Achtunddreißigstes Kapitel.

[301] Eines Abends hörte Agnese vor ihrer Thüre einen Wagen still halten. – Sie ist's und Niemand anders! – Sie war es wirklich mit der guten Wittwe. Die gegenseitigen Begrüßungen mag sich der Leser vorstellen.

Am folgenden Morgen stellte sich Renzo, der von Nichts wußte, schon zeitig ein und kam nur, um sein Herz gegen Agnese über das lange Ausbleiben Lucia's ein wenig auszuschütten. Die Geberden, die er machte, und die Dinge, die er sagte, als er sie vor sich sah, überlassen wir ebenfalls dem Leser, sich vorzustellen. Die Aeußerungen Lucia's waren der Art, daß nicht viel dazu gehört, um sie mitzutheilen. »Ich grüße dich, wie geht es dir?« sagte sie mit niedergeschlagenen Augen, ohne sich zu regen. Und man glaube nicht, daß Renzo diesen Empfang für zu kalt gehalten und übel genommen hätte. Er nahm die Sache von der richtigen Seite, und wie man unter gebildeten Leuten weiß, was man von Höflichkeiten zu halten hat, so verstand er sehr wohl, daß diese Worte nicht alles ausdrückten, was in dem Herzen Lucia's vorging. Uebrigens konnte er leicht merken, daß sie zwei Arten zu sprechen hatte, eine für Renzo, und eine andere für die übrigen Leute, die sie kannte.

»Mir geht's gut, wenn ich dich sehe«, antwortete der Jüngling, mit einer alten Redensart, die er aber in diesem Augenblick erfunden haben würde.

»Unser armer Pater Cristoforo .....!« sagte Lucia, »bete für seine Seele, obgleich wir fast gewiß sein können, daß er in diesem Augenblick dort oben für uns betet.«

»Ich hatte es nur zu sehr gefürchtet«, sagte Renzo. Und dies war nicht die einzige traurige Saite, die in diesem Gespräche angeschlagen wurde. Was that's? welchen Gegenstand man auch berührte. Das Gespräch gewährte ihm immer Vergnügen. Gleich den stätigen Pferden, die plötzlich stutzen, stehen bleiben, bald den einen, bald den andern Fuß aufheben und wieder auf die nämliche[301] Stelle setzen und tausenderlei Umstände machen, ehe sie einen Schritt thun und dann mit einem Mal im schnellsten Laufe davon jagen, als ob sie vom Winde getragen würden, so war die Zeit für ihn geworden; die Minuten schienen ihm erst Stunden, jetzt die Stunden Minuten.

Die Wittwe störte nicht nur die Gesellschaft nicht, sondern sie paßte auch vortrefflich hinein; und als Renzo sie auf jenem elenden Lager liegen sah, hätte er sich gewiß nicht vorgestellt, daß sie eine so muntere und gesellige Laune habe. Aber Lazareth und Land, Tod und Hochzeit sind nicht ein und dasselbe. Mit Agnese hatte sie schon Freundschaft geschlossen; sie mit Lucia zu sehen, war ein Vergnügen, wie sie sie zärtlich und scherzhaft neckte, ohne zu sehr zu sticheln, kaum so viel, als es bedurfte, um die ganze Heiterkeit zu zeigen, die sie im Herzen hatte.

Renzo sagte endlich, daß er zu Don Abbondio ginge, um mit ihm die Abrede wegen der Trauung zu nehmen. Er ging hin und mit einer gewissen scherzenden und ehrerbietigen Art sagte er zu ihm: »Herr Pfarrer, ist der Kopfschmerz vorüber, um den Sie uns nicht trauen konnten, wie Sie sagten? Jetzt kommen wir Ihnen doch recht; die Braut ist da, und ich bin hier, um zu hören, wann es Ihnen gelegen ist; aber diesmal würde ich Sie bitten schnell zu machen.« Don Abbondio sagte nicht nein; aber er fing an sich zu besinnen, gewisse Entschuldigungen hervorzubringen, gewisse Umschweife zu machen; warum er sich unter die Leute bringen, mit dem Verhaftsbefehl auf dem Rücken seinen Namen ausschreien lassen wollte? die Sache könnte ebenso gut wo anders vor sich gehen und dergleichen mehr.

»Ich verstehe«, sagte Renzo, »Sie haben noch immer ein wenig von dem Kopfschmerz. Aber hören Sie, hören Sie.« Und er fing an zu beschreiben, in welchem Zustande er den armen Don Rodrigo gesehen hatte, und daß er zu dieser Stunde sicherlich schon verschieden sein müßte; »lassen Sie uns hoffen«, schloß er, »daß der Herr Barmherzigkeit an ihm geübt hat.«

»Das hat mit uns hier nichts zu schaffen«, sagte Don Abbondio, »habe ich etwa nein zu Euch gesagt? Ich sage nicht nein; ich spreche .... ich spreche so aus guten Gründen. Uebrigens[302] bedenkt, so lange der Mensch noch einen Athemzug thut .... Seht mich an, ich bin ein alter, kränklicher Mann, bin auch schon mehr dort als hier gewesen .... und doch lebe ich noch und .... und wenn sonst keine Leiden über mich kommen .... genug .... so kann ich hoffen noch eine kleine Weile hier zu bleiben. Und nun stellt Euch gewisse Temperamente vor. Aber, wie ich sage, das hat mit uns hier nichts zu schaffen.«

Nachdem sie noch einige Worte gewechselt hatten, bei denen ebenso wenig herauskam, machte Renzo einen höflichen Kratzfuß, ging zu seiner Gesellschaft zurück, stattete seinen Bericht ab und sagte zuletzt: »Ich bin weggegangen, weil ich es satt hatte und weil ich es nicht darauf ankommen lassen wollte, die Geduld zu verlieren und die Achtung gegen ihn zu vergessen. In manchen Augenblicken schien er wieder ganz der Alte zu sein, gerade dieselben Mucken, dieselben Ausreden; ich bin gewiß, wenn es noch eine Weile so fort ging, so wäre er mir wieder mit einigen lateinischen Brocken angezogen gekommen. Ich sehe, daß die Sache sich wieder in die Länge ziehen will; es ist besser, es geradezu so zu machen, wie er sagt, hinzugehen und sich trauen zu lassen wo wir zu bleiben gedenken.«

