Zweite Scene.

[109] Die Vorigen, ohne Ourdal. Jarl, an Haupt und Schenkel verwundet, tritt links aus dem Hintergrund auf; unter dem linken Arm trägt er Stücke eines zerschlagenen Schildes, mit der rechten Hand stützt er sich im Gehen auf den abgebrochenen Schaft eines Speers.


JARL.

Daß euch der Teufel hätt'! Auch hier nicht Ruh'?

Soll ich denn so hinauf bis Grönland hinken,

Wo's Blut gefriert, eh's aus der Wunde quillt?

ERICHSON.

Sieh da, Herr Jarl! Ei sagt' mal an: Wo zu?

Wie seht ihr aus? Wo habt ihr Speer und Schild?[109]

JARL.

Das ist der Rest von beiden. – Laßt mich trinken!


Er setzt sich erschöpft auf einen Baumstamm.


ERICHSON zu einem Knappen.

Schöpf' ein am nächsten Quell! – – Wie steht die Schlacht?

JARL.

Steht?

ERICHSON.

Ja! die Schlacht?

JARL.

's ist nichts mehr mit dem Stehen.

ERICHSON.

Wie das?

JARL.

Ihr werdet sie bald kommen sehnen.

ERICHSON.

Ist's möglich? Sind zum Weichen wir gebracht?

JARL.

Wenn unser Heer kein Krebs ist, der nur scheint

Rückwärts zu gehn, und meine Augen nich[110]

Zwei Narren, die beim Krebs das Angesicht

Am Schwanze suchen; so gewann der Feind.


Der Knappe reicht ihm Wasser in einem Helm.


ERICHSON.

Ihr lügt! – – Lebt Yngurd?

JARL schon trinkend, bejaht die Frage mit Kopfnicken.


ERICHSON.

Nun, so lügt ihr auch!

Ihr seid geschlagen, Yngurd nicht. Ihr dichtet

Der ganzen Heerschaar eure Ohnmacht an,

Wie jeder, der sich von der blut'gen Bahn

Entwaffnet und verwundet rückwärts flüchtet. –

So hört doch auf! Ihr sauft ja, wie ein Schlauch!

Sagt, daß ihr lügt!

JARL.

Ich wollt', ich hätt' gelogen,

Als wir verwichne Nacht vom Schnee gekos't,

Von Sturm und Blitz, und von dem König Frost,

Und von den Zeichen an dem Himmelsbogen.

Es ging recht gut vom Anfang. Yngurd zischte[111]

Wie's Wetter auf des Feindes Mitt', und tischte

Dem Tode fürstlich auf. Inzwischen zog

Der König Alf sein überlegnes Heer

Gleich einem Winternebel um uns her,

Und wer zur Seite sah, und nicht gestand,

Es komm' ihm vor, als wär' es kalt; der log.

Doch vorwärts drang der König nach dem Strand:

»'s ist Krämervolk, die Dänen!« rief er aus,

»Fallt ihnen in das reich gefüllte Haus –

Fallt in ihr Lager, und sie sind geschlagen,

Und euer ist, was ihr vermögt zu tragen!«

Auf einmal flog, wie wenn vom Meer auf's Land

Die Stürme rasend in die Tannen fahren,

Die Braunhild an mit halbbetrunknen Schaaren.

Da war nicht Halten mehr, noch Widerstand,

Und vor dem Unsinn, unterstützt vom Glück,

Zieht langsam sich die Tapferkeit zurück.

ERICHSON.

Fluch deiner Zung' und Lunge, Unheilsrabe!

Ein Weib schlüg' Yngurd? ein unbärt'ger Knabe?[112]

Ein König Gliedermann, den seine Räthe

Am Drahte ziehn, und der nicht einmal thut,

Als ob er seine Thaten selber thäte?

JARL.

Das macht er klug; d'rum sind ihm Alle gut.

Den Königswillen will das Reich beweglich,

Weil sonst am Thron nichts durchzusetzen ist.

Der Yngurd aber ist so'n Wolf im Wollen,

Daß er den Willen von ganz Norweg frißt;

Er will allein, und alle andre sollen.

Nun sagt 'mal an –

ERICHSON.

Nein, nein! Es ist unmöglich,

Ihr lügt's in euren Hals!


Man hört von der Ebene her, anfangs aus der Ferne, dann näher, Hörnerruf. Flüchtlinge eilen vorüber.


JARL fährt empor vom Sitze.

Still! Höret ihr?

Sind das nicht Hörner, die zerstreute Haufen

Zum Sammelplatze locken? – Seht ihr? Laufen

Nicht reiterlose Rosse dort – und hier[113]

Nicht waffenlose Knappen schon vorüber?

Log ich es, daß die Schlacht, anstatt zu stehen,

Bald kommen würde; nun, so log ich nicht genug,

Der Wahrheit nachzukommen. Was wir sehen,

Ist Flucht, nicht Schlacht. – Ich mach' mich aus dem Zug –

Gehabt euch wohl! – Mich schüttelt's kalte Fieber.


Er geht hinkend im Vordergrunde ab. Im Hintergrunde beginnt der Rückzug der Normannen, die still, und anfangs mit Ordnung, vorüber ziehn. Asla scheint nicht darauf zu achten, und Blickt unverwandt, jedoch mit allen Spuren von steigendem Antheil, nach der linken Seite der Bühne, wo Ourdal abging. Kurz darauf verschwindet sie von der Höhe.


Quelle:
Adolph Müllner: Dramatische Werke. Band 3, Braunschweig 1828, S. 109-114.
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