Vierzehntes Kapitel.

[246] Die zurückgebliebene Menge fing an sich zu zerstreuen und verlief sich rechts und links in diese und jene Gasse. Die Aufräumung fand allmählich auch am andern Ende der Straße statt, wo das Volk nur noch in so geringer Anzahl vorhanden war, daß die kleine Mannschaft der Spanier, ohne auf Widerstand zu stoßen, vorrücken und sich an dem Hause des Proviantverwalters aufstellen konnte. Hier hatte sich, so zu sagen, die Hefe des Aufruhrs festgesetzt; eine Schaar von Raubgesindel, welches, mit dem kläglichen, unvollkommenen Ausgang einer so großen Zurüstung mißvergnügt, murrte und fluchte; sie überlegten, ob sich noch irgend etwas unternehmen lasse, und zum Versuche gleichsam rüttelten und stießen sie an die unglückliche Thür, die, so gut es ging, erst wieder zurecht gemacht worden war. Als nun die Mannschaft heranrückte, brachen jene, ohne sich zu besinnen, auf, machten sich nach der entgegengesetzten Richtung davon und räumten den Soldaten das Feld, die sich auch sogleich zur Bewachung des Hauses und der Straße daselbst aufstellten.

Alle umliegenden Straßen waren mit Menschen wie besäet; wo zwei oder drei zusammenstanden, da traten gleich noch drei, vier, zwanzig Andere hinzu; es war wie eines jener Gewölke, welches zuweilen nach einem Ungewitter an dem wieder klar gewordenen Himmel zurückbleibt und von dem die Leute, die hinauf blicken, zu sagen pflegen: das Wetter hat sich noch nicht ganz wieder aufgeklärt.

Inzwischen war die Sonne untergegangen und Alles kam nach und nach wieder ins Gleichgewicht; von dem schweren Tagewerk ermüdet und überdrüssig, in der Dunkelheit noch länger zu schwatzen, kehrten Viele nach Hause zurück. Unser junger Renzo hatte das Vorwärtskommen der Kutsche unterstützt, so lange Hülfe nöthig gewesen; zwischen den Soldatenreihen war auch er wie im Siegeszuge mit hinterher geschritten und freute sich, als er sie außer Gefahr frei und schnell dahin rollen sah; darauf legte[246] er eine Strecke Weges mit der Menge zurück, die er aber bei der ersten Straße verließ, um ein wenig frischere Luft zu schöpfen. Nachdem er einige Schritte gethan, empfand er, mitten im Drange so vieler Gemüthsbewegungen und verworrener Eindrücke, das Bedürfniß nach Speise und Ruhe; er sah zu beiden Seiten überall an den Häusern hinauf, ob sich nicht hier oder dort das Schild eines Wirthshauses blicken ließe; denn noch nach dem Kapuzinerkloster zu gehen, war es zu spät. Als er so umherspähend weiter schritt, stieß er auf einen Volkshaufen; er blieb stehen und hörte, daß von Plänen und Vorschlägen für den folgenden Tag die Rede war. Nachdem er so einen Augenblick zugehört hatte, konnte er sich nicht enthalten, auch ein Wörtchen mit drein zu sprechen; weil er sichs den Tag über hatte so sauer werden lassen, meinte er sich dies Recht erworben zu haben. »Meine Herren«, rief er im Rednertone, »meine Herren, darf auch ich meine schlichte Meinung abgeben? Meine schlichte Meinung ist, daß die Ungerechtigkeiten nicht blos in den Brodangelegenheiten begangen werden; und da man nun heute klar erkannt hat, daß man Alles erlangen kann, was recht ist, wenn man es nur anzubringen weiß; man muß also auf diesem Wege weiter schreiten, so lange, bis allen übrigen Schurkereien abgeholfen ist und es in der Welt endlich einmal ein bischen christlicher hergeht. Ist es nicht so, meine Herren? Haben wir nicht eine Hand voll Tyrannen, welche die zehn Gebote um und umkehren, welche die friedlichen Menschen, die ihnen nichts zu Leide thun, mit allerlei Bosheiten verfolgen und die doch zuletzt immer Recht behalten? Und die, wenn sie einmal einen noch ärgern Schurkenstreich als gewöhnlich ausgeführt haben, den Kopf erst recht in die Höhe tragen? Auch hier in Mailand sitzen gewiß solche Schufte genug.«

»Nur zu viele!« rief eine Stimme.

