Neunundzwanzigstes Kapitel.

[135] Hier finden wir unter den armen erschreckten Menschen Leute von unserer Bekanntschaft.

Wer Don Abbondio nicht an dem Tage gesehen, da sich plötzlich die Nachrichten von dem nahen Heranzuge des Heeres und seiner Aufführung verbreiteten, der weiß nicht, was Schrecken und Verwirrung ist. Sie kommen; es sind dreißig-, vierzig-, es sind fünfzigtausend; es sind Teufel, Arianer, es sind Antichristen; sie haben Cortenuova geplündert; sie haben Primaluna in Brand gesteckt; sie verwüsten Introbbio, Pasturo, Barsio; sie sind schon in Balabbio; morgen sind sie hier. So waren die Gerüchte, die von Mund zu Mund liefen, und dabei zugleich ein Laufen, ein Stehenbleiben, ein lärmendes Berathschlagen, ein Schwanken zwischen Fliehen und Bleiben, ein Zusammenlaufen der Weiber, ein Sich in die Haare fahren. Don Abbondio zuerst und mehr als jeder Andere entschlossen zu fliehen, sah auf jedem Wege, den er nehmen wollte, an jedem Zufluchtsorte unübersteigliche Hindernisse und entsetzliche Gefahren. »Was soll ich anfangen?« rief er aus, »wohin soll ich gehen?« In den Bergen war es, abgesehen von der Schwierigkeit des Laufens, nicht sicher; man hatte auch schon erfahren, daß die Lanzknechte wie Katzen darin herumkletterten, wo sie kaum auf Beute hoffen konnten. Der See ging hoch, der Wind blies heftig; außerdem waren die meisten Barkenführer, in der Besorgniß, gezwungen zu werden, Soldaten oder Gepäck überzusetzen, mit ihren Barken an das andere Ufer geflohen; einige Barken, die zurückgeblieben, waren auch schon mit Menschen überladen abgefahren, und man sagte, daß sie, mit der Last gegen den Sturm kämpfend, jeden Augenblick Gefahr liefen. Um sich weiter fort zu begeben von dem Wege, den das Heer entlang zog, war es unmöglich eine Kalesche, ein Pferd, noch[135] irgend ein anderes Beförderungsmittel zu finden; zu Fuß hätte Don Abbondio keinen allzu großen Weg zurücklegen können und fürchtete er unterwegs eingeholt zu werden. Das Bergamaskische Gebiet war nicht so fern, daß seine Beine ihn nicht eine solche Strecke zu tragen vermocht hätten; aber man wußte, daß von Bergamo schon eine Schwadron Cappelletti abgesandt worden war, die Grenze zu besetzen, um die Lanzknechte abzuhalten; jene aber waren ebenso eingefleischte Teufel als diese und trieben es auch ihrerseits so arg sie konnten. Der arme Mann lief mit wilden Blicken halb sinnlos durch das Haus, lief hinter Perpetua her, um einen Entschluß mit ihr zu verabreden; Perpetua aber, die geschäftig war, den besten Hausrath zusammen zu raffen und auf dem Boden unter dem Dache zu verstecken, strich eilig an ihm vorüber, den Kopf voller Sorgen und alle Hände voll Arbeit und antwortete: »Ich will nur erst die Sachen in Sicherheit bringen und dann machen auch wir's, wie's die Andern machen«. Don Abbondio wollte sie zurückhalten und die verschiedenen Rettungswege mit ihr bereden; sie aber gerieth bei ihrer Geschäftigkeit und Eile, bei dem Schrecken, der auch ihr in die Glieder gefahren war, über die Angst des Hausherrn in Wuth, und es war unter solchen Umständen noch weniger als sonst mit ihr anzufangen.

»Die Andern denken auf Mittel und Wege, wir werden auch darauf denken. Mit Erlaubniß, Sie halten mich nur auf. Glauben Sie, daß die Andern ihre Haut nicht auch in Sicherheit zu bringen haben? Daß die Soldaten nur mit ihnen Krieg führen? Sie könnten auch bei solcher Gelegenheit mit Hand anlegen, anstatt Einem den Weg mit Geschrei und Geweine zu vertreten.« Mit diesen und ähnlichen Antworten machte sie sich von ihm los, indem sie sich schon vorgenommen hatte, sobald sie ihre aufregende Arbeit so gut es ging zu Stande gebracht, ihn wie einen Knaben beim Arm zu nehmen und mit sich auf einen Berg zu schleppen. Als Don Abbondio sich so allein gelassen sah, stellte er sich an das Fenster, blickte hinaus und spitzte das Ohr; sah er Jemand vorüberkommen, so rief er halb mit weinerlicher, halb mit vorwurfsvoller Stimme ihm zu: »Habt doch mit Eurem Pfarrer so viel Erbarmen, ihm ein Pferd zu schaffen, oder ein Maulthier, oder[136] einen Esel. Will denn Keiner mir helfen? O was für Menschen! Wartet wenigstens, daß ich auch mit Euch gehen kann; wartet bis Ihr fünfzehn oder zwanzig beisammen seid, und nehmt mich dann in Eure Mitte, damit ich nicht ganz verlassen bin. Wollt Ihr mich in den Händen der Hunde zurücklassen? Wißt Ihr nicht, daß es fast lauter Lutheraner sind, die es für ein verdienstvolles Werk halten, einen Priester umzubringen? Wollt Ihr mich hier dem Märtyrertode preisgeben? Ach, was für Menschen, was für Menschen!«