»Wißt ihr, was wir thun?« sagte die Wittwe, »wir Frauen wollen hingehen und noch einen Versuch machen; vielleicht glückt er uns besser. So habe ich auch das Glück, den Mann kennen zu lernen, ob er wirklich so ist, wie ihr sagt. Nach Tische wollen wir gehen, um ihm nicht sogleich wieder den Rücken zu kehren. Jetzt, Herr Bräutigam, führen Sie uns beide ein wenig spazieren, indessen Agnese beschäftigt ist; ich werde Lucia bemuttern; ich habe Lust diese Berge, diesen See, von dem ich so viel sprechen gehört habe, ein wenig näher in Augenschein zu nehmen; das wenige, was ich schon davon gesehen habe, nahm sich sehr schön aus.«

Renzo führte sie vor allem nach dem Hause seines Wirthes, wo eine neue Freude war; sie ließen sich von ihm versprechen, daß er nicht allein diesen Tag, sondern alle Tage, wenn er könnte, kommen möchte, um mit ihnen zu Mittag zu essen.

Nach dem Spaziergange und dem Mittagsessen ging Renzo fort, ohne zu sagen wohin. Die Frauen blieben noch ein Weilchen[303] zusammen, plauderten und beredeten sich, wie sie Don Abbondio fassen wollten; endlich brachen sie zu dem Ueberfall auf.

– Da sind sie – sagte dieser für sich; aber er machte schnell gute Miene, beglückwünschte Lucia, begrüßte Agnese, bewillkommte die Fremde. Er ließ sie sich niedersetzen und fing sogleich von der Pest an zu sprechen, wollte von Lucia hören, wie sie dieselbe in all diesem Elend überstanden habe; das Lazareth gab Gelegenheit, auch ihre Gefährtin sprechen zu lassen; dann sprach Don Abbondio, wie billig, auch über seine Gefahr und freute sich an Agnesens Anblick, die der Pest glücklich entgangen war. Die Sache zog sich in die Länge; schon vom ersten Augenblick an waren die beiden älteren Frauen auf der Lauer, um, sobald die Gelegenheit sich böte, das Gespräch auf die Hauptsache zu bringen; endlich brach die eine, ich weiß nicht welche von beiden, das Eis. Aber was half's? Don Abbondio war auf dem Ohre taub. Ich wüßte nicht, daß er nein gesagt hätte; aber siehe da! wie er sich wieder zu drehen und zu wenden wußte und auf seine alten Redensarten übersprang. »Man müßte ihm diesen Verhaftsbefehl vom Halse schaffen können«, sagte er. »Sie, liebe Frau, sind aus Mailand, Sie werden mehr oder weniger den Faden der Dinge kennen, Sie werden gute Fürsprache haben, irgend einen Edelmann von Gewicht, denn mit solchen Mittelchen heilt man jede Wunde. Wenn man aber den allerkürzesten Weg einschlagen wollte, ohne sich in so viele Geschichten einzulassen, so haben die jungen Leute und unsere gute Agnese schon die Absicht auszuwandern – wogegen ich nichts zu sagen wüßte, denn wo's einem gut geht, ist das Vaterland – und ich sollte meinen, man könnte dort alles weit besser abmachen, wo kein Verhaftsbefehl etwas auf sich hat. Ich kann wirklich kaum die Stunde erwarten, wo diese Heirat geschlossen wird, und doch möchte ich sie gern in Ruhe und Frieden abgeschlossen sehen. Ich will die Wahrheit sagen: hier, so lange der Verhaftsbefehl noch gültig ist, den Namen Lorenzo Tramaglino vor'm Altare laut und vernehmlich auszusprechen, das könnte ich nicht mit ruhigem Herzen; ich habe ihn zu lieb dazu; ich würde mich fürchten, ihm damit einen schlechten Dienst zu erweisen. Sehen Sie, seht Ihr.«[304]

Hier fing bald Agnese, bald die Wittwe an, diese Gründe zu bekämpfen, Don Abbondio aber führte sie unter anderer Gestalt immer wieder ins Feld; man fing immer wieder von vorne an, bis mit einem Male mit festem Schritt und einer Neuigkeit auf dem Gesichte Renzo eintrat und sagte: »Der Herr Marchese*** ist angekommen.«

»Was soll das heißen? angekommen? wo?« fragte Don Abbondio und stand auf.

»Er ist in seinem Schlosse angekommen, das Don Rodrigo gehörte; denn dieser Herr Marchese ist sein Fideicommißerbe, wie sie sagen; so daß nicht mehr daran zu zweifeln ist. Ich für mein Theil würde mich freuen, zu erfahren, daß der arme Mann gut gestorben ist. Ich habe bis jetzt schon im Voraus Paternoster für ihn gebetet, jetzt will ich De profundis für ihn beten. Und dieser Herr Marchese ist ein sehr braver Mann.«

»Gewiß«, sagte Don Abbondio, »ich habe ihn schon mehr als einmal als einen sehr braven Herrn, als einen Mann von altem Schlage nennen hören. Aber wenn es nur wirklich wahr ist ....?«

»Glauben Sie dem Küster?«

»Warum?«

»Weil der ihn mit eigenen Augen gesehen hat. Ich bin nur dort in der Gegend herum gewesen, und, die Wahrheit zu sagen, bin ich gerade deßhalb hingegangen, weil ich dachte, sie müßten dort etwas wissen. Und mehr als einer hat mir dasselbe gesagt. Dann bin ich Ambrogio begegnet, der gerade von oben herunterkam, und der ihn, wie ich sage, als Gebieter schalten und walten gesehen hat. Wollen Sie Ambrogio hören? Ich habe ihn hier draußen deßhalb warten lassen.«

»Wir wollen ihn hören«, sagte Don Abbondio. Renzo rief den Küster. Dieser bestätigte die Sache Punkt für Punkt, fügte noch andere Umstände hinzu, löste alle Zweifel und ging dann ab.