»Ich sage es euch«, nahm Renzo wieder das Wort, »wir wissen auch eine Geschichte davon zu erzählen. Auch spricht die Sache schon für sich selbst. Nehmen wir nur einmal an, daß so Einer von denen, die ich meine, mit dem einen Fuße draußen, mit dem andern in Mailand steht, und wenn er dort, denk' ich,[247] den Teufel macht, so wird er hier gewiß nicht den Engel spielen. Sagen Sie mir also, meine Herren, ob Sie wohl jemals so Einen hinter einem Gefängnißgitter gesehen haben? Und was das Schlimmste ist, ich kann es wahr und wahrhaftig bezeugen, es sind gedruckte Verordnungen vorhanden, um sie zu bestrafen; ganz vortreffliche Verordnungen, die Hand und Fuß haben, wie sie gar nicht besser gemacht werden können; die Schurkereien sind deutlich darin aufgezählt, wie sie aufeinander folgen; und für jede eine tüchtige Strafe; ohne Ausnahme für vornehme und geringe Leute. Nun geht aber einmal hin zu den Doktoren, Schriftgelehrten und Pharisäern und fordert, daß sie euch Gerechtigkeit verschaffen, wie es in den Verordnungen steht; sie geben euch Gehör, wie der Papst den Spitzbuben, daß jeder rechtschaffene Mensch den Verstand darüber verliert. Man sieht aus den Verordnungen ganz klar, daß der König und diejenigen, die an der Spitze der Regierung stehen, die Schurken bestrafen wollen; diese verlachen aber die Strafen, weil sie Alle unter Einer Decke stecken, weil sie ein Bündniß geschlossen haben. Dieses muß man zerreißen; man muß morgen früh zu Ferrer gehen, der ist ein rechtschaffener Mann, ein hülfreicher Herr; man hat's ja heute sehen können, wie glücklich er unter den armen Leuten war, mit welcher Aufmerksamkeit er Alles mit anhörte, was man ihm sagte und mit welcher freundlichen Herablassung er darauf antwortete. Man muß also zu Ferrer gehen, und ihm gerade heraussagen, wie die Sachen stehen, und ich, für mein Theil, ich kann ihm schöne Geschichten erzählen; mit meinen eigenen Augen habe ich so eine Verordnung gesehen, die von Dreien verfaßt war, die im Lande etwas durchsetzen können; Jeder hatte seinen Namen groß und breit darunter gesetzt, und Einer von ihnen hieß Ferrer, das habe ich mit meinen eigenen Augen gelesen, denn die Verordnung war wie für mich geschrieben, und so ein Doktor, den ich zu Rathe zog, um mir Gerechtigkeit zu verschaffen, wie's der Wille jener drei Herren ist, zu denen auch Ferrer gehört, derselbe Doktor, der mir die Verordnung selber gezeigt hatte, was das Schönste ist, ha, ha! der stellte sich, als ob er es mit einem Verrückten zu thun hätte. Ich bin gewiß, wenn der liebe, alte, ehrwürdige Herr diese[248] sauberen Geschichtchen erfährt, – denn er kann nicht Alles wissen, besonders was draußen geschieht, so wird er nicht wollen, daß es in der Welt noch länger so zugeht und uns mit seiner Hülfe beistehen. Es muß den Herren selber, welche die Verordnungen ausstellen, eine Freude machen, wenn man sie befolgt, selbst wenn sie sich auch nichts daraus machten, daß ihre Namen so schändlich mißbraucht werden. Und wenn die Gewaltthätigen nicht klein beigeben wollen, und ihren Kopf aufsetzen, so wollen wir Ferrer helfen, ihnen Recht und Ordnung beizubringen, wie es heute schon geschehen ist. Ich meine nicht, daß er in der Kutsche herumfahren soll, um alle diese gewaltthätigen, übermüthigen Schurken zu erwischen – da müßten wir erst eine Arche Noah bauen; er soll nur den rechten Leuten seine Befehle geben, nicht nur in Mailand, sondern überall, daß sie die Verordnungen aufrecht erhalten und Allen, die solche Schurkenstreiche ausführen, mit den Waffen der Gerechtigkeit ordentlich zu Leibe gehen; und wo es heißt: Gefängniß – Wohlan! ohne Umstände ins Gefängniß; und wo es heißt: Galeere – fort! auf die Galeere; die Bürgermeister müssen ihre Schuldigkeit thun, wo nicht, jagt man sie fort, und setzt bessere an ihren Platz; und dann, wie ich sage, sind wir auch noch zur Noth bei der Hand. Auch den Doktoren muß anbefohlen werden, daß sie den armen Leuten Gehör geben, nach Pflicht und Gewissen für sie sprechen und ihre Rechte vertheidigen. Habe ich nicht Recht, meine Herren?«

Renzo hatte so aus seiner Seele herausgesprochen, daß vom ersten Worte an ein großer Theil der Versammelten jedes andere Gespräch abbrach und sich zu ihm hinwandte, um ihm zuzuhören; am Ende waren sie Alle seine Zuhörer geworden. Ein verworrenes Beifallsgetöse brach los: »Bravo; gewiß; er hat Recht«, erscholl es von allen Seiten. Es fehlte aber auch nicht an Tadlern. »Ei ja«, sagte Einer, »hört nur auf das Volk aus dem Gebirge; die haben Alle klug reden.« »Jetzt«, brummte ein Anderer, »will jeder Lump seinen Senf dazu geben; und damit, daß sie immer mehr Oel ins Feuer gießen, werden wir das Brod nicht billiger kriegen.«

Renzo vernahm aber nur die Lobsprüche; der Eine nahm ihn[249] bei dieser, der Andere bei jener Hand. »Auf Wiedersehen, morgen. – Wo? – Auf dem Domplatz. – Abgemacht. – Gut. – Es muß Etwas geschehen. – Es geschieht in jedem Falle Etwas.«

»Wer von den lieben Herren weist mir denn wohl ein Wirthshaus nach, wo ich einen Bissen essen kann und eine billige Schlafstätte finde?« fragte Renzo.

