Friedrich Müller

Das Nußkernen

Eine pfälzische Idylle

[1411] In des Schulzen von Lämmerbach Stube.


SCHULZ. Muß mir da 'n Weilchen den Klotz zum Aufhämmern zurechtstellen, damit alles schon in Ordnung ist, ehe die andern ankommen. Frau! Rück du einstweil den Tisch und hol Öl, die große Hänglamp anzufüllen. Ruft zur Tür hinaus. Hört ihr's drauß! Holt 'n Weilchen die Nüß runter, nehmt große Körbe mit, vergeßt nit. Licht mitzunehmen, ist dunkel auf der Trepp, wird heut früher dämmrig; trüber Märzentag! – Wenn's noch drei Abende hintereinander so voll wird, wie gestern, werden wir dies Jahr mit dem Kernen bald fertig. Walters ganze Haushaltung kommt heunt her. Sag, hast du auch schon Obst und den Äpfelwein parat? – Ei sieh doch! Guten Abend, Wetzstein, woher noch so spät? Auch mal wieder bei uns eingesprochen?

WETZSTEIN. Sag lieber: schon wieder da. Er setzt sich. Guten Abend, Frau Bärbel.

SCHULZIN. Vorige Woche seid Ihr uns vorbeigangen, waret hierüben in Lämmerbach ... wir wissen's gar wohl.

WETZSTEIN. Ah! hatt damals den Kopf so voll Verdruß und Zank, daß mir's nicht drum war, gute Freund zu besuchen.

SCHULZ. Schon wieder! Will's denn mit dem Amtmann noch nicht voran?

WETZSTEIN. Der Schindhund, daß er nur gleich am Galgen hing'! Gott verzeih mir meine Sünd ... daß ich ihn nur gleich mit eignen Händen ... Nein, es ist mein Seel nicht erlaubt, 's ist zu arg, wie sie's einem machen, die Schelmen; daß sie alle der Teufel hol! Hast nicht 'n Schluck zur Hand? Ärger mich, wenn ich nur daran gedenk.

SCHULZ. Pfirsichkernwasser, doppelt abgezogen! Nu, was hat's denn wieder von neuem? Oder ist's als noch wegen deiner Schwägerin?

WETZSTEIN. Freilich als noch des Lumpenhandels wegen mit meiner Schwägerin. Der Amtmann will nun 's Geld nicht wieder rausgeben, das meine Schwägerin hier hinterlegen mußt, als ihr Tochtermann, der Halunk, hier ihre Fuhr arretieren ließ. Hundert Taler mußte sie damals Kaution hinterlegen bis zur ausgemachten Sach![1411]

SCHULZ. Weiß das wohl; aber ...

WETZSTEIN. Nu, da jetzt alles geschlicht't und gericht't ist und aller Zwist abgetan, wie du selbst wohl weißt, will der doch nichts mehr rausgeben, macht dir jetzt allerhand Schwänk und Sausereien von weiterer Berichtigung und sagt endlich gar: er hab's schon mit dem Tochtermann so weit verglichen, der hab nun die Erstattung der hundert Taler selbst übernommen; jetzt lauf ihm nach.

SCHULZ. Der Tochtermann, gesteht er's auch so ein?

WETZSTEIN. Was will er machen? Steckt dem in den Klauen ganz und gar, muß zu allem jetzt ja sagen, am End ist aber doch meine Schwägerin allein drum gesprengt.

SCHULZ stampft. O Gerechtigkeit! Werd's doch nochmals erleben, daß unser gnädiger Herr Graf wieder hier ist! Ihr müßt's nicht so dabei lassen. Deine Schwägerin muß sich an die Regierung wenden.

WETZSTEIN. Verklag du den Teufel in der Höll; wirst dort schön angehört. Sind auch Blutigel mit, die sich gerne von dem mästen, was unsereinem abgeschröpft wird.

SCHULZIN. Ja, das sag ich und bleib dabei: Gott behüt einen vor dergleichen Prozessen! Lieber 'n bißchen was gelitten und nachgeben, sag ich immer zu meinem Mann, als denen unter die Klauen geraten. Was die einmal in ihre Gewalt kriegen, ist, Gott verzeih's, als wär's in Ewigkeit verflucht.

SCHULZ. Das schwör ich dir, Wetzstein: kommt unser gnädiger Herr mal wieder zurück – er hält was auf mich, das weiß ich selbst, das weißt du und der Amtmann und die ganze Nachbarschaft; er hat's mir auch oftmals bewiesen –: ich reit ihm dann zehn Meil Wegs voraus entgegen, sag ihm dann alles schnurstracks, wie alles beschaffen ist und seit der Zeit über in seiner Verwaltung zugangen. Der Amtmann soll dir sein Fett kriegen, hat ohnehin schon was bei mir im Salz. Gelt, wie unser Graf hier war, was er dir da so höflich um einen herschwänzelte und dir so freundlich und manierlich tat; da war dir kein Hochmut auf hundert Stund, da hieß es immer: »mein lieber Herr Gevatter Schulz und lieber Herr Konfrater und Sozius!« Und jetzt? Da klingt's anders. Aber wart, wart! O daß der gnädige Herr so lang in Wien bleibt! Hier, hier sollt er jetzt sein, wollten's dann bald anders ausmachen!

WETZSTEIN. Aber das hilft nun all nichts! Große Herren sitzen gerne in großen Städten, lassen sich's dort brav gefallen und[1412] wohl sein und denken wenig an uns auf'm Lande; sollen doch unsre Hüter und Hirten sein und wissen nicht, daß der Wolf derweil bei uns die Runde macht, und wie armselig da ihre Schäflein geschoren und geschunden werden.

SCHULZ. Frau! Wo ist doch der Fetzen Papier? Hab dir's letzt zum Aufheben geben, war Selleriesamen drein gewickelt. Ist dir so was Gedruckts, eine herrliche Regel für große Herrn. Da ist dir ein Philosophus, Wetzstein, der mit einem jungen Fürsten spricht, wie mir's letzt der Schulmeister ausgelegt; der hält ihm eine Predigt, die nicht links ist: wie sich's schickt und was einem großen Herrn wohl ansteht, wenn er regieren will. Der Henker! Wüßt ich nur, wie das Buch heißt, aus dem's gerissen ist, kauft' mir's gleich. Ah! jetzt fällt mir's ein: hab's drin im Schränkchen zwischen andern Papieren liegen.


Schließt das Schränkchen auf und sucht nach.


SCHULZIN. Wie geht's denn sonst daheim? Was macht Frau Gertrud? Noch gesund?

WETZSTEIN. So, so; geht anfangs 'n bißchen besser, da ihr nun der ungeratne Jung 'n bißchen mehr aus'm Sinn kommt.

SCHULZIN. Kinderkreuz, schwer Kreuz! Sie nimmt's aber auch gar zu schwer auf sich. Der arme Fritz! Freilich, daß er draußen so rumschwärmt, ist nicht schön; Böses aber habt Ihr doch weiter nichts von ihm erfahren. Wie lang ist's, daß Ihr keine Nachricht mehr von ihm habt?

WETZSTEIN. Über drei Jahr. Ihr wißt nicht alles; was er für Kapital' hinter mir aufgenommen ... Hätt ich's in meinem Leben geglaubt, daß mir der Jung so viel Herzeleid noch verursachen sollt.

SCHULZIN. Wer glaubt uns armen Eltern, der nicht selbst erfahren, was Kinder erziehen heißt. Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen; das wächst mit jeder Stund. Woher schrieb er Euch denn das letztemal?

WETZSTEIN. Aus Hamburg an der Elb, wo man den guten Lachs fängt. Schrieb mir, daß er eben auf den Walfischfang nach Grönland zu wolle unter guten Konditionen als Schiffschirurgus und hernach bei seiner Rückkunft, über Moskau hin nach China zu eine große Reis mache.

SCHULZIN. Ei was? Schiffschirurgus? Hat er das seitdem gelernt? Das läßt sich ja hören, Wetzstein.

WETZSTEIN. Aber kurz hernach hat ihn jemand Bekanntes in Holland im Haag gesprochen. Dort erschien er wie ein Kavalier[1413] in bebrämten Kleidern in Komödien und öffentlichen Spielhäusern. Nun weiß ich doch, daß er sein Felleisen schuldenhalber in Bremen sitzenlassen; wo er nun das Geld dort hergenommen ... 's dreht sich alles in mir, wenn ich dran gedenk, fürcht am End noch schöns Zeug an ihm zu erleben.

SCHULZIN. Was meint Ihr denn?

WETZSTEIN. Ha, was sich meinen läßt! Vielleicht unter eine Gesellschaft von Beutelschneidern geraten, oder vielleicht gar ... wozu bringt einen das liederliche Leben nicht!

SCHULZIN. 'n Freimäurer geworden, he? Gott woll uns in Gnaden beistehen! Die kriegen's, sagt man, und niemand weiß, woher.

WETZSTEIN. Ah, wär was anders ...

SCHULZIN. Hört Ihr's: Fritz ist nicht unartig, boshaft, lügnerisch, tückisch oder von falschem Gemüt; gewiß, das ist er gar nicht, er hat ein gut Naturell, gewiß, das hat er! Flüchtig was, aber das vergeht mit der Zeit. Seiner Freundlichkeit wegen muß er überall wohl aufgenommen werden, bei Vornehmen und Geringen. Hat er nur erst mal 'n bißchen ausgetobt ... Ausgetobt in der Jugend, macht im Alter stille Leut; ehe der Wein mild wird, gärt er brav in die Höh. Bleibt doch heunt bei uns, wir kernen Nüsse, kommt diesmal hübsche Gesellschaft beisammen.

WETZSTEIN. Kann diesmal nicht, muß noch zum Oberkeller nauf der Quittung wegen des abgelieferten Korns, hab auch sonst noch was weiters mit ihm abzumachen. Der Oberkeller ist so so, aber doch fast ein ehrlicher Mann, wenn man ihn gegen die andern Bärenhäuter vergleicht. Liebt er gleich was schmierige Finger, nimmt er hohe Prozente, reißt er's einem doch nicht so mit Gewalt vom Herzen.

SCHULZIN. Den trefft Ihr aber heut gewiß nicht an, kommt erst bis morgen wieder zurück nach Haus, ist heute früh mit dem Förster 'naus auf die Dachsjagd geritten.

WETZSTEIN. 's Wetter auch, daß er nicht eher zurückkommt! 's ist doch auch verdammt, auf'n Lieferungstag nicht daheim zu sein! Sie treiben's, wie sie wollen, wir armen Hunde sollen das alles so geduldig einschlucken.

SCHULZIN. Geduld! Seht, da kommt Walters Mutter herein. Frau Hämmerlin kommt zur Tür herein. Sie verliert nach und nach das Gesicht und Gehör, geht so immer bei uns aus und ein den lieben langen Tag.[1414]

WETZSTEIN. Wie alt ist sie jetzt?

SCHULZIN. Fünfundachtzig vorbei.

WETZSTEIN. Schön Alter! Ist sie noch bei Sinnen und gutem Verstand?

SCHULZIN. Probiert's, gebt ihr ein Rätsel auf, noch so schwer: sie wird's Euch raten. Sie treibt's so beim Spinnrocken und im Garten, wo sie gern das Unkraut zwischen den Pflanzen nachjätet und dabei ihre alten Reime singt. Hört Ihr's:

HÄMMERLIN spinnt und singt.

Der Habichgern denkt Ränk und List,

Der Hättichgern aufs Bücken.

Dienst, Lieb und Ehr verschieden ist,

Die Wahrheit hinkt an Krücken.

WETZSTEIN. 's ist vorbei, Frau Bärbel, wo unsereiner noch ans Rätseln denken konnt, ja, jetzt nehmen einem die Haussorgen die Zeit hinweg.

SCHULZIN. Ei doch manchmal noch so ein paar! Kein Dörfchen so klein, des Jahrs doch einmal Kirchweih drein, sagt 's Sprüchwort.

WETZSTEIN. Das könnt Ihr leicht sagen, Frau Bärbel!

HÄMMERLIN.

Sollt Wollen und Wünschen wirklich werden,

Es ritten die Narren wohl all auf Pferden.

SCHULZIN. Das meint Ihr nur, das meint Ihr nur, mein guter Wetzstein.

HÄMMERLIN.

Wenn ein Esel den andern ehrwürdig schilt,

Der Mist mehr als der Pfeffer gilt.

Das ist wohl Wahrheit,

Wie Sonnenklarheit.

SCHULZIN. Was habt Ihr zu klagen?

WETZSTEIN. Kein Kreuz und Sorgen, so wie ich mit meinen Kindern. Euer Carl ...

SCHULZIN. Still doch damit! Der beste Sohn hat immer zu viel Vaterschweiß und Muttertränen auf dem Kerbholz. Schickt erst mal einen Sohn auf Universitäten naus und sprecht nachher. Was wir schwitzen müssen! Überall Kosten; da heißt's immer: Vater, tu den Beutel auf! 's Blechen nimmt kein End!

WETZSTEIN. Erlebt dafür auch brav Freude an ihm.

SCHULZIN. Hoffen's, wenn Gott will.

HÄMMERLIN.

Hänsle, lern mir nicht zu viel,

Mußt sonst leiden und streiten viel![1415]

Hätt das Kälblein mehr Verstand,

Wär's nicht an die Wand gerannt.

Schlacht nicht mehr, als du kannst salzen,

Koch nicht mehr, als du kannst schmalzen,

Ist am Löffel auch kein Stiel,

Gott schenkt's jedem, wie er's will.

WETZSTEIN. Gott segne's der Alten, sie ist noch wohlgemut bei ihren grauen Jahren. Euer Carl ... Ja, mein Taugenichts, hätt er sich so geartet, wollt gern Rock und Wams verkauft haben, alles an ihn zu wenden.

HÄMMERLIN.

Laß dir raten, liebes Kind,

Besser scheel als gänzlich blind.

Ist das Tierlein noch so klein,

Dünkt ihm Lob und Leben fein.

SCHULZ. Hab ich dir's doch endlich erwischt! Schwitz dir wahrhaftig überm Suchen. Sapperlot, das ist mir ein Fetzen, wahre Victoria zum Lesen und Halleluja, der's geschrieben. Die Brill her, Bärbel! Gib mal acht, Wetzstein! Ha, wenn's so wär, dergleichen heutzutag noch geschäh, wie vor vielen hundert Jahren, wo das Goldne Zeitalter florieret, wie mir der Schulmeister erzählt, wo niemand geraubt noch gestohlen, kein'n Doktor und Apotheker gegeben ... und dann nachher zu Argus' Nautus' Zeiten und Hannibal der Große, die von lauter tüchtigen Philosophen auferzogen wurden und gelehrte Herrn wurden und voll Verstand und was dazu gehört, zu regieren. Hör mal. Liest. »Wenn es deine Gesundheitsumstände erlauben, so schaue dich ferner im Lande selbst um und übe mir strenge Gerechtigkeit. Unsre eignen Augen und Ohren sind uns getreuere Kundschafter, als die Augen und Ohren andrer. Es gibt der Wahrheit und dem Recht mehr Stärke und größere Behendigkeit, das Bessere zu bewirken, wenn der unbestechbare Richter öfters selbst Zeuge von Handlungen sein kann; das macht wachsam jedes Individuum auf seine Pflicht. Ein Fürst soll nie seine Gewalt übernehmen, bevor er nicht das Land, das er regieren will, genau kennengelernt; verstellt, gleichsam als ein Fremdling soll er seine eignen Städte und Dörfer durchziehen, den Schatz und Mangel seines Landes bestimmter zu untersuchen, nachzusehen den Gebräuchen und Übungen, was Gutes und Böses daraus entspringe, die Richter und Gesetze recht zu prüfen, seine Vögte und Amtleute nicht dem Namen, sondern vielmehr ihren Handlungen nach, kennenzulernen[1416] und gleichsam wie das Auge Gottes, ungesehn und unbemerkt, alle heimliche Schlupfwinkel zu durchforschen, wohin Ungerechtigkeit und Trug sich so gerne verbirgt; der Gemeinen ungeschminkte Meinung zu vernehmen; anzuhören, was sie drückt, wo zu heben und zu bessern wäre, so wie einen Kranken der Arzt anhört, wie Bruder den Bruder. Ein Kittel spricht doch immer vertraulicher zu einem Kittel, als zu einem verbrämten Talar« ... Just da hört's auf, wo das Best noch hätte sollen nachkommen; recht so Wasser an unsre Mühle! Gäb gleich 'n Kopfstück drum, wenn ich's ganz auskriegen könnt. Was meinst, Wetzstein, wenn großer Herren Kinder so auferzogen würden; wenn's unser Herr Graf auch so gemacht, he?

WETZSTEIN. Ach freilich! Aber was hilft's? Man weiß gar zu wohl seit langer Zeit, was gut und schön und auch nützlich wär, steht auch schon in vielen Büchern gedruckt: aber was hilft's, sag ich nochmal, solang's nicht geschieht? Vom Wünschen wird unsereiner nicht heil. – Schau, dort kommen ja schon deine Gäste den Hof herauf! Muß dir heunt recht flink gehen, Hände im Überfluß.

SCHULZ. Bleib dann als bei uns heunt!

WETZSTEIN. He, meinetwegen dann.

SCHULZ. Seht, der ganze Schwarm! Herr Fröhlich auch dabei, ein Schwänkemacher, wie weit und breit keiner. Sollst mir da 'nen lustigen Gesellen kennenlernen, Wetzstein, dort im blauen seidnen Wams der!

WETZSTEIN. He, sieht einem ganzen Lüstling gleich.

SCHULZ. Macht dir des Henkers Zeugs daher zum Kranklachen. Was er heute aber wieder für 'ne Mummerei treiben wird, bin's kurios zu sehen.

WETZSTEIN. Wer ist er denn? Wie heißt er? Woher?

SCHULZ. Weiß das keiner genau von uns; sein Nam ist Fröhlich, das heißt er nun mit allem Recht. Jeder ist ihm gut, in Walters Haus ist er wie 's Kind daheim, zu Waldthal drüben beim alten Baron gilt er dir alles, der hat ihn auch mit sich aus England herübergebracht. Leise. Sieht Walters Guntel gern und schleicht so um sie rum.

WETZSTEIN. Wieder 'n Stich durch alle Knochen! Meinem Halunk, dem Tagdieb, war sie von Jugend auf versprochen. Jetzt ...


Fröhlich kommt zur Tür herein.


FRÖHLICH. Einen extra feinen guten Abend dem ehrliebenden[1417] Herrn Schulz von Lämmerbach, samt seiner gedeihlichen und preislichen Hausfrau! Da wir zum Nußkernen eingeladen worden auf diesen Abend, so wollen wir uns einstellen, wie's wackern Arbeitern gebührt, damit wir hernach auch desto feinern Lohn fordern dürfen; und der soll nun darin bestehen, daß ihr uns den Zehnten vom besten Vorschlagöl auf einem schönen gelben selbst gepflanzten Salat genießen laßt. Dafür aber wollen wir anjetzt schön danken und das liebe Glück anrufen, daß es so überschwenglich reiche Gaben auf euch regnen lasse, so viel Stern am Himmel, oder so viel wir uns das Jahr über Haar' unter der Nase wegbalbieren lassen.

SCHULZ. Da bekämen wir's dünn genug! Habt kaum ein halbes unter der Nase zum besten.

GUNTEL ruft zum Fenster herein. Übel gefahren, Herr Postillion! Huft um!

FRÖHLICH. Gut, Jüngferchen! Wollen schon noch mal ins rechte Gleis zusammenkommen mit der Zeit, hoff ich. Ei guten Abend, liebs alt Mütterchen! Noch gesund und wohl? Hab was für Euch mitgebracht zum Kauen für eine Weile. Große Patschhand, Mütterchen! Will Euch 'n Rätsel aufgeben, daran Ihr zum Aufbeißen Eure drei Zähne probieren könnt. Soll mir eher einer durch den Schornstein hinauf einen Dachs schießen, als er mir dies auslegt. Sagt mal, Mütterchen: wer sind die Leute, die ihre Füße in den Händen, die Zähne zusammengelegt und die Augen in der Tasche tragen?

HÄMMERLIN. O weh! Hab's schon vor fünfzig Jahren vergessen. Willst dein Gespött mit meinem Alter treiben. Alte Leute sind's, der Stock ist mein Fuß, die Brill mein Aug, das Messer mein Zahn. Ist's wahr?

FRÖHLICH. Wißt auch alles zu raten, Mütterchen! Wo soll man's auf die letzt hernehmen für Euch? Wenn ich als nicht Zeit zum Inventieren hab, les ich so Alts und Neues zusammen, komm aber gemeiniglich übel bei Euch angefahren; Ihr seid ein ganz Rätselmagazin. Aber jetzt was Nagelneues! Merkt wohl auf; eh Ihr mir dies ratet, will ich Nüsse vom Dornbusch herunterschwingen.

HÄMMERLIN. Laß mal hören, was 's Guts ist. Aber sag's recht deutlich und laut.

FRÖHLICH.

Daran soll's nicht fehlen.[1418]

Tränk einer Wein aus Malaga

Und ließ' sich's wohl behagen,

Trüg einen Wams aus Genua,

Aus Brabant einen Kragen,

Wär immer froher, freier Laun,

Und wollt dies Rätsel wagen:

Da wett ich drauf, er wird mir, traun!

Viel dürrer als ein Steckenzaun,

Eh er mir's soll erjagen.


Doch wer mir's rät, fein frisch und gut,

Fürwahr ein wackrer Kerl!

Vermach ihm gleich 'nen Doktorhut,

Verbrämt mit Schmuck und Perl.

Und dir, liebs feines Mütterlein,

Errätst du's ohn Verdruß,

So drück ich dir aufs Backenbein,


Leise.


Ich möchte gern dein Enkel sein,

Hübsch frischen, derben Kuß.

HÄMMERLIN. So, Faxenmacher? War vorzeiten auch voll Fleisch an meinen Backen. Da blühten wohl Rosen und Lilien zuhauf, manch stattlicher Ritter schaute darauf! Jetzt ist's vergangen, alles vergangen ...

FRÖHLICH. Mütterchen, Achtung jetzt! Öl in die Pfanne; der Fisch wird gebacken!


Kein Mensch und auch kein Tier ich bin,

Kein Vogel, Fisch und Kraut,

Leb, schweb in frohem, freiem Sinn,

Trag weder Haar noch Haut.


Mein Vater hoch im Bauch mich trug,

Grünhaarig, schwank und alt;

Die Mutter, die mich aus ihm schlug,

Klein, bucklich, ungestalt.


Eß weder Salz noch Schmalz noch Ei,

Bin weder Fleisch noch Bein,

Und muß doch zwischen Weiber zwei

Aufs schlimmst verkuppelt sein.
[1419]

Die erste, schwer und korpulent,

Die andre schmal und rahn,

Wenn die mich stößt und niederrennt,

Fängt die zu poltern an.


Und plump und plapp und kniff und pfiff!

Muß fahren in den Schacht,

Hinauf, hinab, als wie ein Schiff,

Wenn Sturm und Donner kracht,


Ist Rot nicht. Schwarz, ist Freud nicht, Leid,

Nicht Hochzeit, Trauermahl,

Wohl manchen meine Unruh freut,

Dem andern bringt sie Qual.


An mir ein Mann sich spiegeln kann,

Wenn er es fein bedenkt,

Sich trösten, daß er lobesan

An einem Weib nur hängt!


HÄMMERLIN. Schon gut, hab alles recht bemerkt. Will dir's schon finden und auslegen, laß mir nur Zeit.


Sie spinnt wieder fort.


Guntel und Liesel treten zur Tür herein.


GUNTEL. Guten Abend beisammen! Guten Abend, Vetter und Base! Großmütterchen, auch hübschen guten Abend!

HÄMMERLIN. Ei laß mich jetzt ungeschoren! – Guten Abend.

FRÖHLICH. Scharr mir fast die Füß ab, Jungfer Guntelchen, mein schön Kompliment zu machen; Sie will nicht sehen und bemerken.

GUNTEL. Wo herumgestrichen diesen ganzen langen Nachmittag, Herr Bruder Liederlich? Das Baumstück hat gewartet.

FRÖHLICH. Und ich im Baumstück. Bin fast drüber erfroren.

GUNTEL. Lügen! Hätten Euch dort gesehen. Lieschen, wie er dir wieder aufschneidt! Er wär drauß gewesen! Ja, brav nicht wahr.

FRÖHLICH. Was wetten wir? Liesel, aufs Gewissen! Rein ausgesagt!

LIESEL. Hi, hi, hi!

GUNTEL. Wo warst du dann? Warum lachst du so, Liesel?

LIESEL. Hi, hi, hi!

FRÖHLICH. Kommod hab ich freilich nicht gesessen, hab so ein[1420] Weilchen den Winterkuckuck im Stroh agieren müssen. In dieser unhöflichen Märzenluft tut's einem nicht sehr klau.

GUNTEL. So? 's gilt mir auch gleich.

FRÖHLICH. Wer oben am Dach sitzt, ist so gut da, wie die, die drunten stehen. Nu, Guntelchen, bleibt's bei dem, was ihr dort miteinander gesprochen, Lieschen und du? Ich hätt von dem, was ihr euch da zusammen gesagt, um hunderttausend Taler kein Wörtchen verhören mögen.