»Ah! er ist also todt! er ist wirklich heimgegangen!« rief Don Abbondio aus. »Seht, Kinder, ob die Vorsehung am Ende gewisse Leute erreicht. Ihr wißt, das ist eine große Sache! eine große Erleichterung für diese arme Gegend! denn mit dem war nicht auszukommen. Die Pest ist eine große Plage gewesen; aber sie[305] war auch ein Besen, hat gewisse Subjekte weggefegt, meine Kinder, die wir nicht mehr losgeworden wären; jung, frisch, gesund; man mußte sagen, daß, wer bestimmt war, sie zu begraben, noch im Seminar saß, um Latein zu buchstabiren. Im Umsehen sind sie verschwunden, hundert auf einmal. Wir werden ihn nicht mehr herum stolziren sehen mit jenen Raufern hinterdrein, mit dem Hochmuthe, mit der Miene, als hätte er eine Stange im Leibe, mit dem Blick auf die Leute, als wären alle nur durch seine Gnade auf der Welt. Jetzt ist er nicht mehr, und wir sind hier. Nun wird er rechtschaffenen Leuten nicht mehr solche Botschaften schicken.«

»Ich habe ihm von Herzen vergeben«, sagte Renzo.

»Du thust Recht daran«, antwortete Don Abbondio, »aber man kann auch dem Himmel danken, daß er uns von ihm befreit hat. Jetzt, um wieder auf uns zu kommen, so wiederhole ich euch, thut was ihr für gut haltet. Wenn ihr wollt, daß ich euch trauen soll, so bin ich bereit; ist es euch anderswo gelegener, thut, wie ihr meint. Was den Verhaftsbefehl anlangt, so ist im Grunde Niemand mehr da, der euch auf dem Korne hat und euch übel will, das sehe ich auch ein, man braucht sich darum nicht allzu große Sorgen zu machen, zumal da das gnädige Decret wegen der Geburt des allerdurchlauchtigsten Infanten herausgekommen ist. Und dann die Pest! die Pest! sie hat viele Dinge ausgeglichen, die Pest! Wenn ihr also wollt .... heute ist Donnerstag.... Sonntag biete ich euch in der Kirche auf; denn das frühere Aufgebot gilt nach so langer Zeit nicht mehr; und alsdann habe ich die Freude, euch zu trauen.«

»Sie wissen, daß wir gerade deswegen hergekommen waren«, sagte Renzo.

»Sehr gut; ich werde euch dienen, und ich will sogleich Seiner Eminenz davon Nachricht geben.«

»Wer ist Seine Eminenz?« fragte Agnese.

»Seine Eminenz«, antwortete Don Abbondio, »ist unser Herr Kardinal Erzbischof, den Gott erhalten wolle.«

»O! da muß ich um Entschuldigung bitten«, erwiederte Agnese, »denn obschon ich eine arme, unwissende Frau bin, so[306] kann ich Ihnen doch versichern, daß man ihn nicht so nennt; als wir das zweite Mal bei ihm gewesen, um mit ihm zu sprechen, wie ich hier mit Ihnen spreche, zog mich einer der Herren Priester bei Seite und belehrte mich, wie man sich gegen den Herrn zu benehmen habe und daß man zu ihm Euer Gnaden und hochwürdiger Herr sagen müsse.«

»Und wenn der Mann Euch jetzt wieder belehrte, so würde er Euch sagen, daß man Eminenz zu ihm sagt. Verstanden? denn der Papst, den Gott auch er halten wolle, hat seit dem Monat Juni vorgeschrieben, daß den Kardinälen dieser Titel gegeben werden soll. Und wißt Ihr, warum er zu diesem Beschluß gekommen sein wird? Weil das ›Euer Gnaden‹, das jenen und gewissen Fürsten zukam – Ihr seht selber, was daraus geworden ist, wie Vielen man es giebt, und wie gern sie es hören! Was sollte der Papst thun? Es allen nehmen? Klagen, Aerger, Verdrießlichkeiten, Geschrei und über dies alles wie vorher. Er hat also ein ganz vortreffliches Mittel gefunden. Nach und nach wird man anfangen, die Eminenz den Bischöfen zu geben; dann werden es die Aebte, dann die Pröpste haben wollen; die Menschen sind einmal so, sie wollen immer höher, immer höher; dann die Domherren ....«

»Dann die Pfarrer«, sagte die Wittwe.

»Nein, nein«, versetzte Don Abbondio, »die Pfarrer müssen den Karren ziehen, habt keine Furcht, daß sie die Pfarrer verwöhnen; sie heißen ›Ehrwürden‹ bis an das Ende der Welt. Vielmehr sollte es mich gar nicht wundern, wenn die Edelleute, die gewöhnt sind sich ›Euer Gnaden‹ nennen zu hören und wie die Kardinäle behandelt zu werden, eines Tages die Eminenz auch für sich verlangten. Und wenn sie sie erst verlangen, seht Ihr, so werden sie auch Jemand finden, der sie ihnen giebt. Dann wird der Papst, der dann lebt, irgend etwas Anderes für die Kardinäle ersinnen. Um aber wieder auf unsere Sache zu kommen; Sonntag biete ich Euch in der Kirche auf, und wißt Ihr, was ich mir indessen ausgedacht habe, um Euch desto besser zu dienen? Wir wollen indessen die Erlassung für die andern beiden Aufgebote nachsuchen. Sie werden unten in der Curie eine schöne Arbeit haben, um[307] Erlassungen zu ertheilen, wenn es überall so zugeht wie hier. Für Sonntag habe ich deren schon ... eins ... zwei ... drei, ohne Euch mitzurechnen, und es kann immer noch eine dazu kommen. Und in der Folge werdet Ihr dann sehen, was es für Arbeit giebt; es wird nicht einer ledig bleiben. Perpetua hat wirklich einen dummen Streich gemacht, jetzt zu sterben, denn jetzt hätte auch sie ihren Käufer gefunden. In Mailand, liebe Frau, denke ich mir, daß es ebenso sein wird!«

»Gerade so! Stellen Sie sich vor, in meinem Kirchsprengel allein vergangenen Sonntag fünfzig Aufgebote.«

»Ich sage es ja, die Welt wird nicht aussterben. Und haben sie denn bei Ihnen, liebe Frau, noch nicht angefangen, Sie wie die Fliegen zu umschwärmen?«

»Nein, nein, ich denke nicht daran und will nicht daran denken.«

»Ja, ja, Sie werden die Einzige sein wollen. Auch Agnese, sehen Sie, auch Agnese ....«

»Uh! Sie haben Lust zu spaßen,« sagte diese.

