Drittes Capitel.

Der Brief.

[29] Fast in demselben Augenblick, in welchem der Kopf des vordersten Pferdes in unfern Gesichtskreis trat, brach die junge Amazone in ein helles, herzliches Lachen aus. »Seht doch, welche Eile sie haben, ihren Haustyrannen wiederzufinden!« rief sie aus, indem sie emporsprang und ihre federgeschmückte Mütze lustig ums Haupt schwang. »Betrachtet nur ihre Gesichter,« fuhr sie mit bezauberndem Muthwillen fort, »sollte man nicht meinen, ihnen sei die verbürgte Nachricht zugegangen, meine regenbogenfarbigen Haare hingen bereits sammt meiner Kopfhaut, der bessern Conservirung wegen, in dem Rauchfang irgend eines beliebigen indianischen Naturaliensammlers? Ueberzeugt. Euch selber, mein edler Gastfreund, wenn die Leute noch so besorgt um mich sind, kann meine Tyrannei, von der Ihr so viel Aufhebens macht, nicht so sehr schwer wiegen!«

»Kate, ich freue mich zwar sehr, Dich wohlbehalten wiederzusehen, allein Du zwingst mich wirklich dazu, entweder selbst umzukehren, oder Dich bis zur nächsten Handelsstation zu bringen und Dich dort bis zu meiner Rückkehr streng bewachen zu lassen!« rief ein aller stattlicher Herr zornig aus, indem er vom Pferde sprang und, seine Hände auf dem Rücken zusammenlegend, dicht vor das junge Mädchen hintrat.

»Guten Tag, mein lieber, theurer Vater!« entgegnete Miß Kate fröhlich lachend, dem alten Herrn um den Hals fallend und einen schallenden Kuß auf seine Lippen drückend, »guten Tag, meine hochgeehrten Herren Brüder!« wendete sie sich dann an zwei kräftige junge Leute, welche zugleich mit ihrem Vater eingetroffen, aber noch nicht von ihren Pferden gestiegen waren; »tausend Dank für Cure freundliche Fürsorge, Ihr seht, ich befinde mich in guter Gesellschaft und habe bereits recht tüchtig zu Mittag gespeist, während Ihr wahrscheinlich noch den Hirsch schießen möchtet, der Euren Hunger stillen soll.«

»Laß die Kindereien jetzt bei Seite und höre mein letztes Wort,« unterbrach sie der Vater streng; »wenn Du fortfährst, auf Deine eigene Hand die Wildniß, und sogar noch zu Fuß zu durchwandern, so wirst Du mich bald bereuen machen. Dich überhaupt mitgenommen zu haben.«[29]

»Aber ich kann nicht so lange schlafen, wie meine trägen Brüder,« versetzte Kate, eine komisch herausfordernde Haltung annehmend, »und wenn Du wirklich grausam genug wärest, mich zurückzusenden, so würde ich meinen Gefangenwartern bei der ersten Gelegenheit entspringen und nach drei Tagen schon wie der bei dem besten und großmüthigsten aller Väter eintreffen.«

»Schon gut, schon gut, meine Tochter,« entgegnete Mr. Dalefield besänftigt, »ich weiß, an Dir ist keine Hülfe mehr; allein heute hätte ich doppelten Grund gehabt. Dir zu zürnen, daß Du mit unbegreiflichem Leichtsinn Gefahren für Dich heraufbeschwörst, weil – weil – nun weil mir scheint, als ob wir doch nicht so sicher gestellt wären, wie wir bis jetzt geglaubt haben, und Dinge um uns her vorgehen, welche die größte Vorsicht von unserer Seite erheischen.«

»Das wäre ja herrlich!« rief Miß Kate mit einem neckischen Seitenblick auf mich ans, »ich befürchtete bereits, wir würden nach St. Joseph zurückkehren müssen, ohne das kleinste Abenteuer erlebt zu haben.«

»Fordere das Geschick nicht heraus, Mädchen,« versetzte der Vater wieder ernster, indem er mich prüfend betrachtete, »Du kannst nicht wissen, wie nahe uns die Gefahr ist, und glaube mir, wenn ich Dir sage, daß ich allen Grund habe, argwöhnisch zu sein.«

Offenbar wollte er sich nicht deutlicher aussprechen, weil er in mir einen Fremden sah, von dem er nicht wissen konnte, ob er ihm trauen dürfe; ich hielt es daher für angemessen, mich an der Unterhaltung zu betheiligen und, wie es im Westen Sitte ist, meine Dienste anzubieten.

Meine Einladung, in meiner Nähe das Lager aufzuschlagen, wurde von allen Seiten angenommen; der Jüngere der beiden Brüder ritt zurück, um die übrigen Mitglieder der kleinen Expedition und den Wagen herbeizuschaffen, die andern beiden Pferde wurden bei den meinigen gepflöckt, Schanhatta, unterstützt von Miß Kate, beschäftigte sich mit der Zubereitung eines neuen Mahls, wir drei Männer dagegen legten uns im Schatten der Laube nieder, um die nichts Gutes verheißenden Umstände, von welchen Mr. Dalefield gesprochen hatte, genauer in Erwägung zu ziehen.