LIESEL. Hi, hi, hi! Er weiß alles, was du mir dort gesagt, hat alles von der Mauer runter mit angehört.

GUNTEL wird rot. So soll ihn ja der Geier! Sie schlägt Fröhlich auf die Schulter. Du Schelm! Du Schelm!

FRÖHLICH. Noch zu früh zum Schlagen, Schätzchen! Wart, Liebchen, bis wir einmal erst zusammen sind, darnach geht's eher.

GUNTEL. Auf deinen heimtückischen Rücken! Alles angehört! Was hab ich denn gesagt? Gar nichts hab ich gesagt. So auf die hohe Mauer hinaufzuklettern, die alt und baufällig ist! Hättest gar leicht herunterstürzen, Arm und Bein brechen können, du verwegener Strick!

FRÖHLICH. Jagt ich doch gleich hundert Meil Wegs her und, fand ich nicht gleich einen guten Klepper, säß ich wohl auf Schusters Rappen, mein Steckenpferd nebenher, und machte mich voran, Jungfer Guntelchen schön Kußhändchen zu überbringen! Sollte mir's wohl mühsam sein, auf eine armselige Scheune hinaufzuklettern, Arm und Bein ein bißchen daran zu wagen; so was Liebs selbst mit anzuhören: wie?

GUNTEL. Will dir den Streich gewiß nicht vergessen! Geh, loser Vogel.

FRÖHLICH. Beileibe! Vergiß ja nicht, Guntelchen! Setz es lieber zum übrigen, was noch Mauls hat, Guts für mich bei dir zu sprechen und laß es zu seiner Zeit in Wirkung kommen. Guntelchen! Bin dir von Herzen so gut, lieber Schatz! Wenn ich ein Schelm wär, ich sagte dir wohl tausenderlei schöne Dinge vor, aber ich kann nicht! Ich mein's so rein mit dir und so treu und wahr. Es geht mir alles so durch Herz und Seel, wenn ich dich anschaue und du mich anschaust, und ich bin so fest und mein, ich könne und müsse niemals mehr von diesen lieben blauen Augen weg.

GUNTEL. Heute so, aber morgen? Aprilen Wetter, Männerschwüre! Heut und morgen sind zweierlei Tage.

FRÖHLICH. Nur einer für mich in dem Sinn und der bis in Ewigkeit![1421] Wolle Gott mir niemals Ruhe verleihen, wenn ich sie irgendwo anders suche, als bei dir, vor diesen lieben traulichen Augen, die mir in die Seele hineinschauen können, guck her! – bei diesem roten Mund und Wangen! Nein, ich kann dir nicht weiter, 's zieht mir die Kehl zu, mein Treu, es beißt mir scharf in die Nase, als hätt ich Meerrettich gessen ... Guntelchen! Prüfe dein liebes süßes Herz: was du heut unter der Scheune gesprochen, wenn's dein Ernst wär ...

GUNTEL. Was wär's dann, wenn's wär?

FRÖHLICH. O dann wär alles genug für uns beide und genug für mich! Mehr braucht ich nicht um glücklich zu sein.

GUNTEL. Meinst das wirklich? – Da kommt mein Vater.


Walter und Hans treten zur Tür herein.


WALTER. Guten Abend, Schulz! Ah sieh, Wetzstein! Auch mal wieder hier? Gibt ihm die Hand. Das ist ja hübsch! Willst heunt abend auch mithelfen?

SCHULZ. Wo ist denn Veitel, kommt der heunt nicht?

WALTER. Ist die Amme abholen drüben von Waldthal rüber. Lotte ist drauf und dran, heut niederzukommen. Base, tätet mir und ihr großen Gefallen, wenn Ihr hinginget.

SCHULZIN. Ei freilich, den Augenblick! Bei so was muß ich ja hauptsächlich dabei sein.


Schnell ab.


SCHULZ. Setzt euch dann in Ordnung her, damit's mal vorangeht! Können nachher beim Kernen schon fortplaudern. Hans, stell du die Körbe in die Mitte, daß alle zulangen können; will selbst hier am Block die Nüsse aufschlagen. Liesel, schür 's Licht, damit's hell brennt. Walter, Wetzstein, hieher zu mir; die alte Welt so zusammen.

GUNTEL. Hier wär mein Platz.


Setzt sich.


LIESEL. Meiner hier.

FRÖHLICH. Ich in die Mitte, mit Erlaubnis, so hübsch eine Rose zwischen zwei Dörnchen.

GUNTEL. Wie heißt das?

FRÖHLICH. Ist's nicht recht, wenn ich euch beide für ein paar echte Rosenknöpfchen und mich mit euerm Belieben für den Dorn in der Mitte gelten lasse?

GUNTEL. Anders umgedreht!

FRÖHLICH. Stolpert ja ein Pferd auf vier Eisen! – Müssen respektshalber 'n bißchen sachter zusammen reden, wenn alte kluge Leute in der Gesellschaft sind. Schätzchen Guntelchen, sag mal; bist mir auch recht von Herzen hold?[1422]

GUNTEL. Willst 's Maul halten jetzt! Husch!

FRÖHLICH. Husch! Nur näher angerückt! 'n Küßchen! Wir sitzen so hübsch im Dunkeln; der gute, breite Lichtrücken! Gesegn' Gott den guten Zinngießer, der ihn so fein breit gemacht. Das Händchen, das liebe Patschhändchen.


Er küßt ihr die Hand.


GUNTEL. O Schelm! Weg doch! Er küßt ihr das Gesicht. Zu arg! Weg!

WALTER. Wetzstein! Was ist denn das mit des Pfarrers Tochter von Bollenbach, die die Zigeuner gestohlen und ihre Weiber nachher umgebracht haben sollen? Habt Ihr nichts davon gehört? – Ei guten Abend, Herr Schulmeister!

SCHULMEISTER kommt herein. Wett drauf, der wird die Geschicht am besten wissen. Setz Er sich hieher neben mich.

SCHULMEISTER. Guten Abend allen zusammen! Schönen guten Abend dem Herrn Schulz, allen ehrsamen alten Männern voran und dann auch den feinen Jungfrauen und ehrbaren Junggesellen! – Die Herren sprechen vermutlich von des Pfarrers von Bollenbach Tochter? Weiß nun die Geschichte sehr genau, mir hat's eben mein Gevattermann, der Schulmeister von Waldthal, der mich heute besucht, sehr umständlich erzählet. Hum, hum! Ich kenne den Pfarrer sehr genau; er war ehedessen mein Schulkamerad, wir besuchten miteinander das Gymnasium zu Grünstadt, hab auch noch das Mädchen, seine Tochter, sehr wohl gekannt. Sie hatte von Jugend auf so was Besondres, Stilles, Melancholisches; aber sonst sehr manierlich und freundlich im Umgange gegen jedermann. Sie verliebte sich nun, wie es stadt- und landkündig ist, in einen Zigeunerburschen, der die Geige spielte und öfters an Festtagen ins Dorf hinabkam; ein schöneres, wohlgewachsneres Mannsbild soll man nicht leicht haben finden können. Will mich mit Erlaubnis erst hieher setzen, wenn dieser Stuhl niemand anders zugehört, so zum alten Vater Wetzstein; 's ist schon ein Weilchen, daß wir nicht mehr so beieinander gesessen, he he he!

WETZSTEIN. So so! Ein ziemlich Stück ...

WALTER. Voran, Schulmeister.

SCHULMEISTER. Ah, wie gesagt, sie verliebte sich in einen Zigeunerburschen, der die Geig spielte. Dem ging sie nun manches Wegs zu Gefallen. Das ward bald in dem Dorfe und in der ganzen Nachbarschaft bekannt, auch erfuhr es der Vater und hielt sie deswegen sehr scharf zu Hause. Und um das Ding recht gut und bald abzuändern und allen übeln Folgen auf[1423] einmal vorzubeugen, suchte er sie geschwind an einen alten sehr reichen Landkrämer, der eben um sie freite, zu verheiraten und drang sie mit Gewalt, ihre Einwilligung zu geben. Dies machte ihr verliebtes Herz ganz aufrührisch und verzweifelnd; sie weinte Tag und Nacht, wie man erzählet. Endlich ward sie wieder ruhig und versprach ihrem Vater, sie wolle mit allem zufrieden sein. Den Abend vor ihrem Hochzeittag schlich sie sich aber aus ihres Vaters Haus, nahm mit, was sie in Eil wegbringen konnte, traf ihren Liebhaber, den sie schon am gewissen Ort und zur gewissen Stund bestellt, und zogen also miteinander glücklich davon. Sie war nun, wie man sagt, bei der Rotte sehr willkommen und in kurzer Zeit ihres höflichen, freundlichen Wesens wegen äußerst beliebt; alle Männer hingen ihr an und suchten ihr Gefälligkeiten zu erweisen. Das verdroß die übrigen Weiber aufs äußerste; alle sahen sie mit neidischen Augen an und nicht lange dauerte es, so brach das Feuer hell aus. Die Weiber ratschlagten bald untereinander, wie sie diese wieder loswürden, und sannen auf mancherlei Ränke und Mord. Eines Tags, als alle Männer hinaus auf den Fang gezogen waren, überfielen alle auf einmal wie wütige Wölfinnen die arme Verlaßne in ihrer Hütte, schlugen sie ohne Mitleid nieder, zerbissen und zerschnitten ihr Angesicht und ihre Brüste gräßlich und wälzten sie nachher über den Fels hinunter an die Landstraße. Hier ließen sie den mißhandelten Körper liegen und machten sich ihres Wegs davon.

WALTER. Gott im Himmel, was ist das! Aber der alte Vater hat gefehlt; er war selbst schuld dran, daß das Mädchen davonlief, er hätte sie nicht so zur andern Heirat zwingen sollen, er hätt es anders machen können. Üble Neigung an einem Kind läßt sich wohl mit Vernunft bezähmen, dazu hat der Vater das Recht; aber Neigung zu einem andern hin läßt sich nicht erzwingen. Und gar bei solchen Umständen! Das geht wider die Natur.

SCHULMEISTER. Freilich hätt er viel klüger gehandelt, wenn er ihr mit Sanftmut begegnet und nach und nach durch Zureden und vernünftige Vorstellung sie aus ihrer verirrten Leidenschaft wieder auf die rechte Bahn zu leiten gesucht. Die Zeit allein ist der einzige Doktor bei dergleichen Liebeskrankheiten, Sanftmut tut hier mehr als Gewalt.

WALTER. Ah, freilich, freilich![1424]

HANS. Sie war gewiß schon schwanger, wie die Leute sagen.

WALTER. Desto betrübter ist's. Behüt Gott jeden braven Vater davor, so was in seiner Familie zu erleben. – Wie ist's Guntelchen, mein Kind? Hast noch Nüsse? Du lachst immer und hörst nicht zu. Liebe Tochter, gib mir die Kerne von deinem Schoß zu, will die ausleeren und frische Nüsse reichen. Sitzest so weitab im Dunkeln.

GUNTEL. Sitz recht gut hier, Vater.

WALTER. Kannst doch wohl sagen, lieber Vater. Bin ich dir denn gar nicht mehr lieb?

GUNTEL. Mag's Euch lieber beweisen als sagen, lieber Vater.

WALTER. Gutes Mädchen! Werden jetzt bald Freude haben. Deine Schwester Lotte, will's Gott, wird's nun bald überstanden haben, dann wollen wir daheim lustig sein.

SCHULMEISTER. Eben solch eine wunderliche Geschichte hab ich mir vergangenes Jahr erzählen lassen. Reiste da im Herbst mit meinem Schwager in seine Heimat gen Albersweiler zu; er, als damaliger Herbstschreiber von pfälzischer Seite, hatte viel mit dem dortigen Weinzehnten zu schaffen, ich hatte also recht gute Muße, für mich allein in der Gegend herumzustreichen und alles durchzustören und recht genau in Augenschein zu nehmen. Das ist nun so mein Hauptgaudium, neue Gegenden zu entdecken und zu durchwandern; da mein ich denn immer, wenn ich zuerst so in ein fremd Tal eintrete, ich wär einer von den Kundschaftern, die Josua in das Gelobte Land vorausgeschickt, um alles auszuspähen, und nun müsse ich auch recht genau achtgeben, und jedes Ding recht seiner Natur nach bemerken. Da schau ich mich denn überall um und ein Tag streicht mir manchmal so dahin, wie eine Minute. Hauptsächlich gibt's nun in dortiger Gegend viele alte Bergschlösser und verstörte Klöster; und so in den alten verfallnen Mauern herumzuklettern, ist eine wahre auserlesene Herrlichkeit für unsereinen, der so ein bißchen das Handwerk versteht und weiß, was ein alt Monument oder eine alte seltne Inskription auf sich hat, die man oft und unvermutet bei solchen Gelegenheiten entdeckt. Da ist nun das berühmte Schloß Madenburg in der Nähe; nicht weit davon Neu-Kastell und dann das weitläufige Kloster Eisersthal, eine prächtige gotische Ruine; recht dauer und schade, daß so ein herrlich Stück so gewissenlos zerstört worden. Das haben wir denn all den lieben Franzosen zu danken. Eheu, sie haben uns an Leib und[1425] Seele angesteckt und auch selbst im Lande ruiniert. Ging nun oft hin, besagtes Kloster zu beschauen; es liegt auch in einem so angenehmen, mit zwei Bergwäldern besetzten, grünen Tal, das in der Mitte ein kleiner murmelnder und durch die Wiesen sich hinschlängelnder Bach durchschneidet. Ich machte bald Bekanntschaft mit dem dortigen Geistlichen, der ein sehr artiger umgänglicher Mann war, auch eine hübsche Jungfer Base bei sich hatte, die in Litteris sehr wohl versieret war; ein recht liebes Paar Leutchen. Sie taten mir alle ersinnliche Freundschaft, gaben mir auch alle Gelegenheit an Hand, die dortigen sehr merkwürdigen Inskriptionen und Epitaphien zu kopieren. Einsmal, als der Pfarrer und ich so zusammen vor einer alten Wand standen, zeigte er mir oben ein mit Dornen und Gesträuchen verwachsnes Loch und erzählte mir dabei folgende sehr merkwürdige Geschichte.


Putzt die Nase.


WALTER. Still, ihr Kinder! Bst! Ruhig, dort hinten!

SCHULMEISTER. Hm, hm! Es lebte vor einigen Jahren hier im Dorf eine Witfrau, diese hatte eine Tochter, ein stilles, ehrbares, fleißiges Mädchen. Man konnte Mutter und Tochter in keinem Stück was Unehrliches nachsagen und sie waren auch beide ihres ehrbaren Wesens wegen bei jedermann sehr beliebt und wertgeschätzt. Es geschah nun, daß sich das Gerücht auf einmal verbreitete, als sei das Mädchen schwanger. Alle Leute beobachteten sie deswegen sehr genau; man konnte aber nichts mit Gewißheit entdecken. Es war nichts anders von ihr bekannt, als daß sie vor einigen Jahren der Sohn eines reichen Bauern heiraten wollte, daß es aber sein eigner Vater verhindert, weil ihm das Mädchen zu arm war. Das Mädchen betrug sich auch bei der ganzen Sach sehr vernünftig, sie ging aus und ein und zur Kirche, trieb wie vorher still und bescheiden ihre Geschäfte fort und tat, als verstünde sie das Sticheln und Reden nicht, was man ihr hie und da am Brunnen und an andern Orten zu verstehen gab. Sie war aber doch in der Tat schwanger, kam auch, ohne daß es jemand erfuhr, selbst, wie man behaupten will, ohne Wissen ihrer Mutter, nieder und bracht ihr Kind gleich nach der Geburt um. Sie steckte den Leichnam des Kindes in einen Hafen und trug den des Nachts hinaus auf einen Acker, vergrub ihn dort stille. Da war es nun sicher und wäre gewiß verborgen geblieben: aber nichts destoweniger deuchte es ihr da nicht richtig genug. In der dritten Nacht also nachher stand sie auf und ging hinaus, es wieder auszugraben[1426] und brachte auch das Kind wieder mit sich nach Haus zurück, um es, wie sie nachher gestand, im Keller zu verbergen. Da ward ihr nun auf einmal so schwer und bange, sie wußte in der Angst nicht, wohin, sie glaubte sich schon verraten mit dem Kinde, ihr war's, als schrei's noch und beständig und ließe sich durch nichts stillen. Sie bedeckte also den Hafen aufs neue und stieß ihn in der Küche ins Aschenloch unter den Feuerherd und vermauerte das Loch überall mit Asche. Aber auch hier blieb es nicht lange, es sollte und mußte nun einmal heraus! Sie konnte jetzt nachts nicht mehr schlafen, es war ihr, wie sie nachher selbst gestanden, als ob das Haus brenne oder als höre sie drunten auf dem Feuerherd sieden und backen und allerlei fremde Menschenstimmen, die von dem Kinde im Aschenloch und von ihrem grausamen Mord sprächen. Dann hörte sie sich aufrufen, den Stab brechen, die Trommel rühren und wie die Henkersknechte kämen und der Karren hielt, sie abzuholen und zum Gericht zu führen.

LIESEL. Herr Jesu! Still doch, Guntel, bst, still!

GUNTEL. Andre Nüsse her, hihihi! Gießt mir diese über den Schurz! Wart, will dir diese wieder an den Kopf werfen, daß's pufft!

LIESEL. Stille doch, Guntel, Walter schmält, der Schulmeister kann nicht erzählen.

WALTER. So halt't doch eure Mäuler dort, kann kein gescheit Wort vor euch reden. Guntel, he!

GUNTEL. Ei warum ruhen die auch nit, hehehe!

WALTER. Ei was, schweig! Schulmeister, fort, fort.

SCHULMEISTER. Bald träumte ihr, der Hafen wüchs hervor wie ein Berg so groß und das ganze Dorf stünde drum herum, zu beschauen und anzuklagen; dann fuhr sie auf, schlich barfuß und im Hemd herunter, lauerte an der Treppe, ging wieder zurück zu Bette, kam bald wieder, setzte sich vor das Aschenloch, starrte, seufzte, wußte nun in aller Welt nicht, wohin mit dem Kind und wie sie es gewiß verbergen möchte, damit es ihr doch einmal wieder ruhig würde. So trieb sie's fünf Nächte. In der sechsten stund sie auf, trug's wieder in den nämlichen Wald hinaus und vergrub es dort von neuem in die Erde. Aber auch da sollte es nicht lange bleiben, es sollte nun einmal an Tag hervor und mußte sich alles dazu schicken. In der achten Nacht kam's ihr vor, als habe sie das Kind nicht tief genug begraben, es reiche mit einem Ärmchen noch über[1427] die Erde heraus. Sie ging also am Morgen sehr früh wieder in den Wald hinaus, grub es von neuem wieder aus und brachte es hieher in diese Ruinen; auf einer Leiter stieg sie an diese Wand hinauf und setzte den verdeckten Hafen mit dem Kinde in dies Loch hinter die Hecken und Gesträuche. Ihr ward nun, als wär sie auf einmal erlöst und frei von allem Übel; sie ward, wie sie nachher gestand, innerlich wieder sicher und ruhig. Es war wohl ein halb Jahr vorüber und alles mit dem Mädchen und ihrer Schwangerschaft längst vergessen. Einsmals an einem Sonntag nachmittag, da einige Jungen während der Kirche hier außen herum nach Spatzennestern stiegen, sah einer von ohngefähr dort von der Mauer herüber den verdeckten Hafen hier im Loch stehen; er rief das sogleich seinen Kameraden herunter, die neugierigen Jungen schleppten gar bald eine Leiter herbei, stiegen dann hinauf, zu sehen, was in dem Hafen dort oben sei. Sie langten ihn herunter und fanden zum größten Erstaunen aller das Kindlein drinnen. Dies ward nun bald ein lautes Geschrei, es liefen mancherlei Leute herbei an den Hafen, das halbe Dorf stund drum herum, das Gemurmel kam bis in die Kirche unterm Gottesdienst, eins um das andre schlich hinaus, zu schauen, was draußen vorging. Das Mädchen war nun auch in der Kirche und kam, da ohnehin der Gottesdienst gleich zu End war, auch heraus. Als sie des Wegs näher kam und den Hafen erblickt, faltete sie ihre Hände und schrie überlaut: »Herr Jesu, das ist mein Kind!« – Sie ward nun natürlicherweise gleich arretieret, gestund auch freiwillig ihr ganzes Verbrechen den Augenblick; nur den Vater des Kinds wollte sie niemals nennen und war auch durch keine Gewalt der Richter noch Zureden der Geistlichen jemals dahin zu bewegen. Ihr ward nun bald darauf der Prozeß gemacht und sie nach vierteljährigem Sitzen verdammt, mit dem Schwert gerichtet zu werden. Nun ist in Eisersthal kein Hochgericht, sondern die dortigen Delinquenten werden nach Germersheim abgeliefert, die Lieferung aber ist eine Sache der Gemeine unter sich und geht immer um. Es traf sich also in der Reihe, daß es just an einen der reichsten Bauern kam. Da der Vater krank lag, mußte der Sohn an seiner Statt die Lieferung übernehmen. Er spannte also seinen Karren an; das halbtote Mädchen ward darauf festgesetzt. Es weinte alles, da dies geschah; die Wächter selbst, die nebenher ritten, seufzten überlaut, die alte Mutter lag im Herzeleid halbtot am Weg, raufte[1428] sich die Haare, rief ihrer Tochter zum letztenmal zu, man trug sie zurück. Der junge Kerl, der das Mädchen fahren sollte, saß vorwärts gebückt auf seinem Schimmel und weinte, daß die Tränen in die Mähnen herunterkandelten; die Geißel entfiel ihm, da er fahren sollte. Bald brach er überlaut aus: »O Jesu, Jesu, wie bitter!« Und dann schwieg er wieder und schnaufte und rang innerlich. Es war nun der halbe Weg bald gemacht und die Germersheimer Gemarkung nicht mehr weit, wo der Delinquent abgeliefert und wie gewöhnlich von andern Schergen empfangen werden sollt. Hier hält der Kerl auf einmal stille, dreht sich im Sattel, springt auf den Karren zurück, fällt mit ausgespannten Armen über das halbtote Mädchen hin, faßt sie heftig und fest an seine Brust, schreit beklommen: »Ach Hannchen, Hannchen! Soll ich dich nun selbst zum Tod hinführen und hab dich doch in dies tiefe Herzeleid gestürzt! Ich bin's, der dich dazu brachte, hab's mit meiner Falschheit ausgericht't ... bin Vater zu deinem Kind! Führt mich zum Galgen hin, bringt mich um, du bist unschuldig!« – Und sie wieder: »Nein, bin's allein, Christoph! Laß mich allein für meine Sünden büßen! Bet für meine arme Seel!« – Man riß ihn nicht ohne die größte Gewalt von ihr los den Karren herunter, er verwundete sich und andre, man band ihn an beiden Armen und Füßen und bracht ihn für tot ins Dorf zurück. Ein Wächter stieg aufs Pferd und versah seine Stelle.

LIESEL. Ach Gott, ach Gott! Das arme Mädchen ward doch nicht gericht't?

SCHULMEISTER. Sie ward gericht't.

WALTER. Schaudert mich. Armes Mädchen! Hätt ihr wahrhaftig Gnade geben und hätt ich's auf meine Seel verantworten sollen! Und hätt ich Gottes Richtschwert geführet, Gnade hätt ich ihr gegeben, hätt mit Barmherzigkeit und Milde ihr zerschlagnes Herz erquickt, mein Seel!

WETZSTEIN. Ja, ja! Aber sie war doch allemal eine Mörderin.

WALTER. Das war sie; aber wie? Was bracht sie dazu? Hätte sie das Kind allein in einer Wüste unter wilden Tieren zur Welt bracht, gewiß hätte sie es nicht ermordet. O Menschen, Menschen! Ihr seid ärger, als Tiere! Hätte das ganze Dorf nicht mit boshaften Augen das arme Mädchen zuvor so bewacht, allen Schimpf und Schand vorbereitet, die sie im Fall zu erwarten hatt ... Die Schadenfreude, die sich so recht an solch[1429] einem armen Ding weiden kann – jeder Mensch hat ohnehin seine Feinde, die immer auf der Lauer sind – und dann der Gedanke noch obendrein, daß solch ein arm Ding nur eine Ehre hat und daß die jetzt dahin und auf immer dahin sein soll: das ist's, was die Natur ganz verdreht, Sanftmut und Liebe in Raserei und Blutdurst verwandelt und das weiche mütterliche Herz eisenfest härtet. Wie in aller Welt wär's denn sonst möglich? Wo kann eine Mutter sein, die ihr Erzeugtes nicht liebet? Es müßte Gott, der alles so vollkommen gemacht, einen Fehlgriff in die Schöpfung getan haben und sein Meisterwerk hier unvollkommen sein.

