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[96] Andres erst noch draußen. Die Vorigen.
ANDRES draußen, leise. Vater –
PASTOR. Wer ruft?
STEIN. Ist das nicht Andres' Stimme?
FÖRSTER fortfahrend. Hier steht es: Einerlei Recht soll sein. Und das Recht hat euch gerichtet. Wer einen Menschen erschlägt, der –
ANDRES. Vater!
FÖRSTER zitternd nach der Thüre starrend, tonlos, mechanisch. Der – der – soll – sterben.
Andres tritt ein.
STEIN Andres entgegen. Gott sei Dank! Andres, du lebst!
FÖRSTER rafft sich zusammen. Es ist nicht wahr. Er ist tot. Er muß tot sein.[96]
ANDRES. Vater!
FÖRSTER die Hand abwehrend gegen ihn ausgestreckt. Wer bist du?
ANDRES immer ängstlicher. Kennst du deinen Andres nicht mehr?
FÖRSTER. Mein Andres ist tot. Liegst du erschlagen im Heimlichen Grund – dann sollst du mein Andres sein, dann ist alles gut, dann wollen wir jubeln, dann wollen wir singen: Herr Gott, dich loben wir!
PASTOR. Er ist wahnsinnig.
STEIN. Andres, mein Robert –
ANDRES. Sie haben mein Tuch, das der Lindenschmied mir gestohlen hat, eh' er den Buchjäger erschoß.
STEIN. Der Lindenschmied hat den Buchjäger erschossen? Und mein Robert –
ANDRES. Robert verfolgte ihn. Er zwang Robert, auf ihn zu schießen.
FÖRSTER. Der? Der hat deine Flinte?
ANDRES. Mit meinem Tuch gestohlen.
FÖRSTER. Und der Robert hat ihn –?
ANDRES. Der Lindenschmied war nicht tödlich getroffen; da ließ ich ihn in der Mühle verbinden und in die Gerichte schaffen –
FÖRSTER immer mehr zusammenbrechend. Ich hab' unrecht! Sinkt in einen Stuhl.
ANDRES. Drum komm' ich jetzt erst heim.
FÖRSTER steht auf, geht mit dem Gewehre zu Stein. Stein, thu' mir mein Recht.
STEIN. Was soll das?
FÖRSTER. Aug' um Aug', Zahn um Zahn –
STEIN den Pastor ansehend. Was ist das wieder?
FÖRSTER. Der Weiler hielt den Lindenschmied mit der Flinte für meinen Andres. Dein Robert hat den Lindenschmied getroffen und ich hab' deinen Robert dafür erschossen.
PASTOR. Allmächtiger Gott![97]
ANDRES zugleich. Den Robert!
FÖRSTER fast zugleich. Schieß zu.
STEIN hat die Flinte an sich gerissen. Mörder du! Der Pastor fällt ihm in den Arm.
ANDRES schnelles Zusammenspiel. Den Robert, Vater? Der Robert lebt.
Zugleich.
STEIN. Er lebt?
PASTOR. Er lebt?
FÖRSTER. Er – lebt?
ANDRES. Er lebt, so gewiß ich lebe!
FÖRSTER. Es war nur ein Traum? Ich wär' kein Mörder? Ich wär' ein unbescholtener Mann?
PASTOR. Das sind Sie, Ulrich. Verscheuchen Sie den unglücklichen Wahn.
STEIN. Mann, wozu hättst du mich verleitet! Legt die Büchse weg.
FÖRSTER. Du hast ihn gesehn? Wann hast du ihn gesehn, Andres? Jetzt, Andres? Jetzt erst, Andres?
ANDRES. Nur jetzt, wie ich heimging, begegnet' ich zwei Männern aus der Mühle mit einer Tragbahre. Der Robert hatte sie eben aus den Betten gerufen; sie gingen nach dem Heimlichen Grund; Robert war ihnen schon voraus.
FÖRSTER. Nach dem Heimlichen Grund?
PASTOR. Mit einer Bahre?
STEIN. Was lauert da noch?
FÖRSTER ist nach Mariens Kammertür gelaufen, zieht jetzt die Hand vom Drücker wieder zurück. Gott sei Dank! Horchend. Ich hör sie atmen. Oh, sie hat einen ruhigen Schlaf. Eine Welt von Sorgen, und sie atmet sie einem weg von der Brust. Hören Sie, Herr Pastor, hören Sie?
STEIN. Der Unglückliche! Sein Wahnsinn kehrt wieder.
PASTOR nach einer ängstlichen Pause, in der der Förster an seinem Gesichte hing. Ich höre nichts. Das ist Ihr eigner schwerer Atem, den sie hören.[98]
FÖRSTER beginnt wieder zusammenzubrechen. Mein eigner schwerer Atem, den ich höre – Er rafft sich zusammen, öffnet. Meine Augen lügen. Wo sie nicht ist, da seh' ich sie, und wo sie ist, da seh' ich sie nicht. Herr Pastor, um Gottes willen sagen Sie: Dort liegt die Marie. Er hat den Pastor krampfhaft beim Arm gepackt.
PASTOR. Ich sehe sie nicht. Das Bette da ist unberührt, die Fenster offen – die Frau Försterin –
FÖRSTER stürzt in die Kammer. Weib! Weib! Unglückliches Weib!
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Der Erbförster
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