Zu einem Neger, einer Negerin und zwei weißen Arbeitern hatte Dalefield während seiner Reise auch noch zwei Indianer gedungen, welche ihn als Führer und Jäger bis nach Fort Union hinauf begleiten sollten. Dieselben hatten sich für Minetareh-Indianer ausgegeben und versprochen, anstatt den weiteren nur beschwerlicheren Weg am Missouri hinauf zu verfolgen, die große Biegung des Stromes abzuschneiden und die Gesellschaft in gerader und näherer Richtung quer durch die Wildniß nach dem an der Vereinigung des Missouri und des Yellow-Stone-Flusses gelegenen Fort zu bringen.

Die Sicherheit, mit welcher die beiden eingeborenen Jäger sie, nachdem sie den Missouri hinter sich zurückgelassen hatten, auf Pfaden führten, auf welchen sogar die Beförderung des leichten Reisewagens keine Schwierigkeiten fand, und der Umstand, daß sie fast nur wildreiche Gegenden berührten und nie ohne Wasser lagerten, hatten bei den Reisenden[30] nichts weniger, als Mißtrauen aufkommen lassen. Sie hielten ihre indianischen Begleiter für vollständig zuverlässig und priesen sich glücklich, gerade mit solchen gediegenen Wüstenjägern zusammengetroffen zu sein; denn es verging kein Tag, an welchem sie nicht von irgend einer aufregenden Jagd oder einem erfolgreichen Fischzug zu erzählen gehabt hätten.

So hatten sie denn nach einem Marsch von mehreren Wochen dasselbe Flüßchen, aber weiter oberhalb erreicht, an welchem ich seit bereits acht Tagen stromaufwärts gezogen war. Da auch dort die Führer immer noch keine Miene machten, sich dem Missouri wieder zuzuwenden, im Gegentheil, zur Fortsetzung ihrer Reise eine Richtung bezeichneten, in welcher sie unbedingt weit westlich von Fort Union auf den Yellow-Stone-Fluß gestoßen wären, so fühlte Dalefield sich veranlaßt, die Richtung der Reise selbst zu bestimmen und seinen festen Entschluß zu erklären, sich auf dem nächsten Wege an den Missouri zurückzubegeben.

Die Versicherungen der Führer, daß in der von Dalefield vorgeschlagenen Richtung das Land nicht nur wasserarm, sondern auch für Wagen unzugänglich sei, hatte zum ersten Male Verdacht bei diesem erweckt und ihn dazu bestimmt, fest auf seinem Willen zu beharren. Die Indianer hatten sich denn auch endlich in seine Wünsche gefügt, und seit drei Tagen waren sie bereits an dem Flüßchen, ohne auf die bezeichneten Hindernisse zu stoßen, stromabwärts gewandert. Die Willfährigkeit der Führer und ihre Zuvorkommenheit, wenn es galt eine Jagd anzustellen, hatte das Mißtrauen, welches Dalefield gegen sie hegte, zum Theil wieder eingeschläfert, als plötzlich sein Argwohn aufs Neue, und zwar in erhöhtem Grabe wach gerufen wurde.

Am Morgen desselben Tages nämlich, an welchem sie mein Lager erreichten, als Miß Kate sich schon längst auf den Weg begeben hatte und endlich auch für die kleine Expedition das Zeichen zum Aufbruch ertheilt worden war, bemerkte Dalefield, daß statt der gewöhnlichen zwei Führer, sich deren nur einer in geringer Entfernung vor dem Zuge hinbewegte. Auf seine Frage nach dem Abwesenden erhielt er zur Antwort, daß derselbe die Spur eines Panthers aufgenommen habe und im Laufe des Tages, spätestens gegen Abend wieder bei der Gesellschaft eintreffen werde.

Die Zeit verstrich, Mittag rückte heran, allein der zweite Führer blieb verschwunden, weßhalb bei Allen die Besorgniß erwachte, daß sie möglicher Weise das Spiel einer hinterlistigen Verrätherei geworden seien. Hatte es doch ganz den Anschein, als ob man sie absichtlich vom Missouri fortgelockt habe, um sie in einem abgelegenen Winkel zu berauben und zu ermorden, und der eine Führer nur entflohen sei, um die auf ihre Opfer vielleicht schon seit längerer Zeit harrenden Raubgenossen von der veränderten Richtung in Kenntniß zu setzen und auf näheren Wegen an einen Ort zu senden, wo sie ihren Anschlag dennoch unentdeckt und ungestraft würden zur Ausführung bringen können.

Mit dem Argwohn gegen ihre indianischen Begleiter hatte sich aber auch zugleich die größte Besorgniß um die abwesende Tochter und Schwester eingestellt,[31] und war es dieser zuzuschreiben, daß der Vater mit seinen Söhnen, den Windungen des Flüßchens folgend, so weit vorauseilte und endlich, trotz der Freude des Wiedersehens, seine Tochter mit einer ihr sonst ungewohnten Härte über ihre gänzliche Mißachtung von Gefahren tadelte.

