Das Acht Gebot.
Du solt nit falsch getzeugnisz geben widder deynen nehesten.

[273] Disz gebot scheynet kleinn, unnd ist doch szo grosz, das, wer es recht halten sol, der musz leyp unnd leben, gut und ehre, freund und alles was er hat wagen unnd setzen, und begreyfft doch nit mehr dan das werck des klehnen glidmassen der zungen, und heysset aufs deutsch Warheit sagen unnd der lugen widdersprechen, wo es nodt ist: darumb werden viel bosser werck der zungen hyryn vorbotten: Zum ersten, die mit reden, die andern, die mit schweygen geschehen. Mit reden, wo fur gericht einer ein bosze sach hat, und die selben mit falschem grund beweren und treyben wil, mit behendickeit seinen nehsten fangen, alles furwenden was sein sach schmuckt und foddert, schweygen und geringern alles was seynes nehsten gutte sach foddert, in wilchem er nit thut seinem nehstenn, wie er wolt yhm gethan habenn. Das thun etlich umb geniesz willenn, etlich umb schaden odder schand zuvormeyden, damit sie das yhre suchenn mehr dan gottis gebot, entschuldigenn sich also ›Vigilanti iura subveniunt, wer do wachet, dem hilfft das recht‹, gerad als weren sie nit szovil schuldig zu wachenn fur des nehsten sach, als fur yhr eygenn, lassen alszo mutwillig des nehsten sach untergehenn, die sie wissenn das sie recht sey. Wilchs ubel itzt szo gemein ist, das ich besorg, es geschehe kein gericht odder handel, es sundige ein part widder disz gebot, und ob sie es schon nit vormugen zuvolnbringenn, habenn sie doch den unrechten mut unnd willen, das[273] sie es gerne wolten, des nehsten gutte sache untergehen unnd yhre bosze furgehenn. Sonderlich geschicht disze sund, wo der widderpart ein groszer hausz odder seynd ist: dan an dem feynd wil man sich damit rechenn, den grossen hanszen wil niemandt auff sich ladenn, unnd da hebt sich dann das schmeychlen unnd liebreden odder yhe schweygen der warheit, da wil niemant ungnad unnd ungunst, schaden und far umb der warheit willenn gewartten, unnd alszo musz das gebot gottis untergahn. Und das ist fast der welt regiment: wer hie wolt halten, wurd wol gute werck alle hend vol haben, allein mit der zungen zu volnbringen. Wievil sein yhr dartzu, die sich mit geschenck und gaben lassen schweygen und von der warheit treybenn, das es furwar auf alle ort ein hoches, grossis, seltzams werck ist, nit ein falsch getzeug sein widder seinen nehsten.

Czum andern, Uber das ist ein andere zeugnisz der warheit, die ist noch grosser, durch wilch wir widder die bosen geyste mussen fechten, und erhebt sich nit umb zeitliche ding, sondern umb des Evangelii unnd warheit des glaubens willen, wilch der bosze geist noch nie hat mogen leyden, und fugets altzeit alszo, das die grosten ym volck dawidder sein und vorfolgen mussen, wilchen [Rand: Ps. 82, 4.] schwerlich mag widderstanden werden. Davon am lxxxi. psalm stet: Erloset den armenn von der gewalt des unrechten, und dem vorlassen helfft sein rechte sache behalten. Ob nu wol disse vorfolgung ist seltzam worden, ist die schult der geystlichen prelaten, die das Evangelium nit erweckenn, sondern lassen untergehen, und haben also die sach nyderlegt, umb wilcher willen solch getzeugnisz unnd vorfolgung sich erheben solt, lerenn uns dafur yhr eygen gesetz, unnd was yhn wol gefellet. Darumb bleybt der teuffel auch stil sitzen, die weyl ehr durch des Evangelii niderlag hat auch den glauben Christi nidergelegt, und gaht alles wie er wil. Solt aber das Evangelium aufferweckt werdenn und sich widder horen lassenn, wurd an zweyffel sich widderumb die gantz welt regen unnd bewegen, das mehrer teyl der kunig, fursten, bischoffe, doctorn, geistlich und alles was grosz ist dar widder sich legen und wutend werdenn, wie es dan altzeit geschehen ist, wo das wort gottis an tag kommenn ist: dan es mag die welt nit leyden, was von got kumpt. Das ist beweyset in Christo, der das allergrossist, liebst, beste was und ist, das got hat, noch hat yhn die welt nit allein nit auff genommen, sondern greulicher vorfolget, dan alles was yhe von got kommen ist. Drumb wie zu seiner zeit, also zu allertzeit seyn wenig, die der gotlichen warheyt bey stehen und dran setzen unnd wagen leyp unnd leben, gut und ehre, und alles was sie habenn, wie [Rand: Matth. 24, 9.] Christus vorsprochenn hat ›Ihr werdet umb meynes namens willen von allen[274] menschen gehasset werdenn‹, Item ›gar viel werden yhr an mir geergert werden‹. [Rand: Matth. 24, 10.] Ja wan diesze warheyt wurd angefochtenn von den pawren, hirten, stalknechten unnd geringen menschenn, wer wolt und mocht sie nit bekennen und betzeugen? aber wo sie der Bapst, die Bischoff, sampt den fursten und kunigenn anficht, da fleugt, da schweygt, da heuchlet yderman, auff das sie nit vorlyren yhre gutter, yhr ehr, yhr gunst und leben.

Czum dritten, Warumb thun sie das? darumb, sie haben keinen glauben in got, vorsehen sich nichts guttis zu yhm. Dan wo diese zuvorsicht und glauben ist, da ist eyn mutiges, trotziges, unerschrocknes hertz, das hyn an setzt, unnd der warheyt beystet, es gelt hals odder mantel, es sey widder bapst odder kunige, wie wir sehen, das die lieben Merterer than haben: dan ein solch hertz lessit yhm gnugen und sanfft thun, das er eynenn gnedigen, gunstigen got hat, darumb voracht er gunst, gnad, gut, ehr aller menschen, lessit faren und kommen was nit bleyben wil, wie ym xiiij. psalm geschrieben stet [Rand: Ps. 15, 4.] ›Er vorachtet die gottis vorachter, und ehret die gotfurchtigen‹, das ist, die tyrannen, die gewaltigenn, die die warheit vorfolgen unnd got vorachten, furchtet er nit, er sihet sie nit an, er vorachtet sie, widderumb die vorfolget werden umb der warheit willen und got furchten mehr dan menschen, den henget er an, stet yhn bey, helt uber sie, ehret sie, es vordriesz wen es wolle, wie von Mose Heb. xi. stet, das ehr seinen brudern beystund, unangesehen [Rand: Hebr. 11, 24 ff.] den mechtigen kunig von Egypten.

Sihe da, in disem gebot sihstu aber kurtzlich, das der glaub musz sein der werckmeyster disses wercks, das on yhn solchs werck niemand kun ist zuthun: alszo gar ligen alle werck ym glauben, wie dan nu offt gesagt ist, drumb sein auszer dem glauben alle werck tod, sie gleyssen und heyssen wie gut sie mogenn. Dan gleich wie disses gebottis werck niemant thut, ehr sey dan fest unnd unerschrocken in gotlicher huld zuvorsicht, also thut er auch kein werck aller andern gebot on den selben glauben, das ausz dissem gebot leychtlich ein yglicher mag ein probe und gewicht nehmen, ob er ein Christen sey, und in Christum recht gleube, unnd alszo, ob er gutte werck thu, aber nit. Nu sehenn wir, wie der almechtige got uns unsern hernn Jesum Christum nit allein dar gesetzt hat, in yhn mit solcher zuvorsicht zuglewben, sondern auch ein exempel der selben zuvorsicht unnd solcher gutter werck in yhm unns furhelt, das wir in yhn gleuben, ym volgen und in yhm ewiglich bleyben, wie er sagt Johan. xiiij. ›Ich bin der weg, die warheit und das leben‹, der [Rand: Joh. 14, 6.] weg, darin wir yhm folgen, die warheit, das wir in yhn gleuben, das lebenn, das wir in yhm ewiglich leben.[275]

Ausz dissem allen ists nu offenbar, das alle ander werck, die nit gebotten sein, ferlich sein und leicht zuerkennen, also do sein kirchen bawen, tzieren, walfarten, und alles was in den geistlichen rechten szo manchfeltiglich geschrieben, die welt vorfuret unnd beschweret, vorterbet, unrugig gewissen gemacht, den glauben geschwigen und geschwecht hat, und wie der mensch an den gebotten gottis, ob er schon als ander nachlest, in allen seinen krefften zuschaffen gnug hat, unnd nymmer mehr die gute werck alle thunn mag, die yhm gebotten sein, warumb sucht er dan andere, die yhm nit nodt noch gebotten sein, unnd lessit nach die nottigen und gebotten?


Die letzten zwey gebot, wilch vorbieten die boszen begirden des leybs, lust und zeitlicher gutter, seyn an yhn selbs klar unnd bleyben dem nehsten on schaden, auch szo weren sie bisz in das grab lind bleybt der streit in uns widder die selben bisz in den todt: drumb sein disse zwey gebot vonn sanct [Rand: Röm. 7, 7.] Paul in eynsz getzogen Ro. vij. unnd zu einem tzil gesetzt, das wir nit erreychen unnd nur hyntzu gedencken bisz in den todt, den niemant yhe szo heylig gewesenn ist, der nit bosze neygung in yhm befulet het, szonderlich wo die ursach und reytzung kegenwertick gewesen ist. Dan es ist die erbsund uns vonn natur angeborn, die sich dempffenn lessit, aber nit gantz ausz rotten, an durch denn leyplichen tod, der auch umb der selben nutzlich und zuwunschen ist. Des helff uns got, Amen.

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Martin Luther: Werke. 120 Bände, Band 6, Weimar 1888 ff., S. 273-276.
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