»Gewiß habe ich Lust zu spaßen und ich meine, es sei endlich Zeit dazu. Wir haben schlimme Dinge überstanden, nicht wahr, ihr jungen Leute? schlimme Dinge haben wir überstanden; diese paar Tage, die wir noch in dieser Welt zubringen müssen, werden doch, kann man hoffen, ein wenig besser sein. Aber ihr seid glücklich dran, denn wenn euch kein neues Unglück trifft, so habt ihr noch eine gute Weile von den vergangenen Trübsalen zu reden; ich armer, alter Mann .... die Schurken können sterben; von der Pest kann man genesen; aber gegen das Alter giebt es kein Mittel und wie man sagt ›senectus ipsa est morbus‹.«

»Jetzt«, sagte Renzo, »sprechen Sie nur Latein so viel Sie wollen, mir ist nichts daran gelegen.«

»Hast du es noch auf das Latein abgesehen, warte, ich will dich schon kriegen; wenn du mit dieser hier vor mich hintreten wirst und so gewisse lateinische Wörtchen von mir hören möchtest, dann werde ich zu dir sagen: Latein magst du nicht, geh in Frieden. Das wird dir gefallen, he?«[308]

»Ei, ich weiß, was ich sage«, erwiederte Renzo, »das Latein dort macht mir keine Furcht, das ist ein echtes, heiliges Latein, wie das in der Messe; Sie müssen es ja dort auch lesen, wie es in dem Buche geschrieben steht. Ich spreche von dem Schelmenlatein außer der Kirche, das einen in dem besten Gespräche verrätherisch überfällt. Zum Beispiel, da wir jetzt gerade dabei sind, da alles vorüber ist, übersetzen Sie mir jetzt einmal das Latein auf italienisch, das Sie gerade hier in dieser Ecke auskramten, um mir zu verstehen zu geben, daß Sie nicht könnten, daß andere Dinge dazu gehörten, und was weiß ich?«

»Schweig still, Spaßvogel, schweig still, rühre diese Dinge nicht wieder auf; denn wenn wir jetzt abrechnen müßten, so weiß ich nicht, wer besser dabei wegkäme. Ich habe alles vergeben; sprechen wir nicht mehr davon, Ihr habt mir aber Streiche gespielt. Von dir befremdet es mich nicht, denn du bist ein arger Spitzbube; aber das stille Wasser hier, die kleine Heilige, wer hätte geglaubt, daß man sich auch vor dieser kleinen Scheinheiligen in Acht nehmen müßte. Aber ich weiß schon, wer sie unterwiesen hat, ich weiß es, ich weiß es.« Indem er so sprach deutete er mit dem Zeigefinger, mit dem er erst auf Lucia gedeutet hatte, auf Agnese, und es läßt sich nicht beschreiben, mit welcher Gutmüthigkeit, mit welcher Freundlichkeit er diese Vorwürfe machte. Jene Nachricht hatte ihm eine Ungezwungenheit, eine Redseligkeit gegeben, die man seit langer Zeit nicht an ihm gewohnt war; und wir wären noch lange nicht zu Ende, wenn wir das ganze übrige Gespräch mittheilen wollten, das er in die Länge zog, indem er mehr als einmal die Gesellschaft, wenn sie aufbrechen wollte, zurückhielt, sie dann noch eine Weile an der Hausthür aufhielt und nichts als Possen riß.

Am folgenden Tage erhielt er einen ebenso unerwarteten als angenehmen Besuch, den Herrn Marchese, von dem schon die Rede gewesen; ein Mann zwischen dem Mannes- und dem Greisenalter, dessen Aeußeres gleichsam Zeugniß davon gab, was der Ruf ihm nachsagte: offen, wohlwollend, sanftmüthig, herablassend, würdevoll und ein gewisses Etwas, das eine ergebungsvolle Betrübniß andeutete.[309]

»Ich komme«, sagte er, »Ihnen die Grüße des Kardinal Erzbischofs zu bringen.«

»O welche Herablassung von Ihnen beiden!«

»Als ich von diesem unvergleichlichen Manne Abschied nahm, der mich mit seiner Freundschaft beehrt, sprach er mir von zwei jungen Verlobten aus diesem Kirchsprengel, die von dem unglücklichen Don Rodrigo viel zu leiden gehabt haben. Der hochwürdige Herr wünscht Nachricht über sie. Leben sie noch? Und sind ihre Sachen wieder in Ordnung?«

»Alles in Ordnung. Ich hatte mir schon vorgenommen, an Seine Eminenz zu schreiben; aber jetzt, da ich die Ehre habe ....«

»Befinden sie sich hier?«

»Hier und sobald es sich thun läßt, sind sie Mann und Frau.«

»Ich bitte Sie, mir zu sagen, ob man ihnen irgend etwas Gutes thun kann und mir die schicklichste Art und Weise dazu anzugeben. In diesem Elend habe ich die beiden einzigen Söhne, die ich hatte, verloren und auch ihre Mutter und drei beträchtliche Erbschaften gethan. Mehr als ich brauchte hatte ich schon vorher; Sie sehen also, daß Sie mir einen wahrhaften Dienst leisten, wenn Sie mir eine Gelegenheit geben und besonders eine wie diese, meinen Ueberfluß anzuwenden.«