Aber zu wem sagte er diese Dinge? Zu Menschen, welche gebeugt unter der Last ihrer wenigen Habe und mit dem Gedanken an das, was sie zu Hause zurückließen, vorüber kamen, ihre jungen Kühe vor sich hertreibend, die Kinder hinter sich drein führend, die auch so schwer als möglich belastet waren, während die Weiber diejenigen, welche nicht laufen konnten, auf dem Arme trugen. Einige zogen vorüber ohne zu antworten oder hinauf zu sehen; irgend Einer sagte auch wohl: »Ei, Herr! helfen Sie sich auch so gut Sie können; Sie sind ein glücklicher Mann, Sie haben an keine Familie zu denken; helfen Sie sich nur selber fort.«

»O ich Armer!« rief Don Abbondio aus. »O was für Menschen! was für Herzen! Es giebt kein Erbarmen mehr: Jeder denkt nur an sich, um mich will sich Keiner kümmern.« Und er suchte wieder Perpetua auf.

»Sie kommen gerade recht«, sagte diese, »und das Geld?«

»Was machen wir damit?«

»Geben Sie es mir, ich will es hier im Garten am Hause mit dem Tischzeug zusammen vergraben.«

»Aber ....«

»Aber, aber ... geben Sie her; behalten Sie für den Nothfall einige Soldi zurück und dann lassen Sie mich sorgen.«

Don Abbondio gehorchte, ging an sein Schubkästchen, nahm seinen kleinen Schatz heraus und händigte ihn Perpetua ein.

»Ich gehe und vergrabe ihn im Garten unter dem Feigenbaum«, sagte sie und ging ab. Bald darauf erschien sie mit einem Korbe, worin sich Mundvorrath befand und mit einem kleinen leeren Tragkorb; in diesen legte sie schnell ein wenig Wäsche für[137] sich und ihren Herrn und sagte dabei: »Das Gebetbuch wenigstens, das werden Sie tragen.«

»Aber wohin gehen wir?«

»Wohin gehen alle Andern? Für's Erste gehen wir auf die Straße und dann werden wir hören und sehen, was sich anfangen läßt.«

In diesem Augenblick trat Agnese ein, mit einem kleinen Tragkorb auf dem Rücken und mit einer Miene, wie Jemand, der im Begriff ist einen wichtigen Vorschlag zu machen.

Agnese, gleichfalls entschlossen, Gäste dieser Art nicht im Hause allein, wie sie war und mit dem ihr noch übrig gebliebenen Gelde von dem Ungenannten zu erwarten, war einige Zeit unschlüssig gewesen über den Ort, wohin sie sich wenden sollte. Gerade der Rest jener Scudi, die ihr in den Monaten der Hungersnoth so viel geholfen hatten, war die Hauptursache ihrer Angst und Unentschlossenheit, weil sie gehört, wie in den bereits überschwemmten Ortschaften die Leute mit Geld in einer weit schlimmern Lage als jeder Andere sich befunden hatten, indem sie der Gewaltthätigkeit der Fremden und den Nachstellungen der Landsleute zugleich ausgesetzt gewesen waren. Sie hatte freilich über das Geld, das ihr so zu sagen vom Himmel herabgefallen, Niemand etwas vertraut außer Don Abbondio, zu dem sie jedesmal ging, um sich einen Scudo in kleine Münze umsetzen zu lassen, und ihm immer etwas zurückließ, daß er irgend einem noch Aermern als sie geben sollte. Verborgenes Geld aber erhält den Besitzer, besonders wenn er nicht gewöhnt ist, damit umzugehen, in beständigem Verdacht über den Verdacht anderer. Während also auch sie hier und da versteckte, was sie nicht mit sich nehmen konnte, und an die Scudi dachte, die sie im Schnürleib eingenäht trug, erinnerte sie sich, daß der Ungenannte zugleich mit denselben ihr die freundlichsten Zusicherungen seines Beistandes geschickt hatte; sie erinnerte sich der Dinge, die sie von der sichern Lage seines Schlosses hatte erzählen hören, wohin, ohne den Willen des Gebieters, nur die Vögel gelangen könnten, und sie beschloß dort hinauf zu gehen und um eine Zufluchtsstätte zu bitten. Sie dachte daran, wie sie sich jenem Herrn zu erkennen geben könnte, und da[138] fiel ihr sogleich Don Abbondio ein, der ihr, nach jenem Zwiegespräche mit dem Erzbischofe immer ein ganz besonderes Wohlwollen bezeigt hatte, das um so herzlicher war, da er es an den Tag legen konnte ohne Gefahr dabei zu laufen; die beiden jungen Leute waren fern und es ließ sich daher keine Anforderung an ihn befürchten, welche dieses Wohlwollen auf die Probe gestellt hätte. Sie setzte voraus, daß in einem solchen Wirrwarr der arme Mann noch weit mehr in Angst und Noth sein müßte als sie, und daß der Ausweg auch ihm sehr gut scheinen würde; sie kam also, ihm den Vorschlag zu machen. Da sie ihn mit Perpetua antraf, so stellte sie die Sache allen Beiden vor.