»Ich kann Euch darin dienen, mein Lieber«, sagte Einer, der sehr aufmerksam Renzo's Rede mitangehört und der bis jetzt noch kein Wort gesprochen hatte. »Ich weiß ein Wirthshaus, das für Euch paßt; ich werde Euch dem Wirth empfehlen, er ist mein Freund und ein rechtschaffener Mann.«

»Hier nahe bei?« fragte Renzo.

»Nicht weit von hier«, erwiederte Jener.

Die Versammlung ging auseinander; und unserm Renzo drückten beim Weggehen Viele, die er nie gesehen, freundschaftlich die Hand. Er machte sich mit dem Unbekannten auf den Weg nach dem Wirthshause, und dankte ihm für seine Gefälligkeit.

»Hat nichts zu sagen«, sagte Jener, »eine Hand wäscht die andere und beide das Gesicht. Ist es nicht Christenpflicht, seinem Nächsten weiter helfen?« – Unterwegs that er im Laufe des Gesprächs bald diese, bald jene Frage an Renzo. – »Nicht aus Neugierde, um mich in eure Angelegenheiten zu mischen; aber Ihr scheint mir sehr müde zu sein, woher kommt Ihr

»Ich komme von Lecco her«, erwiederte Renzo.

»Von Lecco? Aus Lecco seid Ihr

»Aus Lecco ... das heißt, aus der Gegend.«

»Armer junger Mann! so viel ich aus euren Reden gemerkt, müssen sie Euch dort arg mitgespielt haben.«

»Ei, mein guter Herr, ich habe ein wenig vorsichtig in meinen Reden sein müssen, um meine Sache nicht so öffentlich Preis zu geben; aber ... genug, sie kommt eines Tages ans Licht; und dann ... Aber hier ist ja ein Wirthshausschild; meiner Treu, ich habe nicht Lust, noch weiter zu gehen.«[250]

»Nein, nein, kommt mit, wohin ich Euch gesagt habe«, meinte der Führer, »es ist nicht mehr weit; hier seid Ihr nicht gut aufgehoben.«

»Ei, ich bin kein vornehmes, verwöhntes Herrchen«, erwiederte Renzo, »wenn ich nur meinen Hunger stillen kann und einen Strohsack habe, so bin ich zufrieden; es liegt mir nur daran, Beides so schnell als möglich zu bekommen. Gott mit Euch!« Und so trat er in eine Thür, über welcher der Vollmond als Wirthshausschild hing.

»Gut«, sagte der Unbekannte, »ich werde Euch hineinbegleiten, weil Ihr nicht anders wollt;« und er ging mit.

»Bemüht Euch nicht weiter«, bat Renzo. »Doch wenn Ihr wollt«, fügte er hinzu, »so macht mir die Freude, einen Becher mit mir zu leeren.«

»Ich nehme eure freundliche Einladung an«, versetzte Jener und schritt als ein Ortskundiger über einen kleinen Hof Renzo voran; ging an eine Thür, die in die Küche führte, drückte auf die Klinke, öffnete und trat mit seinem Gefährten ein. Dort brannten zwei Laternen an Stangen befestigt, die vom Querbalken der Decke herabhingen. Viele Leute saßen hier und da auf Bänken um einen schmalen Tisch herum, der fast die ganze eine Seite des Zimmers einnahm; hier stand ein Gedeck und ein aufgetragenes Gericht; dort wurden Karten gemischt und ausgespielt, weiterhin Würfel geworfen; Flaschen und Becher standen überall. Auch rollten Berlinghen, Realen und Parpagliolen über den Tisch hin. Der Lärm war groß. Ein junger Bursche lief in eiliger Geschäftigkeit hin und her und bediente Esser und Spieler zugleich; der Wirth saß auf einer kleinen Bank am Feuerherde und schien gedankenlos mit der Feuerzange in der Asche zu spielen; in der That aber spitzte er auf Alles die Ohren, was um ihn herum vorging. Als er die Thürklinke aufdrücken hörte, stand er auf, und ging den Hereintretenden entgegen. – Verwünscht! – dachte er – als er den Führer zu Gesichte bekam; – verwünscht! mußt du mir denn immer in den Weg kommen, wenn ich dich am wenigsten brauchen kann! – Darauf warf er schnell einen Blick auf Renzo; dich kenne ich nicht – sprach er für sich – da du aber mit[251] so einem Jäger kommst, mußt du entweder Hund oder Hase sein; hast du nur erst den Mund aufgethan, dann weiß ich, wer du bist. Von diesem Selbstgespräche war jedoch nichts auf dem Gesichte des Wirthes zu merken, welches unbeweglich blieb wie ein Bild; ein dickes, glänzendes Gesicht, mit einem dichten röthlichen Bärtchen und zwei kleinen, sehr schlauen Augen.

»Was befehlen die Herren?« fragte er.

»Vor allem eine Flasche guten, herzhaften Wein«, sagte Renzo, »und dann einen Imbiß.« Mit diesen Worten setzte er sich am Ende des Tisches auf eine Bank nieder und ließ ein lautes »Ah!« hören, als wollte er sagen: es ist doch schön, wenn man nach so vielstündigem Umherlaufen endlich zum Sitzen kommt. Auch dachte er dabei sogleich an den Tisch und die Bank, wo er zuletzt mit Lucien und Agnesen gesessen, und er stieß einen Seufzer aus. Dann schüttelte er leise mit dem Kopfe, als wollte er sich den Gedanken aus dem Sinn schlagen. Der Wirth brachte den Wein. Der Begleiter hatte sich Renzo gegenüber gesetzt. Dieser schenkte ihm sogleich ein und sagte: »um die Lippen anzufeuchten.« Darauf füllte er den andern Becher und stürzte ihn in einem Zuge hinunter.

»Was habt Ihr zu essen?« fragte er den Wirth.

»Wie ists mit einem guten Stück Schmorfleisch?« sagte dieser.

»Sehr gut; ein Stück Schmorfleisch, Herr.«

»Ihr sollt sogleich bedient sein«, erwiederte der Wirth und sagte zu seinem Burschen: »für den fremden Herrn gedeckt«, darauf ging er wieder nach dem Feuerherde. »Aber ...«, nahm er zurückkehrend zu Renzo gewendet das Wort, »aber Brod, Brod habe ich heute nicht.«

»Für Brod hat die Vorsehung gesorgt«, sagte Renzo lachend mit lauter Stimme. Dabei zog er das dritte und letzte jener Brode aus der Tasche, die er bei der Säule des heiligen Dionysius aufgenommen hatte, hielt es in die Höhe und rief aus: »Hier ist das Brod der Vorsehung!«

Bei diesem Ausruf wandten sich Viele nach ihm hin; und als sie die Siegesbeute erblickten, schrie einer: »Es lebe das wohlfeile Brod!«[252]

»Wohlfeil?« sagte Renzo, »gratis et amore.«

»Desto besser, desto besser.«

»Aber«, fügte Renzo sogleich hinzu, »ich möchte doch nicht, daß die Herren Uebles von mir dächten. Ich habe nicht etwa, wie man zu sagen pflegt, lange Finger darnach gemacht. Ich habe es auf der Erde gefunden; und wenn ich den Eigenthümer finden könnte, so bin ich bereit, es ihm zu bezahlen.«

»Bravo! Bravo!« schrie die Gesellschaft und brach in ein lautes Gelächter aus; denn es fiel Keinem ein, zu glauben, daß diese Worte im Ernste gesprochen wären.

»Sie glauben, ich scherze mit Ihnen«, sagte Renzo zu seinem Gefährten, »es ist aber wirklich so; seht«, fügte er hinzu, indem er das Brod in der Hand hin und her drehte, »seht, wie sie es zugerichtet haben; es ist ganz zerquetscht. Es ging aber auch arg dabei zu. Wenn welche mit schwachen Rippen darunter waren, so werden sie wohl genug gekriegt haben.« Darauf verzehrte er einige Bissen von dem Brode, schickte ihnen einen zweiten Becher Wein nach und fuhr fort, »das Brod allein will nicht recht rutschen. Die Kehle ist mir in meinem Leben noch nicht so trocken gewesen. Das kommt von dem vielen Schreien!«

»Richtet ein gutes Bett für den braven jungen Mann her«, sagte der Führer, »er will hier übernachten.«

»Ihr wollt hier schlafen?« fragte der Wirth Renzo und trat an den Tisch heran.

»Jawohl«, antwortete dieser, »ein Bett, wie es auch ist; ich bin zufrieden, wenns nur frisch bezogen ist; ich bin zwar ein armer Junge, aber an Reinlichkeit gewöhnt.«

»O, was das betrifft«, sagte der Wirth und ging an einen Tisch, der in einer Ecke stand, kam darauf zurück, in der einen Hand das Dintenfaß und ein Blatt weißes Papier, in der andern eine Feder.

»Was soll das heißen?« rief Renzo aus, der eben einen Bissen von dem Schmorfleisch verschlang, welches der Bursche vor ihn auf den Tisch gestellt hatte. »Ist das etwa das frisch gewaschene Bettlaken?«[253]

Ohne zu antworten, stellte der Wirth das Dintenfaß auf den Tisch und legte das Stück Papier daneben; dann bückte er sich und stützte auf denselben Tisch den linken Arm und den rechten Ellenbogen, hielt die Feder in die Höhe, sah Renzo an und sagte: »Seid so gut mir euren Namen, Zunamen und Geburtsort anzugeben.«

»Was soll das bedeuten«, sagte Renzo, »was haben diese Geschichten mit dem Bett zu schaffen?«

»Ich thue meine Schuldigkeit«, sagte der Wirth, und bedeutungsvoll sah er dabei den Begleiter Renzo's an. »Wir Wirthe sind verpflichtet, über jeden Gast, den wir beherbergen, genauen Bericht zu erstatten; ›Name und Zuname, Geburtsort, was für ein Geschäft ihn herführt, ob er Waffen trägt ... wie lange er in dieser Stadt verweilen will ...‹ So lautet die Verordnung.«

Ehe Renzo antwortete, leerte er noch einen Becher; es war der dritte; und von jetzt an, fürchte ich, werden wir sie nicht mehr zählen können.

»Ah, ah! Ihr habt auch so eine Verordnung!« sagte er dann. »Nun will ich einmal annehmen, daß ich ein Rechtsgelehrter bin, und daß ich genau weiß, wie man mit solchen Verordnungen umzuspringen hat

»Ich spreche im Ernste«, sagte der Wirth und sah dabei immer noch Renzo's Führer an, der keinen Laut von sich gab; darauf ging er wieder an den Tisch und nahm einen großen Bogen, ein Exemplar einer solchen Verordnung heraus, und faltete ihn vor Renzo's Augen auseinander.

»Ah! siehe da!« rief dieser aus und hob mit der einen Hand den wieder gefüllten Becher, leerte ihn schnell und streckte die andere Hand nach der entfalteten Verordnung aus; »das ist also der schöne Bogen, der das Gesetz enthält. Ja, ja, ich freue mich unendlich darüber. Ich kenne das artige Wappen; ich weiß, was das Arianergesicht mit der Schlinge um den Hals zu bedeuten hat. (Ueber den Verordnungen stand damals das Wappen des Statthalters; Don Gonzalo Fernandez de Cordova's Wappen zeigte einen am Halse festgeketteten Mohrenkönig.) Es will[254] sagen: wer kann, befiehlt, und wer will, gehorcht. Wenn das Gesicht einmal einen gewissen Herrn Don ... auf die Galeeren geschickt haben wird, wie's auf einem andern schönen Bogen, dem hier ganz ähnlich, geschrieben steht; wenn das Gesicht hier einmal dafür gesorgt haben wird, daß ein ehrlicher Junge ein ehrliches Mädchen, die mit ihm verlobt ist, heiraten kann, dann will ich dem Gesichte meinen Namen sagen und will ihm noch einen Kuß dazu geben. Ich kann sehr gute Gründe haben, ihm meinen Namen nicht zu sagen. O das wäre schön! Wenn nun so ein vornehmer Schurke, der noch so ein Häufchen Schurken in seinem Dienste hat – denn, wenn er allein wäre ...« er schloß den Satz mit einer Geberde – »wenn so ein Schurke wissen wollte, wer und woher ich bin, um mir einen garstigen Streich zu spielen, so frage ich, würde sich das Gesicht hier wohl rühren, mir Beistand zu leisten? Ich soll angeben, was ich hier will! Das ist auch etwas ganz Neues. Setzen wir den Fall, ich bin nach Mailand gekommen, um zu beichten, aber ich will, so zu sagen, bei einem Pater Kapuziner, und nicht bei einem Gastwirth beichten.«

Der Wirth schwieg still und sah wieder den Führer an, der sich ebenfalls ruhig verhielt. Renzo, es thut uns leid, es sagen zu müssen, stürzte abermals einen Becher hinunter, und fuhr fort:

»Ich werde dir einen Grund angeben, mein lieber Wirth, der dich aufklären wird. Wenn die Verordnungen, die zum Nutzen und Frommen guter Christen da sind, schon nichts ausrichten, so läßt sich mit denen, die zu ihrem Schaden abgefaßt sind, noch weniger ausrichten. Darum packt nur den ganzen Kram da wieder weg und bringt dafür eine Flasche her, denn die hier hat einen Sprung.« Bei diesen Worten schlug er mit den Knöcheln der Hand leicht dagegen und sagte: »Hörst du, Wirth, wie hohl das klingt?«

Auch dieses Mal hatten Renzo's Aeußerungen die Aufmerksamkeit der Anwesenden erregt; und als er ausgeredet, stimmten ihm auch dies Mal seine Zuhörer bei.

»Was soll ich da machen?« sagte der Wirth und blickte den Unbekannten an, der für ihn kein Unbekannter war.[255]

»Weg, weg damit«, schrien viele der Gäste; »der junge Landmann hat Recht; es sind nichts als Prellereien, Betrügereien und Quälereien; wir brauchen von heute an neue Gesetze, neue Gesetze!«

Während dieses Geschreies warf der Unbekannte dem Gastwirth einen Blick zu, der ihm sein allzu offenes Ausfragen vorwarf. »Laßt ihn nur einmal seinen Willen«, sagte er, »gebt Euch zufrieden und macht kein Aufsehen.«

»Nun, ich habe meine Schuldigkeit gethan«, sagte der Wirth darauf mit lauter Stimme; im Stillen dachte er – ich habe mir den Rücken gedeckt. – Er trug das Papier, die Feder, Dinte und Verordnung wieder weg und gab die leere Flasche dem Burschen.

»Bringt von derselben Sorte«, sagte Renzo, »denn er ist ein vortrefflicher Kerl und wir wollen ihn zur Ruhe bringen wie den andern, ohne nach seinem Vor-und Zunamen zu fragen, oder nach seinem Geburtslande, oder was er hier zu schaffen hat und wie lange er sich hier aufhalten will.«

»Dieselbe Sorte«, befahl der Wirth dem Burschen, und setzte sich wieder an den Herd. – Auch ein Hase! – dachte er und zeichnete wieder Figuren in der Asche – und in was für Hände bist du gefallen! Du Esel! wenn du saufen willst, so saufe; der Wirth zum Vollmonde will aber um deine Narrheiten nicht seine Haut zu Markte tragen. –

Renzo dankte dem Führer und allen Andern, die für ihn Partei genommen hatten. »Wackere Freunde!« sagte er, »jetzt erfahre ich es selbst, daß rechtschaffene Menschen sich einander beistehen und forthelfen.« Dann streckte er die Rechte in die Höhe, nahm von neuem eine Rednerpositur an und rief: »Ist es nicht eine eigenthümliche Sache, daß Alle, die am Ruder sitzen, bei jeder Gelegenheit mit Papier, Dinte und Feder angezogen kommen? Immer gleich den Gänsekiel bereit! Was die Herren für eine Lust daran haben, die Feder auf dem Papiere herumfahren zu lassen!«

»Ei, mein lieber braver Landmann«, sagte lachend Einer von den Spielern, der soeben gewann, »wollt Ihr wissen, woher das kommt?«[256]

»Laßt einmal hören«, antwortete Renzo.

»Der Grund ist«, erklärte Jener, »daß die großen Herren alle die Gänse weg essen, und daß sich dann so viele Federn ansammeln, so viele Federn, daß sie doch Etwas damit anfangen müssen.«

Alle fingen an zu lachen, außer dem armen Mitspieler, der verlor.

»Siehe da«, sagte Renzo, »der ist ja ein Poet. Habt ihr hier zu Lande auch Poeten? Diese Art Menschen giebt es doch überall. Ich habe auch so eine Ader, und manchmal ... wenns mir gut geht, schwätze ich euch gar seltsame Dinge zusammen.«

Um diese einfältigen Reden unseres guten Renzo zu verstehen, muß man wissen, daß bei dem gemeinen Volke in Mailand und noch mehr in der Umgegend ein Poet nicht etwa wie bei den gebildeten Leuten ein geweihter Genius, ein Bewohner des Pindus, ein Zögling der Musen bedeutet; sie verstanden darunter vielmehr einen wunderlichen, etwas verdrehten Menschen, der in seinen Reden und Handlungen mehr Witz als Vernunft hat. So arg mißhandelt der gemeine Mann die Worte und legt ihnen einen Sinn unter, der ihrer wirklichen Bedeutung sehr fern liegt. Denn ich frage, was hat der Poet mit einem verdrehten Menschen gemein?

»Aber ich will euch den wahren Grund sagen«, fuhr Renzo fort. »Sie sind's, welche die Feder immer bei der Hand haben, und sagt nun so ein armer Bursch ein Wort, so spießen sie es mit der verwünschten Feder den Augenblick auf und nageln es aufs Papier, um bei Gelegenheit Gebrauch davon zu machen. Dann haben sie noch eine andere Bosheit, wenn sie nämlich einen armen Jungen gern in schlechte Händel verwickeln möchten, der sich auf die Buchstaben nicht versteht, der aber doch sein Bischen ... ihr wißt, was ich sagen will ...« Um sich verständlich zu machen, fuhr er mit dem Zeigefinger an seine Stirn, als ob er sie einstoßen wollte, »und wenn sie merken, daß er anfängt die Schurkereien zu durchschauen, flugs werfen sie ein paar lateinische Brocken ins Gespräch und denken ihn damit den Kopf zu verwirren. Genug; diese Gebräuche müssen abgeschafft werden. Heute sind wir einmal[257] ohne Papier, Feder und Dinte fertig geworden und morgen, wenn sich die Leute gut zu halten wissen, wirds noch besser gehen; jedoch, ohne daß Einem ein Haar gekrümmt wird; Alles auf dem Wege der Gerechtigkeit.«

Einige der Gäste hatten während dessen ihr Spiel wieder aufgenommen, andere aßen, viele schrien durcheinander; einige gingen weg; manche kamen dazu. Der Wirth schwätzte bald mit diesem, bald mit jenem; lauter Dinge, die mit unserer Geschichte nichts zu thun haben. Renzo's unbekannter Führer machte durchaus keine Anstalten fortzugehen; wie es schien, hatte er an diesen Orte nichts zu schaffen; und dennoch wollte er sich nicht entfernen, ohne mit Renzo noch ein wenig unter vier Augen geplaudert zu haben. Er wandte sich zu ihm und nahm das Gespräch vom Brode wieder auf, und nach einigen Redensarten, die seit einiger Zeit gang und gäbe waren, rückte er mit seiner eigentlichen Absicht heraus. »Ei, wenn ich zu befehlen hätte«, sagte er, »ich würde schon Mittel und Wege finden, daß die Sachen einen guten Verlauf nehmen sollten.«

»Was würdet Ihr thun?« fragte Renzo, sah ihn dabei mit einem Paar Augen an, die mehr als natürlich glänzten, und verzog den Mund ein wenig, als wollte er recht genau hinhören.

»Was ich thun würde?« sprach Jener: »ich würde es einrichten, daß für Alle Brod genug da wäre; für die Armen so gut, wie für die Reichen.«

»Nun, das läßt sich hören«, sagte Renzo.

»Merkt auf, wie ich es machen würde. Ein mäßiger Preis, mit dem Alle zufrieden sein könnten. Und dann das Brod vernünftig eingetheilt, denn es sind Viele, die nie genug kriegen, die Alles für sich behalten möchten, die rips raps Alles an sich reißen, und die Armen leiden hernach Noth. Also das Brod eingetheilt. Wie soll man das anfangen? Hört! Jede Familie erhält nach Verhältniß der Esser einen Zettel, und holt sich damit Brod vom Bäcker. Es muß aber dabei immer richtig zugehen, immer nach der Zahl der Esser. Euch z.B. müßten sie einen Zettel ausstellen für ... wie ist doch euer Name?«

»Lorenzo Tramaglino«, sagte der Jüngling; bezaubert von[258] dem neuen Plane, bemerkte er gar nicht, daß dieser gleichfalls auf Papier, Feder und Dinte gegründet war, und daß, um ihn ins Werk zu setzen, vor allen Dingen die Namen der Personen erforscht werden mußten.

»Sehr gut«, sagte der Unbekannte; »habt Ihr Frau und Kinder?«

»Ich müßte ... Kinder, nein ... das wäre zu früh; aber eine Frau ... wenn es in der Welt zuginge, wie's zugehen sollte ...«

»Also steht Ihr allein! Geduld; Ihr kriegt eine kleinere Portion.«

»Das ist nicht mehr als billig«, sagte Renzo, »aber wenn nun bald, wie ich hoffe ... mit Gottes Hülfe ... Genug ... wenn ich nun auch ein Weib nähme?«

»Nun, dann wird der Zettel ausgetauscht und die Portion vermehrt. Wie ich Euch schon gesagt habe, es richtet sich immer nach der Anzahl der Esser.«

»So lasse ich mirs gefallen«, rief Renzo und fuhr schreiend und mit der Faust auf den Tisch schlagend fort, »warum machen sie kein solches Gesetz?«

»Was soll ich Euch darauf antworten? ich wünsche Euch gute Nacht und mache mich auf den Weg, denn Frau und Kinder werden mich schon lange erwarten.«

»Noch ein Schlückchen, ein Schlückchen noch«, schrie Renzo und füllte schnell den Becher des Unbekannten. Dabei sprang er auf, faßte ihn an einem Schooß der Jacke und zog ihn mit Gewalt auf die Bank zum Sitzen zurück. »Noch ein Schlückchen, thut mir das nicht zu Leide!«

Der Freund aber machte sich mit einem Ruck los und antwortete auf alle Bitten und Vorwürfe, mit denen Renzo ihn überhäufte, nur noch einmal »gute Nacht« und ging.

Renzo schwätzte ihm noch vor, als er schon unterwegs war, und fiel dann auf die Bank zurück. Mit starren Augen sah er den gefüllten Becher an, der vor ihm stand, und als er den Burschen am Tische vorübergehen sah, winkte er ihm, als wollte er ihm irgend einen Auftrag geben, zeigte auf den Becher hin und sagte[259] langsam und feierlich, wobei er die Worte auf eine sehr eigenthümliche Weise betonte: »Da, ich hatte ihn für jenen guten Mann gefüllt; voll bis zum Rande, wie für meinen besten Freund; er wollte aber nicht. Die Leute haben zuweilen wunderliche Ideen im Kopfe. Nun es einmal eingeschenkt ist, so wollen wir es auch nicht umkommen lassen.« So sprechend nahm er den Becher und leerte ihn in einem Zuge.

»Ich habs verstanden«, sagte der Bursche und ging weiter.

»Aha, Ihr habts also auch verstanden?« fing Renzo wieder an. »So ists also wahr. Wenn die Gründe gerecht sind ...!«

Hier bedarf es unserer ganzen Liebe, welche wir für die Wahrheit hegen, um uns zu bewegen, in einer Erzählung fortzufahren, die für eine so wichtige Person, wie Renzo, man könnte fast sagen, für den Helden unserer Geschichte, so wenig ehrenvoll zu werden anfängt. Zugleich zwingt uns aber auch die Unparteilichkeit zu dem Geständniß, daß unserm Renzo hier zum ersten Mal ein solcher Fall begegnete, und gerade, weil er an so übermäßige Genüsse nicht gewöhnt war, lief dieses erste Mal für ihn so unheilvoll ab. Die wenigen Becher, die er gleich anfangs gegen seine Gewohnheit herunter gestürzt hatte, theils um den brennenden Durst zu löschen, theils aus einer gewissen Gemüthsaufregung, die ihn jedes Maß überschreiten ließ, waren ihm schnell in den Kopf gestiegen; auf einen geübteren Trinker würden sie nicht die geringste Wirkung hervorgebracht haben.