»Der Himmel segne Sie! Warum sind nicht alle wie Sie ....? Genug; auch ich danke Ihnen von Herzen für diese meine Kinder. Und da Euer Gnaden mich so ermuthigen, so kann ich Ihnen wohl einen Rath zuflüstern, der Ihnen vielleicht nicht mißfallen wird. Wissen Sie also, daß diese guten Leute entschlossen sind, sich anderswo niederzulassen und das Wenige, was sie hier besitzen, zu verkaufen; der junge Bursche einen Weingarten von neun bis zehn Ruthen, freilich ganz und gar verwildert; man kann nur den Grund und Boden in Anschlag bringen, sonst nichts; außerdem noch ein Häuschen, und ein anderes die Braut – zwei Rattennester, sehen Sie. Ein Herr, wie Euer Gnaden, kann nicht wissen, wie es den armen Leuten zu Muthe ist, wenn sie sich des Ihrigen entäußern wollen. Das Ende ist immer, daß irgend ein Schelm es in den Hals kriegt, der vielleicht schon eine ganze Zeitlang ein Auge auf das Stückchen[310] Land hat; und wenn er weiß, daß der andere verkaufen muß, zieht er sich zurück, als ob ihm die Lust vergangen sei; jener muß hinter ihm herlaufen und es ihm für einen Spottpreis geben, besonders unter solchen Umständen wie diese. Der Herr Marchese haben wohl schon gemerkt, wo meine Rede hinaus will. Die höchste Wohlthat, die Euer Gnaden diesen Leuten thun können, ist, sie aus dieser Verlegenheit zu ziehen und ihnen das bischen Habe abzukaufen. Ich, die Wahrheit zu sagen, gebe einen eigennützigen Rath, weil ich meinem Kirchsprengel einen Grundbesitzer erwerben möchte, wie den Herrn Marchese; aber Euer Gnaden werden nach Ihrem Gutdünken entscheiden; ich habe gesprochen, um Ihnen zu gehorchen.«

Der Marchese lobte den guten Rath, dankte Don Abbondio und bat ihn als Schiedsrichter den Preis zu bestimmen und ihn recht hoch zu stellen; er machte ihn starr vor Verwunderung, als er ihm vorschlug, sogleich stehenden Fußes mit ihm nach dem Hause der Braut zu gehen, wo wahrscheinlich auch der Bräutigam sein werde.

Unterwegs dachte Don Abbondio, ganz außer sich vor Freude, wie man sich denken kann, noch an eine andere Sache und sagte: »Da Euer Gnaden so geneigt sind, diesen Leuten Gutes zu thun, so wäre ihnen noch ein anderer Dienst zu leisten. Der junge Mensch hat einen Verhaftsbefehl auf sich sitzen, eine Art Landesverweisung, weil er in Mailand vor zwei Jahren, an dem Tage des großen Aufruhrs, in dem er ohne bösen Willen, aus bloßer Unwissenheit hineingerieth wie eine Maus in die Falle, einige dumme Streiche gemacht hat, gar nichts Schlimmes, sehen Sie, Kindereien, Unbesonnenheiten; ein wirkliches Unrecht zu begehen ist er nicht fähig; ich kann es sagen, der ich ihn getauft habe und heranwachsen gesehen; und dann, wenn Euer Gnaden sich die Muße dazu nehmen wollen, das Geschwätz dieser armen Leute mit anzuhören, so können Sie sich die Sache von ihm erzählen lassen, und Sie werden hören. Jetzt, da es sich um alte Geschichten handelt, legt ihm Niemand was in den Weg, und wie ich gesagt habe, er denkt sich aus dem Staate fortzubegeben; aber mit der Zeit, er mag entweder hier zurückkehren, oder, man kann nicht[311] wissen was geschieht, es ist immer besser, nicht schlimm angeschrieben zu sein. Der Herr Marchese gelten was in Mailand, wie billig, und für den vornehmen Cavalier, für den großen Mann, der Sie sind .... Nein, nein, lassen Sie mich reden, denn die Wahrheit verlangt ihr Recht. Eine Empfehlung, ein Wörtchen von Ihresgleichen ist mehr als hinreichend, um eine Freisprechung zu erlangen.«

»Sind keine schweren Anklagen gegen den jungen Menschen?«

»Nein, nein, ich sollte nicht meinen. Sie haben gleich im ersten Augenblick Lärm über ihn geschlagen; aber jetzt, glaube ich, handelt es sich nur noch um die bloße Formalität.«

»Wenn die Sache sich so verhält, wird sie leicht sein; und ich nehme sie gern auf mich.«

»Und dann wollen Sie noch nicht, daß man Sie einen großen Mann nennt. Ich sage es und will es sagen; Ihnen zum Trotze will ich es sagen. Und wenn ich auch still schweige, es würde nichts helfen, weil alle es sagen, und vox populi, vox Dei.«

Sie fanden die drei Frauen und Renzo richtig beisammen. Wie diese erstaunten, kann man sich vorstellen; ich glaube, daß auch die nackten, rauhen Wände, die Tische und die Töpfe sich verwunderten, einen so außerordentlichen Besuch bei sich zu empfangen. Er brachte die Unterhaltung in Gang, indem er von dem Kardinal und den übrigen Dingen mit offener Herzlichkeit und zugleich mit zarter Rücksicht sprach. Bald kam er auf den Vorschlag. Don Abbondio, von ihm gebeten den Preis festzusetzen, trat vor; und nach einigen Umständen und Entschuldigungen, er verstehe nicht solch Mehl zu mahlen, könne nur ungewiß zutappen, spräche aus Gehorsam, er überlasse es einem Sachkundigen, gab er endlich nach seiner Meinung einen übermäßigen Preis an. Der Käufer sagte, seinerseits vollkommen zufrieden zu sein, und wiederholte das doppelte, als ob er falsch verstanden hätte; von Berichtigungen wollte er nichts hören und brach alles Gerede damit ab, indem er die Gesellschaft für den Tag nach der Hochzeit zu Mittag in seinem Palaste einlud, wo der Verkaufsvertrag vorschriftsmäßig abgemacht werden sollte. – Ah! – sagte Don Abbondio darauf bei sich, als er wieder zu Hause war – wenn die Pest immer in dieser Weise zu Werke[312] ginge, so wäre es wirklich eine Sünde, ihr Uebles nachzureden; da sollte beinahe in jedem Menschenalter eine sein; da ließe man es sich gefallen eine Krankheit durch zu machen. –

Es kam der Erlaß, es kam die Freisprechung, es kam der gesegnete Tag. Die beiden Verlobten gingen mit siegreicher Gewißheit in die Kirche und wurden dort durch Don Abbondio's Mund getraut. Ein anderer und weit eigenthümlicherer Sieg war der Gang nach dem Palaste; man möge sich denken, was für Dinge ihnen durch den Sinn gehen mußten, als sie die Anhöhe erstiegen und durch die Pforte eintraten; was für Gespräche sie, jeder nach seiner Gemüthsart, führen mußten. Ich bemerke nur, daß mitten in der Fröhlichkeit, bald der eine, bald der andere mehr als einmal erwähnte, daß, um das Fest zu krönen, nur der arme Pater Cristoforo fehle! »Aber er«, sagten sie dann, »ist gewiß noch besser daran als wir.«

