XXX.

[419] Minos und Sostratus.


MINOS. Der Straßenräuber Sostratus hier soll in den Feuerstrom geworfen werden! Jenen Tempelschänder soll die Chimäre zerreißen! Diesen Tyrannen, Merkur, streckt neben den Tityus aufs Rad, und die Geier sollen auch ihm[419] die Leber abfressen! Ihr Guten aber eilet dem elysischen Gefilde zu und bewohnet die Inseln der Seligen zur Belohnung der Rechtschaffenheit, die ihr in euerm Leben bewiesen habt!

SOSTRATUS. Höre, Minos, ob gegen die Richtigkeit dessen, was ich sagen will, etwas einzuwenden ist!

MINOS. Ich soll schon wieder hören? Bist du nicht überwiesen worden, Sostratus, daß du ein Bösewicht bist und so viele Menschen ermordet hast?

SOSTRATUS. Überwiesen bin ich; aber ob ich auch mit Recht gestraft werde, das ist noch auszumachen.

MINOS. Das ist längst ausgemacht, oder es müßte nicht Recht sein, daß jeder empfange, was er verdient hat.

SOSTRATUS. Wenigstens, Minos, antworte mir nur auf ein paar kleine Fragen.

MINOS. So laß hören; aber mach es kurz, denn ich habe noch mehr Urteile zu expedieren.

SOSTRATUS. Alles, was ich in meinem Leben getan, hab ich es aus eigenmächtiger Bewegung getan oder kraft eines unwiderruflichen Schlusses der Schicksalsgöttin?

MINOS. Kraft des letztern, das versteht sich.

SOSTRATUS. Also handeln die Guten sowohl als wir Bösewichter, wie man uns nennt, in allem, was wir tun, als Diener dieser Göttin?

MINOS. Der Klotho nämlich, die bei eines jeden Geburt alle Taten seines Lebens anordnet, allerdings!

SOSTRATUS. Gesetzt nun, es töte einer jemanden, weil er von einem andern dazu genötigt wird, wie dies z.B. beim Scharfrichter oder bei einem Trabanten der Fall ist, wenn jener vom Kriminalrichter, dieser vom Tyrannen den Befehl dazu bekommt: wen wirst du für den Mord verantwortlich machen?

MINOS. Unstreitig den Richter oder den Tyrannen; das Schwert selbst gewiß nicht; denn das ist ein bloßes Werkzeug, dessen sich derjenige nach seinem Belieben bedient, der eigentlich an der Tat schuld ist.

SOSTRATUS. Vortrefflich, Minos, ich bedanke mich für die Zugabe zu meinem Gleichnis. Wenn mir also ein Bedienter[420] eine Summe Geldes bringt, womit ihn sein Herr an mich abgeschickt hat, wen von beiden muß ich als meinen Wohltäter in mein Gedächtnisbuch schreiben?

MINOS. Natürlich den, der dir das Geld geschickt hat; denn der andere, der es überbrachte, tat es nur als Diener.

SOSTRATUS. Siehst du nun nicht, wie ungerecht du verfährst, da du uns dafür bestrafst, daß wir als Diener der Klotho getan haben, was sie uns befahl, und jene für das Gute belohnest, das sie in ihrem Namen ausgeteilt haben? Denn daß es möglich sein könnte, sich demjenigen zu entziehen, was uns eine unbedingte Notwendigkeit auferlegt, wird doch wohl niemand behaupten.

MINOS. Mein guter Sostratus, wenn du es so genau nehmen willst, so möchte sich leicht finden, daß noch viel anderes in der Welt geschieht, das sich mit der Vernunft nicht recht zusammenreimen läßt. Indessen hast du mich mit deiner Frage wenigstens davon überzeugt, daß du ein ebenso großer Räsoneur als Straßenräuber bist; und das soll dein Schade nicht sein. Binde ihn los, Merkur, und laß ihn ungestraft. – Aber du, nimm dich in acht, daß du mir nicht auch die andern Toten solche Fragen tun lehrest![421]

Quelle:
Lukian: Werke in drei Bänden. Berlin, Weimar 21981, Band 1, S. 419-422.
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