XVI.

[394] Diogenes und Herkules.


DIOGENES. Sollte das nicht Herkules sein? Beim Herkules! er ist's und kein anderer! Es ist sein Bogen, seine Keule, seine Löwenhaut, seine Statur. Aber wie kann der Sohn Jupiters gestorben sein? – Mit Erlaubnis, o du Sieger der schönsten Siege, sei so gut und sage mir, ob du tot bist. Wie ich noch im Leben war, opferte ich dir als einem Gott –

HERKULES. Und daran tatest du sehr recht: denn der wahre Herkules


lebt bei den Göttern im Himmel und hat die schönfüßige Hebe.


Ich bin nur seine Gestalt.[394]

DIOGENES. Wie verstehst du das, die Gestalt des Gottes Herkules? Und wie ist es möglich, daß einer zur einen Hälfte ein Gott und zur andern gestorben sein könnte?

HERKULES. Sehr möglich! Denn nicht er ist gestorben, sondern nur ich, sein Bild.

DIOGENES. Ich verstehe: er hat dem Pluto statt seiner einen andern Mann gestellt, und der bist du? Du bist, sozusagen, in seinem Namen tot?

HERKULES. So ungefähr.

DIOGENES. Aber Äakus ist sonst ein Mann, der es sehr genau nimmt: wie kam es, daß er den Betrug nicht merkte und einen untergeschobenen Herkules für den Wahren passieren ließ?

HERKULES. Das kam daher, weil ich ihm vollkommen ähnlich bin.

DIOGENES. Da hast du recht; so vollkommen ähnlich, daß du er selbst sein könntest. Nimm dich in acht, es könnte sich gerade umgekehrt verhalten, nämlich, daß du Herkules wärest, und deine Gestalt hätte die schöne Hebe bei den Göttern geheuratet.

HERKULES. Du bist ein naseweiser Bursche und ein Witzling! Wenn du nicht gleich aufhörst zu spotten, so sollst du auf der Stelle fühlen, wer der Gott ist, dessen Gestalt ich bin!

DIOGENES. Ich sehe, daß du schußfertig bist: aber was könnt ich von dir zu fürchten haben, da ich einmal tot bin? Aber sage mir, ich beschwöre dich bei deinem Herkules, wie er noch am Leben war, warest du, seine Gestalt, auch bei ihm? oder machtet ihr im Leben nur eine Person aus und trenntet euch erst im Tode? Er nämlich flog zu den Göttern auf, und du, seine Gestalt, wandertest, wie billig, in die Unterwelt.

HERKULES. Ich sollte mich mit so einem mutwilligen Schikanenmacher gar nicht eingelassen haben: Ich will dir aber gleichwohl soviel sagen: alles, was an Herkules vom Amphitryo war, das starb, und dies Alles bin ich; was aber vom Jupiter war, das ist im Himmel bei den Göttern.[395]

DIOGENES. Nun geht mir ein Licht auf. Alkmena hat zu gleicher Zeit zwei Herkulesse geboren, einen vom Amphitryo und einen vom Jupiter: ihr wäret also eigentlich Zwillinge, von verschiedenen Vätern und einer Mutter; und das war es, was man bisher noch nicht gewußt hat.

HERKULES. Mitnichten, Dummkopf! Wir beide machten ihn selbst, den einzigen Herkules, aus.

DIOGENES. Das ist eben nicht so leicht zu begreifen, wie zwei Herkulesse so zusammengesetzt werden konnten, daß sie nur einen ausmachten; ihr müßtet denn nur eine Art von Zentaur gewesen sein, ein Mensch und ein Gott in ein Wesen zusammengewachsen.

HERKULES. Siehst du denn nicht, daß alle Menschen auf die nämliche Art aus zwei Stücken, Seele und Leib, zusammengesetzt sind? Wo sollte denn also das Hindernis liegen, daß die Seele nicht im Himmel sei und ich, der sterbliche Teil, unter den Toten?

DIOGENES. Das wäre recht schön, edler Amphitryoniade, wenn du ein Körper wärest: so aber bist du ja nichts weiter als eine unkörperliche Gestalt. Wie ich merke, wirst du am Ende noch gar einen dreifaltigen Herkules herausbringen.

HERKULES. Und warum einen dreifaltigen?

DIOGENES. So etwan: Einer davon ist im Himmel; du, die Gestalt, bist bei uns; und der Körper verbrannte auf dem Öta zu Asche: das macht doch, sollt ich meinen, drei? Du magst also sehen, wo du einen dritten Vater für den Körper hernehmen willst.

HERKULES. Das ist ein kecker sophistischer Bursche! – Und wer bist denn du deines Zeichens?

DIOGENES. Die Gestalt des Diogenes von Sinope: ich selbst aber gehe, beim Jupiter! zwar nicht mit den unsterblichen Göttern, aber doch mit den Besten der Toten um und mokiere mich über Homer und über alle solche Schnurrpfeifereien![396]

Quelle:
Lukian: Werke in drei Bänden. Berlin, Weimar 21981, Band 1, S. 394-397.
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