[47] Die Vorigen. Stadinger.
STADINGER. Habe ich mich nicht geärgert! Konrad erblickend. Gut, daß ich dich sehe, du hast deinen Laufpaß. Ich kann keinen Gesellen brauchen, der in meiner Familie besser Bescheid weiß als in meiner Werkstatt.
GRAF. So hört mich nur einmal an.
STADINGER. Kein Wort, es bleibt dabei. – Georg, mit dir habe ich zu reden.
GEORG. Zu Befehl, Meister. Zuvor aber nehmt den Brief.
STADINGER. Ich will keinen. Es soll sich kein Mensch unterstehen, an mich zu schreiben.
GEORG. Warum denn nicht?
STADINGER. Weil ich Geschriebenes nicht lesen kann. – Wer hat ihn gebracht?
GEORG. Ein Knappe in einem prächtigen Waffenrock.
STADINGER. Lies ihn.
GEORG. Meister, ich kann auch nicht lesen.
STADINGER. Du bist mein Mann, das freut mich. Zum Grafen, der sich zurückgezogen hatte. He – du – du bist ja ein gelehrter Schmied – lies den Brief, aber deutlich, daß ich dich verstehe – Von wem ist er?
GRAF. Ich will ihn gleich erbrechen. Er erbricht ihn.
STADINGER. Kann man das nicht so sehen?
GRAF. Nein. – Er ist vom Grafen Liebenau.
STADINGER. Von dem Mädchenjäger? Was will er schon wieder?
GRAF liest. »Edler Bürger, berühmter Meister, hochgelahrter Doktor!«[47]
STADINGER. Eine gute Erziehung hat der Mensch! – Weiter!
GRAF. »Da Ihr mir auf mein Begehren Eure edle Tochter Marie ohne Ursach' abgeschlagen habt –«
STADINGER. Ohne Ursach'? Ist das nicht Ursach' genug: er ist ein Ritter.
GRAF. »So frage ich Euch zum letztenmal, ob Ihr sie mir gutwillig zu meinem Eheweib geben wollt; oder ob ich mit Macht und Ansehn sie Euch entreißen soll! Nehmt mich zu Eurem Feind – was mir aber lieber ist – zu Eurem Sohn an. Graf und Ritter Liebenau.«
STADINGER. Ei, so wollte ich doch, daß du ersticktest. Das ist eine ganz neue Art, von dem Vater die Tochter zu begehren. Wenn das Mode würde, möchte der Teufel Vater sein. Wenn dir das gelingt, so will ich keinen Tropfen mehr trinken. Der Himmel verzeihe mir den hohen Schwur. Aber da will ich einen Riegel vorschieben. Zum Grafen. Du gehst hinaus, ich habe mit Georg allein zu reden.
GRAF geht ab, nachdem er sich mit Georg noch durch Zeichen verständigt.
GEORG für sich. Was will er denn von mir? Mir wird ganz unheimlich zumute!
STADINGER. Georg, ich habe mit meinem Schwager Brenner um drei Ohm Hochheimer gewettet, daß der Ritter Liebenau nie mein Tochtermann wird, und diese Wette muß ich gewinnen. Georg, du bist mein Trost! Wie alt bist du?
GEORG. Das weiß ich nicht gewiß, es sind achtzehn Jahre, daß ich die Blattern hatte, und ich weiß nicht, war ich damals zehn oder zwanzig Jahre alt.
STADINGER. Tut nichts. Zum Heiraten bist du alt genug.
GEORG beiseite. Heiliger Bonifazius! Nun geht mir ein Licht auf.
STADINGER. Also – du wirst die Ehre zu schätzen wissen – ich mache dich zu meinem Schwiegersohn; es muß dir aber nicht unangenehm sein.
GEORG beiseite. Nun, das ist nicht übel! – Laut.[48] Meister, was fällt Euch ein? Ich bin zum Heiraten verdorben.
STADINGER. Wieso?
GEORG. Mit mir hält's keine aus.
STADINGER. Warum nicht?
GEORG. Ich habe zuviel Fehler.
STADINGER. Fehler hat jeder Mensch, die lassen sich abgewöhnen; hab ich mir zum Beispiel mein dummes Sprichwort abgewöhnt –
GEORG. I nun, es kommt noch oft genug.
STADINGER. Du sollst mich darauf aufmerksam machen, so oft ich's sagen will.
GEORG. Soll geschehen, Meister –
STADINGER. Es muß dir aber nicht unange –
GEORG. Meister!
