Neuntes Capitel.

Der Schwur.

[606] Wie während eines Gewitters der Kampf der Elemente den Einen niederdrückt und banges Zagen in ihm erweckt, so wird der Andere zu enthusiastischer Bewunderung fortgerissen. Scheint es doch zuweilen, als ob der Anblick der wild empörten Natur den Muth des schwachen Sterblichen stähle und ihn aufmuntere, sich wild und verwegen in den Kampf des Lebens hineinzustürzen und mit keckem Muthe an irgend[606] eine, oft in tollem Leichtsinn übernommene schwierige Aufgabe sich heranzuwagen.

So erging es auch mir, als ich, nachdem ich mich bei Königswinter über den Rhein hatte setzen lassen, dem mir auf so geheimnißvolle Weise bezeichneten Versammlungsort zuwanderte.

Die Sonne hatte längst die Mittagslinie überschritten, und die Schatten begannen schon, sich nach Osten hin erheblich zu verlängern, als das leichte duftige Gewölk, welches den größten Theil des Tages hindurch den südlichen Horizont bedeckt hatte, sich zu schweren, wetterleuchtenden Massen verdichtete und schnell heraufzog.

Die Aussicht, durchnäßt zu werden, hatte für mich nichts Schrecklichen, und mehr mit fröhlicher Theilnahme, als mit einem Gefühl der Unbehaglichkeit, betrachtete ich die schwarzgrauen Wolken, wie sie, mit rasender Eile unausgesetzt ihre äußeren Formen verändernd, sich dräuend über einander thürmten und endlich das Strahlenantlitz der Sonne vollständig verschleierten.

Ich betrachtete die Wolken, ich lauschte dein fernen Rollen des Donners und beobachtete zugleich die Menschen und Thiere, wie dieselben, Jedes auf seine Art, den Schutz eines sichern Obdachs zu erreichen trachteten.

Als dann endlich ein dem Ungewitter vorauseilender Sturmwind durch das Rheinthal sauste, hier die eilenden Fluthen des Stromes in unzählige kleine Wellen aufrührte, dort in den Straßen den Staub in dichten gelben Säulen emporwirbelte und sich sogar an den nur einigermaßen lose haftenden Halmen eines schwer beladenen und im Trabe der Tenne zugeführten Heuwagens vergriff, wie da die Vögel des Waldes ängstlich ihren verborgenen Schlupfwinkeln zuflogen, die Krähen so besorgt krächzten, die Rinder so verstört brüllten und ihren Ställen und Schuppen zueilten; und wie die Bauerburschen so lustig lachten, wenn ein heimtückischer, unverschämter Windstoß hier ein weißes Kopftuch, dort eine lose um die Schultern geschlungene Schürze entführte und die züchtig anschließenden Röckchen neckisch aufbauschte! Und als dann endlich der erste Wetterschlag das Echo ringsum in den Bergen wachrief und gleich darauf schwere Regentropfen klatschend auf die Erde schlugen, wie da Alles seine Eile verdoppelte und die auf der Zunge schwebenden Scherzreden schnell verstummten! Ich aber, im vermessenen Bewußtsein meiner unüberwindlichen Kraft, schloß meine Faust fester um den glatten Knopf meines Ziegenhainers, und so wohlgemuth, wenn auch im Grunde erfüllt von ernsten Gedanken, bog ich in den nach der Höhe hinaufführenden Pfad ein, als hätte ich, sowohl gegen den Regen, als auch gegen den zischenden Wetterstrahl, die Unverwundbarkeit eines Achilles besessen.

Daß ich eine derartige Unverletzlichkeit nicht besaß, erfuhr ich indessen nur zu bald, denn erst wenige hundert Schritte hatte ich an dem Abhange hinauf zurückgelegt, da brach der Regen mit einer Wolkenbruchartigen Heftigkeit los, so daß nach kurzer Frist durch das auf dem Pfade niederströmende Wasser meine Schritte gehemmt wurden und ich mich auf dem schlüpfrig gewordenen Boden kaum noch vorwärts zu bewegen vermochte.[607]

»Ein Römer würde diesen Regen als eine von den Göttern ausgehende Warnung betrachten und umkehren, anstatt sich tiefer in ein gefährliches Unternehmen einzulassen,« dachte ich, indem ich nach einem Schutz umherspähte.

»Weil ich aber kein Römer bin,« fuhr ich fort zu philosophiren, »will ich das böse Omen nicht weiter berücksichtigen und nur so lange irgendwo untertreten, bis der Regen vorüber ist.«

Da fielen meine Blicke auf einen alten verlassenen Basaltsteinbruch, dessen Grenze bis auf wenige Schritte au die Straße heranreichte, und hoffend, daselbst ein nothdürftiges Obdach zu finden, begab ich mich schnell dahin.

In meinen Erwartungen fand ich mich nicht getäuscht, denn indem man in den Abhang hineingearbeitet hatte, war die Erdoberfläche auf eine kurze Strecke unterminirt worden, und da der Boden dieser Aushöhlung sich ebenfalls nach Außen senkte, so war ich nicht nur von oben gegen den Regen geschützt, sondern das Wasser strömte zu meinen Füßen auch ebenso schnell wieder ab, wie es sich ansammelte.

In zwei Sprüngen befand ich mich im Trocknen, und das Wasser von mir abschüttelnd, setzte ich mich auf einen Felsblock so hin, daß ich die volle Aussicht auf den Rhein und das hinter demselben sich erhebende, aber dicht verschleierte Siebengebirge genoß.

Meine nähere Umgebung hatte ich in der Hast nicht beachtet, es mußte mich daher auf's Aeußerste überraschen, plötzlich ganz in der Nähe den Ton einer menschlichen Stimme zu vernehmen, ohne daß ich auch zu gleicher Zeit des Menschen selber ansichtig geworden wäre.

Die Rückwand des Steinbruchs zog sich nämlich in einem weiten Bogen herum, aber keineswegs in einer ununterbrochenen Fläche, sondern, je nachdem das Gestein schichtweise nachgiebiger und loser haftend befunden worden war, halten die Arbeiter, gleichsam Nischen bildend, sich mehr oder minder tief in den harten Basaltfelsen hineingearbeitet.

Ohne mich umzuschauen war ich also in die erste beste Nische hineingetreten, und wenn auch einer in der nächsten Aushöhlung verborgenen Person meine Annäherung nicht entgehen konnte, so hätte ich doch um den mich von ihr trennenden Pfeiler herumblicken müssen, um überhaupt eine Ahnung von ihrer Anwesenheit zu erhalten.

Beim ersten Ton, welchen ich vernahm, war ich im Begriff aufzuspringen, um mich von dem äußeren Charakter meines Nachbars zu überzeugen, doch änderte ich ebenso schnell meinen Entschluß, sobald ich die Stimme erkannte und erwarten durfte, daß die Worte ausdrücklich, wenn auch mittelbar, mir gelten sollten. Ich verhielt mich daher ruhig, und mit einer eigenthümlichen Spannung, die meinen bizarren Jugendträumen vollständig entsprach, lauschte ich.


»Die Blitze sprüh'n, der Donner kracht,

Vom Himmel strömt der Regen,

Ich hatte aus dem Berge Wacht,

Umtobt von Wetterschlägen,«


sang die unsichtbare Wandrerin die selbstgedichteten Verse nach einer wilden, offenbar selbstcomponirten Melodie, worauf sie wieder eine Weile schwieg.

Obwohl ich der unglücklichen Brüsselbach schon[608] vielfach auf meinen Spaziergängen und Fußreisen begegnet war, und zwar meist dann und an solchen Orten, wo und wann ich sie am allerwenigsten zu finden erwartete, so erschien mir ihre Anwesenheit in dem Steinbruch doch als etwas ganz Ungewöhnliches und Unbegreifliches.

Zu jeder andern Zeit würde ich, auf die Entdeckung ihrer Nähe, ganz gewiß sogleich vor sie hingetreten sein, um mit dem armen Geschöpf das Gewitter und den Regensturm zu verplaudern; an jenem Tage dagegen war mir mehr um ihre wilden Poesien zu thun, welche ich als ebenso viele Orakelsprüche betrachten und auf die bequemste und mir angenehmste Art deuten konnte.

Ihre Orakelsprüche erhielten aber in meinen Augen gerade dadurch einen erhöhten Werth, weil ich mir sagen durfte, daß sie mich gesehen habe und daher ihr Geist sich ausschließlich mit mir beschäftige.

Nach einigen Minuten, und nachdem ein furchtbarer Wetterschlag die Felsen ringsum erbeben gemacht hatte, der dichter niederströmende Regen aber sogar die unten am Fuße des Berges befindlichen Häuser und Baumgruppen nur noch als dunklere Schatten in der bleigrauen Atmosphäre hervortreten ließ, sang Fräulein Brüsselbach mit verändertem Rhythmus und noch trüberem Ausdruck weiter.


»Was wollt Ihr auf dem Berge,

Ihr frisches, junges Blut?

Wollt Ihr zum Himmel steigen,

Wo Blitz und Donner ruht?«


Ich war betroffen; wußte sie um meinen Plan und die an mich ergangene Aufforderung, oder war es nur Zufall, daß der Sinn ihrer Worte auf meine heimlich eingegangenen Verpflichtungen anspielte? so fragte ich mich mit wachsender Spannung.

Nach einer längeren Pause, welche die Irrsinnige offenbar zur Bildung eines neuen Verses verwendete, hob sie wieder an:


»Was wir lieben, geht verloren,

Tritt oft an des Grabes Rand,

Gerade dann, wenn wir es glaubten

Sicher schon in unserer Hand.«


»Welch' schauerliche Phantasien,« sprach ich in Gedanken, und mein Herz bebte, indem ich mir Johanna, namentlich aber die brennende, flüchtige Röthe auf ihren Wangen vergegenwärtigte. Fast bereute ich, schon so viel vernommen zu haben, und dennoch vermochte ich es nicht über mich zu gewinnen, die unheimliche Sängerin zu unterbrechen.