»Was meint Ihr dazu, Perpetua?« fragte Don Abbondio.

»Ich meine, daß es eine Eingebung des Himmels ist, daß man keine Zeit verlieren darf und sich schnell auf die Füße machen muß.«

»Und dann ....«

»Und dann, und dann, wenn wir erst da sind, werden wir uns wohlfühlen. Man weiß jetzt von jenem Herrn, daß er nichts mehr wünscht, als seinem Nächsten einen Dienst zu erweisen; er wird uns herzlich gern bei sich aufnehmen. Dort an der Grenze, so hoch oben werden gewiß keine Soldaten hinkommen. Und dann werden wir dort auch zu essen finden; denn auf den Bergen, wenn dies bischen Gottesgabe alle wäre«, und bei diesen Worten legte sie den Mundvorrath in den Tragkorb auf die Wäsche, »würden wir schlimm dran sein.«

»Bekehrt, er ist also wirklich bekehrt, he?«

»Wie kann man daran noch zweifeln nach alle dem, was man weiß, nach alle dem, was auch Sie gesehen haben?«

»Und wenn wir in einen Käfig hinein gingen?«

»Was Käfig? Mit all' Ihrem Gerede, nehmen Sie mir es nicht übel, kämen wir nimmermehr zu einem Entschluß. Brav Agnese! Ihr habt wirklich einen guten Gedanken gehabt.« Und sie setzte den Korb auf ein Tischchen, fuhr mit den Armen durch die Trageriemen und nahm ihn auf den Rücken.

»Könnte man denn nicht irgend einen Menschen auffinden«, sagte Don Abbondio, »der mit uns käme, um seinem Pfarrer das[139] Geleite zu geben? Wenn wir nun irgend einem Schurken begegneten, denn solcher Kerle treiben sich nur zu viele herum, was für Hülfe könnt ihr beide mir leisten.«

»Wieder etwas Neues um Zeit zu verlieren!« rief Perpetua. »Jetzt geht einmal einen Menschen zu suchen, wo ein Jeder für sich selber zu sorgen hat. Auf! nehmen Sie Gebetbuch und Hut und kommen Sie.«

Don Abbondio ging, kehrte sogleich zurück, das Gebetbuch unterm Arm, den Hut auf dem Kopfe und seinen Wanderstab in der Hand; alle Drei gingen zu einem Pförtchen hinaus, das auf ein Plätzchen führte. Perpetua verschloß es wieder und steckte den Schlüssel in die Tasche, mehr um eine gewohnte Handlung nicht zu unterlassen, als weil sie auf die Sicherheit eines Schlosses und eines Thürflügels getraut hätte. Don Abbondio warf im Vorbeigehen einen Blick auf die Kirche und murmelte zwischen den Zähnen: »der Gemeinde kommt es zu, sie zu bewachen. Wenn ihnen ihre Kirche ein klein wenig am Herzen liegt, so werden sie daran denken; machen sie sich nichts daraus, so müssen sie es verantworten.«

Sie nahmen in aller Stille ihren Weg durch die Felder; Jeder überdachte sein eigenes Schicksal und blickte sich nach allen Seiten um, besonders Don Abbondio, ob irgend eine verdächtige Gestalt, irgend etwas Außergewöhnliches sich sehen ließe. Sie begegneten Niemand; die Leute waren entweder in den Häusern, um sie zu bewachen, um ihre Bündel zu schnüren, um bei Seite zu schaffen, oder auf den Straßen, die geradewegs auf die Anhöhen führten.