Ich hatte nur noch so viel Zeit, zu fragen, ob man dem bei der Gesellschaft zurückgebliebenen Indianer Beweise von Mißtrauen gegeben habe, und, als dieses verneint wurde, das strengste Schweigen gegen denselben anzurathen, als Harry, der jüngste Sohn Dalefield's, um den Ufervorsprung herumritt, anscheinend sich sehr angelegentlich mit einem ihm zur Seite einherschreitenden eingeborenen Jäger unterhaltend.

Bald darauf folgte auch der Wagen nach; aber erst nach längerer Zeit, nachdem die Pferde ausgespannt und abgesattelt worden waren und man sich schon mit dem Aufschlagen der beiden Leinwandzelte beschäftigte, näherte ich mich meinem Küchenfeuer, vor welchem der Indianer sich nachlässig auf seine Büchse lehnte und mit großer Aufmerksamkeit der Arbeit der beiden jungen Mädchen zuschaute.

Was er dachte, und ob er überhaupt etwas dachte, ging aus seinem feuerroth bemalten Gesicht nicht hervor. Mich vermochte er indessen nicht zu täuschen, ich war zu vertraut mit indianischen Gebräuchen und Sitten, und entging mir daher ebenso wenig die versteckte Theilnahme, mit welcher er unter seinen matt niederhängenden Augenlidern hervor Schanhatta betrachtete, wie daß er, wenn er glaubte es unbemerkt ausführen zu können, einen spähenden Blick über mich hingleiten ließ.

Er empfand offenbar tiefen Verdruß über meine Anwesenheit, und wohl hatte er Ursache dazu, denn ich hätte mich nicht so lange müssen unter den Dacotah-Stämmen, jagend, tauschend, lernend und beobachtend umhergetrieben haben, um nicht auf den ersten Blick zu entdecken, daß ich am allerwenigsten einen Gros ventre oder Minetareh-Indianer vor mir sehe.

Im Uebrigen war der Fremdling eine stattliche Erscheinung, sowohl was seinen hohen und ungewöhnlich starten Körperbau anbetraf, als auch hinsichtlich seiner prahlenden Betreibung und vollständigen Bewaffnung, die mehr auf einen angesehenen Krieger und Häuptling beuteten, als auf einen Pfadsucher, der durch Dienstleistungen geringerer Art seinen Unterhalt von den Weißen zu verdienen suchte.

Das Haar trug er lang und ohne Kopfputz, nur zwei mit Otterfell umwickelte Flechten fielen von seinen Schläfen weit über die breite Brust nieder. Außerdem bemerkte ich dicht unterhalb der festgeflochtenen Wirbellocke eine dicke Strähne weißer Haare, die, wahrscheinlich auf einer vernarbten Wunde gewachsen, mit Vorbedacht recht augenfällig um die Skalplocke herumgewunden worden war. Von den Gesichtszügen war nicht viel zu erkennen, dieselben wurden zu sehr durch die dicke Lage rother Farbe verwischt und erhielten durch die von den schlaffen Lidern halb verschleierten Augen nur einen geringen Grad von Leben.

Seinen Oberkörper schmückte außer einigen blauen Tätowirungen und dem Riemen, an welchem der gefüllte Köcher von Luchshaut und die Kugeltasche nebst[32] Pulverhorn hingen, keine Bekleidung, dagegen fiel von seinem Gurt ein scharlachfarbiger schmaler Schur; bis auf die Erde nieder, wie auch an seinen wildledernen Leggins und Mokassins alle nur denkbaren indianischen Zierrathen, von der farbigen Glasperle und den Lederfransen, bis zu den flatternden Skalpstreifen von erschlagenen Feinden, sinnig und nicht unmalerisch angebracht werden waren.

Nach Dalefield's Mittheilungen über ihn fühlte ich mich natürlich veranlaßt, ihn schärfer, oder vielmehr mißtrauischer zu beobachten, als ich in jedem andern Falle gethan haben würde. Dabei vermied ich aber sorgfältig, meine geheimen Gedanken durchblicken zu lassen, obgleich ich kaum bezweifeln durfte, daß er ebensowohl meine Absicht: ihn zu täuschen, errieth, wie ich wußte, daß er weit lieber das Glied eines Fingers hingegeben, als mir gestattet hätte, seine Pläne zu durchschauen.

Meine Annäherung schien er gar nicht zu beachten, und obwohl er in mir einen Gebirgsjäger von Fach erkennen mußte, blickte er doch kaum auf, als ich ihn anredete.

»Die Minetarehs sind gute Jäger,« begann ich in der mir bereits geläufigen Sioux-Sprache zu dem wilden Krieger gewendet, »sie kennen jeden Pfad in Wald und Prairie, sie besitzen zahlreiche Heerden schöner Pferde und mehr gedörrtes Büffelfleisch, als sie zu verzehren vermögen. Ich wundere mich daher, daß ein Häuptling den Bleichgesichtern Dienste leistet, zu welchen er seine Läufer hätte aussenden können. Oder ist mein rother Bruder vielleicht kein Häuptling?«

»Blackbird ist ein Häuptling,« antwortete der Krieger ebenfalls in der Sioux-Sprache, und zugleich traf mich unter seinen gesenkten Augenlidern hervor ein Blick, so flüchtig wie der Blitz, und so giftig, wie der einer gereizten Klapperschlange, wenn sie sich zum Angriff zusammenrollt und den Kopf zurückzieht, um den tödtlichen Streich nach ihrem Opfer zu führen.