Der Marchese bewirthete sie mit großer Freundlichkeit, führte sie in einen schönen Speisesaal, setzte die jungen Gatten mit Agnese und der Kaufmannsfrau an einen Tisch, und ehe er sich mit Don Abbondio zurückzog, um anderswo zu speisen, wollte er ein wenig den Gästen Gesellschaft leisten, und half sogar sie zu bedienen. Es wird, hoffe ich, Keinem einfallen, zu sagen, daß es eine weit einfachere Sache gewesen wäre, einen einzigen Tisch zurecht machen zu lassen. Ich habe ihn für einen wackern Mann ausgegeben, aber nicht für ein Original, wie man jetzt sagt; ich habe gesagt, daß er herablassend war, aber nicht, daß er ein Wunder von Herablassung gewesen. Er hatte so viel, um sich unter die guten Leute zu stellen, aber nicht um sich ihnen gleich zu stellen.

Nachdem an beiden Tafeln abgespeist war, wurde der Verkaufsvertrag von der Hand eines Doktors – aber nicht von dem Händel-Fischer, aufgesetzt. Dieser, das heißt seine sterbliche Hülle, war und ist noch immer zu Canterelli. Für denjenigen, der nicht aus jener Gegend ist, begreife auch ich, daß hier eine Erklärung nöthig ist.

Vielleicht eine halbe Miglte oberhalb Lecco und fast auf der Seite des andern Dorfes, Namens Castello, liegt ein Ort Canterelli[313] genannt, wo zwei Wege sich kreuzen; auf der einen Seite des Kreuzweges erblickt man eine Anhöhe, wie einen künstlich aufgeworfenen Hügel, mit einem Kreuze auf dem Gipfel; dieser ist nichts Anderes als ein großer Haufen an dem Contagium Gestorbener. Die Ueberlieferung, um die Wahrheit zu sagen, nennt sie einfach die am Contagium Gestorbenen; aber sie kann nur dieses letzte Contagium meinen, welches das mörderischeste war, dessen man sich erinnert. Und man weiß wohl, daß die Ueberlieferungen, wenn man ihnen nicht nachhilft, an und für sich nur allzu wenig sagen.

Bei der Rückkehr war das einzige Ungemach, daß Renzo ein wenig von der Last des Geldes beschwert wurde, das er mit fort trug. Aber der Mann hatte, wie man weiß, ganz andere Plagen durchgemacht. Ich spreche nicht von dem Kopfzerbrechen, das er sich machte, wie man dieses Geld am besten anlegen könnte. Wenn man die Pläne sah, die ihm durch den Kopf gingen, die Ueberlegungen, die Vorstellungen; wenn man das Für und Wider in Betreff des Ackerbaues oder der Industrie hörte, so war es, als ob zwei Akademien des vorigen Jahrhunderts darin an einander gerathen wären. Und für ihn war die Verwickelung noch viel wesentlicher, weil er als einzelner Mann nicht zu sich sagen konnte: was braucht man hier noch zu wählen? frisch zu, alle beide, denn die Mittel und Wege sind im Ganzen die nämlichen; es sind zwei Dinge wie die Beine, auf zweien geht man besser als auf einem.

Man dachte an nichts mehr als einzupacken und auf die Reise zu gehen; die Familie Tramaglino nach dem neuen Vaterland und die Wittwe nach Mailand. Der Thränen, Danksagungen, Versprechungen, sich zu besuchen, waren viele. Nicht weniger zärtlich, ausgenommen die Thränen, war die Trennung Renzo's und der Familie von dem gastlichen Freunde; und man glaube nicht, daß es mit Don Abbondio kalt abgegangen wäre. Die drei guten Geschöpfe hatten immer eine gewisse ehrerbietige Anhänglichkeit für ihren Pfarrer gehabt; und dieser hatte ihnen auch im Grunde immer wohlgewollt.

Könnte Jemand fragen, ob es ihnen Schmerz machte, sich von dem Geburtsorte, von den Bergen zu trennen? Gewiß; denn[314] Schmerz, muß ich sagen, ist wohl überall ein wenig. Er muß jedoch nicht allzu heftig gewesen sein, denn sie hätten ihn sich ersparen können, wenn sie zu Hause geblieben wären, da die beiden großen Hindernisse, Don Rodrigo und der Verhaftsbefehl, beseitigt waren. Aber schon seit einiger Zeit hatten sich alle drei daran gewöhnt, das Dorf, wohin sie gingen, als das ihrige anzusehen. Renzo hatte die Frauen dafür eingenommen, indem er ihnen von den Annehmlichkeiten erzählte, welche die Arbeiter dort fänden, und hundert Dinge von dem schönen Leben, das man dort führe. Uebrigens hatten sie Alle sehr bittere Augenblicke in dem Dorfe verlebt, dem sie jetzt den Rücken kehrten; und traurige Erinnerungen verleiden auf die Dauer der Seele immer die Orte, die sie hervorrufen. Sind diese Orte unser Geburtsland, so liegt in solchen Erinnerungen vielleicht noch etwas Herberes und Stechenderes. Auch das Kind, sagt das Manuscript, ruht gern am Busen der Amme, sucht mit Begierde und Vertrauen die Brust, die es bis dahin süß genährt hat; aber wenn die Amme, um es zu entwöhnen, sie mit Wermuth bestreicht, zieht das Kind den Mund zurück, versucht es noch einmal, macht sich aber endlich davon los; es weint, aber es macht sich los!

Was wird man jetzt sagen, wenn man hört, daß Renzo, kaum in dem neuen Dorfe angekommen und eingerichtet, auch schon Verdrießlichkeiten auf sich wartend fand? Lappalien, aber es gehört so wenig dazu, um eine glückliche Lage zu stören! Die Sache ist mit wenigen Worten die.