Nachdem er viele Seufzer ausgestoßen und sich durch manchen Ausruf Luft gemacht hatte, fing Don Abbondio mehr und mehr an zu brummen. Er band mit dem Herzog von Nevers an, der ruhig in Frankreich es sich hätte wohl sein lassen können und der nun aller Welt zum Trotze Herzog von Mantua sein wollte; mit dem Kaiser, weil er für die Andern hätte Einsicht haben müssen, er konnte das Feuer verrauchen lassen und brauchte nicht so auf seinem Kopf zu bestehen, am Ende wäre er doch immer Kaiser geblieben, ob in Mantua Titus oder Sempronius Herzog wäre.[140] Vor allem aber hatte er es gegen den Statthalter, der alles hätte daran setzen müssen, um die Geißel vom Lande fern zu halten, und er war gerade derjenige, der sie heranzog; alles aus Lust am Kriege. »Die Herren sollten nur einmal hier sein«, sagte er, »und sich die Lust mitansehen. Sie haben Rechenschaft abzulegen! Aber unterdessen kommt der Unschuldige übel dabei weg.«

»Lassen Sie diese Leute doch in Ruhe, denn von denen haben wir keine Hülfe zu erwarten«, sagte Perpetua. »Das sind nun einmal, nehmen Sie's nicht übel, Ihre gewöhnlichen Schwätzereien, die zu nichts nützen. Was mir im Kopfe herumgeht ....«

»Was giebt es?«

Perpetua, welche auf der zurückgelegten Strecke Weges mit Muße über die so schnelle Verbergung der Geräthschaften nachgedacht hatte, brach nun in Klagen aus, daß sie dies und jenes vergessen, etwas Anderes schlecht verwahrt, hier eine Spur zurückgelassen habe, die einem Diebe den Weg weisen könnte, dort ...

»Brav!« sagte Don Abbondio, der sich jetzt für sein Leben sicher genug fühlte, um sich wegen seiner Habe ängstigen zu können, »brav! So habt ihr's gemacht? Wo hattet ihr den Kopf?«

»Wie?« rief Perpetua, blieb einen Augenblick stehen und stemmte die geballten Hände in die Seiten, so gut der Korb es gestattete. »Wie? Sie wollen mir jetzt solche Vorwürfe machen, da Sie es waren, der mir den Kopf verdrehte, anstatt mir zu helfen und mir Muth einzusprechen? Ich habe vielleicht mehr an die Sachen des Hauses als an meine eigenen gedacht; ich habe keine hülfreiche Hand gehabt; ich habe wie Martha und Magdalena schaffen müssen; wenn etwas verloren geht, so weiß ich nicht, was ich sagen soll; ich habe mehr als meine Schuldigkeit gethan.«

Agnese unterbrach diese Zwistigkeiten, indem sie auch von ihrem Unglück zu sprechen anfing; sie beklagte sich nicht so sehr über Unbequemlichkeit und Schaden, als über die entschwundene Hoffnung ihre Lucia bald wieder zu umarmen; denn es war gerade der Herbst, wie man sich erinnern wird, auf den beide ihre Rechnung gemacht hatten; es war aber nicht anzunehmen, daß Donna Prassede unter solchen Umständen nach ihrem Landgute[141] kommen würde; sie würde vielmehr abgereist sein, wenn sie sich daselbst befunden hätte, wie es die andern Landgutbesitzer thaten.

Der Anblick der Gegend erhöhte Agnesens Sehnsucht und stimmte sie noch bitterer. Nachdem sie die Feldwege verlassen, hatten sie die Landstraße betreten, dieselbe, auf welcher die arme Frau ihre Tochter auf so kurze Zeit nach Hause zurückgebracht, nachdem sie mit ihr bei dem Schneider verweilt hatte. Und schon erblickte man das Dorf.

»Wir werden doch bei den guten Leuten mit einsprechen«, sagte Agnese.

»Und auch ein wenig ausruhen, denn der Korb fängt an mir schwer zu werden; auch um einen Bissen zu essen«, sagte Perpetua.

»Unter der Bedingung, daß wir keine Zeit verlieren; wir sind nicht zum Vergnügen auf der Reise«, entschied Don Abbondio.

Sie wurden mit offenen Armen empfangen und mit großer Freude gesehen: sie erinnerten an eine gute That. Thut so viel Gutes, wie Ihr nur könnt, sagt hier unser Autor, und Ihr werdet um so öfter Gesichtern begegnen, die Euch Freude machen.

Indem Agnese die gute Frau umarmte, brach sie in einen Thränenstrom aus, der ihr eine große Erleichterung war; unter Schluchzen antwortete sie auf die Fragen, welche diese und ihr Mann über Lucia an sie richteten.

»Es geht ihr besser als uns«, sagte Don Abbondio, »sie ist in Mailand, außer Gefahr, fern von diesen Teufelsgeschichten hier.«

»Der Herr Pfarrer und die Gesellschaft machen sich auch fort, he?« fragte der Schneider.

»Gewiß«, antworteten, wie aus einem Munde, Herr und Haushälterin.

»Ich bedaure Sie.«

»Wir sind auf dem Wege nach dem Schlosse des ***«, sagte Don Abbondio.

»Das ist ein guter Einfall; da sind sie sicher wie in der Kirche.«

»Und hat man hier keine Furcht?« sagte Don Abbondio.

»Ich will Ihnen sagen, Herr Pfarrer, um sich eigentlich hier häuslich niederzulassen, wie Sie wissen, daß man so zu sagen pflegt, dürfte das Kriegsvolk wohl nicht herkommen; wir liegen[142] ihnen, Dank dem Himmel, zu sehr aus dem Wege; höchstens so auf einen kleinen Abstecher, den Gott verhüten möge. Auf jeden Fall aber hat es damit noch Zeit; man muß erst noch weitere Nachrichten aus den armen Dörfern ab warten, die sie heimsuchen werden.«

Man beschloß hier ein wenig sich zu erholen, und da es Zeit zum Mittagsessen war, sagte der Schneider: »die Herrschaften müssen meinem armen Tische die Ehre anthun und fürlieb nehmen, eine Schüssel und ein freundliches Gesicht.«

Perpetua sagte, sie habe einen kleinen Imbiß bei sich. Nach einigen Umständen von beiden Seiten kam man überein, alles zusammen zu thun, und ein gemeinschaftliches Mahl zu halten.

Die Kinder hatten mit großem Jubel ihre alte Freundin Agnese umringt. Der Schneider befahl einem der Mädchen – derselben, wenn man sich noch erinnert, welche jene Bissen der armen Wittwe Maria hingetragen hatte – vier frühreife Kastanien, die in einem Winkel lagen, aus der Schale zu machen und rösten zu lassen.

»Und du«, sagte er zu einem Jungen, »geh in den Garten, schüttle den Pfirsichbaum und bringe vier abgefallene Früchte her; und du«, sagte er zu dem Andern, »klettere auf den Feigenbaum und nimm vier der reifsten ab. Ihr wißt nur allzu gut damit Bescheid.« Während er ging, eines seiner Fäßchen anzuzapfen, holte die Frau einiges Tischzeug herbei, und Perpetua nahm die Vorräthe heraus; der Tisch ward gedeckt; auf den Ehrenplatz kam für Don Abbondio eine Serviette auf einem Teller von unächtem Porzellan zu liegen, mit einem Bestecke, das Perpetua in dem Korbe hatte. Man setzte sich zu Tische und aß in besserer Stimmung, als irgend einer der Tischgenossen sie an diesem Tage erwartet hatte.

»Was meinen Sie zu einer solchen Verwirrung, Herr Pfarrer?« sagte der Schneider, »es ist als wenn man die Geschichte von den Mauren in Frankreich liest.«

»Was soll man dazu sagen? Mußte mir das auch noch auf den Hals kommen!«[143]

»Sie haben sich aber doch eine gute Zufluchtsstätte gewählt,« fing Jener wieder an, »wer zum Teufel könnte da mit Gewalt hinauf kommen. Sie werden Gesellschaft dort finden, denn es hat schon verlautet, daß sich viele Leute hin geflüchtet haben und daß ihrer stündlich mehr ankommen.«

»Ich will hoffen«, sagte Don Abbondio, »daß wir gut aufgenommen werden. Ich kenne den vortrefflichen Herrn; als ich einmal die Ehre hatte, mit ihm zusammen zu sein, war er sehr artig.«

»Und mir«, sagte Agnese, »mir hat er durch den hochwürdigen Herrn Erzbischof sagen lassen, wenn ich etwas nöthig hätte, sollte ich mich nur an ihn wenden.«

»Eine große, schöne Bekehrung!« rief Don Abbondio aus, »und er hält Stich, nicht wahr? er hält Stich.«

Der Schneider schickte sich nun an, ausführlicher über das heilige Leben des Ungenannten zu sprechen, und wie derselbe aus einer Geißel der Umgegend das Muster und der Wohlthäter für dieselbe geworden sei.

»Und alle die Leute, die er bei sich hatte? die ganze Dienerschaft? ....« fing Don Abbondio wieder an, der schon mehr als einmal davon sprechen gehört hatte, aber noch immer nicht sicher genug war.

»Die Meisten haben sich fortgemacht«, antwortete der Schneider, »und die zurückgeblieben sind, haben ihren Lebenswandel geändert, aber wie! Kurz jenes Schloß ist todt wie Theben geworden.«

Darauf begann er mit Agnese von dem Besuche des Kardinals zu sprechen. »Ein großer Mann!« sagte er, »ein großer Mann! Schade, daß er so Hals über Kopf hier durchgekommen ist, daß ich ihm nicht einmal ein bischen Ehre habe anthun können. Wie froh würde ich sein, ihn noch einmal sprechen zu können, mit ein wenig mehr Ruhe.«

Als sie dann von Tische aufgestanden, machte er seine Gäste auf ein Bildniß des Kardinals aufmerksam, einen Kupferstich, den er aus Verehrung vor dessen Person an einen Thürflügel aufgehangen hatte, zugleich aber auch um einem Jeden, der zu ihm[144] käme, sagen zu können, das Bild sähe ihm nicht ähnlich, denn er habe den Kardinal ganz in der Nähe und mit Gemächlichkeit hier in demselben Zimmer vergleichen können.