Schanhatta fühlte instinctärtig Blackbird's feindselige Gesinnungen heraus und schaute verstohlen und mit besorgtem Ausdruck zu mir empor; Miß Kate dagegen hatte keine Ahnung davon, daß es sich um ihre Sicherheit, vielleicht um ihr Leben handle, und mir einen ihrer bezaubernden lachenden Blicke zuwerfend und zugleich auf den Indianer deutend, rief sie schalkhaft aus, als ob sie wirklich die wenigen zwischen uns gewechselten Worte verstanden habe:

»Ich bitte um Eure Gastfreundschaft für meinen treuen Freund Blackbird, der sich auf der ganzen Reise stets so zuvorkommend und besorgt um mich gezeigt hat. Er ist etwas schweigsam, sonst aber ein sehr ehrenwerther Charakter.«

Der liebenswürdigen Sprecherin antwortete ich durch ein freundliches Kopfnicken, Schanhatta durch ein nur ihr sichtbares leises Zucken meines ihr zugekehrten Auges, und dann wendete ich mich wieder an Blackbird.

»Mein Freund Blackbird ist ein Häuptling,« bemerkte ich in zweifelndem Tone, »und dennoch entfernt er sich von seinem Stamme ohne gebührende Begleitung; warum leistet er die Dienste, die einer von seinen jungen Männern ebenso gut hätte leisten[33] können? Mein Freund hat mir auf diese Frage nicht geantwortet.«

»Ist es immer die junge Antilope, welche der Kriegsadler niederstößt, oder nimmt er auch zuweilen zu Kaninchen und Springratten seine Zuflucht?« lautete die mit einem unerschütterlichen Ernst gestellte Gegenfrage.

»Mein Freund Blackbird ist weise, er versteht zu antworten,« entgegnete ich höflich, »er muß viel mit weihen Menschen verkehrt haben, ich sehe es an dem Medicintäschchen, welches er am Halse trägt; gewiß ist er im Besitz von sprechenden Papieren, die von seinen Tugenden erzählen?«

Der Indianer fuhr unwillkürlich mit der Hand nach dem Täschchen, in welchem hervorragende Krieger und Häuptlinge die ihnen von befreundeten Weißen ausgestellten Zeugnisse mit sich herumzutragen pflegen, doch sich schnell besinnend ließ er sie wieder sinken.

»Blackbird war stets ein Freund der Weißen,« erwiderte er darauf gleichmüthig, »sie haben ihm sprechende Papiere gegeben mit vielen schönen Worten; aber Blackbird bedarf deren nicht, er versteht es, mit den Bleichgesichtern umzugehen und sich durch seine Thaten auszuweisen.«

»Will mein Freund mir die sprechenden Papiere zeigen?« fragte ich, denn die Bewegung des Indianers, so geringfügig sie auch war, hatte mich belehrt, daß er gerade von den in dem Täschchen verborgenen Papieren eine zum wenigsten ihm nicht erwünschte Aufklärung befürchte, was mich wieder dazu bestimmte, mit aller Gewalt auf das Vorzeigen derselben zu dringen.

Anfangs schien der Indianer meine Frage überhören und das Gespräch auf einen andern Gegenstand lenken zu wollen, denn er wies mit seiner ausgestreckten Hand auf Schanhatta, indem er mich fragte, wie viel Pferde ich für die junge Squaw bezahlt haben wolle.

»Nimm alle Büffel, die in der Prairie weiden, Häuptling, und mache Pferde daraus,« antwortete ich, der entsetzten Mandanenwaise einen beruhigenden Blick zuwerfend, »bringe mir die Pferde und biete sie mir für die junge Squaw, so werde ich Dir antworten: es sind noch lange nicht genug. Schanhatta ist mein Eigenthum und ich will sie behalten. Aber mein Freund Blackbird ist sehr eilig,« fügte ich höhnisch hinzu, »er stellt seinerseits Fragen, eh er mir auf die meinigen geantwortet hat; zeige mein Freund mir die Papiere, und dann erst wollen wir von Weibern sprechen.«

»Ich besitze nur ein Papier, und das ist verschlossen,« versetzte Blackbird, scheinbar theilnahmlos vor sich auf die röstenden Fleischschnitte starrend, »mein weißer Freund ist nicht Medicinmann genug, um durch das Papier hindurchzulesen.«

»So zeige mein Freund es mir, oder fürchtet er, daß ich wirklich durch das Papier hindurchblicken und lesen könne: er sei ein Weib?«