Man hatte in jener Gegend schon lange vor ihrer Ankunft über Lucia gesprochen; man wußte, daß Renzo so viel um sie gelitten hatte und immer beharrlich, immer treu gewesen war; vielleicht hatte auch ein Wörtchen des einen und des andern für ihn und das Seine parteiischen Freundes eine gewisse Neugierde, das Mädchen zu sehen und eine gewisse Erwartung von ihrer Schönheit erregt. Nun weiß man wie die Erwartung ist: erfinderisch, leichtgläubig, zuversichtlich; bei der Prüfung hernach schwierig und eigensinnig, sie findet sich niemals befriedigt, denn eigentlich wußte sie nicht, was sie wollte, und läßt sich ohne Erbarmen die Artigkeiten bezahlen, die sie ohne allen Grund ausgetheilt[315] hatte. Als Lucia erschien, fingen viele an, die vielleicht glaubten, sie müsse goldenes Haar, rosige Wangen und Augen, eines noch schöner als das andere haben und was weiß ich, die Achseln zu zucken, die Nasen zu rümpfen und sagten: Eh, die ist es? Nach so langer Zeit, nach so vielem Gerede versprach man sich etwas Besseres. Was ist sie am Ende? Eine Bäuerin wie viele andere. Eh! solche und noch bessere giebt es überall. Indem sie sie dann im Einzelnen durchhechelten, bemerkte der eine hier einen Fehler, der andere da, und es fehlte auch nicht an denen, die sie ganz und gar häßlich fanden.

So lange jedoch keiner diese Dinge Renzo ins Gesicht sagte, so lange hatte es damit nicht viel auf sich. Wer das Unheil stiftete, das waren gewisse gute Freunde, die sie ihm hinterbrachten und, was meint Ihr? Renzo wurde dadurch im Innersten getroffen. Er fing an darüber nachzudenken und gegen den, der ihm davon sprach, heftige Beschwerden zu führen. – Was geht es euch an? Wer hat euch was zu erwarten geheißen? Habe ich je von ihr mit euch gesprochen? Habe ich euch gesagt, daß sie schön sei? Und wenn ihr davon sprachet, habe ich euch jemals was Anderes geantwortet, als daß sie ein gutes Mädchen sei? Und eine Bäuerin! Habe ich euch jemals gesagt, daß ich euch eine Prinzessin herbringen werde? Sie gefällt euch nicht? Seht sie nicht an. Habt ihr schönere Weiber, so seht auf die.

Man sehe einmal, wie zuweilen eine Kleinigkeit hinreicht, über das Geschick eines Menschen für das ganze Leben zu entscheiden. Wenn Renzo sein ganzes Leben in jener Gegend hätte zubringen müssen, wie er erst die Absicht hatte, so würde es ihm wenig Freude gebracht haben. Durch die Verdrießlichkeiten war er mißmuthig geworden. Er war gegen alle unfreundlich, denn ein Jeder konnte ein Bekrittler seiner Lucia sein. Er verstieß gerade nicht gegen die Höflichkeit, aber man weiß, was man alles sich erlauben kann, ohne gerade die Gesetze der guten Lebensart zu verletzen, bis es ans Messer geht. Er hatte ein gewisses spöttisches Etwas in jedem seiner Worte; an allem fand auch er etwas auszusetzen;[316] es ging so weit, daß, wenn es einmal zwei Tage hinter einander schlechtes Wetter war, er gleich sagte: »Ei ja, das ist ein Dorf!« Ich muß sagen, daß ihn schon nicht wenige auf dem Zuge hatten, und auch Leute, die ihm früher wohlgewollt. So würde er wohl mit der Zeit, nachdem eins zum andern kam, fast mit der ganzen Bevölkerung so zu sagen in Fehde gerathen sein, ohne daß er selbst vielleicht die erste Ursache eines so großen Uebels kannte.

Es war aber, als ob die Pest die Verpflichtung übernommen hätte, ihn über allen Schaden hinweg zu heben. Sie hatte den Besitzer einer andern, fast an den Thoren von Bergamo gelegenen Spinnerei hinweggerafft; der Erbe, ein junger, liederlicher Mensch, der in dem Hause sich durchaus nicht wohl fühlte, war gesonnen, brannte sogar darauf, es selbst zu dem halben Preise zu verkaufen; aber er verlangte das Geld baar ausgezahlt zu haben, um es sogleich für nichts und wieder nichts zu verschwenden. Als Bartolo von der Sache hörte, lief er sogleich hin, um zuzusehen; handelte; ein vortheilhafterer Kauf ließ sich gar nicht denken; aber die Bedingung der baaren Zahlung verdarb alles, weil seine kleine Baarschaft, die aus nach und nach zurückgelegten Ersparnissen bestand, noch lange nicht an die Summe reichte. Er sagte dem guten Freunde so halb und halb zu, kehrte eilig zurück, theilte seinem Vetter die Sache mit und forderte ihn zu gemeinschaftlichem Kaufe auf. Ein so vortheilhafter Vorschlag machte Renzo's ökonomischen Zweifeln ein Ende, er entschloß sich schnell für die Industrie und sagte ja. Man ging miteinander hin und der Vertrag wurde abgeschlossen. Als darauf die neuen Herren in ihrem eigenen Hause ankamen, war Lucia, an die sich hier keine Erwartungen knüpften, nicht nur keinen Bekrittelungen ausgesetzt, sondern sie mißfiel auch ganz und gar nicht; Renzo erfuhr sogar, daß mehr als einer gesagt hatte: »Habt ihr die schöne Füchsin gesehen, die hier angekommen ist?« Durch das Eigenschaftswort ließ sich das Hauptwort ertragen.

Und auch von dem Verdrusse, den er in dem andern Dorfe gehabt, blieb ihm eine gute Lehre. Früher war er in seinen Aussprüchen ein wenig vorschnell gewesen und schnell bereit, über die Frauen anderer und über alles loszuziehen. Jetzt begriff er, daß[317] die Worte leichter auszusprechen als anzuhören wären; er überlegte daher die seinen erst ein wenig mehr, ehe er sie aussprach.