»Das Ding da soll den Kardinal vorstellen«, sagte Agnese, »in der Tracht gleicht es ihm, aber ....«

»Nicht wahr, es sieht ihm gar nicht ähnlich?« sagte der Schneider, »ich sage es auch immer; wir sind nicht zu betrügen, he? Es steht aber wenigstens sein Name darunter; es ist ein Andenken.«

Don Abbondio wollte fort; der Schneider erbot sich, eine Barutsche herbeizuschaffen, die sie bis zum Fuße der Anhöhe brächte; er ging sogleich darnach aus und kehrte bald mit der Nachricht zurück, daß sie komme. Darauf wandte er sich zu Don Abbondio und sagte: »Herr Pfarrer, wenn Sie vielleicht zum Zeitvertreib irgend ein Buch dort mit hinauf zu nehmen wünschen, so kann ich Ihnen damit dienen, denn auch ich vertreibe mir die Zeit gern ein wenig mit Lesen. Freilich keine Sachen für Ihres Gleichen, Bücher in der Muttersprache; aber doch ...«

»Danke, danke«, antwortete Don Abbondio, »unter solchen Umständen hat man kaum Sinn für das Allernothwendigste.«

Während man Danksagungen, Glückwünsche für die Zukunft, Einladungen und Versprechungen, bei der Rückkehr einen abermaligen Aufenthalt zu nehmen, gegenseitig austauscht, ist die Barutsche vor der Hausthür angelangt. Die Körbe werden hineingebracht, sie steigen auf und unternehmen mit etwas leichterem und ruhigerem Herzen die zweite Hälfte der Reise.

Der Schneider hatte Don Abbondio über den Ungenannten die Wahrheit gesagt. Von dem Tage an, da wir ihn verlassen, hatte er unablässig so gehandelt, wie er es sich damals vorgenommen; er entschädigte für Verluste, stiftete Frieden, lieh den Armen seinen Beistand und benutzte jede Gelegenheit, um Gutes zu thun. Den Muth, welchen er sonst bewiesen hatte, wenn er einen Angriff machte, oder sich zur Wehre setzte, zeigte er jetzt in der Unterlassung des Einen wie des Andern. Er ging ohne Waffen, immer allein, bereit, alles zu dulden, was ihm nach so vielen Gewaltthätigkeiten widerfahren könnte, überzeugt, daß er[145] eine neue begehen würde, wenn er Gewalt brauchte, um den zu vertheidigen, der so viel an so viele verschuldet hatte; überzeugt, daß jedes Böse, was ihm geschähe, im Hinblick auf Gott ein Unrecht, für ihn aber eine gerechte Vergeltung wäre, und daß es ihm weniger als jedem Andern zustände, sich zum Bestrafer des Unrechts aufzuwerfen. Bei alledem war er nicht weniger unangefochten geblieben, als zu der Zeit, wo er zu seiner Sicherheit so viele Arme nebst seinem eigenen bewaffnet hielt. Die Erinnerung an die alte Wildheit und der Anblick der gegenwärtigen Zahmheit, von der jene so viele Wünsche nach Rache hinterlassen haben mußte und diese die Befriedigung so leicht machte, erwarben und erhielten ihm eine Bewunderung, welche ihm vorzugsweise zur Schutzwache diente. Er war der Mann, den Niemand zu demüthigen vermocht und der sich selbst gedemüthigt hatte. Der Groll, sonst durch seine Verachtung und durch die Furcht der Andern erregt, verschwand jetzt vor dieser neuen Demuth; die Beleidigten hatten gegen alle Erwartung und ohne Gefahr eine Genugthuung erhalten, die sie sich von der gelungensten Rache nicht hätten versprechen können, die Genugthuung, einen solchen Mann sein Unrecht bereuen und gewissermaßen ihre Entrüstung theilen zu sehen.

Mehr als Einer, dessen bitterste und heftigste Kränkung es viele Jahre hindurch gewesen war, keine Wahrscheinlichkeit vor sich zu sehen, als der Stärkere, ihm jemals irgend eine Bosheit vergelten zu können, fühlte dennoch, wenn er ihm jetzt allein, waffenlos und in der Haltung eines Menschen begegnete, der keinen Widerstand leisten würde, keine andere Regung, als ihm Ehrfurcht zu erweisen. Mit dieser freiwilligen Erniedrigung hatte seine Persönlichkeit und sein Benehmen, ohne daß er es wußte, eine gewisse Hoheit erlangt, denn man sah daraus noch deutlicher als vorher die Verachtung jeder Gefahr. Auch der roheste und wüthendste Haß fühlte sich durch die allgemeine Verehrung des reuigen und wohlthätigen Mannes wie gebunden und zur Achtung getrieben. Die Verehrung war so groß, daß er oft durch die Ehrenbezeigungen, die ihm erwiesen wurden, in Verlegenheit gerieth und, um sich ihrer zu erwehren, Sorge tragen mußte, in seinem Gesichte und in seinen Geberden das innere Gefühl der[146] Zerknirschung nicht allzu sehr durchscheinen zu lassen und sich nicht allzu sehr zu erniedrigen, um nicht zu hoch erhoben zu werden. In der Kirche hatte er sich den letzten Platz gewählt, und Niemand würde gewagt haben, ihm denselben zu nehmen; es hätte geschienen, als wollte man sich einen Ehrenplatz anmaßen; den Mann aber zu beleidigen oder unehrerbietig zu behandeln, galt weniger für eine Unverschämtheit und Niederträchtigkeit, als vielmehr für eine Entheiligung, und selbst diejenigen, welchen dies Gefühl der Andern nur zum Zügel diente, theilten es am Ende mehr oder weniger.

