XII. Danae.

[336] Doris und Thetis.


DORIS. Was weinst du so, Thetis?

THETIS. Meine liebe Doris, soeben sah ich, wie das schönste Mädchen mit ihrem neugebornen Sohne ins Meer geworfen wurde. Ihr Vater Akrisius ließ beide, Mutter und Kind, in eine Kiste legen, fuhr mit ihnen in die hohe See hinauf und ließ sie dort ins Meer herab, in der festen Meinung, daß sie unfehlbar darin umkommen werden.

DORIS. Und warum tat er das, Schwester? Denn du scheinst mir von dieser Sache genau unterrichtet zu sein?

THETIS. Akrisius hatte seine Tochter, ihrer außerordentlichen Schönheit ungeachtet, zu einer ewigen Jungferschaft verurteilt und hielt sie deswegen in einem ehernen Gemach eingeschlossen. Wie es weiterging, kann ich nicht gewiß sagen: aber man spricht davon, Jupiter habe sich in einen goldnen Regen verwandelt und sei durchs Dach zu ihr herabgeflossen; Danae habe den herabrinnenden Gott unwissenderweise in ihren Schoß aufgenommen und sei davon schwanger worden. Der Vater, der ein grausamer und argwöhnischer alter Mann ist, geriet darüber in einen großen Zorn, und in der Einbildung, sie habe sich unfehlbar von jemand verführen lassen, steckte er sie, sobald sie ihres Kindes genesen war, in die besagte Kiste.

DORIS. Aber wie gebärdete sie sich dabei, da sie ins Meer herabgelassen wurde?

THETIS. Sie beklagte sich mit keinem Wort über ihr eigenes Schicksal, sondern unterwarf sich der Strafe in Geduld: aber für das Leben ihres Sohnes bat sie flehentlich und[336] streckte ihn weinend dem Großvater entgegen, in Hoffnung, daß er durch die Schönheit des Kindes gerührt werden sollte, das in seiner schuldlosen Unwissenheit die Wellen anlächelte, deren Raub es zu werden verurteilt war. Ich selbst kann mich bei der bloßen Erinnerung der Tränen nicht enthalten.

DORIS mitweinend. Du machst mich auch ganz weichherzig. Sind sie denn schon tot?

THETIS. Nein! die Kiste schwimmt der Insel Seriphos zu, und sie sind noch am Leben.

DORIS. Warum eilen wir also nicht, sie zu retten und sie den Fischern, die dort am Ufer beschäftigt sind, ins Netz zu werfen? Denn die werden sie herausziehen und unfehlbar erhalten.

THETIS. Ein guter Gedanke! Das wollen wir tun! Es wäre jammerschade um sie und um das schöne Kind, wenn sie zu Grunde gehen sollten.

Quelle:
Lukian: Werke in drei Bänden. Berlin, Weimar 21981, Band 1, S. 336-337.
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