Man glaube indessen nicht, daß auch hier nicht kleine Widerwärtigkeiten gewesen wären. Der Mensch – sagt unser Anonymus, und man weiß schon aus Erfahrung, daß er in Bezug auf Gleichnisse einen etwas seltsamen Geschmack hat; aber nehme man auch dieses hin, es soll das Letzte sein – der Mensch, so lange er in dieser Welt lebt, ist ein Kranker, der auf einem mehr oder weniger unbequemen Bette liegt, der um sich herum andere, äußerlich wohl eingerichtete, bequeme Betten sieht und sich einbildet, es müsse sich darauf prächtig ruhen lassen. Aber wenn es ihm gelingt zu wechseln, so hat er sich kaum in dem neuen Bett zurecht gelegt, so fühlt er auch schon hier einen Dorn, der ihn sticht, dort eine Härte, die ihn drückt; am Ende ist's wieder die nämliche Geschichte. Und darum, fügt der Anonymus hinzu, müssen wir mehr daran denken, gut zu handeln, als gut zu leben; und so wird man endlich zufriedener sein. Dies ist ein wenig an den Haaren herbeigezogen und wirklich wie von Einem aus dem siebenzehnten Jahrhundert gesprochen; im Grunde aber hat er Recht. Uebrigens fährt er fort, Leiden und Ungemach von der Größe und Stärke, wie wir erzählt haben, erlitten unsere guten Leute nicht mehr; sie führten von dieser Zeit an eines der ruhigsten, glücklichsten und beneidenswerthesten Leben, so daß man sich zu Tode langweilen würde, wenn ich es erzählen sollte.

Die Geschäfte gingen zum Verwundern; im Anfange stockten sie ein wenig durch den Mangel an Arbeitern und durch die hohen Ansprüche der wenigen Ueberbliebenen. Es erschienen Verordnungen, die den Lohn der Arbeiter festsetzten; trotz dieser Hülfe kamen die Dinge aber auch wieder ins alte Geleise, weil am Ende sich alles wieder ausgleichen muß. Von Venedig erschien eine neue, etwas vernünftigere Verordnung: Befreiung auf zehn Jahre von allen Steuern und persönlichen Lasten für die Ausländer, die sich in diesem Staate niederließen. Für die Unserigen war dies ein neues Glück.

Noch bevor das erste Jahr der Ehe zu Ende ging, erblickte ein holdes Geschöpfchen das Licht der Welt, und als hätte es ausdrücklich[318] sich so gefügt, um Renzo bald Gelegenheit zu geben, sein großmüthiges Gelübde zu erfüllen, war es ein Mädchen; man kann sich darauf verlassen, daß es den Namen Maria erhielt. Es kamen darauf mit der Zeit noch ich weiß nicht wie viele andere des einen und des andern Geschlechts. Agnese hatte alle Hände voll zu thun, eines nach dem andern herumzutragen, indem sie sie kleine Taugenichtse nannte und ihnen so derbe Küsse auf die Gesichtchen drückte, daß sie noch eine Weile einen weißen Fleck zurückließen. Sie waren alle gut geartet, und Renzo wollte, daß sie lesen und schreiben lernten, denn da doch einmal die Schelmerei hierin besteht, meinte er, so sollen sie wenigstens auch davon profitiren.

Eine Lust war es, ihn seine Abenteuer erzählen zu hören; und das Ende vom Liede war immer, daß er die großen Dinge anführte, die er daraus gelernt hatte, um sich ins Künftige besser zu betragen. »Ich habe gelernt«, sagte er, »mich in keinen Tumult hinein zu begeben; ich habe gelernt, auf offener Straße nicht zu predigen, ich habe gelernt, nicht über den Durst zu trinken; ich habe gelernt, den Thürklopfer nicht in der Hand zu behalten, wenn Leute in der Nähe sind, die was im Kopfe haben; ich habe gelernt, mir keine Schelle an den Fuß zu binden, ohne vorher zu bedenken, was daraus entstehen kann.« Und hundert andere Dinge.

Lucia dagegen fand diese Lehre nicht an sich falsch, aber sie war nicht damit befriedigt; es schien ihr so halb und halb etwas daran zu fehlen. Da sie dasselbe Lied aber immer wieder hörte und jedesmal darüber nachdachte, sagte sie eines Tages zu ihrem Sittenprediger: »Und ich, was habe ich daraus gelernt? Ich habe die Leiden nicht aufgesucht, sie haben mich aufgesucht. Wenn du nicht etwa sagen willst«, fügte sie sanft lächelnd hinzu, »mein dummer Streich sei der gewesen, daß ich dir gut war und mich dir verlobt habe.«

Renzo war darüber anfänglich verlegen. Nachdem sie lange mit einander hin und her gestritten und geforscht hatten, verständigten sie sich, daß die Leiden wohl oft aus der Ursache kommen, die der Mensch ihnen giebt; daß indessen auch das behutsamste und unschuldigste Betragen sie nicht fern hält; daß aber,[319] wenn sie kommen, verschuldet oder nicht verschuldet, das Vertrauen auf Gott sie mildert und für ein besseres Leben heilsam macht. Dieser Schluß, obwohl von einfachen Leuten gefunden, hat uns so richtig geschienen, daß wir ihn als den Kern der ganzen Geschichte hierher zu setzen gedacht haben.

Wenn sie euch nicht ganz und gar mißfallen hat, so seid dafür dem Schreiber gut und auch dem ein wenig, der sie wieder erzählt hat. Sollte sie euch aber gar gelangweilt haben, so seid überzeugt, daß es nicht unsere Absicht war.[320]

Quelle:
Manzoni, [Alessandro]: Die Verlobten. 2 Bände, Leipzig, Wien [o. J.], Band 2, S. 301-321.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Verlobten
Die Verlobten
Die Verlobten
Die Verlobten. Eine mailändische Geschichte aus dem siebzehnten Jahrhundert
Die Verlobten: Eine mailändische Geschichte aus dem siebzehnten Jahrhundert (insel taschenbuch)
Die Verlobten: Eine Mailändische Geschichte aus dem Siebzehnten Jahrhundert

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Bozena

Bozena

Die schöne Böhmin Bozena steht als Magd in den Diensten eines wohlhabenden Weinhändlers und kümmert sich um dessen Tochter Rosa. Eine kleine Verfehlung hat tragische Folgen, die Bozena erhobenen Hauptes trägt.

162 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon