Zweytes Kapitel.
Erziehungsgeschichte des Junkers.

[15] Der Edelmann, so wie er nun leibte und lebte, hätte ganz aus der Reihe der Dinge weggenommen werden können, ohne daß außer seinem Gute irgend eine lebendige Seele dabey zu kurz gekommen wäre. – Doch nehme ich, nach reiflicher Ueberlegung, diejenigen Seelen aus, die, wenn sie über andrer Leute Thorheiten lachen, zugleich in ihren eignen Busen zu greifen pflegen. – Von der Natur aber war er so wenig bestimmt, das Spiel eines närrischen Schulmeisters und seiner eignen Grillen zu werden, als mich vielleicht die Natur zum Geschichtschreiber seiner Thorheiten bestimmet hat. In seinem Charakter war so viel Güte, so viel Thätigkeit, so viel Größe, daß er, wenn der rohe Klumpen gehörig wäre geformet, und die leeren Fächer des Gehirns gebührend angefüllet worden, aus dem Kabinete würde haben Länder beglücken, und im Felde eine Stütze seines Monarchen seyn können. So aber war seine Anlage versäumt oder verderbt, jenes von seinem Vater, dieses von der gnädigen Frau Mama, beydes von dem Lehrer seiner Jugend. Seine Güte war in Schwachheit, seine Thätigkeit in Alfanzerey, seine Größe in Abentheuerlichkeit und in jenen närrischen Stolz ausgeartet, der Kaisern, Königen, Herzogen[15] und Fürsten nichts Großes oder Kleines voraus lassen wollte.

Sein Vater, ein wackrer Husarenobristlieutenant, rauh wie sein Schnauzbart, und brav wie sein Säbel, hatte es in den Wissenschaften nicht weiter gebracht, als bis zur Fähigkeit, eine Ordre lesen, und seinen Namen so so unterzeichnen zu können, daher er auch bey andern Leuten nichts auf Schulfüchserey hielt. Am allerwenigsten war er Willens, den Kopf seines Sohnes mit solcherley Unrath ausstafiren zu lassen.

Der Säbel war ihm alles, und diesen Sinn trachtete er auch einzig in der Seele seines Erben zu nähren. Daher kams, daß unser Edelmann von Vaterswegen nichts weiter gelernt hatte, als Reiten, Fechten, das Gewehr präsentiren, und mit lateinischen Buchstaben seinen Namen zu kratzen. Der König, als Gevatter, hatte dem Kindlein eine Kornetstelle eingebunden, folglich war er Soldat, und folglich hatte er nach des Obristlieutenants Meynung an jetztgedachten Geschicklichkeiten Gott und genug.

Seine gnädige Frau Mama ließ sich, wie manche Mutter, eine reichliche Portion Affenliebe gegen ihr Söhnchen zu Schulden kommen, und wollte nicht, daß er durch vieles Lernen an Kopf und Nerven geschwächet werden sollte. Ueberdem hielt sie alle irdische menschliche Weisheit für eitel Tand, und war fest überzeugt, Witz und Verstand müsse einen Edelmann von sechzehn Ahnen von selbst zufallen. Nicht eben, als hätte sie zuerst nach dem Reiche Gottes getrachtet; das war nicht ihr Fall, denn sie wußte vom Reiche Gottes so wenig, als ob gar keins gewesen wäre: sondern weil sie es wirklich für bürgerlich und pöbelhaft hielt, sich mit Büchern und Wissenschaften zu beschäftigen, gab sie sich alle Mühe ihrem Sohne eine tiefe Geringschätzung solcher Narrentheydung beyzubringen. Dagegen predigte sie ihm täglich und stündlich die hohe Lehrevon seinem alten Adel, und schärfte ihm wohl ein, daß er nach seines Vaters Tode, die Einkünfte seines freyen Guts ungerechnet, jährlich an die zwanzigtausend Thaler Zinsen zu verzehren haben würde.

Der Hofmeister des jungen Herrn war ein sklavischer Kerl, ein niedriger Speichellecker, der mit dem Obristlieutenant Danziger trinken, und der gnädigen Frau die Hand küssen konnte. Was Recht war, wußt er so gut als einer. Er hatte aber weder das Herz es zu sagen, noch die Entschlossenheit es zu thun, denn er befand sich gut im Schlosse, und liebte faule Tage über alles. Aber fechten konnt er trotz Rahn, das muß ich sagen; und zu Pferde saß er wie eine Puppe, auch das muß wahr seyn; und saht ihr ihn tanzen, so stahl er euch vollends das Herz aus dem Leibe. Auch, wenn der alte Herr Lust hatte zu paschen, oder die gnädige Frau Piket zu spielen, war niemand bereiter als er, dem Herrn und der Dame ihr Geld abzugewinnen.