SCHULMEISTER. Ganz gewiß! Gelehrte sind auch deswegen der Meinung, daß eine solche Kindermörderin nicht wohl am Leben zu strafen sei, weil sie im Delikto sich nicht mehr im eigentlichen Stand der Natur befinde, sondern vielmehr teils durch Schrecken, Angst und Verzweiflung, sinnlos und abgeschwächt, teils durch das Leiden der Geburt außer sich versetzt sei und daher niemals einer solchen Tat wegen ganz zur Rechenschaft gezogen werden könne. Hier kommt nun alles auf die Umstände an; wie bei diesem Fall zum Beispiel, da der Kerl nachher selbst gestanden, er habe dem Mädchen vor Gott und Menschen unter dem freien Himmel versprochen, sie zu heiraten nach seines Vaters Tod, er habe kurze Zeit nachher sich mit ihr zertragen und ohne ihre Schuld, habe sich zu einer an dern gewandt und als ihm das Mädchen ihre Schwangerschaft zu wissen getan, sie ohne Trost und Hoffnung von sich gestoßen. Das arme Mädchen trug also ihr schweres Kreuz ganz allein und leider wurde es ihr zu schwer. Sie tat's und hatte den Kerl doch noch zu lieb, ihn nachher mit in ihr Unglück hineinzuziehen; sie verschwieg ihn lieber, trug ihr Leiden geduldig und großmütig allein. Sollt ein so treues Herz nicht Mitleid bei Menschen verdienen?

WALTER. Bei Engeln und Menschen! Gott, wer kann's ihr versagen?

SCHULMEISTER. Aber solche arme, durch Liebesunglück zerrüttete Mädchen, wie unbarmherzig geht man mit ihnen um! Sie sind die schwächeren Geschöpfe und sollen doch alles allein entgelten und tragen. Wo soll so ein armes Kind die Kraft hernehmen, dem zischelnden Hohngelächter einer Welt zu begegnen? Absonderlich, wenn sie unter den Klauen unempfindlicher, unbarmherziger Anverwandten sich befindet, die,[1430] statt sie zu trösten und ihren Schmerz zu lindern, durch ihre Vorwürfe sie noch mehr zerrütten und desto sichrer der Verzweiflung entgegentreiben. Die Schande ist gar zu arg, zu weit! Und ist denn das so was Erschreckliches, ein Jungfernkind? Hm, hm! Spricht leise zu Walter. Absonderlich, so in wahrer Liebe gezeugt, he he! Hab so meine eignen Glossen darüber, aber man darf eben nichts davon piepsen, es fällt einem gleich die Orthodoxie auf den Hals und das liebe tägliche Brot schmeckt einem doch süße.

WALTER. Freilich gibt's so unbarmherzige Anverwandte, die mehr Schuld an dergleichen Verbrechen tragen, als die Täter selbst. Sollten aber dafür auch nach Maß bestraft werden.

WETZSTEIN. Was war das für 'ne Geschichte mit des Kürschners Tochter von ...

GUNTEL. O weh von neuem mit den jämmerlichen Geschichten! Wollt Ihr uns damit ganz umbringen! Um Gottes willen, ist ja so gräßlich, davon zu hören, 's geht in einem rum ...

LIESEL. Laß als, Guntelchen! So was von Henker und Richten und Spitzbubenhistorien ... hi hi, man sitzt so still dabei, könnt eine ganze Nacht aufhorchen, ohne zu schlafen.

GUNTEL. O pfui! Lieber von was Lustigerm! Meine Schwester wird bald Kindtauf halten; laßt uns 'n Weilchen vorher Gevatter machen. Wen rätst du, wer wird's, wenn's ein Bübchen ist?

SCHULZ. Recht so, Bäschen Guntelchen! Mein Treu, es soll beim Nußkernen lustig dreingehen, will nicht haben, daß 's heißen soll, beim Schulz von Lämmerbach ist Betstund. Lieber so ein Kirchweihstückchen und was von Tanz und Fasnachtabend! Hört Ihr's, Herr Fröhlich! Ei, Ihr sitzt ja heunt wie zugefroren. Gestern ging's lustig her, nicht wahr? Als Ihr da mit Schlafrock und Perücke und in Pantoffeln hereingeschlurft kamt und als der berühmte Doktor Mückenschwanz jedem seinen Puls befühltet und mit Stock und Takt Lektionen vorsunget. Walter, hättet 's sehen sollen, hättet Euch drüber krumm und bucklich gelacht.

WALTER. So?

SCHULZ. Heraus damit, mit Euern Schneckentänz, Herr Fröhlich, damit's die Leute auch sehen und mir glauben. Macht mal Eure Komödie von Herzog Ernst, wenn Ihr's noch wißt.

FRÖHLICH pfeift und steht auf, geht in der Stube herum und klopft[1431] überall. Wo steckst du dann, hehe! Aus dem Tornister heraus, du lustiger Hans Springinsfeld! Was sitzest du da, wie ein Kalendermacher, der auf Regen und Wind studiert? Hörst nicht: der teure Herr Schulz von Lämmerbach will dich haben; aufgewart! Er geht herum und klopft bei den Frauenzimmern an. Wo hast du dich hinverkrochen? Meine Herrn, meine Frauenzimmer! Sie werden mir erlauben, nachzusuchen.

LIESEL. Und warum nicht gar, hi hi hi!

FRÖHLICH. Da sitzt er! Hört ihr, wie er wie ein in Schwanz gebißner Kater brummt? Der faule Bruder will nicht heraus, man muß ihn wie den Bären herausstacheln; aber nur Geduld, soll bald leicht werden. Will ihm die Füß ein wenig mit Heuschreckenfett salben, daß er lüftig springen soll. Hasa! Husa! Lustig, lustig! Wer Pillen und gute Ware kauft, herbei, herbei! Steigt auf den Stuhl hinauf. Ihr Jungfraun, ihr Herrn, was wär zu Befehl? Blecherne Mausfallen, daran halbverdorrte Rattenschwänze kleben: sind böse Omina für schmachtende Herzen! Blaue Augen und rote Lippen, vertreiben Jungfern Melancholie. Hütet euch in diesen bösen Zeiten, daß eure Beständigkeit nicht den Schnupfen kriege; ihr werdet's wissen, was für ein schrecklicher Komet regiert, der bald eine noch schrecklichere Tragödie nach sich ziehen wird, daß nächsten Tags ein Doktor sich in seinem eignen Uringlas ersäufen soll, auf welchen Klagfall wirklich schon dreißig müßige Poeten mit ihren Elegien warten. Die Ursach aber ist, dieweil die Männlichkeit in unsern Tagen gar sehr auf der Neige steht und zwanzig Jungfern, wie ehmals ein Dutzend Weiber um ein paar Hosen, sich jetzt um einen Nagel schlagen, an den sie die baufällige Rüstung ihrer abgezehrten Liebesritter hängen können, eine Krankheit ohne Remedium! Indessen laßt uns hier ein bißchen Luft schöpfen. Er langt die Geige oben vom Brett herunter. Bink, bink, bink!


Singt und spielt.


Einem jeden gefällt seine Reise so wohl,

Drum ist die Welt der Narren so voll.


Und was meinen denn meine Herrn und Frauen zu dem, was ich weiters in der weiten Welt erfahren, besonders da ich als Herzog Ernst der Zweite das hohe Meer überschifft? Ihr werdet vermutlich schon von meinem Urgroßvater Herzog Ernst dem Ersten, vernommen haben, der in kirschfarbnem Mantel[1432] und in Holz geschnitten auf allen Messen und Jahrmärkten florieret. Ich habe eine große Seereise getan von einer Spitze des Pols zur andern, allerlei Wunderdinge erfahren, die kein Poet vor mir weder in Reimen noch in Prosa erzählet; es wäre wohl genug damit, hundert Fasnachtabend' zu dekorieren. Verspare mir's deretwegen umständlicher zu erzählen bis zur gelegenen Stund und tue anjetzo nur zu wissen, daß, nachdem ich den Krieg mit den Pygmäen glücklich geendigt und ihren König Däumerling, ein' andern Alexander und Herkules gefangengenommen, auch in meines Großvaters Namen einen Handlungstraktat mit den streitbaren Kranichen, Riesen, Zweiköpflern, Einfüßlern, Mohren, Tatarn, Kalmuken, Afrikanern et cetera geschlossen, nahm ich meine Fahrt weiter nordwärts. Der Wind pfiff mir garstig in die Segel, endlich drehte sich das Schiff und wir kamen bald dem Magnetberg nahe; diesmal aber entwischten wir glücklich. Wir hatten uns durch unsers Großvaters Journal warnen lassen, hatten das Schiff statt Eisens mit Nägeln von Speck beschlagen und rutschten also glücklich und unversehrt in den hohlen Berg hinein. Was wir inwendig drinnen für Wunderdinge angetroffen, wäre einer Amme kaum all zu glauben. Genug, der große Greif, der sein königlich Nest von gediegnem Gold und den kostbarsten Granaten oben auf der Spitze des Bergs hat, der notabene beständig vom Morgenrot beschienen wird, dieser, sag ich, kam herunter und machte uns in höchsteigner Person eine Visite. Er hat sich seit meines Großvaters Zeiten sehr modernisiert und ist umgänglicher geworden; machte mir ein höflich Kompliment, verehrte mir auch beim Abschiednehmen ein Stückchen von seiner majestätischen Klaue und nahm dagegen von mir Nürnberger Lebkuchen an. Den Streich, den ihm mein Großvater mit den Ochsenhäuten gespielt, hatt er noch nicht ganz vergessen; dennoch aber war er nichtsdestoweniger sehr aufgeräumt. Er zeigte uns auch sein Raritätencabinet und wies uns die berühmte holländische Windmühle, worauf alte Weiber wieder jung gemahlen werden, also, daß wenn man ein Dutzend alte, zahnlose, krumme, buckliche, triefäugige Mütterchen oben aufschüttet, nach Verlauf einer Stunde zwölf junge, frische, hellaugige, gerade, wohlbezahnte Dirnchen herausfallen, die weiß und rot, wie Lilien und Rosen blühen. Der Himmel weiß, was wir als noch mehr da gesehen, man vergißt nichts leichter als Lügen oder einen Traum und[1433] meine Memorie ist nicht schneller als meine Imagination. Doch hoffe ich, daß wir noch einmal zusammenkommen, ehe noch die siebenzigtausend Jahre des großen philosophischen Weltzirkels herumgelaufen; wir wollen auch dann das Weitere, was noch hie und da eckicht ist, rund biegen, knüpfen für jetzt aber die Materie hier fest, gleichwie jenes Mädchen den Strick, woran der rostige Ritter im Korb sich zur schönen Kunigunde hinaufhaspeln ließ. Der arme Schlucker schwebte zwischen Himmel und Erde beim frischen feuchten Sternenglanz und seufzte seine Liebesqual den Spatzen und Schwalben vor, die alle ihre vorwitzigen Nasen aus allen Löchern hervorstreckten, den halb verfrornen Schlucker zu belachen. Es war eine bitterkalte Nacht, der arme Tölpel stark zusammengeschrumpft wie ein Taschenmesser und schnatterte, daß ihm der Hauch auf dem Zwickbart reifte. Purr! Purr! Wie heißt das hitzige Winterlied, betitelt: Amors verlorner Köcher im Schnee?

Ach Schätzchen, tu dein Fensterlein auf

Und zieh mich armen Schelm hinauf!

Das Herz im Busen knarret mir,

Die Seel im Leib verfrieret schier.

Ach Schätzchen, zieh mich schnell hinauf,

Sonst geht dein armer Schlucker drauf.


Purr! Purr! Wenn jemals einer in einer Gänseakademie ein zärtlich Gänse-Adagio schnattern gehört, der komm, und ich will ihm einen Kiesel zur Haselnuß geben, woran er seine Zähne probieren mag. Übrigens sind das lauter Possen und Eitelkeit, ob man auf den halb zerbrochnen oder doch die meiste Zeit verstimmten Pfeifen dieses Lebens drei Griffe höher oder tiefer herumfingert; ich strecke mich oft, wie der hebräische König bei Festivitäten und Feierlichkeiten, wo Narren so klug aussehen, und gähne eins tüchtig herunter, und wenn's mir dann etwas unregelmäßig unter die Nase surrt, denk ich wie jener Äskulap hinterm Pflug: Freiheit ein goldnes Haus! Der Vogel spricht's und fliegt zum Käfig hinaus! Und dann dreimal auf'm Absatz herum und frisch und fröhlich! Der ich bin, der bin ich und bleib ich, lasse den Wind fein schnurren, woher und wohin es ihm beliebt.
[1434]

Mir ist oft so hämisch, so dämisch und dumm,

So hurrig und schnurrig und weiß nicht warum,

So hippig und schnippig und weiß nicht wornach,

Das ändert und wendert mit jeglichem Tag.

Hei hopsa, hei lustig! Das Faß ist noch voll,

Nimmt Schätzchen ins Bett mich, wie ist mir so wohl!


Leise zu Guntelchen. Wie meinst? – Genug also ihr Herrn, damit ihr sehet, daß ich von meinen vielfachen und weitläufigen Reisen hinlänglich profitieret, so daß ich manch schön Exempelchen aus dem Vorratsschrank eigner Experienz euern hungrigen Ohren auftischen könnt, sag ich jetzt nur, daß ein günstiger Wind mich bald anfaßt' und mich aus Holland den Rhein heraufblies – Notabene, meine Löwen, Krokodile, Mohren, Affen, Papageien, die ich von meiner Reise mitgebracht, ließ ich alle zu Amsterdam unter dem Rathaus in sichrer Verwahrung – heraufblies, so daß ich jetzt in meines werten Herrn Schulzen von Lämmerbach Stube sitze und Nüß kerne, zwischen ein paar geleckte, niedliche Jüngferchen hingepflanzt, die so artig sind, wie ich auf allen meinen weitläufigen Reisen und auch selbst mitten im Magnetberg und bei Ihro Majestät Königs Greifs Windmühle keine so muntre und keine artigere angetroffen. Ist's nicht wahr, meine Herren?

SCHULZ. Ordentlicher Advokat. Wo das verzweifelte Zeug durcheinander her ist! Eine ganze Dorfschaft bringt nicht so viel zusammen.

GUNTEL. Man kann ihm doch nicht unhold sein.

LIESEL. Gewiß nicht, hi hi hi!

WETZSTEIN. Hum, hum!

WALTER. Warum schaust so, Wetzstein?

WETZSTEIN. Nichts. Kam mir so was in Sinn.


Geht auf und ab, betrachtet Fröhlich, setzt sich wieder.


WALTER. Ist dir was?

WETZSTEIN. Gar nichts. Da kommt Frau Bärbel wieder zurück; werden jetzt hören, was die uns Neues bringt.

SCHULZIN. Gut Glück, ihr Kinder! 's ist vorbei, haben's glücklich gewonnen, Lotte ist entbunden.

LIESEL. Mutter, was ist's?

WALTER. Ich wette drauf ein Junge!

GUNTEL. Ein Mädchen!

SCHULZIN. Hm, hm! Wer rät's?[1435]

ALLE. Was ist's? Sagt's!

HÄMMERLIN kommt hervor und stellt sich in die Mitte, sieht alle an und spricht laut. Ein Glockenschwengel ist's! Alle lachen. Dümpeldäumchen! Lacht, lacht, was ist's denn weiter? Ist's etwa das erstemal, daß ich so ein Rätsel herauskrieg? Der Vater ist der Eichstamm, die Mutter das Beil, die zwei Weiber, an die er verkuppelt ist, Glock und Seil, wenn ihr die eine anzieht, plumpt und plafft die andre, bei Hochzeiten und Leichen hat er zu tun. Nun, ist's so, hab ich's getroffen?

FRÖHLICH. Aufs Haar, Mütterchen! Hier habt Ihr Euern Lohn.


Küßt sie.


HÄMMERLIN. Faxenmacher! Wart, will dir ...

FRÖHLICH. Das Enkelchen geben und noch was Kleines mit? Könnt angehn!

HÄMMERLIN. Warum nicht gar!

WETZSTEIN auf den Fröhlich los. Sag, bist's oder bist's nicht? Halunk! Fritz! Wie kommst hieher?

FRÖHLICH. Vater, hab Euch gleich gekannt, als ich nur zur Stube hereintrat; wollte nur sehen, ob Ihr mich auch kenntet. Da bin ich nun, wenn Ihr mich wieder haben wollt.

WETZSTEIN. Tagdieb! Wo bist du überall herumgestrichen? Hab Rechnung mit dir zu halten: wart!

SCHULZ. Wa, wa, was? Wetzsteins Fritz leibhaftig? Wetzsteins Fritz!

GUNTEL. Hab ich doch immer gemeint, ich kenn ihn schon von lange her. Liesel, Liesel! Du Bosheit hast gewußt, hast mir's nicht gesagt!

SCHULZ. O du vertrackter Jung! Sag, wie hast du's angestellt, daß ich dich so lang nicht gekannt? Bin ganz dumm.

SCHULZIN. Da sieh einmal an! Wetzsteins Fritz! Wie oft hab ich ihm als Butterbrot und Käsfladen geschmiert, ihm und meinem Carl, und hab ihn nun so lang nicht gekannt. Was er der Zeit in die Höhe geschossen, stark geworden! War sonst so eine schmale Gerte. Mütterchen, he!

HÄMMERLIN. Was ist da zu tun durcheinander?

SCHULZIN. Wetzsteins Fritz ist da!

HAMMERLIN. Wo dann?

SCHULZIN. Da hier ist er.

HÄMMERLIN. Du Faxenmacher! Laß dich mal recht beschauen. Wart, will dich gleich probieren, ob du auch noch gut Gedächtnis hast. Was geschah vor funfzehn Jahren auf Ostern?[1436]

FRÖHLICH. Aha, liebes Mütterchen! Setztet damal ein jung lebendig Häschen in Rosmarinstrauch, als Guntelchen und ich zusammen dort Eier holen gingen. Der purrte nun, als wir näher kamen, heraus, Guntelchen erschrak, brach alle ihre Eier und weinte, weil sie gebrochen waren. Da gab ich ihr meine ganzen für ihre zerbrochnen; da sagtet Ihr zu Guntelchen: »Sieh, das ist schön vom Fritz, behalt ihn auch lieb, Guntelchen, er ist ein braver Jung, sollt zusammen auch einmal ein Pärchen werden.«

HÄMMERLIN. Hab's so gesagt, Wort für Wort. Ist mir auch lieb, daß du so behalten, was Mütterchen gesagt. Wenn ich nun noch einmal sagte: »Guntelchen, gib ihm deine ganzen für seine zerbrochnen und ihr sollt zusammen noch ein Pärchen werden?«

FRÖHLICH. Dann sprang ich so hoch in die Höh! Gib, Mütterchen, einen Schmatz!

HÄMMERLIN. Bist denn genug drauß rumvagiert, gefiel' dir's jetzt daheim?

FRÖHLICH. Und mehr als jemals.

HÄMMERLIN. Hast du auch des Ausreißens satt, wolltest jetzt hübsch gut tun und hier bleiben?

FRÖHLICH. Gern, Mütterchen, wenn's mir darnach ging'. Ich begehre kein Glück weiter zu suchen und müßt ich, ewig würd ich unstet in der Welt herumlaufen, wenn mich solch eine Hand nicht ruhig hält. Nimmt Guntelchens Hand. Ich habe gefunden, was ich gesucht, diese allein, mit ihr möcht ich leben und sterben. Mein Glück, mein alles, steht jetzt in Eurer Einwilligung.

WALTER. Hm, hm!

GUNTEL. Ach Vater, Vater! Gott hört die Schwüre. Ich kann nicht anders, hab's ihm geschworen auf meine Seele, beständige ewige Liebe bis in den Tod. Gott verhelf mir zu Euerm Willen.

WALTER. Schöns Zeug wieder! Geht wieder mal gut her. Hm!

WETZSTEIN. Naus du!

FRÖHLICH. Wie Ihr befehlt, Vater.


Geht ab.


GUNTEL. O Wetzstein, Wetzstein, verzeiht Euerm Sohn! Seht, wie fromm und gehorsam er ist.

WETZSTEIN. Hm, was tunlich ist, wird geschehen. Was meinst dazu, Walter?

WALTER. Was soll ich meinen? Die Sach ist immer schon richtig,[1437] ehe man unsereines Meinung braucht. Meine Mädel verstehn 's Handwerk, wie man zu Männern kommt ... Auch gut; wenigstens kann mir keine den Vorwurf machen, ich hab sie zu was gezwungen. Naus du!


Guntel geht ab.


WETZSTEIN. Was soll's lang? Du weißt, wie wir von jeher gestanden.

SCHULZ. Freilich! Gebt sie zusammen! Sie waren ja so gut wie einander versprochen von Jugend auf.

SCHULZIN. Da sag mir einer! Ja, ja, da sieht man's: den Knochen, der einem beschert ist, trägt einem gewiß kein Hund davon.

WETZSTEIN. Also willst, Walter, willst meinem Schlingel das Mädel geben?

WALTER. Soll sie haben. Aber dein Jung muß mir jetzt nicht mehr davonlaufen, wenn er mal mein Mädel hat.

WETZSTEIN. Heiß einen davonschwimmen, der 'nen Mühlstein am Hals hat. Sie wird ihn schon zahm machen.

SCHULZ. Der Jung ist Euch wahrhaftig gut, wird sich gewiß machen, versprech's Euch, mit der Zeit.

WETZSTEIN. Wollen 's Best hoffen. Schulz, Ihr wißt, in unsrer Jugend waren wir auch nicht von den Stillsten.

SCHULZ. Flickerment, nein, das waren wir gewiß nicht. Weißt, wie wir die Werber geprügelt zu Lautern, und dann die Histori zu Bretzenheim und zu Kreuznach an der Nah ...

SCHULZIN. Laßt sie doch hereinkommen! Hört ihr's, Fritz, Guntel!


Guntel und Fritz kommen wieder herein.


WALTER. Nu, wollt ihr denn einander? Guntel, willst den Fritz?

GUNTEL. Ja, lieber Vater!


Fritz küßt sie.


WETZSTEIN. Weißt nicht zu reden, du?

FRÖHLICH. Dank euch, liebe Eltern, vollen warmen Herzensdank! Wollen unsre Glückseligkeit so genießen, daß sie künftig die eure werden soll. Mütterchen, jetzt soll's gut gehen. Euer Enkelchen bin ich jetzt, was soll nun gerätselt und erzählt werden bei langen Winterabenden.

HÄMMERLIN. Wart! Nicht eher Handstreich und Ringwechsel, bis ich wieder zurück bin. Hab erst noch was zu holen.


Geht ab.


SCHULZ. Gewiß noch ein paar Sparpfennige! Hat's bei Veitels Hochzeit auch so gemacht. Aber sag mir, du loser Vogel, warum hast dich mir nicht gleich zu erkennen geben? Weißt doch, daß ich dir von Jugend auf so gut bin.[1438]

FRÖHLICH. Ist's anjetzo nit all eins? Auch so gut ausgangen! – Apropos, da habt Ihr einen Brief indessen vom Carl.

SCHULZ und SCHULZIN. Von unserm Carl? Wo ....

FRÖHLICH. War in Göttingen bei ihm, kam eben von Halle; hab den Brief schon einige Monate in der Tasch.

SCHULZ. Gottlos! Gibst ihn so lang nicht her, wenn mein lieber Sohn indes was benötigt wär ...

FRITZ. Ohoho! Weiß schon, was drinnen ist. Was Gedrucktes von seiner Arbeit! Schickt so 's erste Pröbchen. 's wird euch freuen.

SCHULZ. Was Gedrucktes von meinem Carl? Heisa Viktoria! Wer hat's gedruckt? Hat er's selbst gedruckt? O das wird gewiß die Predigt über den heil'gen Dreikönigsstern sein! Jetzt weiß ich's, Walter! Er war noch ein kleiner Jung, mein Carl, da kam dir sein Pate von Tiefenthal rüber, besah den Jungen, wie er zunahm und so fein verständig dastund und nicht wie die andern Jungen herumjackerte. Da sagte er: »Carl, du mußt ein Pfaff werden; du bist plump und stark, will dich einst studieren lassen« – nun gewiß, er trägt auch jetzt das Seinige redlich bei –, »die erste Predigt aber, die du mir machst, soll über den heil'gen Dreikönigsstern sein, also: die Heil'gen drei König mit ihren Stern, fressen und saufen und zahlen nicht gern! Wenn du das gut und gelehrt machst, will ich nachher von dir sagen, du hast deine Sach wohl studiert.« Viktoria, Mutter! Jetzt müssen wir auf Tiefenthal 'nüber zum Gevatter, die Predigt ist da!

SCHULZIN. So brich doch nur auf! Ei Herrgott! Drucken lassen! Was man doch erlebt! Herr Schulmeister, wo steckt Er dann? Er hört und sieht ja nicht.

SCHULMEISTER. Ich observiere und mache meine Glossen. Die liebe Frau Schulzin glaube nur sicherlich, ich bin anjetzo aktiver, als ich wohl scheine; beobachte hier die ganz eigne Gnüge der lieben Natur, die ohne Winkel und Maßstab sich so sicher ineinanderfügt. Wieder ein Paar Leutchen zusammen, ohne daß des Pfarrers und Schulmeisters Rat im mindesten dabei nötig gewesen. Auch gut, recht sehr gut, he he he!

SCHULZ. Wo steht denn sein christlicher Nam? Hinten, vornen nichts ... 's ist nicht von ihm! Wollt mir nur was weismachen.

FRITZ. Auf meine Ehr! Heutzutage ist's nicht mehr Mode, seinen Namen vornen dran setzen zu lassen. Man weiß doch ohnehin gleich, von wem ein Ding ist, wenn's gut gemacht ist.[1439]

SCHULMEISTER. Nicht übel! Immer sehr politisch! Hat einer fehlgeschossen, so zieht er sich zurück und duckt sich wie ein Feldhuhn oder schlau Häslein, die Ohren hart am Rücken; da mögen die kritischen Windspiele über ihn wegsetzen. Man steht da, wie eine Scheibe, wonach ein jeder zielt, wenn man den Namen hinsetzt, und da geht's gern mitten in den Bauch oder auf die Brust. Die Herren Kritiker sind böse Leute, machen es armen Autoren oft sehr gefährlich. Wär's nicht so scharf, hätt auch schon manches fahren lassen. Über die verhenkerten Berliner! Die allgemeine deutsche Bibliothek ... 's ist unerhört! Wer denen unter die Finger gerät, ah ...


Er schaudert mit der Hand.


SCHULZ. 'n Schelm will ich sein, wenn ich ihm noch 'n Kreuzer Geld schick! Was? Schämt er sich seines ehrlichen christlichen Namens? Wer weiß so die Schwerenot, ob das des Schulzen von Lämmerbach Sohn hat drucken lassen? Sein Nam soll dasein, samt meinem und Patens seinem und dann auch der Geburtsort. So gehört sich's und ist gerichtlich.

SCHULZIN. Laß doch mal sehn, was es ist? O Jesu, sind ja gar Reime! Herr Schulmeister! Gib's doch dem Herrn Schulmeister, der wird's am besten verstehn, ob's eine Predigt ist.

SCHULMEISTER. O ja, weiß schon damit umzuspringen. Setzt die Brille auf und liest. Keine Predigt ist das wohl nicht, hm. Liest laut. »Crispins philosophisch-heldenmäßiger Entschluß, oder Melinens und Leanders Rendezvous. Zur Erbauung aller halb in Liebesmorast versunknen Herzen, meinem Freund Schönfeld zum musikalischen Spielwerk mitgeteilt.« Hm, hm! Was ganz Neues! Tragikomische Serenate, neuer Titul! Soll ich's etwa lesen?

WALTER. Freilich! Haben doch jetzt nichts Bessers zu tun, bis die Großmutter wiederkommt. Bin doch begierig, zu hören, was der Junge Guts gemacht hat; hatte immer so seinen eignen Schuß. Aber 'n Wort zuvor, Bärbel! Wie steht's mit Lotten? Was ist's denn, was hat sie?

SCHULZIN. Ein Mädchen. Sie und das Kind, beide sind ganz wohl.

WALTER. Segne's Gott! Auch willkommen, wie ein Bübchen. – Hergesessen jetzt, still zugehört! Schulz, du machst ein Gesicht, als wenn du Essig getrunken.

SCHULMEISTER liest laut. »Charakter der Symphonie: leicht scherzhaft, wie jugendlich mutwilliges Necken der Liebe; bald[1440] lachend und jauchzend, bald eifersüchtig scheltend in kurzen kleinen Sätzen, die aber, wo die Leidenschaft ein wenig zu stark wird, bald wieder in ein sanftes Murmeln zurückfällt; ein leichtfertig komisch Spötteln, das hie und da gewaltsamer Ausbruch polternder Eifersucht unterbricht, bis die süße sanfte Melodie reiner, klagender Liebe sich nach und nach losläßt, die emphatisch und voll wie die Sehnsucht zweier unschuldvollen, gleich liebenden Herzen tönet. Da, wo sie am sanftesten und mildesten wird, zerreißt sie auf einmal wieder ein mürrisches Poltern, und man hört nur noch dann und wann ein süßes verliebtes Girren durch. Die Leidenschaft von Zorn und Eifersucht wächst immer und endigt sich in den gewaltsamsten, höchsten, doch immer komischen Ausbrüchen. Diese letzte Stelle muß ganz in dem Charakter eines grämlichen Alten gesetzt werden, der alles schilt, mit den Altersschwachheiten und seiner verzweifelten Liebe zugleich ringet.«

SCHULZ. Schwitz, daß mir das Wasser die Stirn herunterläuft. Kein Wort! Der Jung ist, glaub ich, des Teufels.

WALTER. Geduld nur! Wird sich schon deklarieren, was es ist.

SCHULMEISTER liest. »Crispin liegt oben am Fenster um Mitternacht.


O Jem'ni, o Jem'ni,

Wie's überall juckt!

Am Leib, an dem Schenkel,

Im Herzen drein zuckt!


O Liebchen, süß Mädchen,

Denk immer an dich!

O Schätzchen, o Täubchen,

Sag: liebest du mich?


Ei freilich! hab's deutlich

Am Lachen gemerkt.

Dein Äuglein, dein Näschen

Hat alles bestärkt.


Du gabst mir ein Blümchen,

Was war's doch für'n Tag?

Mein Vetter stand nahe,

Der schielte darnach.


Da sagtest du lächelnd,

Verschlagen und fein:[1441]

›Ach dürft ich doch euer ...‹

Ich ward, wie ein Stein,


Verstund, was sie wollte,

Wonach sie gezielt!

Leander, der Lümmel,

Hat mächtig geschielt.


O Liebchen, Melinchen,

Halt fest in der Pein!

Sollt glücklich im Ehbett,

Mein Weibchen bald sein!


Was ist's doch ein Leben,

So hurtig und frei,

Lieben Leute, hat einer

Schöns Liebchen so treu!


Hat einer 'n süß Mädchen,

Von Tugenden rar,

An Leib und an Seele

So voll und so klar. –


Was gibt es? Wer macht doch

Dort unten noch Rund?

Hum! Ist so der rechten

Verliebten ihr Stund,


So Mitternacht. Holla!

Hört, Zither! Bink, bink!

Am Hause dort meiner ...

Ein Husten, ein Wink!


Potz Stern! Potz Wetter!

Wer hat das geschickt?

Das Zipperlein, ui!


Wie's juckt und mich zwickt!


Zum Henker, stoß gar jetzt

Den Nachttopf noch um!

Die Kniee verschunden,

Die Beine halb krumm!


Mein Podagra, wehe!

Mein Chiragra! Ei!

Dort hat sie der Henker

Schon all in der Reih.
[1442]

Wer bist du? O Mondlicht,

Nur hell und nur klar!

Leander! Wie, Böswicht?

Mir sträubet das Haar!


Ermorden, erstechen,

Erschießen will ich

Dich Lümmel, dich Vetter,

Halunken dich, dich!


Chor von Musikanten tritt näher herzu und fängt an.«


SCHULMEISTER. Nu, wie gefällt's euch bisher? Das nennen sie Laune heutzutag, so komisch grotesk Zeug; da geht's nun auch schon mit den Elisionen und hie und da übler Konstruktion drein. Es läßt drum possierlicher, als wenn einer Purzelbaum unter den Kapriolen schlägt.

SCHULZ. Frau, was meinst zu dem Dingsda von unserm Herrn Sohn hier, wie gefällt dir's?

SCHULZIN. Was soll ich meinen? Walter, was meint Ihr?

WALTER. Laßt erst mal fertig lesen! Müssen doch sehen, was der Chor von Musikanten zu bedeuten hat; und der Herr Leander, mich deucht, der wird's dem guten alten Vetter Crispin nicht zum besten kochen.

SCHULMEISTER. Kommt mir auch so vor. Assa! »Chor von Musikanten fängt an, Leander spielt auf der Laute.

CHOR.

Liebe, deine Freuden

Das Leben vermehren,

Liebe, deine Leiden

Die Seele verzehren!

Du strafest, bald

Werd ich verlacht.

Wie Feuersgewalt

Ist deine Macht.

Hoch zu dir wir unsre Herzen schwingen,

Sei uns gnädig, wir bringen

Opfer deiner Gottheit dar.

Liebe, du reinigst das Leben,

Uns süßere Freuden zu geben!

In Wonne gebar

Der Himmel dich.

Laß unsre Wünsche gedeihen,[1443]

O laß uns hoffen, uns erfreuen,

Wir ehren dich, wir preisen dich!«

SCHULMEISTER. Jetzt kommt ein Solo, meine Herrn, merkt drauf: der junge Leander singt seiner Geliebten was vor, das muß nun freilich dem alten Herrn Haar in der Suppe sein. Assa!


»Schöne Meline,

Krone dieser Welt,

Sanfte Blondine,

Die mein Herz in ew'ger Fessel hält,

Ach wonach ich Tag und Nacht,

Unter Wonnetränen schmacht,

Wär an deinem Busen süßer Herzenszug!

Trunkner Flug

Verwirret die Sinnen,

Bald zu beginnen,

Bald zu genießen des Himmels genug!


Zürnet auch Schönheit,

Wenn Lieb ihr Opfer bringt,

Wenn treue Beständigkeit

Das Herz durchdringt?

Alle Adern wallen

In froher Pein!

Du allein, ach du allein

Kannst mir gefallen!


Vollkommne Frau,

Schön wie die Au,

Wenn holder Lenz sie schmücket:

Wem es glücket,

Wer dich hört und sieht –

Dem Gram entflieht!

Wer dich drücket

Im vollen Arm

Am Herzen so warm –

Entzücket

Hin über alle Welten!

Vor dir gebücket

Knien auch stolze Helden,

So schöne Fessel zu tragen,

Droben am Wagen

Drein Venus den Himmel durchflieget.[1444]

Ihn tragen

Wohl holder Tauben Paar,

Dran hängen die Kränzlein alle gar,

Die deine Schönheit ersieget.


Herrlich Gebild,

Sanft und mild,

Geschaffen dem Entzücken,

Wend, o wende doch dein Zauberauge nie!

Ach in deinen Blicken

Sich Herz und Seele verstricken,

O den süßen Blicken

Gab Amor Gewalt der Melodie!

Wie mein Herz nachströmt dem Zauberklange!

Meine Seele dürstet so lange

Nach dir und nach dir allein!

Süße, schmelzende Tränen!

Banges, girrendes Sehnen,

Herrlich erhabene Pein!


Du kannst Leiden in Freuden verklären,

Vor dir ziehen die schweren

Augenblicke seliger hin.

Wirst du mich auch bald erhören,

Der ich vor Liebe trostlos bin?

Hab ich's gewonnen,

Satt mich zu sonnen

In deinen Strahlen, Freudenschöpferin?


Komm, o komm und lindre die Last,

Gib der kranken Seele Rast!

Willst nicht zur Qual der Schönheit Gaben tragen!

Komm, o komm, lindre die Last,

Eh der kalte Tod mich faßt,

Um meine Bahre Freunde klagen.


CHOR.

Meline, dein Name

Gleicht Frühlingsgesange!

Blühe lange

Zum Trost unsrer Fluren!

Zum Sternenhange

Steige dein Ruhm!

Zu dir meine Tränen,[1445]

Mein Hoffen und Sehnen,

Verlangen und Wünschen wenden sich,

Du Zier und Preis der Schönen!

Alle Dichter und Helden krönen

Zur Liebesgöttin dich!«

SCHULMEISTER. Hier scheint die Serenate ein Ende zu haben, denn es heißt: »Leander zahlt die Musikanten und diese machen sich nach abgelegtem Kratzfuß sogleich aus dem Staube davon«; vermutlich, damit die zwei jungen Verliebten desto bequemer miteinander schwätzen können, denn es heißt gleich nachher: »Meline erscheint oben am Fenster.«

SCHULZ. Ah, so soll ihn ja der Teufel holen, wenn er so was tut! Er prostituiert mich, der verfluchte Jung!

WALTER. Geduld, Geduld doch, bis 's fertig ist!

SCHULMEISTER.

Assa! Meline spricht:

»Wer hat mir die Musik so lieblich gebracht?

Leander, mein Engel! Komm näher.

LEANDER.

Ach Schätzchen, gute Nacht!

Wie war mir's so traurig,

Wie weilt ich allhier!

Meine Seele, die schwebet

Alleine bei dir.

MELINE.

So wie die junge Flur

Der holde Mai erquicket;

Die trunkene Natur

Folgt seiner Spur

Entzücket,

Der Morgen lacht, es prangt der Tag:

So ziehest du mich nach,

Ich fühle tausendfach,

Daß ich dich liebe!


Himmel und Erde,

Seid Zeugen meiner stillen Qual!

Jene treuen Sterne

Blinken tausendmal,

Und in jener Ferne

Hört's ein reines Tal?


Ach liebe mich treu!