Wiederum traf mich ein drohender Blick aus den schläfrigen Augen, dem aber ebenso schnell ein Lächeln des Selbstbewußtseins folgte. »Der schwärze Vogel war ein Weib, so lange sein Haar nur eine Farbe trug,« erwiderte mein schlauer Gegner, indem[34] er sich stolz auflichtete; »seit aber eine weiße Locke die Stelle bezeichnet, auf welcher ein Schippewä-Tomahawk seinen Schädel traf, ist er zum Manne geworden. Wo ist ein zweiter Krieger, der eine weiße Locke auf seinem Haupte aufzuweisen hätte? Die weiße Locke ist eine große Medicin; die Stelle, auf welcher sie wächst, blutete noch, da streifte der Minetareh-Knabe den ersten Skalp von dem Haupte eines mächtigen Schippewä-Kriegers, und er war kein Knabe mehr. Er wurde ein Mann und nannte sich nach dem schwarzen Vogel mit der weißen Krone. Blackbird ist also kein Weib, er liebt es nicht, in Gegenwart von Weibern seine sprechenden Papiere in's Sonnenlicht zu halten.«

»Gut, mein großer Minetareh-Freund, die Prairie ist umfangreich genug, um Weibern auszuweichen; gehen wir dahin, wohin die Augen der Weiber nicht reichen. Ich will, das verschlossene Papier sehen, vielleicht enthält es eine schädliche Medicin, welche den schwarzen Vogel mit der weißen Krone an der Ausführung seiner Pläne hindert.«

Bei diesen Worten öffnete der Indianer seine Augen weit. Offenbar sann er darüber nach, inwiefern ich mit meiner Voraussetzung recht haben könne. Der Umstand, daß Dalefield seinen Reiseplan geändert hatte, bestärkte ihn in seinem wachgerufenen Aberglauben, doch schien ein geheimer Grund ihn noch zurückzuhalten, mir das in Frage stehende Papier vorzulegen.

»Begleite mich mein Freund,« sagte er dann endlich, »begleite er mich bis um jenen Vorsprung, und ich will ihm das sprechende Papier zeigen.«

Ohne ein Wort zu erwidern oder die verwunderten Blicke Dalefield's und seiner Familie zu beachten, begab ich mich mit dem Indianer nach der bezeichneten Stelle, und nachdem wir uns überzeugt, daß wir von keiner Seite belauscht werden konnten, warfen wir uns im Schatten einer verkrüppelten Pappelweibe auf den Rasen nieder.

Geduldig harrte ich darauf, daß Blackbird die Unterhaltung eröffnen würde. Ich bezweifelte nämlich nicht mehr, daß er eine falsche Rolle spiele und es einem so schlauen Feinde gegenüber von meiner Seite der größten Vorsicht bedürfe, um seiner Verrätherei auf den Grund zu kommen. Augenscheinlich überwog sein Aberglaube noch seinen Haß gegen die Weißen. Ich sah daher die einzige Möglichkeit, mehr aus ihm herauszulocken, eben nur darin, daß ich nicht nur seinen Aberglauben nährte und schürte, sondern auch meine Gedanken auf's Sorgfältigste verbarg und mich eben nur auf eine oberflächliche Beantwortung seiner Fragen und einzelne wohlüberlegte, aber wie zufällig hingeworfene Bewerkungen beschränkte.

»Mein weißer Bruder hat in seiner Begleitung eine schlanke, antilopenäugige junge Squaw,« hob er endlich an, und zwar weniger, um meine Aufmerksamkeit von seinen Briefschaften abzulenken, als weil Schanhatta wirtlich einen tiefen Eindruck auf ihn ausgeübt hatte und er dieselbe durch Kauf, List oder Gewalt in seinen Besitz zu bringen wünschte; »Blackbird ist ein berühmter Krieger,« fuhr er sodann, sich wieder in die Brust werfend, fort, »allein er hat auch ein Herz für Weiber. Sein Wigwam steht leer,[35] er fand bis jetzt keine Squaw, die würdig gewesen wäre, sein Wigwam mit ihm zu theilen; er hat Niemand, der die Häute des von ihm erlegten Wildes gerbt, Niemand, der Peilen an seine Leggins befestigt und die schadhaften Stellen an seinen Mokassins ausbessert. Er will nicht mehr allein in seinem Wigwam wohnen. Meines weißen Bruders Squaw gefällt mir; ich besitze Pferde genug, um mehr für das antilopenäugige Mädchen zu zahlen, wie je für eine Häuptlingstochter hingegeben wurde. Mein Freund hat eine bleiche Haut, feine Begleiterin trägt die Farbe Blackbird's; Braun und Weiß paßt nicht zusammen; nehme mein Freund das bleiche Mädchen mit den Himmelsaugen, welches ich ihm zuführte, und sage er mir ernstlich, was er für die junge Squaw verlangt.«

Daß der Indianer so frei über Kate Dalefield verfügte, war mir ein neuer Beweis für seine verrätherischen Absichten. Ich unterdrückte indessen behutsam jede Kundgebung von Argwohn und benahm mich, als ob von uns Beiden ich der weniger Scharfsinnige sei.

»Mein Freund Blackbird hat recht,« entgegnete ich daher, »die bleiche Frau würde besser zu einem bleichen Jäger, als zu einem rothen passen, und umgekehrt, meine braune Begleiterin besser für einen indianischen Krieger; allein weiß mein Freund auch, ob die beiden Mädchen auf seinen Vorschlag eingehen werden?«

»Weiber haben keine Stimme im Rathe von Männern,« versetzte der Indianer mit stoischer Ruhe.

»Ganz recht, mein Freund, doch ist dies nur eine indianische Sitte. Wer bürgt mir dafür, daß das bleiche Mädchen mich nicht zurückweist?«

»Wer will meinem Bruder nehmen, was er sich einmal angeeignet hat?« lautete die Gegenfrage, »die Prairie ist groß, eine Taube braucht viele Wochen, um von dem einen Ende nach dem andern derselben hinüberzufliegen.«

»Mein Freund spricht sehr wahr, doch darf ich jetzt noch keinen Entschluß fassen; ich kenne das bleiche Mädchen nicht, ich muß es länger sehen und von ihm träumen; im Traume verkündet Manitou den Menschen oft seinen Willen.«

»Mein Bruder besitzt ein kleines Herz; Blackbird sah die antilopenäugige Equaw und sagte: sie soll die Mutter von Häuptlingen werden.«

»Mein Freund Blackbird befindet sich unter dem Einfluß einer schädlichen Medicin; in seinen Papieren müssen böse Zauberworte enthalten sein, oder er spräche nicht in so dringendem Tone von Weibern, so lange sein Kopf noch mit den Plänen eines Kriegers angefüllt ist,« warf ich jetzt ein, um eine schnellere Entscheidung herbeizuführen.

»Vermag mein Freund in meinem Kopfe zu lesen?« fragte der Indianer, indem er die eine Hand auf das an seinem Halse hängende Täschchen legte, während die andere, wie spielend, den Griff des in feinem Gurt steckenden Messers umspannte.

»Nein, Blackbird, das vermag ich nicht,« entgegnete ich lachend, »allein es erscheint mir, als ob die Gedanken meines Freundes sich verirrt haben; ich bedauere ihn, er ist das Opfer einer falschen[36] Medicin, er befindet sich auf dem besten Wege ein Weib zu werden und bei dem Anblick eines blutenden Hirsches zu beben.«

Der Indianer betrachtete mich eine Weile von der Seite, dann das Täschchen öffnend und einen versiegelten Brief hervorziehend, hielt er mir die Aufschrift vor die Augen. »Versteht mein Bruder, was das Papier spricht?« fragte er sodann, mich anschauend, als ob er mich mit seinen Augen habe durchbohren wollen.

Ich war indessen auf meiner Huth, und nachdem ich ohne eine Miene zu verziehen gelesen: »Dem Herrn William Dalefield zu übergeben,« lehrte ich Blackbird mein vollständig ruhiges Gesicht wieder zu.

»Allerdings verstehe ich, was das Papier spricht,« begann ich lächelnd, aber in bedauerndem Tone; »›Hütet Euch vor dem Blackfoot-Indianer, er ist ein Weib im Kleide eines Kriegers,‹ steht hier klar und deutlich; kein Wunder, daß mein Freund Blackbird lieber in die dunkeln Augen einer jungen Squaw, als auf einen feindlich geschwungenen Tomahawk sieht.«

Bei diesen Worten ließ der Indianer den Brief, wie ein glühendes Stück Eisen fallen, doch hob er ihn sogleich wieder auf, und mich wiederum fest anschauend, fragte er ängstlich:

»Spricht mein Bruder mit einer Zunge, oder ist seine Zunge gespalten, wie die einer Schlange?«

»Ich spreche mit einer einzigen Zunge, und wenn mein Freund meinen Worten nicht glaubt, so mag er hingehen und den andern Bleichgesichtern das Papier zeigen; sie werden ihm dasselbe sagen und viel Schlimmeres noch entdecken, wenn er das Schloß des Papiers öffnet und sie in die verborgenen Winkel desselben hineinblicken laßt.«

Mit innerem Triumph bemerkte ich, daß der Indianer, der Angesichts des schrecklichsten Martertodes mit keiner Muskel gezuckt haben würde, bei der seine Ideen verwirrenden Erklärung, er sei das Opfer einer übernatürlichen Täuschung geworden, seine Fassung verlor. Da er ohne Zweifel von Fort Union oder irgend einer andern Stelle aus mit dein Briefe an Dalefield abgeschickt worden war, denselben aber, weil er Uebles im Schilde führte, nicht eingehändigt hatte, so hütete er sich wohlweislich, auf meinen Rath einzugehen und nicht nur noch Andere zu Zeugen feiner Schande zu machen, sondern auch seinen Betrug zu offenbaren. Außerdem wußte er nicht, daß ich bereits längst einen Blackfoot-Indianer in ihm errathen hatte, und diente daher die vorgeblich der Adresse entnommene Aufklärung über sein wahres Herkommen dazu, meine Mittheilungen um so glaubhafter erscheinen zu lassen.

»Will mein Bruder das Schloß des Papiers öffnen und sehen, was in demselben verborgen ist?« fragte er nach einer Weile, nachdem er seine volle Selbstbeherrschung wiedergewonnen hatte.

»Wenn ich meinem Bruder einen Gefallen damit erweise,« entgegnete ich äußerlich gleichgültig, aber kaum noch im Stande, meine heimliche Freude zu verbergen, »ich liebe es sonst nicht, derartige Papiere lange zu betrachten, sie enthalten zuweilen böse Medicin und worden dadurch gefährlich.«[37]

»Ich werde es meinem Bruder danken, wenn er mir seine Augen und seine Zunge leiht,« erwiderte der Indianer ängstlich und dringend.

Ohne weiter etwas zu entgegnen, öffnete ich darauf den Brief, und langsam und jedes Wort meinem Gedächtniß fest einprägend, las ich ihn zu Ende, während Blackbird's glühende Augen wieder auf mir hafteten und den geheimnißvollen Inhalt des Schreibens aus meinen Zügen zu entziffern trachteten.

»Mein theurer Dalefield,« lautete der Brief; »Daß Ihr Euch wirklich zu der Reife entschlossen habt, erfüllt mich mit großer Freude, aber auch mit einiger Besorgniß. Es war indessen ein glücklicher Gedanke, mir die ungefähre Richtung und Dauer Eurer Fahrt anzugeben; ich bin in Folge dessen im Stande, Euch entgegenzureisen. Haltet Euch also stets in der Nähe des Missouri, wo möglich, auf seinen Ufern; es wird mir dann mit Hülfe einiger indianischer Läufer nicht schwer werden, zu Euch zu stoßen. Bei der sogenannten. Großen Biegung,« werde ich Euch erwarten, wenn ich vor Euch daselbst eintreffen sollte. Uebrigens ist der Ueberbringer dieses Schreibens beauftragt, Euch zu führen und die besten Lagerstellen zu bezeichnen. Er ist ein guter Jäger und hat als Krieger einen großen Ruf, wie mir von einzelnen seiner Stammesgenossen, den Blackfoot-Indianern, versichert worden ist; doch rathe ich Euch, ihm nicht blindlings zu trauen. Die Eingeborenen dieser Gegend haben im Charakter Aehnlichkeit mit gezähmten Raubthieren; hallet sie kurz und seid unerschrocken, und sie dienen Euch gewissenhaft; zeigt ihnen Furcht und laßt sie erst das Uebergewicht über Euch gewinnen, und Ihr habt das Schlimmste von ihnen zu befürchten. Die besten Grüße an Eure Söhne. Auf ein fröhliches Wiedersehen um Mitte Juni. Der Eurige, Halbert.

Nachschrift. Daß Miß Kate Euch durchaus begleiten wollte, sieht dem lieben Kinde ganz ähnlich; so gern ich sie auch wiedergesehen hätte, so beruhigt fühle ich mich wieder, sie nicht in Eurer Gesellschaft zu wissen.

So lautete der Brief, der mir mit einem Male die hinterlistigen Pläne des Indianers aufdeckte und mich belehrte, wie unvermeidlich der Untergang der ganzen Familie gewesen wäre, wenn man sich noch einige Tage länger Blackbird's Führung überlassen halte.

Aber auch jetzt noch war die Gefahr, wenn auch hinausgehoben, doch keineswegs beseitigt; denn daß Blackbird seinen Plan, sich in den Besitz von Dalefield's Eigenthum zu setzen, noch nicht ausgegeben hatte, war hinlänglich durch das Verschwinden seines Gefährten erwiesen. Das Herz aber bebte mir, als ich die möglichen Folgen bedachte, im Fall ein gütiges Geschick mich den Bedrohten nicht in den Weg geführt hätte, und ein eiskalter Schauer durchrieselte mich, indem ich mir unwillkürlich Kate's goldiges Haar von Blut besudelt und ihr gutes, lebensfrohes, lachendes Gesicht von der Hand eines gewaltsamen Todes erstarrt, vergegenwärtigte.

Doch hier war keine Zeit mehr, Betrachtungen aufzustellen; die mißtrauischen Blicke eines scharfsinnigen und grausamen Feindes waren auf mich gerichtet,[38] und noch eh' ich den Brief ganz durchgelesen hatte, wußte ich bereits, was ich Blackbird als vorgeblichen Inhalt des Schreibens am zweckmäßigsten mitzutheilen habe.

»Mein tapferer Freund muß einen Feind in Fort Union haben,« bemerkte ich, einen gewissen Ausdruck von Schadenfreude in den Ton meiner Stimme legend, »ein Anderer würde wenigstens nie gewagt haben, einen großen Krieger in solcher Weise zu beschimpfen und ihn zum Träger einer Medicin zu machen, die sein Herz allmälig in das eines Weibes verwandeln muß.«

Blackbird schaute mich erstaunt an; eine seltsame Mischung von Haß, Rachedurst und abergläubischer Furcht spielte auf seinen zinnoberrothen Zügen.

»Alle Weißen sind Feinde der Rothhäute,« zischte er mir giftig zu, »aber worauf wartet mein Bruder mit dem kalten Herzen? Möge er mir sagen, was das Papier enthält, damit Blackbird wisse, gegen wen er seine Rache kehre.«

»Ich hob den Brief wieder empor und langsam, als ob ich den Inhalt in die Sioux-Sprache übersetze«, begann ich, mit Vorbedacht solche Worte wählend, von welchen ich erwarten durfte, daß sie die beabsichtigte Wirkung auf den Indianer ausüben würden:

»Dalefield, Halbert sendet Dir die Hand. Der Blackfoot, der ein Minetareh sein will, soll Dir den Weg zeigen am großen Flusse hinauf. Ich habe in Blackbird's Herz gelesen. Sein Herz ist das eines Weibes und soll das Herz eines Weibes bleiben, so lange er dies Papier in seinen Händen hält; alle seine Unternehmungen werden mißlingen, Uebergiebt er Dir dies Papier und führt er Dich, wie er versprach, sicher am Missouri hinauf, so ist der böse Zauber gebrochen und er wird wieder ein Mann und Krieger.«

»Ist das Alles?« fragte der Indianer hastig, sobald ich schwieg.

