Erster Auftritt

[61] Marie am Spinnrad sitzend.


MARIE. Es geht nicht. Ich bringe nichts Gescheites zustande. Alle Augenblicke reißt der Faden. Das tut die Unruhe, die Angst, das böse Gewissen – ich habe wahrhaftig ein gutes Gewissen. Und vor des Vaters Drohung bin ich auch nicht bange; er will mich bei jeder Gelegenheit ins Kloster schicken – ich weiß doch, daß nichts daraus wird. Aber das Gerede der Leute, wie werden sie mit Spottreden über mich herfallen – und mit Unrecht, denn ich bin unschuldig, und wenn man von einem ganzen Haufen Männern überfallen wird – hat man doch manchmal mit einem schon seine liebe Not!

[61] Nr. 11. Arie


Wir armen, armen Mädchen

sind gar so übel dran;

ich wollt, ich wär kein Mädchen,

ich wollt, ich wär ein Mann!

Um unsern guten Ruf

ist's nur zu leicht geschehn;

man kann beim besten Will'n

nicht alles vorhersehn.

Wir armen, armen Mädchen

sind gar so übel dran;

ich wollt, ich wär kein Mädchen,

ich wollt, ich wär ein Mann!


Kaum sieht man einen Mann

nur von der Seite an,

so heißt's mit spött'scher Mien':

»Sie hat ein Aug' auf ihn.«

Schuf denn der liebe Gott

die Männer uns zum Groll –

daß man sie ausnahmsweis

nicht einmal ansehn soll?

Ein Mann kann machen, was er will,

da schweigt der böse Leumund still,

bei uns da schreit er laut.

Wir armen, armen Mädchen

sind gar so übel dran;

ich wollt, ich wär kein Mädchen,

ich wollt, ich wär ein Mann!


Geht man am lieben Sonntag

mit kindlich frohem Sinn,

fein sauber angekleidet,

ehrbar zur Kirche hin

und hat vielleicht zufällig

ein Bändchen mehr am Kleid –

gleich sprechen böse Zungen:

»Die strotzt von Eitelkeit.«

Da stecken Muhm' und Basen[62]

zusammen ihre Nasen

und hecheln dann und keifen:

»Seht nur die vielen Schleifen!

Die geht auch nicht zum Beten

heut in die heil'gen Hallen;

es will die eitle Dirne

den Männern nur gefallen;

seht nur, wie sie sich bläht,

wie sie sich wendet und sich dreht;

seht nur, wie sie sich ziert

und mit den Augen kokettiert!«

Ein Mann kann machen, was er will,

da schweigt der böse Leumund still.

Doch ach, wir armen Mädchen! –

Wir armen, armen Mädchen

sind gar so übel dran;

ich wollt, ich wär kein Mädchen,

ich wollt, ich wär ein Mann!

Ich wollte, ich wär ein Mann,

ich wollte, ich hätt'nen –


sie hält ein wenig inne, dann fährt sie, gleichsam ärgerlich über ihr Versprechen, fort


ich wär ein Mann.


Quelle:
Albert Lortzing: Der Waffenschmied. Stuttgart 1963, S. 61-63.
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Ausgewählte Ausgaben von
Der Waffenschmied
Der Waffenschmied: Wir armen, armen Mädchen. Sopran und Klavier. (Edition Schott Einzelausgabe)
Der Waffenschmied: Auch ich war ein Jüngling. Bass und Klavier. (Edition Schott Einzelausgabe)
Der Waffenschmied: Original
Der Waffenschmied: Ouvertüre. Klavier. (Edition Schott Einzelausgabe)

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