Eben diese und andere Ursachen wandten auch die Ahndung der öffentlichen Gewalt von ihm ab und verschafften ihm auch von dieser Seite die Sicherheit, um die er sich kaum bekümmerte. Stand und Verwandtschaften, die jeder Zeit ihm mit zur Vertheidigung gedient hatten, kamen ihm jetzt um so mehr zu statten, da sich zu diesem schon berühmten und berüchtigten Namen noch der Ruhm der Bekehrung gesellte. Die Obrigkeit und die Großen hatten sich öffentlich wie das Volk darüber gefreut, und es würde seltsam geschienen haben, gegen einen Mann aufzutreten, welcher der Gegenstand so vieler Glückwünsche geworden war. Außerdem konnte eine Macht, die in einem fortwährenden und oft unglücklichen Krieg gegen heftige und erneuerte Empörungen verwickelt war, sich hinreichend zufrieden fühlen, von der unbändigsten und lästigsten befreit zu sein, so daß sie nicht von neuem anband, um so mehr als die Bekehrung Verbesserungen hervorbrachte, welche jene Macht nicht im Stande war zu bewirken, noch weniger zu fordern. Einen frommen Mann zu quälen, schien kein geeignetes Mittel, die Schande auszulöschen, daß man einen Ruchlosen nicht habe überwältigen können, und das Beispiel, das man durch seine Bestrafung gegeben hätte, würde keinen andern Erfolg gehabt haben, als seines Gleichen zu zwingen, ihre Angriffe nicht aufzugeben. Wahrscheinlich diente auch der Antheil, welchen der Kardinal Federigo an der Bekehrung hatte, und daß sein Name mit dem des Bekehrten verbunden war, diesem wie ein geweihtes Schild. Und bei jenem Stande der Dinge und der Begriffe, bei den eigenthümlichen Verhältnissen der geistlichen Würden und der weltlichen[147] Macht, die so oft mit einander sich bekämpften, ohne daß es jemals die eine auf die Vernichtung der andern abgesehen, indem sie immer in die Feindseligkeiten, Zeichen der Anerkennung und Betheurungen der Ergebenheit mischten, nur zu oft ein gemeinsames Ziel verfolgend, ohne jemals Frieden zu schließen, konnte es in gewisser Art scheinen, daß die Versöhnung der ersten Vergessenheit, wenn nicht Lossprechung von Seiten der andern mit sich brächte, da jene sich allein bemüht hatte, eine von beiden gewünschte Wirkung hervorzubringen. So wurde dieser Mann, auf welchen, wenn er gefallen wäre, Groß und Klein sich um die Wette gestürzt hätte, um ihn mit Füßen zu treten, jetzt, da er sich freiwillig unterworfen hatte, von allen verschont und ihm von vielen gehuldigt.

Es ist wahr, daß es auch Viele gab, denen diese Aufsehen machende Sinnesänderung durchaus nicht behagte: den vielen besoldeten Vollziehern von Verbrechen, den vielen Gefährten von Verbrechen, die eine so große Stütze verloren, auf die sie gewohnt gewesen waren zu rechnen und denen jetzt plötzlich, vielleicht in dem Augenblick, als sie die Nachricht zur Vollziehung erwarteten, die Fäden von Anschlägen zerrissen wurden, die sie seit lange gesponnen hatten. Aber wir haben schon gesehen, welche verschiedene Empfindungen jene Bekehrung in den Raufern erzeugte, die sich damals bei ihrem Gebieter befanden und dieselbe aus seinem Munde verkündigen hörten: Erstaunen, Schmerz, Niedergeschlagenheit, Aerger, ein wenig von allem, außer Haß oder Verachtung. Das Nämliche widerfuhr den Andern, die sich auf den verschiedenen Posten aufhielten, das Nämliche seinen Mitschuldigen höhern Ansehens, als sie die schreckliche Nachricht erfuhren, und Allen aus den nämlichen Gründen. Viel von dem Haß fiel, wie ich in einer anderswo angeführten Stelle des Ripamonti finde, auf den Kardinal Federigo. Sie betrachteten diesen wie einen, der sich in ihre Angelegenheiten gemischt, um sie zu Grunde zu richten; der Ungenannte aber hatte seine Seele retten wollen Niemand hatte ein Recht, sich darüber zu beklagen.

Nach und nach hatte sich darauf der größte Theil der im Hause sich aufhaltenden Schurken davon gemacht, da sie sich weder[148] in die neue Disciplin fügen konnten, noch die Wahrscheinlichkeit vor Augen sahen, daß diese jemals sich ändern würde.

Als nun beim Heranziehen der deutschen Truppen einige Flüchtlinge aus den überschwemmten oder bedrohten Ortschaften nach dem Schlosse herauf kamen und um Aufnahme baten, war der Ungenannte hoch erfreut, daß die Hülflosen eine Zufluchtsstätte in seinen Mauern suchten, die sie seit so langer Zeit wie eine Mördergrube angesehen hatten. Er bewillkommte die Vertriebenen eher mit Ausdrücken der Dankbarkeit als der Höflichkeit und ließ bekannt machen, daß sein Haus einem Jeden offen stände, der sich dahin flüchten wollte. Auch war er sogleich darauf bedacht, Schloß und Thal in Vertheidigungszustand zu setzen, falls Lanzknechte oder Cappellettis versuchen wollten, auch hier ihr Wesen zu treiben. Er versammelte die ihm noch gebliebenen Diener, die gering an Zahl, aber bewährt, wie die Verse des Torti, hielt ihnen eine Rede über die gute Gelegenheit, die Gott ihnen und ihm gäbe, einmal zum Beistande des Nächsten mitwirken zu können, den sie so oft in Schrecken gesetzt hatten, und mit dem alten gebietenden Tone, welcher die Gewißheit des Gehorsams ausdrückte, verkündigte er ihnen im Allgemeinen, was sie seiner Absicht nach thun sollten; vor allem schrieb er ihnen vor, wie sie sich zu betragen hätten, damit die Leute, die eine Zufluchtstätte hier suchten, nur Freunde und Vertheidiger in ihnen erblickten. Alsdann ließ er die Schießgewehre, Schwerter und Spieße aus einer Dachstube herabholen, wo sie seit einiger Zeit zusammengeworfen lagen, und vertheilte sie unter seine Leute. Seinen Landleuten und Pächtern im Thale ließ er sagen, wer Muth hätte, möchte bewaffnet nach dem Schlosse kommen; wer keine Waffen hatte, dem gab er welche; einige wählte er zu Anführern, unter deren Befehl die andern stehen sollten. Er bestimmte die Posten an den Eingängen und den verschiedenen Punkten des Thales, auf dem Bergwege und an den Thoren des Schlosses und setzte die Stunden fest und die Art der Ablösung, wie in einem Feldlager oder wie es in dem nämlichen Schlosse in den Zeiten seines wüsten Lebens schon Sitte gewesen war.

In einem Winkel jener Dachstube lagen, abgesondert von dem[149] übrigen Haufen, die Waffen, die er allein getragen hatte: sein berüchtigter Karabiner, Flinten, Schwerter, Degen, Pistolen, lange Messer und Dolche, auf der Erde oder an die Mauer gelehnt. Keiner der Diener rührte sie an; sie beeiferten sich aber, den Herrn zu fragen, welche er gebracht zu haben wünschte. »Keine«, antwortete er; und war es nun Vorsatz oder Gelübde, er blieb immer unbewaffnet an der Spitze jener Art von Besatzung.

Zugleich hatte er andere männliche und weibliche Dienstleute oder seine Unterthanen in Bewegung gesetzt, um im Schlosse für so viele Menschen als möglich Wohnungen zu bereiten, Betten aufzuschlagen, Strohsäcke und Decken in den Zimmern zurecht zu legen, die zu Schlafstätten bestimmt wurden. Vor allem hatte er Befehl gegeben, Vorräthe von Lebensmitteln kommen zu lassen, um die Gäste zu beköstigen, die Gott ihm zusenden würde und die in der That von Tag zu Tag sich vermehrten. Während dessen war er selbst niemals unthätig; man sah ihn drinnen im Schlosse und draußen, oben auf dem Berge und unten am Fuße, an allen Punkten im Thale, um die Wachen auszustellen, zu verstärken, zu untersuchen, um nachzusehen, um sich selbst sehen zu lassen, um durch Worte, Blicke und Gegenwart alles in Ordnung zu bringen und zu erhalten. Im Hause, auf der Straße bewillkommte er alle Ankommenden. Alle, sie mochten den Mann schon gesehen haben oder ihn zum ersten Male sehen, betrachteten ihn mit Entzücken, vergaßen einen Augenblick ihr Unglück und die Furcht, die sie hergetrieben hatte; sie wandten sich noch einmal zurück, ihm nachzusehen, wenn er seinen Weg schon wieder fortsetzte.[150]

Quelle:
Manzoni, [Alessandro]: Die Verlobten. 2 Bände, Leipzig, Wien [o. J.], Band 2, S. 135-151.
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Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

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