»Und so saß er eines Morgens,

Eine Leiche da;

Nach dem Fenster noch das bleiche,

Stille Antlitz sah.«


Recitirte sie im nächsten Augenblick, und ich glaubte zu errathen, daß die Insel Nonnenwerth, die jetzt allmälig aus dem nachlassenden Regen hervortauchte, ihr Schiller's schöne Ballade in's Gedächtniß gerufen habe.


»Auf Sonnenschein folgt Regen,

Auf Regen Sonnenschein,

Dort oben auf dem Berge

Blüht Dir verbot'ner Wein,«


hieß es jetzt weiter.

Die wiederholte Warnung vor dem Berge mußte[609] mich natürlich sehr befremden, und mit meinem besten Willen war ich nicht mehr im Stande, Fräulein Brüsselbach's Poesien für das zu halten, was sie eigentlich waren, nämlich Ergüsse eines kranken Gemüthes.


»Die Tochter ihres Vaters,

Sie ahnte, wer es war,

Beseligt und beglückend

Folgt sie ihm zum Altar!«


sprach sie darauf mit lautem Pathos und weniger feierlichem Ausdruck, als ob der Streifen Sonnenlicht, welcher dem davoneilenden schwarzen Gewölk auf dem Fuße nachfolgte, sie heiterer gestimmt habe.

»Excellenz,« fügte sie dann in ihrer gewöhnlichen zutraulichen Weise hinzu, welche Bezeichnung sich nur auf mich beziehen konnte, »Excellenz hätten etwas früher kommen müssen, Ihro Gnaden Sammetröckchen würde alsdann keinen Schaden gelitten haben.«

»Fräulein Brüsselbach, ich begrüße Sie und mache Ihnen mein Compliment über die gefällige Art, in welcher Sie den Pegasus zu tummeln verstehen,« rief ich mit erkünstelter Heiterkeit aus, indem ich um die Felsenecke herumsprang und zu ihr in die Nische trat, denn ich wollte mit Gewalt die Eindrücke verscheuchen, welche sie mit ihren wirren Dichtungen auf mich ausgeübt hatte.

Sie bot in ihrem Aeußern ganz dasselbe Bild, wie damals auf dem Godesberg, und wie damals, schien sie auch hier mit Schreiben beschäftigt gewesen zu sein. Ich bemerkte wenigstens, daß ihr geöffnetes Dintenfläschchen auf einem schmalen Vorsprung der Basaltmauer stand, und sie eben ihre Feder trocknete. Von Papier sah ich indessen nichts, vermochte also auch nicht zu errathen, ob sie das Geschriebene in die Tasche gesteckt oder, wie sie häufig zu thun pflegte, in eine Felsritze verborgen habe.

Bei meinem Eintreten in die Nische erhob Fräulein Brüsselbach sich mit überaus komisch verschämtem Wesen von dem Felsblock, auf welchen: sie so lange gesessen hatte; ihre Hände fuhren ordnend über ihr grünes Baret und zupften demnächst das gestickte Unterkleid in malerische Falten, worauf sie eine kunstgerechte tiefe Verbeugung ausführte.

»Den Herrn Grafen habe ich die Ehre willkommen zu heißen,« sagte sie mit einem gutmüthigen Lächeln auf den breiten ausdrucklosen Zügen.

»Behalten Sie Platz, Fräulein Brüsselbach,« entgegnete ich, mich ebenso förmlich verbeugend, »es freut mich, Sie einmal wiederzusehen, hat es doch fast den Anschein, als ob wir uns hier ein Rendez-vous gegeben hätten.«

»Und das bezweifeln der Herr Graf noch?« fragte die Irrsinnige in vorwurfsvollem Tone, indem sie sich etwas höher aufrichtete, ohne daß indessen das gutmüthige Lächeln aus ihrem Antlitz gewichen wäre; »und das bezweifeln der Herr Graf?« wiederholte sie, ihre graublauen Augen voll auf mich heftend und eine theatralische Haltung annehmend; »doch ich begreife: Eure Excellenz belieben nur mit Ihrer unterthänigen Dienerin zu scherzen, indem Euer Gnaden unser wohlverabredetes Zusammentreffen dem Zufall zuschreiben. Nichts in der Welt ist Zufall. Alles ist Bestimmung, und schon seit zwei Stunden harre ich auf den Herrn Grafen.«[610]

»Was? aus mich gewartet haben Sie?« rief ich, lachend aus, trotzdem der Irrsinnigen geheimnißvolles Wesen nicht ohne Einfluß auf meine Stimmung blieb und ich nichts sehnlicher wünschte, als einen Beweis für ihre Behauptung zu erhalten, »wie wollen Sie das erklären? Hege ich selbst doch erst seit gestern die Absicht hierherzukommen.«

»Erklären, Herr Graf?« fragte Fräulein Brüsselbach, indem sie ihr Dintenfläschchen zukorkte und in die Tasche schob, »erklären Eure Excellenz mir vorher, warum es eben noch über uns donnerte und blitzte, während jetzt der Himmel sich wieder öffnet und die Sonnenstrahlen nach allen Richtungen hin den Regen auszutrinken sich bemühen, und ich will dem Herrn Grafen erklären, warum ich hier bin.


Ich folge meinem Sterne,

Getrost und ohne Scheu,


und darum bin ich hier, und darum habe ich Ihre Gnaden bereits seit zwei Stunden erwartet.«

»Und so hätten Sie denn wirklich um mein Kommen gewußt?« fragte ich mit verstellter Verwunderung, »wohlan, ich will es glauben; dann müssen Sie mir aber auch sagen können, wohin ich gehe.«

»Der Herr Graf gehen hin, wohin die anderen gestreiften Käppchen gingen, immer hinauf, immer den Berg hinan; aber hüten sich der Herr Graf, auf dem Berge wächst verbotener Wein.«

»Ah, das läßt sich hören, ich gehe allerdings dahin, wo ich Kameraden zu finden hoffe; aber noch Eins, Fräulein Brüsselbach, hatten Sie einen Zweck, als Sie mich erwarteten?«

»Einen Zweck?« fragte die Wahnsinnige zurück, mich erstaunt aber immer lächelnd von oben bis unten betrachtend, »ich hatte einen Zweck, einen sehr triftigen Zweck, warum ich hier einkehrte: ich wollte nicht naß werden, wie der Herr Graf, der Zeug genug zum Wechseln besitzt; und als ich Ihro Gnaden dann bemerkte, wie Sie den Berg heraufkamen, da durfte ich doch wohl darauf rechnen, daß Sie nicht ohne einzukehren hier vorbeigehen würden.«

»Also dennoch Alles Zufall,« murmelte ich verdrossen vor mich hin, indem ich abwechselnd das Herverbrechen der Sonnenstrahlen und das schnelle Verlaufen des Wassers beobachtete.

»Wie befehlen der Herr Graf?« fragte Fräulein Brüsselbach zuvorkommend.

»Ich befehle nichts, ich habe nur laut gedacht.«

»Ah, der Herr Graf gedachten ihrer, mit dem Rabenhaar und den Azuraugen. Glück auf, Herr Graf; die Augen sind der Spiegel der Seele, und in ihren Augen stand mit flammender Schrift geschrieben das holde Lied von der jungfräulichen Liebe, dem Brautkranz und dem Altar.«

Nicht ohne Wohlgefallen hörte ich zu, wie sie abermals meiner Liebe zu Johanna einen so glücklichen Erfolg verhieß, ohne daß ich sie darum befragt oder sie auch nur eine Ahnung von meinen geheimen Wünschen gehabt hätte. Zugleich beschlich mich aber die unbestimmte Besorgniß, daß durch eine Verlängerung des Gespräches das vor mir aufgerollte heitere Bild eine düstere Färbung erhallen könne; und hätte ich, um mich zu beruhigen, ihre trüben Weissagungen als wirre Gedanken einer Geisteskranken in das Reich der Thorheiten zurückgewiesen, so wären selbstverständlich[611] auch die mir zusagenden Prophezeiungen mit demselben Schlage vernichtet gewesen.

Letzteres wollte ich aber nicht gern, und da der heftige Regenguß sich allmälig in einen schillernden Sonnenregen verwandelt hatte und, nach den Aeußerungen der Irrsinnigen zu schließen, die mir noch unbekannten Verschworenen bereits oben eingetroffen waren, so bereitete ich mich zum Aufbruch vor.

»Wollen der Herr Graf nicht das Ende des Regens abwarten?« fragte Fräulein Brüsselbach, sobald sie mein Vorhaben bemerkte.

»Ich muß fort, mein liebes Fräulein,« entgegnete ich heiter, um ihr jede Gelegenheit zu düsteren Prophezeiungen und Unheil verheißenden Sprüchen abzuschneiden, »ja, ich muß fort; nachdem ich durchnäßt wurde, kümmern mich die paar Tropfen nicht mehr. Das Wasser in den Wegen hat sich verlaufen, und so wünsche ich Ihnen eine glückliche Reise, wohin Sie auch immer Ihre Schritte lenken mögen.«

So sprechend, steckte ich ihr ein kleines Geldstück zu, worauf ich mich umwendete, um zu gehen.

»Ich danke, Herr Graf!« rief Fräulein Brüsselbach mir nach, »reifen auch Sie glücklich und hüten Eure Excellenz sich vor dem Schwarzen.«

»Was meinen Sie mit dem Schwarzen?« fragte ich hastig, noch einmal zurückschauend.

»Schwarze Haare, schwarze Augen, schwarze Kleidung und schwarze Seele.«

Unwillkürlich gedachte ich Bernhard's, auf den diese Beschreibung möglichen Falls hätte passen können, doch vermied ich weiter zu forschen, aus Furcht, daß dadurch neue Zweifel in meiner Brust wach gerufen werden würden. Dagegen faßte ich den Vorsatz, Bernhard bei der nächsten Gelegenheit zu fragen, ob er jemals mit der Wahnsinnigen zusammen getroffen sei.

»Ich werde vor dem Schwarzen auf meiner Huth sein!« rief ich lachend zurück, worauf ich hastig aus dem Steinbruch kletterte und auf dem rein gewaschenen Pfade meinen Weg aufwärts verfolgte.

Die ganze Gegend schwamm jetzt wieder im glänzendsten Sonnenschein; nur einzelne transparente Wolken segelten noch an dem aufgeklärten Himmel dahin, strichweise leichte Schauer blitzender Tropfen, wie Peilen und Diamanten aus einem Füllhorn des Segens auf die erquickte Erde niedersendend.

Gegen Norden und Nordosten verfinsterten wetterleuchtende Wolkenmassen noch immer den Horizont; dumpf grollte der Donner in der Ferne, als ob er darüber gemurrt habe, nur der ihm streng angewiesenen Straße folgen zu dürfen, während ein wunderbar schöner Doppelregenbogen scheinbar das Thor bildete, durch welches das Unwetter abgezogen.

Die Atmosphäre hatte sich aber gereinigt; ein erfrischender Luftzug wehte zwischen den Bergen hindurch; Bäume, Sträucher und Pflanzen prangten in ihrem schönsten, saftigsten Grün, und hoch oben im sonnigen Aether jubelten die dankbaren Leichen so innig, so zum Heizen dringend, daß man in ihre heiteren Melodien hätte mit einstimmen mögen.

O, es war eine entzückende Wanderung den Berg hinauf! Wollüstig athmete ich die mit süßen Wohlgerüchen erfüllte Luft ein, und wie berauscht von so[612] viel Schönheit ließ ich meine Blicke weit, weit in die Ferne schweifen.

In mächtigen Windungen verfolgte der majestätische Strom seine tausendjährige Bahn gen Norden, gerade da am Horizont verschwindend, wo seitwärts von den Gewitterwolken, mit einem duftigen Schleier verhangen, aber dennoch deutlich erkennbar, die Thürme und Zinnen des altehrwürdigen Cöln emportauchten. Bewaldete Hügelreihen, hier gekrönt mit einer alterthümlichen Kapelle, dort geschmückt mit den malerischen Ueberresten zerfallender Burgen, wechselten anmuthig mit grünen Saatfeldern und Weingärten ab. Strohgedeckte Dörfer erzählten von der Betriebsamkeit der Menschen, stattliche Villen von deren Reichthum; weiß übertünchte Häuser erinnerten an die Neuzeit, graue unregelmäßig angelegte Baulichkeiten an das Ehemals; und während der morsche Mauerbogen von Rolandseck und der zerbröckelnde Thurm der Ruine Drachenfels von der Vergänglichkeit alles Irdischen zeugten, boten die stattlichen Bauwerke der Natur, das Siebengebirge mit seinen pittoresken Außenlinien und der alte Vater Rhein noch immer dasselbe unveränderliche Bild, wie einst vor Jahrtausenden.

Ich blickte bewundernd über die herrliche Landschaft hin und jubelte in Gedanken mit den Lerchen um die Wette; mir war, als ob der wachsende frische Lebensmuth mir die Brust hätte zersprengen müssen, als ob wirklich die Kraft einer Armee in meine Faust übergegangen wäre. Hatte sich aber meine Phantasie im jugendlichen Rausch so hoch emporgeschwungen, daß ich glaubte, wie aus den Wolken auf die kleine Erde niederblicken zu können, und schaute ich darauf rückwärts nach der Löwenburg hinüber, nach der Richtung, in welcher die traute Oberförsterei lag, o wie friedlich und doch auch wieder so stürmisch klopfte mir dann das Herz. Gefühle der mildesten und freundlichsten Art erfüllten meine Brust, und indem alle meine Gedanken sich um eine einzige Hoffnung vereinigten, sprach ich wie unbewußt vor mich hin: »Johanna!« –

Nach ziemlich mühevoller Wanderung auf dem noch schlüpfrigen Pfade erreichte ich endlich den Gipfel des Berges. Die Sonne neigte sich stark den Westlichen Höhen zu, als ich oben eintraf und vergeblich nach Denjenigen spähte, die mich dorthin gefordert hatten.

Ich dachte schon daran, meine Anwesenheit durch einen lauten Ruf zu verkünden, in der Hoffnung, in gleicher Weise eine Antwort zu erhalten, als meine Blicke auf einen Stab fielen, welcher auf der Mitte des kleinen den Berggipfel bildenden Plateaus in die Erde gesteckt worden war und auf dem obern Ende einen Streifen Papier, wie ein Fähnchen, lustig in ein leisen Abendwinde flattern ließ.

»Das Papier muß unstreitig erst nach dem Regenguß dort befestigt worden sein,« dachte ich, mich demselben nähernd und es von dem Stäbchen lösend, Ein Blick belehrte mich, daß ich mich nicht täuschte, denn ich enträthselte sogleich meinen in Chiffern geschriebenen Namen, dem noch mehrere Reihen mit Bleifeder geschriebener Zahlen beigefügt waren.

»Sei uns willkommen als Bruder und Mitkämpfer. Die Vorsicht gebietet uns, nicht eher von[613] Angesicht zu Angesicht bekannt mit Dir zu werden, als bis Du durch einen heiligen Eid bekräftigt, daß Du fest entschlossen bist, unserm Bunde beizutreten, und Deinen Entschluß nicht bereust. Noch ist es Zeit zum Umkehr; wir wandeln auf gefährlichen Wegen; prüfe Dich daher, und fühlst Du den leisesten Zweifel, so laß diesen Zweifel maßgebend für Dein ferneres Verhalten sein. Kehre um; vergieß, was Du erfahren hast, bringe dieses Schreiben an dieselbe Stelle, von welcher Du es fortnahmst, und trachte nicht danach, Einen von uns kennen zu lernen; es würde vergebliche Mühe sein. Bist Du indessen bereit, Dein Leben auf den Altar des Vaterlandes niederzulegen, dann zerbrich, als Beweis, daß Du mit allen andern, Dich in Deinem Thun und Lassen möglichen Falls beeinflussenden Rücksichten gebrochen, den Stab vor Deinem Knie und hebe, Gott zum Zeugen Deines Willens und Deines Versprechens anrufend, Deine Hand empor.«

So lautete das Schreiben. Aufmerksam las ich es zu Ende, als ich aber den Inhalt schon längst kannte, blickte ich noch immer, wie lesend, auf dasselbe hin.

Ich ahnte, daß von allen Seiten prüfende Augen auf mich gerichtet seien, und schämte mich, die in meiner Seele wühlenden Zweifel vor diesen zu verrathen. Bei dem Satz, daß ich mit allen andern Rücksichten zu brechen habe, gedachte ich meines greisen, wohlwollenden Vormundes und ich zögerte mit meiner Entscheidung; sobald ich mir aber Johanna's holdes Bild vergegenwärtigte, mir in's Gedächtniß zurückrief die traurige Geschickte, welche sich an ihre Kindheit knüpfte, und daß sie wohl verdiene, nicht nur der geliebte und gesegnete Mittelpunkt einer glücklichen Häuslichkeit, sondern auch ein hochgeachteter und verehrter, leuchtender Stern im höchsten, geselligen Verkehr zu werden, da fühlte ich alle Bedenken plötzlich von mir weichen.

Um den unbekannten Beobachtern darzulegen, daß für den Muthigen Nichts zu gefährlich sei, zerriß ich das Papier schnell in kleine Stücke, und nachdem ich diese in die Luft geschleudert, daß sie, ähnlich einer kleinen Heerde verirrter Schneeflocken, um mich herumwirbelten und der Richtung der Luftströmung eine Strecke nachfolgten, legte ich meine Hand mit festem Griff an den Stab. Ein kurzes Rütteln und er befand sich in meinem Besitz, mit ebenso entschiedenen Bewegungen zerbrach ich ihn darauf in der mir vorgeschriebenen Weise, und meine Hand feierlich emporhebend rief ich aus: »ich schwöre!«

Alsbald begann es sich hinter den Stechpalmengruppen und den durch Brombeerranken fast undurchdringlich gemachten Wachholderbüschen zu regen. Farbige Mützen tauchten ringsum empor und treue Hände streckten sich mir von allen Seiten zum brüderlichen Gruß entgegen.

Das Erscheinen von fünfzehn oder sechszehn Studenten hatte ich erwartet, es überraschte mich daher nicht. Aber einen Ausruf des Erstaunens vermochte ich nicht zu unterdrücken, als ich in die vertrauten Gesichter von Commilitonen schaute, mit denen ich so manches liebe Mal beim heitern Zechgelage vereinigt gewesen, so manches liebe Mal bei der ernsten Melodie des »Landesvater« die spitze Rappierklinge,[614] zum Zeichen ewiger Treue, durch die hochgehaltene Corpsmütze gestoßen.

»Also auch Du!?« rief ich erstaunt aus, als meine Blicke zuerst einen alten Schulfreund von mir trafen, »und auch Du?« fuhr ich fort, einem flotten Burschen, dem ich einst im ernsten Duell gegenübergestanden, die Hand drückend, »und Du und Du?« rief ich jedesmal, sobald ich in ein anderes befreundetes Antlitz sah und in demselben den Ausdruck ungeheuchelter Freude entdeckte.