STADINGER sich vor den Mund schlagend. Daß dich das Wetter! – Na, ruf mir gleich zu, ich laß es schon. – Also wiederum zur Hauptsache zu kommen!
Nr. 7. Duett
STADINGER.
Du bist ein arbeitsamer Mensch,
bist brav, gesund und derb;
drum geb ich meine Tochter dir
und später mein Gewerb'.
GEORG.
Ihr spaßt wohl, Meister!
STADINGER.
's ist mein Ernst,
mit so was spaß ich nicht.
Mein Mädel ist ein gutes Kind,
hat auch ein hübsch Gesicht.
GEORG.
Der Antrag ist sehr ehrenvoll –
STADINGER.
Besinn dich drum nicht lang.
GEORG beiseite.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll –
es wird mir angst und bang.
STADINGER.
Greif zu geschwind!
GEORG.
Ich fürchte mich!
STADINGER.
Geh, sei kein Hasenfuß.
GEORG.
Das ist 'ne Sache, die man sich
erst überlegen muß.
BEIDE für sich.
Das Mädel hat ein hübsch Gesicht,
drum wär der Spaß so übel nicht,[49]
schnappt ich / sie meinem Ritter / dem Herrn keck
so grade vor der Nase weg.
Das wär ein guter Spaß!
GEORG.
Es geht nicht, Meister.
STADINGER.
Was ist das?
GEORG.
Ich sag's Euch grade hin,
daß ich mich nicht vermählen kann,
weil ich Leibeigner bin.
STADINGER.
Ich kauf dich los.
Die hab ich, die paar Dreier!
Wo bist du her?
GEORG.
Ach Gott, das weiß ich gar nicht mehr!
STADINGER.
Verflucht, da wird es teuer.
GEORG.
Nicht wahr?
STADINGER.
Doch koste es auch, was es will,
ich zahle die Dukaten.
GEORG.
Mir steht der Angstschweiß auf der Stirn.
Verzweifelt.
Ich will gar nicht heiraten.
STADINGER.
Du willst nicht?
GEORG.
Nein!
STADINGER.
Du mußt!
GEORG.
Oho! Für sich. Nun wird's mir bald zu toll.
STADINGER.
Willst du, daß meine Wette ich
etwa verlieren soll?
GEORG.
Wenn mich das Mädchen nun nicht will –
STADINGER.
Sie muß dich woll'n, jetzt schweigst du still.
GEORG.
Was will sie denn mit einem Mann,
der ihr nicht einmal sagen kann,
wer seine Eltern sind.
Ich bin ein Findelkind;
ich bin auch, glaub ich, nicht getauft,
die Schriften, die man bei mir fand,
ich habe sie verloren.
STADINGER die Hände zusammenschlagend.
Am Ende ist der ganze Kerl
noch nicht einmal geboren!
Doch das ficht alles mich nicht an,
du wirst mein Tochtermann.[50]
BEIDE.
Das Mädel hat ein hübsch Gesicht,
drum wär der Spaß so übel nicht,
schnappt ich sie meinem Ritter keck
schnappt er sie dem Herrn keck
so grade vor der Nase weg.
Das wär ein guter Spaß!
STADINGER.
Nun schweigst du still, sprichst nicht mehr drein.
Du findst beim heut'gen Fest dich ein;
dort wird, wie sich's gebührt,
Verlobung deklariert.
GEORG.
Warum nicht gar.
STADINGER.
Es bleibt dabei!
Zum Teufel mit der Ziererei!
GEORG.
Ich komm nicht los, ich armer Mann!
STADINGER.
Was gilt's, er stellt sich nur so an.
GEORG.
Ich weiß mir nicht zu raten,
er peinigt mich zu Tod!
Mein Herr durch kühne Taten
hilft mir wohl aus der Not.
Man zwingt in Hymens Tempel
mich mit Gewalt hinein;
ich muß doch ein Exempel
von einem Eh'mann sein!
STADINGER.
Ein hübsches Weibchen, ein gut Gewerbe
und in die Hand noch bares Geld,
zu hoffen einst ein nettes Erbe,
was gibt es Schön'res auf der Welt?
Das kann dem Menschen schon behagen
und ließe, dächt ich, sich ertragen;
doch der Verstand wird zu seinem Frommen
ihm schon noch kommen,
er wird mir danken und ein Exempel
von einem guten Eh'mann sein!
Georg geht ab.
[51]
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