Aller Nutzen, den unser Edelmann aus seiner Erziehung zog, bestand darinn, daß die heftigen Leibesübungen mit dem Karabiner, mit dem Rapier, und auf der Reitbahn, seine Muskeln stärkten, seinen Körper dauerhaft machten, und seine Natur abhärteten; und daß er, weil Mama und der Mentor ihn methodisch in mancherley Spielen unterwiesen, durch den Zwang den heftigsten Widerwillen gegen alle Arten des Kartenspiels faßte.

Vierzehn Jahre war unser Junker alt, wie sein Herr Vater das Zeitliche gesegnete. Seine gnädige Mama fand jetzt in ihren überreifen Jahren den Soldatenstand bey weitem nicht mehr so reizend, als in ihren jüngern Jahren, da der goldbesetzte Dolman, die funkelnden Quasten und Schleifen des Pelzes, die reichen Franzen auf den knapp anliegenden Scharivari, und der hohe wehende Federbusch auf dem Haupte des damaligen Herrn Rittmeisters[18] von Lindenberg jetzt ihres wohlseligen Gemals, ihr jugendliches Herz in lichterlohe Flammen, setzten. Sie bat um den Abschied ihres Sohnes, schützte eine schwächliche Leibesbeschaffenheit vor, darüber er sich mit seinen vor Gesundheit strotzenden Backen nicht zu beklagen hatte, und trieb ihr Wesen so lange, bis der Junker wirklich seinen Abschied erhielt.

Nun wuchs er denn in Gottes Namen unter der Zucht seiner Frau Mama und des treufleißigen Mentors ferner auf. Zu allem Glücke noch fand sichs, daß der Pastor loci ein ernsthafter, verständiger und gewissenhafter Mann war. Da es nun Sitte im Lande ist, daß der junge Kavalier nicht minder als junge Bauer konfirmiret werden muß, und der fromme unbestechliche Pfarrer unsern Junker so wie er war, in seiner unbeschreiblichen Unwissenheit nicht annehmen wollte: so gedieh es dahin, daß er von der edlen Lesekunst schier so viel begriff, als zur Erlernung der zehn Gebote und was sonst im kleinen Katechismus stehet, erforderlich seyn mag. Auch faßte er durch Vorschub des ehrlichen Predigers die Grundsätze der christlichen Sittenlehre in so fern, daß ihn der wackere Mann nach Jahres Frist unter die Katechumenen aufnehmen konnte, ohne sein Gewissen gar zu sehr zu verletzen. Der gute Prediger verlohr zwar durch seinen Trotz und Halsstarrigkeit, wie es die Frau von Lindenberg nannte, manches Accidens, manche Mahlzeit auf dem Edelhofe, und manchen fetten Braten für seine Küche: aber er tröstete sich darüber, und zwar sehr leicht, mit der Erfüllung seiner Pflicht, und mit der Zufriedenheit, dem jungen Herrn einige gute Grundsätze beygebracht zu haben, die, das meynte er könne nicht fehlen, früh oder spät ein lebendiges Gefühl der grossen Wahrheit bewirken müßten, daß man seine Bestimmung hienieden noch nicht erfüllet[19] habe, wenn man reiten, fechten, und allenfalls die Einkünfte eines Ritterguts verzehren könne. – Die liebe Hausehre des braven Pastors nahm das Ding zwar nicht völlig so. Sie lüsterte nach den Fleischtöpfen Egypti, und beseufzte die Einbuße der feisten Puter, der gestopften Gänse, und der leckern Hasen von ganzem Herzen. Besonders mußte der gute Mann herhalten, wenn etwa an einem hohen Festtage, oder gar am Geburtstage der Frau Pastorinn, die Familie sich schlechtweg mit einem Stücke Rindfleisch behelfen musste. Bey solchen Gelegenheiten unterließ sie niemals, so lange die Frau von Lindenberg lebte, sehr laut zu werden, und es ihrem Manne sehr bitter und heftig zu verweisen, daß er die Küche so aus purem Eigensinn, wie ihr zu sagen beliebte, und recht um nichts und wieder nichts geschmälert habe. Denn, rief sie, andre Prediger nehmen wohl noch unwissendere Jungen an, als der Junker war: aber dafür (Hier schlug sie auf den Tisch.) haben sie auch Brodt. Du hergegen stössest alles muthwilliger Weise von dir; Weib und Kinder mögen sehen wie sie fahren. Das stand doch wohl an den Fingern abzuzählen, daß an dem Junker Hopfen und Malz verlohren ist! daß du mit allen deinem gepredige die Perlen für die Säue salva venie, warfst! und daß er nun wohl längst schon alles wieder ausgeschwitzet haben wird, was du ihm damals so mühselig einkauen thatst!

