[289] Venus und Luna.
VENUS. Ei, ei, schöne Luna, was die Leute nicht von dir sprechen? Sooft du in deinem Laufe die Grenze von Karien erreichest, hältst du, sagt man, mit deinem Wagen still, um auf den Endymion, der als Jäger auf dem Latmos unter freiem Himmel schläft, herabzuschauen; ja man will wissen, daß du sogar schon mitten aus dem Wege zu ihm herabgestiegen seiest.
LUNA. Frage deinen Sohn, Venus, der ganz allein schuld daran ist.
VENUS. Es ist freilich ein leichtfertiger Junge! Wie hat er nicht mir selbst schon mitgespielt? Bald verleitet er mich, dem Anchises zulieb auf den Ida, bald auf den Libanus zu dem bekannten assyrischen Jüngling. Und um diesen hat er mich noch gar zur Hälfte gebracht, weil ich ihn mit Proserpinen teilen muß, die er ebenfalls in ihn verliebt machte. An Zucht lasse ich es gewiß nicht bei ihm fehlen. Wie oft hab ich ihm nicht schon gedroht, ihm, wenn er seine Bübereien nicht lassen werde, Bogen und Pfeile zu zerbrechen und sogar die Flügel zu beschneiden. Ja, ich hab ihm wohl eher mit meinem Pantoffel den Hintern tüchtig ausgeklopft. Für den Augenblick gebärdet er sich dann freilich ganz demütig und verspricht Besserung; allein, ich weiß nicht, wie in kurzem alles bei ihm wieder vergessen ist. – Aber sage mir doch, liebe Luna, ist Endymion schön? Denn wenn man ja in dies Unglück geraten müßte,[289] so gereicht wenigstens die Schönheit des Gegenstandes zu einigem Troste.
LUNA. Mir, liebe Venus, scheint er sehr schön zu sein: zumal wenn er auf seinem über den Felsen hingespreiteten Jagdpelze schlummert und in der Linken etliche Wurfpfeile hält, die ihm schon aus der Hand entschlüpfen, den rechten Arm aber mit einer unbeschreiblichen Grazie um seinen Kopf herumgebogen hat, so daß die Hand einen Teil seines schönen Gesichtes verdeckt. So liegt er in den reizendsten Schlummer aufgelöst, und sein sanfter Atem ist so rein und lieblich, als wär er mit Ambrosia genährt. Ich gestehe dir, daß ich mich dann nicht enthalten kann, so sachte als möglich herabzusteigen, auf den äußersten Fußspitzen, aus Furcht ihn aufzuwecken, zu ihm hinzuschleichen, und dann – doch wozu brauche ich dir zu sagen, was weiter erfolgt? Genug, ich leugne nicht, daß ich vor Liebe schier von Sinnen komme.