»Und vor allen Dingen Du selber,« hieß es von allen Seiten zurück, »Du, unser Bruder auf Leben und Tod, Du, unser treuer Gefährte bei dem ernsten Werke, welches wir vorbereiten.«

Wäre ich über die von mir einzuschlagende Handlungsweise noch von Zweifeln befangen gewesen, in diesem Augenblick hätten sie gewiß ihr Ende erreicht. Denn fühlte ich mich schon gehoben durch den warmen Empfang, der mir zu Theil wurde, so empfand ich eine doppelte Befriedigung, mich nur von Freunden und Studiengenossen umgeben zu sehen, die ich, ihrer ehrenhaften Führung wegen, stets mit Achtung zu betrachten gewohnt war, und die, hochgestellten wie auch bescheidenen Familien entsprossen, nicht nur den Unterschied in ihrem Herkommen, sondern auch die oft maßgebende Dauer ihrer Studienzeit bis auf die letzte Spur vergessen hatten. Da zeigte sich nichts von finsterem Fanatismus oder überspannter Schwärmerei, dagegen sprach deutlich aus den enthusiastisch leuchtenden Augen die heilige Ueberzeugung, daß man sich ein edles, ein erhabenes Ziel gesteckt habe und mit Freuden bereit sei, zur Erreichung desselben, Alles, selbst Leben und Freiheit in die Wagschale zu werfen. Ich blickte im Kreise herum, überall gewahrte ich denselben Ausdruck, an welchem sich mein Herz erwärmte und meine leicht erregbare Phantasie sich entzündete, und nachdem die erste Begrüßung beendigt, da rief ich, von wildem Entzücken ergriffen, noch einmal laut aus, indem ich die Mütze von meinem Haupte zog: »Treue bis zum Tode! Treue über das Grab hinaus, und mag Gottes Segen auf unserm Beginnenn ruhen!«

»Mag Gottes Segen auf unserm Beginnen ruhen!« antwortete im Chor die Schaar der Brüder; die Häupter entblößten sich, wie zum Gebet, und die Augen erhoben sich andächtig zum Himmel, an welchem eine Heerde rosig-glühender Wölkchen einherzog.

Die Sonne, bereits ihres blendenden Strahlenkranzes beraubt, beleuchtete magisch die mittelalterlich geschmückten Gipfel der Berge, die Lerchen, zum letzten Mal für diesen Tag emporgestiegen, schmetterten ihr Abendlied, und tief unten, in der Mitte des Rheines auf der grünen Insel, da rief nach alter gewohnter Weise vom Thurm der Klosterkapelle das Vesperglöcklein zum gemeinsamen Ave Maria.

Wie aus den Wogen des Rheines selbst tönten die feierlichen Klänge zu uns herauf; mochten sie auch in den leeren, längst für andere Zwecke eingerichteten, gespenstischen Klosterräumen ungehört verhallen, so erweckten sie doch manches Gemüth zu frommen Betrachtungen. Mir war es wenigstens, als ob die Natur vor dem Entschlummern noch einmal das Hochamt abgehalten und der liebe Gott selber als Meßner das Glöcklein dazu geläutet habe.[615]

Aehnliche Gefühle mußten meine Kameraden bestürmen, denn alle erschienen von demselben Ernst, von demselben festen, heiligen Willen erfüllt, und lange dauerte es, eh' Einer daran dachte, das Wort zu ergreifen und in einer begeisternden Rede des uns zu einem mächtigen Ganzen vereinigenden Zweckes zu gedenken.

Zu weiteren Berathungen und Beschlüssen kam es an diesem Abend nicht. Es handelte sich vornehmlich darum, mich in die Geheimnisse der durch alle deutsche Gaue reichenden Verbindung einzuweihen und mir es zu ermöglichen, mich ohne Gefahr fremden Gesinnungsgenossen zu erkennen zu geben, aber auch solche zu erkennen.

Ueber den Plan der Ausführung des Unternehmens, welches eine so vollständige, staatliche Umwälzung, die Vereinigung aller deutschen Lande zu einem einzigen, untheilbaren, unüberwindlich starken Ganzen im Gefolge haben sollte, ließ man mich im Dunkeln, doch bin ich geneigt anzunehmen, daß die wenigsten meiner Kameraden damals schon Kenntniß davon besaßen, die meisten aber, wie ich, vorläufig nur zu Werkzeugen in den leitenden Händen bestimmt waren, oder gewissermaßen eine Art von Prüfungszeit durchzumachen hatten. –

Es dämmerte, als wir unsere geheime Versammlung aufhoben und uns zur Heimwanderung nach Bonn rüsteten, und jetzt erst fiel mir auf, daß Bernhard sich nicht unter den Anwesenden befand.

Da ich keinen Grund mehr hatte, meinen Verkehr mit ihm als ein Geheimniß vor meinen Mitverschworenen – wie ich damals mit Stolz meine Commilitonen nannte – zu betrachten, so erkundigte ich mich offen nach ihm.

Es befremdete mich, zu vernehmen, daß er sich nur in den seltensten Fällen an den Zusammenkünften betheilige, deshalb aber nicht minder thätig für den glücklichen Erfolg des großen Wertes sei. Da er keine Collegien mehr besuchte, so konnte, namentlich weil er Geistlicher war, sein zu häufiger Verkehr mit den Studenten leicht auffallen und zu Argwohn Veranlassung geben. Er hatte daher, seine Unabhängigkeit benutzend, die schwierigere Rolle eines Vermittlers zwischen den verschiedenen Universitäten übernommen, und ging bald hierhin, bald dorthin, um zu berichten und zu erfahren, was man, selbst in Chiffreschrift, dem Papier anzuvertrauen sich scheute.

