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[416] Menippus und Tiresias.
MENIPPUS. Tiresias, auf ein paar Worte! Du sollst blind gewesen sein, sagt man; das ist ein Umstand, der sich dermalen nicht mehr untersuchen läßt, da wir alle leere Augen oder vielmehr bloße Löcher statt der Augen im Kopfe haben und es einem also nicht wohl anzusehen ist, ob er so blind wie Phineus oder so luchsaugig wie Lynkeus war. Aber daß du ein Wahrsager warest und vor allen andern Menschen den Vorzug hattest, zu verschiednen Zeiten Mann und Weib gewesen zu sein, erinnre ich mich sehr gut, von den Dichtern gehört zu haben. Ich bitte dich also um[416] aller Götter willen, sage mir, bei welchem Geschlechte befandest du dich besser, beim männlichen oder beim weiblichen?
TIRESIAS. Als Weib hatte ich es um sehr vieles besser, Menipp; denn die Weiber haben weit weniger zu tun und zu sorgen als die Männer. Überdies herrschen sie unumschränkt über das männliche Geschlecht, ohne daß sie in den Krieg zu ziehen oder auf den Stadtmauern Wache zu stehen, noch in den Volksversammlungen sich heiser zu schreien oder vor Gericht zu erscheinen brauchen.
MENIPPUS. Ich sehe wohl, Tiresias, daß du nie gehört hast, wie bitterlich die Euripidische Medea sich über das unglückliche Los der Weiber beklagt und wie unerträglich sie die Schmerzen findet, die sie beim Kindergebären auszustehen haben. Aber weil mich doch die Jamben der Medea darauf gebracht haben, sage mir, hast du jemals ein Kind gehabt, wie du Weib warest, oder bist du unfruchtbar gewesen?
TIRESIAS. Warum willst du das wissen, Menipp?
MENIPPUS. Es hat ja nichts auf sich, Tiresias; antworte mir nur, wenn du anders kannst.
TIRESIAS. Ich war nicht unfruchtbar und habe gleichwohl nie geboren.
MENIPPUS. Das ist mir schon genug; ich wollte nur wissen, ob du alles gehabt habest, was dazu gehört, um Mutter werden zu können.
TIRESIAS. Allerdings hatte ich das.
MENIPPUS. Wie kam es nun aber, daß du zum Manne wurdest; ging die Verwandlung allmählich und gleichsam unvermerkt oder plötzlich und auf einmal vor sich?
TIRESIAS. Ich sehe nicht, was du mit dieser Frage willst? Es scheint, du glaubst mir nicht, daß mir das alles würklich begegnet sei.
MENIPPUS. Es wäre freilich eine große Ungebühr, solche Dinge nicht zu glauben, Tiresias, man muß sie, wie ein gutes frommes Schaf, ohne alles naseweise Nachforschen, ob sie auch möglich sind, auf- und annehmen, das versteht sich![417]
TIRESIAS. Du glaubst also wohl ebenso wenig, daß Aedon in eine Nachtigall, Daphne in einen Lorbeerbaum und Kallisto in eine Bärin verwandelt worden sind?
MENIPPUS. Wenn ich jemals mit diesen Damen zusammenkommen sollte, werde ich hören, was sie sagen. Aber du, mein trefflicher Herr, weissagtest du, als du ein Frauenzimmer warst, auch schon wie nachher? Oder hast du die Rolle eines Mannes und eines Propheten miteinander spielen gelernt?
TIRESIAS. Wie ich sehe, weißt du auch gar nichts von meiner Geschichte; weißt kein Wort davon, daß ich einst einen Streit zwischen Jupiter und Juno entscheiden mußte; daß mich Juno (weil ihr mein Ausspruch mißfiel) des Gesichts beraubte, Jupiter hingegen mich wegen dieses Unglücks durch die Gabe der Weissagung zu trösten suchte?
MENIPPUS. Wie, Tiresias? hängst du auch hier noch an diesen Lügen? Doch darin machst du es wie andere Weissager auch; es ist ein allgemeiner Brauch bei euch, nichts Gesundes zu sagen.