Ach schwör mir dabei!

Dich untreu zu sehen,[1446]

Ich stürbe wohl eh,

Treue Herzen verschmähen,

Treue Lieb hintergehen,

Mein Engel, tut weh!


Wie tief in der Nacht

Die Stürme rauschen,

Die Donner brüllen,

Die Wolken hüllen

In Flammen sich rot,

Des Waldes kleine Sänger lauschen

Erschrocken und fürchten den nahen Tod:

Mein Herz oft erwacht

In Unruh und Pein.

Ach liebe mich rein!

Dich untreu zu sehen,

Ich stürbe wohl eh!

Treue Herzen verschmähen,

Treue Lieb hintergehen,

Mein Engel, tut weh!


Ich denk an dich so manchen Tag

Und wein und klage

Und seufz und frage

Und weiß nicht, wonach.

Mir fällt dann Kunigund ein,

Das alte Kinderliedchen:

Verlassen sitzt sie auf dem Stein

Und singt ihr Trauerliedchen.


Ach süße Zeit,

Du kommst nicht wieder!

Du Blumenzeit,

Die 's Herz erfreut,

Du kommst nicht wieder!

Es ist vollbracht.

Die lange Nacht

Rückt schon herbei;

Im Sterbekleid

Ruhn meine Glieder.

Ihr Mädlein, hört

Mein letzt Gebet:

Traut Rittern nie![1447]

Die Taube, sie

Girrt treuer nicht, als sie.

Traut Rittern nicht!

Die Schlange sticht,

Nein, falscher nicht, als sie!


So sind oft meine Augen trübe

Von heißer bittrer Zähre.

Doch wie durch schwere

Gewitternacht

Die Sonne wieder freudig lacht,

Kommt bald die tröstende Liebe

Und zeigt mir wieder

Dein treues Bild,

Dein Aug so rein, dein Herz so mild,

Deinen Mund so süß, dein Wesen so gut;

Froh wird mir dann wieder, meine Seele voll Mut!


Ach liebe mich treu!

Ach schwör mir dabei!

Dich untreu zu sehen,

Ich stürbe wohl eh!

Treue Herzen verschmähen,

Treue Lieb hintergehen,

Mein Engel, tut weh.

LEANDER.

Ich schwör dir!

MELINE.

Ach schwöre, schwöre mir!

LEANDER.

So groß dort oben der Sterne Zahl,

MELINE.

So viel der Blumen im Frühlingstal,

So viel der Lieder im süßen Mai:

BEIDE.

Schwören wir einander Lieb und Treu!

LEANDER.

Ach kann dich meine Seele je verlassen,

Viel lieber wollt ich tausendmal erblassen,

Mein Engel, denke nur daran!

MELINE.

Und wird mich deine Seele je verlassen,

Meline würde bald erblassen,

Die ohne dich nicht leben kann.

BEIDE.

Nein, ewig sollen unsre reinen Flammen währen,

Der Tod selbst soll sie nicht verzehren,

Im Grab noch brennt mein Herz für dich.

MELINE.

Für mich?

LEANDER.

Ja, für dich![1448]

MELINE.

Ach für mich!

BEIDE.

Nein, ewig sollen unsre reinen Flammen währen,

Der Tod selbst soll sie nicht verzehren,

Im Grab noch brennt mein Herz für dich.

MELINE.

Machst mich so weinen!

Gewiß, gewiß!

Doch die Tränen sind alle süß,

Tauen, wie am Morgenrot.

Ich liebe dich treu bis in den Tod!

Leander, auch treu noch nach dem Tod!

Doch laß uns schweigen,

Sonst wird mein warmes Herz zu bang.

Leander, wo bliebst du gestern so lang?

Gewartet hab ich unter den Eichen.

Zürnen möcht ich, dir Vorwürf machen;

Doch nein! Jetzt nicht. Hi hi hi!

LEANDER.

Was lachst du?

MELINE.

Muß doch fast bersten vor Lachen!

Was dein alter Vetter nur will

Mit all den Siebensachen,

Die er mir täglich vorspricht?

Den Brief, den er mir heute schrieb,

Versteh ich doch gar nicht.

LEANDER.

Glaub gar, der alte Knasterbart hat dich lieb?

MELINE.

O Schätzchen, Leander, wie soll das sein?

Verliebt dein alter Vetter? Ach nein, ach nein!

Wie wär das möglich,

Wie wär das erträglich?

LEANDER.

So grau und schwächlich,

Lahm und gebrechlich!

MELINE.

So schielend und schleichend,

So hüstelnd und keuchend!

Mein Herzchen, mein Schätzchen,

Schön Täubchen, lieb Kätzchen,

Hübsch Püppchen, Melinchen,

Mein Krönchen, mein Bienchen!

Und wackelt mir nach.

Dann hüpf ich gemach

Die Hecke herüber

Und denk: lieber Alter, ach!

Wär 's Vetterchen da, das wär mir brav lieber![1449]

LEANDER.

Auf der Nas eine Brille!

MELINE.

O stille, o stille!

LEANDER.

Ein Fontanell am Arm!

MELINE.

Die geißhaarne Perücke, hi hi hi!

LEANDER.

Die dornknotige Krücke, hi hi hi!

MELINE.

Daß Gott erbarm!

Und der in mich verliebt soll sein?

O Schätzchen, o Herzchen, wie fällt dir das ein?

LEANDER.

Er hat brav schöne Dukaten,

Sollen uns fein sauber raten,

Sind wir zusammen einmal ein Paar,

In Kisten Gold und Silber klar.

Sollen brav auf unsrer Hochzeit glänzen!

Den alten Kauzen müssen wir schwänzen.

MELINE.

Hi hi hi! Schelmchen, du bist

Voller Bosheit und Junggesellenlist!

Fang auf jetzt schön dies Perlenband,

Geflochten von der Liebsten Hand!

Trag's auf dem Herzen bloß und treu,

Denk meiner in Liebe oft dabei!

Hörst: tut jetzt eins nach Mitternacht schlagen,

Gar zwei! Adieu muß sagen,

Gute Nacht schön!

LEANDER.

Willst schon gehen?

Bleib doch noch!

Ist ja schön und freundlich allhier.

MELINE.

Stünd gern noch tausend Jahr bei dir;

Aber, Lieber, was sein muß! ...

LEANDER.

Einen Augenblick noch!

MELINE.

Macht mir ja selbst Verdruß,

Glaub's, daß ich so scheiden muß.

Nun, schlafe süß, schlafe wohl!

Und träum auch was von mir.

LEANDER.

Von dir ich, Liebchen, träumen soll?

Ach wär ich doch bei dir!

MELINE.

Hier oben? Ach, das kann nicht sein!

Die Mauer hoch, das Fenster klein.

Mein liebes, enges Kämmerlein

Ist hart und fest verriegelt.

LEANDER.

Und schließt mir auch kein Schlüssel auf,

So schwing ich mich bald frei hinauf,[1450]

Mich hat die Lieb beflügelt.

Sieh diese Leiter hier zur Hand!

Drauf kann ich sicher stehen.

MELINE.

Ach würde dies Mama bekannt!

Wenn's falsche Augen sähen!

Ach nein, ach nein, es kann nicht sein,

Du fällst, du brichst dir Hals und Bein,

Wie wird's mir doch ergehen!

Ach nein, ach nein, es kann nicht sein!

Ich lasse dich gewiß nicht ein,

Bleib lieber drunten stehen.

LEANDER.

Und willst du denn so grausam sein,

Nicht lindern meine Qual und Pein?

Soll ich in Angst vergehen?

MELINE.

Ach gerne stillt ich deine Pein,

Doch, Lieber, ach, es kann nicht sein!

Wenn's falsche Augen sähen!

LEANDER.

Nein, falsche Augen sehen's nicht,

Hab immer gute Ruh.

Der liebe Gott verbirgt das Licht,

Hält falsche Augen zu.


Steigt hinein und sie hilft ihm. Crispin wird wütend, schmeißt die Kapp zum Fenster hinaus und schreit.


Ist mir ein Schandzeug!

O Höll, o Schmach!

Was? Ist er wirklich hinein?

Mein Seel, wie der Fuchs in Hühnerschlag!


O Hexe, o Falsche!

Vetter! Spitzbub! O weh!

Crispin! Was tust? ... Ja was?

Geh, alter Narr ... steh ... nein, geh ...


Erhenk dich! Stürz dich in Bronn! ...

Vom Fenster runter? Hum! Ziemlich hoch!

Ein Pistol her! ... Nein, bohr mir lieber ein Loch,

Daß heraus kann der garstige Liebesgeist!


Armer alter Mann!

Das alles selbst anzusehn![1451]

Über die Well soll nachher

Gar noch zu Gevatter stehn!


Desperat! ... Doch halt, Crispin!

Besinne dich! ...

Eines Mädels wegen dich umzubringen?

Erhängen, ich, mich?


O Schand für 'nen Philosophen!

Was liegt mir dran?

Besser, die Hexe jetzt untreu,

Als wär ich ihr Mann.


Aber verfluchter Vetter! ...

Doch einerlei!

Hinweg dann, Liebe, höllische Liebe,

Ihr Grillen vorbei! ...


Könnt ich nur recht lustig sein,

Ich schert mich nichts drum!

Wollt gern recht schimpfen,

Ich weiß, es ist dumm.


Muß halt eins bechern!

Die werden itzt

Drinnen zusammen sein ...

Was ich schwitz! ...


Da dacht ich nun wirklich,

Hätt's sauber erwischt;

Meint mich auf Rosen,

Und lieg auf dem Mist.


Nehmt all ein Exempel,

Ihr, wer hier schaut:

So gehet's, wenn einer

Auf Mädchentreu baut.


Ungetreu das Mädel,

Der Nachttopf entzwei!

Der Henker hol 's Lieben!

Nun bleib ich dabei!«

SCHULZ. Kein Heller mehr! Das Geld so weggeschmissen! Einmal siebenhundert Taler und noch drei und wieder fünf! Um des dummen Zeugs all das Geld geben! Heißt das Pfarrers Werk?[1452]

FRÖHLICH. Pfarrers? Oho, wißt Ihr denn noch nicht? Er hat lange schon umgesattelt, von der Theologie zur Medizin über, wird ein Doktor ...

SCHULZ. O du Absalom! Was muß ich erleben! Kein Pfarrer werden? Ich unglücklicher, geschlagner Vater!


Läuft zur Türe hinaus.


WALTER. Nu, tut ja wie toll! Was ist denn die Sache mehr oder weniger? Studier er, wozu er inkliniert.

SCHULZIN weint. Ja, lieber Walter, das wißt Ihr auch nicht, wie leid das armen Eltern tut, die so viel an ihren Sohn gewendt, wie unsereiner! Hat doch mein Mann oft zu mir gesagt: »Bärbel, was soll uns das guttun und 'n Freudentag sein, wenn ich erlebe, daß unser Carl auf der Kanzel steht und allen Menschen oben herunter Leges vorliest!« Das werden wir aber jetzt nicht mehr erleben.

FRÖHLICH. Aber wie ist's dann, wenn's einmal heißt: der weltberühmte, weltbekannte Doktor Oberbein, des Schulzen von Lämmerbach Sohn, der weit und breit zu Fürsten und Grafen in Kutschen und mit sechs Pferden geholt wird, von dem das ganze Land umher spricht, der Tote gesund und Kranke lebendig macht! ... Auch kein Pfifferling, mein Seel.

WALTER. Ei, ganz gewiß!

SCHULZIN. Herrgott, 's ist freilich auch wohl wahr, aber ist doch nicht so! ... Will zu meinem Mann hin und hören, was der sagt. Der gottlose ungeratne Sohn!

WALTER. Nu, Herr Schulmeister, was sagt Er denn zu dem Zeugs?

SCHULMEISTER. Das Gedruckte? Kapricen, Launen, wie es die jungen Genies heutzutag zu benennen belieben, lustiges Zeug! Nicht viel dahinter, doch aus dem Ganzen mag schon mit der Zeit etwas werden, wenn er sich solider applizieret und klassische Autores studieret. Das ist der einzige Weg und kein andrer!

HÄMMERLIN kommt, ein Bündelchen Dukaten in der Hand. Da, du! Sind hundertfunfzig, alle neu! 's ist mein Sparpfennig. Hörst: beim ersten Kindbett steh ich zu Gevatter.

FRÖHLICH. Tausend Dank, liebs Mütterchen! Schöne Butter, junge Eheleute damit zu schmalzen. Für jeden Dukaten zehn Sprüch und zehn Rätsel, dann haben wir den langen Winter genug. Lohn's Gott!

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971.
Entstanden vor 1781. Erstdruck in: Werke, Heidelberg (Mohr) 1811.
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