, der zu Lieb' ich es erdacht;

Sie hat so hohe Ehr' und Macht,

Hat sich der Lieb' so werth erweist,

Daß sie mit Recht die Rose heißt.


Mir scheint's, als wenn es länger wär',

Doch mind'stens ist's fünf Jahre her;

Im Wonnemond' war's, da träumte ich –

In jener Lustzeit, wonniglich,

Wo freudetrunken jeder Staub,

Wo neu sich decken will mit Laub

Ein jeder Busch, ein jeder Zaun –

Wo Nichts Du schmucklos magst erschau'n:

Die Bäume decken auf ihr Grün,

Das durch den Winter welk erschien;

Die Erd' erhebt sich selbst, ergötzt

Vom Thaue, der sie nun benetzt,

Wo bald die Armuth sie vergißt,

In der den Winter lang sie ist.

So eitel wird die alte Erd',

Daß sie ein neu Gewand begehrt.

Sie putzt und schmückt ihr Kleid so sehr,

Daß hundert Farben d'rauf und mehr,[5]

Und indisch' persisch Kraut und Blum' –

Von manch' verschied'nem Färbethum'.

Ich meine, dieses ist das Kleid,

Deß' sich die Erd' am meisten freut.

Und dem Gevögel, das nicht sang

Die herbe Winterkälte lang,

In jener Zeit so arg und trüb';

Dem wird der Wonnemond gar lieb!

Sie zeigen lustig im Gesang,

Wie ihnen Freud' das Herz durchdrang,

Daß nun mit Macht ertönt ihr Schall.

Dort singt gar schön die Nachtigall,

Hier hört man anderes Geräusch,

Und dorten quält sich mit Gekreisch'

Die Kopflerch' und der Papagei,

Dort übt jung Volk sich, wie es sei

Recht lustig und verliebt so weit

In dieser schönen süßen Zeit;

Sehr hart muß sein, wer da nicht liebt,

Wo Lieder jedes Zweiglein giebt,

Der Vögel süßer Lustgesang

Der Brust erregt den gleichen Klang,

Wo aller Gram und Harm vorbei! –

Da träumt mir eines Nachts: es sei

So weit gerade, daß der Tag

Sich dämmernd bald erheben mag.

Vom Bette sprang' ich da behend',[6]

Zog schnell mich an, wusch mir die Händ',

Und eine Silberangel fein

Nahm ich aus schmuckem Angelschrein,

Und fädelte die Angel ein. –

Da treibt mich's aus der Stadt, im Frei'n

Zu hören auf den Vogelsang,

Der durch die Büsche rings erklang

In dieser neuen Frühlingszeit. –

Ich klappe auf die Aermel beid'

Und schlendre fort so ganz allein

Und lausche auf die Vögelein,

Indem sich jed's zu singen müht,

Auf dem Gezweig', das rings erblüht –

Leichtmüthig, wonnevoll und froh.

Zu einem Bach gelang' ich so,

Den ich allda nun rauschen hör' –

Und schöner wüßt' ich's nirgends mehr

Als hier an dieses Baches Rand'

Von einem Hügel, der da stand,

Kam viel des Wassers mit Gewalt

Hell, rauschend und so kühlich kalt,

Wie'n Springquell oder Born zu seh'n,

Viel kleiner wohl nicht als die Seine –

Jedoch viel breiter noch ist die: –

Gesehen hab' ich nun noch nie,

Ein Wasser, das so herrlich floß.

So reizt' es mich und ich genoß[7]

Noch länger diesen schönen Platz.

Des Wassers leuchtend heller Schatz

Mir meinen Muth erfrischt, erweckt; –

Und wohl beschützt und wohl bedeckt

Rinnt fort der Wasserquell im Gries.

Die Wiese schön und räumig, ließ

Nicht ab von dieses Baches Rand.

Gar schön und hell und heiter stand

Der Morgen sanft gemäßigt da.

Ich geh' nun, jener Wiese nah,

Die um die Ufer rings sich zieht

Zu der das schöne Wasser flieht.

1

Scipio, den Cicero zum Träger und Helden seiner philosophischen Phantasie gemacht hat, die unter dem Titel: somnium Scipionis (Traum des Scipio) bekannt ist.

Quelle:
Guillaume de Lorris: Das Gedicht von der Rose. Berlin 1839, S. 3-8.
Lizenz:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten

Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten

Anders als in seinen früheren, naturalistischen Stücken, widmet sich Schnitzler in seinem einsamen Weg dem sozialpsychologischen Problem menschlicher Kommunikation. Die Schicksale der Familie des Kunstprofessors Wegrat, des alten Malers Julian Fichtner und des sterbenskranken Dichters Stephan von Sala sind in Wien um 1900 tragisch miteinander verwoben und enden schließlich alle in der Einsamkeit.

70 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon