Von dem Funfften Gebot.

[265] Disse vier vorgangen gebot haben yhr werck in der vornunfft, das ist, das sie den menschen gefangen nehmen, regieren und unterthan machen, auff das er sich selb nit regiere, nit sich gut dunck, nit etwas vonn yhm selb halt, sondern sich demutig erkenne und furen lasse, damit die hoffart erweret wirt. Disse nachfolgende gebot handeln mit den begirden und wollusten des menschen, sie auch zutodten:

Zum ersten, die zornige und rachsuchtige begird, davon das funfft gebot sagt ›Du solt nit todten‹. Wilchs gebot hat ein werck, das doch viel begreyfft[265] unnd vil laster vortreybt, unnd heist sanfftmutickeit. Die selb ist nu zweyerley. Die ein gleysset fast hubsch unnd ist nichts dahyndenn, wilche wir haben gegen die freund, unnd die uns nutzlich, genieszlich sein an gut, ehr und gunst, odder die uns nit beleydigen, noch mit worten, noch mit wercken. Solche sanfftmutickcit haben auch unvornunfftige thiere, lewen unnd schlangen, heydenn, Judenn, Turckenn, buffen, morder, bosze weyber. Disze allesampt sein tzu frieden und senfft, wo man thut was sie wollen odder sie mit friden lesset, und doch nit wenig, durch solch untuchtige senfftmutickeit betrogen, yhren zorn bedecken und entschuldigen also ›Ich wolt wol nit tzurnen, wo man mich mit friden liesse‹. Ja, lieber mensch, also were der bosze geyst auch senfftmutig, wo es yhm noch seinem willen gienge: der unfrid und die beleydung ubirkumpt dir darumb, das sie dich dir selbs ertzeygen wil, wie vol du zorns und boszheit stickist, dadurch du vormanet werdest, nach senfftmutickeit zuerbeyten und den zorn ausztzutreyben. Die ander senfftmutickeit ist grundlich gut, wilch sich ertzeygt gegen die widersacher unnd feynd, den selben nichts schadet, nit sich richet, nit flucht, nit lestert, nichts ubels nachredet, nichtes ubels widder sie gedenckt, ob sie gleich gut, ehre, leyp, freund und alles genommen hetten. Ja wo sie mag, thut sie ihn gut fur das bose, redet yhn das beste nach, ge- [Rand: Matth. 5, 44.] denckt yhr am bestenn. bittet fur sie. Davon sagt Christus Matth. v. Thut wol denen, die euch leyde thun, bittet fur ewr vorfolger und lesterer, und [Rand: Röm. 12, 14.] Paulus Ro. xij. Benedeyet die, die euch vormaledeyen, und maledeyet sie ja nicht, sondern thut yhn wol.

Czum andern, Nu sich disz kostlich hohe werck, wie es unter den Christen vorgangen ist, das nit mehr dan hader, krieg, zanck, zorn, hasz, neydt, affterreden, fluchen, lestern, schaden, rach, und allerley zorns werck und wort mit voller gewalt ubir alle regieren, und doch daneben wir hyn gehen mit vielen feyrtagen, mesz horenn, gebetlin sprechenn, kirchenn stifften, geistlichen schmuck, die got nit geboten hat, szo prechtig und ubirschwenglich gleyssen, als weren wir die heiligsten Christen, die noch yhe gewesen sein, und lassen alszo durch disse spiegel unnd larven gottis gebot zu poden untergehen, das auch niemant sich bedenckt odder betracht, wie nahe odder ferr ehr von der senfftmutickeit sey und disses gottis gebottis erfullung, so er doch gesagt, das nit wer solche [Rand: Joh. 14, 15. 21. / 15, 10.] werck thu, sondern wer seine gebot halte, der wirt ynsz ewige leben gehenn.

Die weyl dann niemant lebt auff erden, dem got nit zufuge einen tzeiger seines eygen tzorns und boszheit, das ist, seinen feynd und widderpart, der yhm leyde thu an gut, ehre, leyp odder freund, unnd damit probirt, ob auch noch zorn da sey, ob er dem feynd kunde holt sein, wol von yhm reden, wolthun,[266] und nichts ubels widder yhn furhabe, szo kum nu her, wer do fragt, was ehr thun sol, das er gutte werck thu, gut gefellig und selig werde. Er neme seinen seynd fur sich, bilde den selben stetiglich fur seyns hertzen augen, zu solcher ubunge, das er sich daran breche und sein hertz gewene, fruntlich von dem selben zugedencken, yhm das beste gonnen, fur yhn sorgen und bitten, darnach, wo die zeit ist, wol von yhm reden und wolthun. Vorsuch dis stuck wer do wil, wirt er nit seyne lebtag zuschaffen gnug gewinnen, szo straff er mich lugen unnd sag, disse rede sey falsch gewesen. Szo aber got disz wil haben, und sonst sich nit wil betzalen lassen, was hilfft es doch, das wir mit in andern grossen wercken umbgahen, die nit gebotten sein, unnd dis nachlassen? Drumb spricht gut Matth. v. Ich sag euch: wer do tzurnet mit seynem nehsten, [Rand: Matth. 5, 22.] der ist schuldig des gerichtes, wer do sagt zu seynem bruder ›racha‹ (das ist, einn grewlich, tzornigs, gretssigs zeichen gibt), der ist schuldig des radts, wer aber spricht tzu seinem bruder ›dw nur‹ (das ist, allerley scheltwort, fluchen, lesterung, nach reden), der ist schuldig des ewigen fewrs. Wo bleybet dan die that mit der handt, als schlagenn, wundenn, todten, schaden etc. so die gedancken und wort des tzornes szo hoch vordampt sein?

Czum dritten, wo aber grundlich senfftmut ist, dar jamert das hertz alles ubel, was seynem seynd widderferet, und das sein die rechten kind und erb gottis, und bruder Christi, der fur uns alle hat alszo than an dem heyligen creutz. Also sehen wir, das ein frumer richter mit schmertzen ein urteil fellet uber den schuldigen, unnd yhm leyd ist der tod, den das recht uber den selben dringt. Hie ist ein schein in dem werck, als sey es tzorn unnd ungnad, szo gar grundlich gut ist die senfftmut, das sie auch bleybt unter solchen zornigen wercken. Ja am aller hefftigisten im hertzen quellet, wen sie also tzurnen und ernst sein musz.

Doch mussen wir hie zusehen, das wir nit sanfftmutig seyn widder gottis ehre und gebot: dan es stet geschrieben von Mosi, das er der aller senfft- [Rand: Sir. 45, 4.] mutigist mensch auff erden war, und doch, do die Juden das gulden kalb [Rand: 2. Mos. 32, 28.] hatten angebet und got ertzurnet, schlug er yhr vil zu todt, und damit got wider vorsunet. Also tzimpt sichs nicht, das ubirkeit wolt feyren und sund regiren lassen, unnd wir dasselben stil zu schweygen: mein gut, mein ehre, meinen schadenn sol ich nit achten, und nit drumb tzurnen, aber gottis ehre und gebot, unnd unser nehsten schaden odder unrecht mussen wir weren, die uberern mit dem schwert, die andern mit wortten und straffen, unnd doch alles mit jamer der, so die straff vordienet haben.[267]

Dis hohe, fein, susse werck wirt sich leichte lernen lassen, wo wir das selb ym glauben thun, unnd den selben dran uben, den szo der glaub nit zweiffelt an der huld gottis, das er einen gnedigenn got hat, wirt yhm gar leicht werdenn, auch seinem nehsten gnedig unnd gunstig zu sein, wie hohe der selb sich vorwirckt habe, dan wir uns gar vil hoher gegen got vorwirckt haben. Sihe da ein kurtz gebot ist das, aber ein lange, grosz ubunge gutter werck unnd des glaubens darinnenn angebenn wirt.

Quelle:
Martin Luther: Werke. 120 Bände, Band 6, Weimar 1888 ff., S. 265-268.
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