»Das ist Alles, und ich rathe meinem Freunde, das Papier seinen weißen Freunden einzuhändigen, der schädliche Zauber wird alsdann gebrochen sein.«

»Wenn das Medicinpapier nicht mehr in Blackbird's Händen, so ist der Zauber gebrochen?« fragte der Indianer mit glühenden Augen und bebenden Lippen, indem er mir den Brief fortnahm.

»Ganz gewiß,« antwortete ich, nichts Arges ahnend und den besten Erfolg hoffend.

Blackbird legte das auseinandergefaltete Papier vor sich auf die Erde, dann schüttete er etwas Pulver darauf, und nachdem er mittelst Stahl und Stein ein Stückchen Baumzunder in Brand gesetzt, traf er Anstalt, das Pulver zu entzünden.

»Was will mein Bruder beginnen?« fragte ich, des Indianers Hand zurückhaltend.[39]

»Das Papier ist eine schlechte Medicin, ich will es nicht länger bei mir tragen.«

»So bringe es Deinen Weißen Gefährten, sie werden sich freuen, das Papier von dem Schwarzen Vogel in Empfang zu nehmen und ihm dadurch zugleich einen Dienst zu erweisen.«

»Kein fremdes Auge soll den Schimpf sehen, welchen man einem berühmten Krieger angethan hat; ich will den Zauber vernichten und die Bleichgesichter an den Missouri zurückführen; sie brauchen das sprechende Papier nicht, und ich bin von der schädlichen Medicin befreit.« Mit diesen Worten näherte er den brennenden Zunder dem Pulver, und im nächsten Augenblick glimmte das durch das Aufblitzen geschwärzte Papier an verschiedenen Stellen.

Obwohl ich den Inhalt des Briefes ziemlich genau im Gedächtniß behalten hatte, sah ich doch mit Bedauern das Papier allmälig in Asche zerfallen. Blackbird dagegen betrachtete mit leicht erkennbarer Schadenfreude die hellen Funken, wie sie mit komischer Eilfertigkeit auf den verkohlten Theilen des Briefes ein Weilchen umherirrten, bis sie endlich erstarben. Hätte ich noch an seinen verrätherischen Absichten gezweifelt, der Ausdruck, mit welchem er zuletzt den vor seinem verstärkten Hauch davonstäubenden schwarzen Flocken nachblickte, wäre genügend gewesen, mir volles Licht über dieselben zu verschaffen. Aus seinen Augen leuchtete der unversöhnlichste Haß und eine schwer zu befriedigende Raublust. Es leuchtete aus denselben hervor, daß er jetzt der verlockenden Aufgaben zwei vor sich sehe, statt der früheren einzigen, und ebenso wenig daran denke, Dalefield und seine kleine Expedition unangefochten Fort Union erreichen zu lassen, wie seine Pläne betreffs Schanhatta's aufzugeben. Ganz gegen mein Erwarten erwähnte er der Mandanenwaise mit keiner Silbe mehr, der untrüglichste Beweis, daß er darüber nachsann, wie dieselbe wohl am schnellsten und sichersten in seine Gewalt zu bringen sei. Ebenso hielt er es für überflüssig, während wir langsam nach dem Lager zurückkehrten, mir über den unterschlagenen Brief Stillschweigen abzuverlangen. Es befremdete mich dies kaum. Ich erschien ihm entweder als zu einfältig oder zu edelmüthig in seinem Sinne des Wortes, oder er hatte beschlossen, im Falle ich mich Dalefield's Expedition zugesellen würde, deren Loos auch zu dem, meinigen zu machen. Doch die Gründe, die ihn in seinem Benehmen leiteten, genauer kennen zu lernen, kam jetzt nicht mehr in Betracht. Es genügte das Bewußtsein, daß ich es mit einem schlauen und, nachdem er die Ursache seines kindischen Aberglaubens von sich entfernt, auch kaltblütigen und unerbittlich grausamen Feinde aufzunehmen habe, um mir die Verantwortlichkeit, welche nunmehr auf mir lastete, in ihrem ganzen Umfange vor die Seele zu führen.

Quelle:
Balduin Möllhausen: Die Mandanenwaise. In: Deutsche Roman-Zeitung, 2. Jg., Band 3, Berlin 1865, S. 29-40.
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Die Mandanenwaise
Die Mandanen-Waise. Erzählung aus den Rheinlanden und dem Stromgebiet des Missouri. Roman
Die Mandanenwaise
Die Mandanenwaise. Erzählung aus den Rheinlanden und dem Stromgebiet des Missouri von Balduin Möllhausen

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