Das fürcht ich nicht, sagte dann der ehrwürdige Mann, der vollkommen so sanfmüthig und friedliebend war, als jeder billig seyn sollte, der den Gott des Friedens verkündigt. Das fürcht ich nicht, Lena, sagte er, alles wird wohl nicht auf dürren Boden gefallen seyn. Etwas, hoff ich, wird wohl im Kopf und Herzen haften und mit Gottes Hülfe schon zu seiner Zeit irgend[20] einige gute Frucht bringen. – Aber Kind, gieb mir doch noch ein Schnittchen Fleisch und einen Löffel voll Brühe. Ich weiß nicht wie du es anfängst, aber für deine Pohlnische Brühe laß ich der gnädigen Frau ihre genudelten Gänse und Schnepfenpasteten von Herzen gern.

Das liebreiche Gesicht des gutmüthigen Mannes, und sein Lobspruch auf ihre Kochkunst besänftigte dann gemeiniglich die Frau, die eben kein Engel, aber doch auch just kein Teufel war, und mit der man, wie mit allen Frauen auf der Welt, ganz schicklich auskommen konnte, wenn man sie bey einer von ihren Seiten zu fassen wußte.

Uebrigens pflichten wir dem Prediger bey: es war in der That nicht alles an dem Edelmanne verlohren, und nebenbey hatte er doch lesen gelernet, wiewohl er dieses Talent in der Folge wieder häßlich vernachläßigte.

Nach dem Hintritte weiland Seiner Gnaden des Herrn Obristlieutenants fiel das Exerciren zu Pferde und zu Fuße von selbst weg, und es wurden jährlich etliche Paar Rapiere weniger in dem Schlosse zerbrochen. Das Reiten aber behielt der junge Herr aus Neigung bey, weil es ihm eine herzliche Freude war, über solche Hecken und Graben zu setzen, wo selbst sein Mentor nicht das Herz hatte ihm zu folgen, vorübergehenden Männern das Haar zu Berge stand, und der tollkühnste Bauerjunge bewundrungsvoll ausrief: Der Henker! das war mir 'n Hoppas! Unser Junker hat den Teufel im Leibe mit Reiten. – Dieser elende Beyfall, den ein wohlgezogner Jüngling verachtet haben würde, hatte für unsern Edelmann so viel Reize, daß er ihm zu Gefallen sich täglich mehr als Einmal in Gefahr setzte, den Hals zu brechen.

Der gnädigen Frau war dieses allerdings ein schwerer Stein auf dem Herzen, aber sie vermogte[21] dem Dinge nicht abzuhelfen. Eine Beschäfftigung will der Mensch haben, das liegt in seiner Natur; und der Junker hatte auf der Gotteswelt nichts gelernet, als rechtsum machen, Karten geben, Fechten, und Reiten. Mit dem Ersten dieser Studien wars vorbey; das Zweyte war seine Sache nicht; das Dritte? je nu, das sahen seine Bauren an, und begriffens nicht. Aber, wenn er zu Pferde saß, dann ragte er über die ganze Welt, die er kannte, hervor. Da nun tief in seiner Seele ein gewisses Gefühl lag, das ihn anspornte mehr zu thun als andre können, und mehr zu seyn als andre sind, ein Gefühl das weder durch Treffen und Stickerey, noch durch einen vollen Geldbeutel befriedigt wurde: was Wunder dann, daß er ihm jetzt auf die einzige ihm mögliche Art ein Gnüge zu thun suchte, und in der Folge auf Thorheiten verfiel, die ihn zum lächerlichsten Original von der Welt machten?

Weil man aber doch nicht immer reiten und über Graben setzen kann, so tödtete er ein gutes Theil seiner Zeit in gedankenloser Muße mit der Pfeife und dem Glase; daher denn im ganzen Lande kein Mensch so geschwind und so schön einen meerschaumnen Pfeifenkopf braun schmauchen konnte. Was sonst an Zeit ihm übrig blieb, das füllte er mit Schlafen und Essen aus.

Quelle:
Johann Gottfried Müller: Siegfried von Lindenberg. Hamburg 1779, S. 15-22.
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