So hatte er auch an diesem Tage erst einen unten vorbeifahrenden Wagen dazu benutzt, um nach Heidelberg und Frankfurt zu gelangen, wo er die nächste Zeit zuzubringen beabsichtigte.

»Ist er denn hier oben gewesen?« fragte ich im Laufe des Gesprächs, während wir langsam in's Thal niederstiegen.

»Er begleitete uns bis hinauf,« erhielt ich von mehreren Seiten zur Antwort, »dann lehrte er zurück, um den Wagen nicht warten zu lassen. Es hat sich nämlich ein Onkel von ihm, der, wie er selbst, ursprünglich aus Italien stammt, zu ihm gesellt, und um sich des ihm gleichgültigen, wahrscheinlich auch etwas zudringlichen Verwandten auf wenig auffällige Art zu entledigen, war er gewissermaßen gezwungen, bis Koblenz in dessen Gesellschaft zu reisen und seinen Wagen zu benutzen.«

»Habt Ihr den Herrn Onkel gesehen?« fragte[616] ich gespannt, denn ich dachte in diesem Augenblick an Fräulein Brüsselbach und die versteckte Warnung, welche sie mir ertheilt hatte.

»Ein echter Pfaffe mit feinem, glattem Wesen,« antwortete Einer aus der Gesellschaft, »und ich verdeute es Bernhard nicht, daß er sich so wenig zu ihm hingezogen fühlt.«

»Hüten Sie sich vor dem Schwarzen,« summte, mir die Warnung der Wahnsinnigen in den Ohren, doch vergaß ich dieselbe schnell wieder, indem ich überlegte, daß sie wohl schwerlich den fremden Geistlichen jemals gesehen und daher gemeint haben könne, und die letzten Bedenken, welche ich über Bernhard's Charakter noch hätte hegen können, erstarben schnell, als ich vernahm, mit welcher Wärme man seine Opferwilligkeit und Umsicht pries, die er namentlich auf seinen Reisen an den Tag lege.

»Wer hätte gedacht, daß sein verschlossenes, sogar abstoßendes Wesen nur eine klug gewählte Maske sei,« sagte ich sinnend zu dem an meiner Seite hinschreitenden Gefährten.

»Und dennoch gehören gerade solche Leute, die, wie Bernhard, von geheimen, ehrgeizigen Plänen geleitet werden, mit zu den festesten Stützen unserer Verbindung. Ihr Ehrgeiz ist die sicherste Bürgschaft ebensowohl für ihre Treue, wie dafür, daß sie vor keinen Opfern und Anstrengungen zurückbeben, wenn es gilt, dem allgemeinen Besten zu dienen.« –

In dem Gasthofe von Rolandseck verweilten wir nur lange genug, um uns durch einen Becher Wein zu erfrischen, und rüstig wanderten wir darauf dem in nächtliche Schatten gehüllten Bonn zu. Wie bei frühern Gelegenheiten heiterer Gesang dazu diente, uns die Zeit zu verkürzen, so gaben wir uns an diesem Abend, da nur Gleichgesinnte uns hörten, ausschließlich tief-ernsten Gesprächen und Berathungen hin.

Dieselben wirkten förmlich berauschend auf mich ein, denn als ich gegen Morgen endlich mein Schlafgemach betrat, da war ich wie umgewandelt. Des Oberstlieutenants ehrwürdige Gestalt hatte nichts Drohendes, nichts Schreckenerregendes mehr für mich; ich fühlte mich erhaben über alle Vorurtheile der bevorzugten Stände, und heiß ersehnte ich die Zeit herbei, in welcher ich stolzerfüllt vor meinen Vormund winde hintreten und ihm Rechenschaft über mein Thun und Lassen ablegen können, die Zeit, in welcher ich die goldigen Früchte meines kühnen Entschlusses, gewonnen unter Gefahren und im furchtbaren Kampfe um die höchsten Güter der Völker, Johanna zu Füßen legen durfte.

Quelle:
Balduin Möllhausen: Die Mandanenwaise. In: Deutsche Roman-Zeitung, 2. Jg., Band 2, Berlin 1865, S. 606-617.
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Noch in der Berufungsphase zum Schulrat veröffentlicht Stifter 1853 seine Sammlung von sechs Erzählungen »Bunte Steine«. In der berühmten Vorrede bekennt er, Dichtung sei für ihn nach der Religion das Höchste auf Erden. Das sanfte Gesetz des natürlichen Lebens schwebt über der idyllischen Welt seiner Erzählungen, in denen überraschende Gefahren und ausweglose Situationen lauern, denen nur durch das sittlich Notwendige zu entkommen ist.

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Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

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