Nachdem nun einmal diese ersten Dünste unserm Renzo zu Kopfe gestiegen waren, tobten Wein und Worte ohne Maß und Ziel darin fort, und in dem Augenblick, wo wir ihn verlassen haben, konnte er sich kaum noch auf den Füßen erhalten. Es drängte ihn unaufhörlich zu sprechen; an Zuhörern, oder wenigstens an Menschen, die er dafür halten konnte, fehlte es nicht; eine Weile gingen ihm auch die Worte ziemlich leicht von der Zunge; er brachte sie sogar in einer gewissen Ordnung heraus. Nach und nach aber fing es an ihm gewaltig schwer zu werden, im Zusammenhange zu reden. Der Gedanke, der sich seinem Geiste leicht und gefügig zeigte, verwirrte sich plötzlich und flog davon; das Wort, das er nach eine Weile hervorbrachte, wollte[260] am Ende zu dem Gedanken nicht recht passen. In dieser Angst und Verlegenheit verleitete ihn einer der schlimmen Instinkte in der menschlichen Natur, die so viel Unheil anrichten, seine Zuflucht zu der verwünschten Flasche zu nehmen. Welche Hülfe ihm aber die Flasche in dieser Lage gewähren konnte, sagt sich Jeder selbst, der seinen gesunden Verstand hat.

»He, Wirth, Wirth!« fing Renzo wieder an, und suchte ihn überall mit den Augen, wo er nicht war. »He, Wirth! Du bist mir ein schöner Wirth! Ich krieg ihn nicht klein ... den Streich mit dem Namen, Zunamen und Gewerbe. Mir das zu bieten! Einem Kerl, wie ich ...! Du hast dich schlecht gegen mich benommen, Wirth. Was hast du für einen Nutzen davon ... einen armen Jungen zu Papier zu bringen? Habe ich nicht Recht, meine Herren? Die Wirthe sollten es gerade mit den braven Leuten halten ... höre ... höre, Wirth ... ich will dir einen Rath geben ... einen vernünftigen Rath ... Lacht ihr, eh? ich bin ein wenig lustig, ja ... aber mein Rath ist gut. Sage mir, Wirth, wer erhält dir denn deine Wirthschaft? Die armen Kerle ... ist es nicht so? Sprechen die Herren mit den Verordnungen wohl jemals bei dir ein, um sich gütlich zu thun?«

»Lauter Wassertrinker«, sagte Einer in Renzo's Nähe.

»Sie wollen den Kopf oben behalten«, fügte ein Anderer hinzu, »damit sie brav lügen können.«

»Aha«, rief Renzo, »jetzt hat einmal wieder der Poet gesprochen. Nun seht ihr doch ein, daß ich Recht habe. Antworte mir, Wirth! Hat sich Ferrer, der noch der Beste von Allen ist, jemals hier sehen lassen? Hat er jemals hier einen Becher geleert? Und der mörderische Hund, der Don ... schon gut ... ich sage weiter nichts ... denn ich bin noch bei Sinnen. Ferrer und der Pater Crrr ... das weiß ich ... das sind Ehrenmänner ... aber es giebt nicht viele solche Ehrenmänner. Die Alten sind schlimmer wie die Jungen; und die Jungen ... die sind noch schlimmer wie die Alten. Ich bin nur noch zufrieden, daß kein Mord geschehen ist; ei bewahre ... das sind Grausamkeiten, für die der Henker angestellt ist. Brod; ja ... ich habe tüchtige Stöße abgekriegt; aber ... ich habe auch welche ausgetheilt Platz![261] Der Ueberfluß soll leben! Und ... auch Ferrer ... ein Wörtchen Latein .... siès baraòs trapolorum ... Verwünschtes Laster! ... Diese lateinischen Brocken! Die Gerechtigkeit hoch! Das Brod soll leben! Ha, das sind die rechten Worte! ... Das wollten die ehrlichen Leute gerade ... als das verdammte ton, ton, ton losbrach ... und immer wieder ton, ton, ton ... er sollte mir nicht wieder entwischen ... ich wollte ihn schon fest halten, den Herrn Pfarrer ... ich will es ihm gedenken!«

Bei diesen Worten senkte er den Kopf auf die Brust und blieb eine Weile wie in Gedanken versunken. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus, richtete das Gesicht in die Höhe; in seinen Augen glänzten zwei Thränen, und gut war's, daß sie von derjenigen, der sie galten, nicht gesehen wurden. Jene Kerls aber, die schon angefangen hatten, über Renzo's leidenschaftliche und verwirrte Beredsamkeit sich lustig zu machen, zogen ihn nun noch mehr über sein betrübtes Aussehen auf; die ihm zunächst Sitzenden sagten zu den Uebrigen: »Seht doch einmal!« und Alle wandten sich nach ihm hin. So wurde Renzo die Zielscheibe des Spottes für die lüderliche Gesellschaft. Und obgleich sie Alle nicht ganz nüchtern waren, hatte doch Keiner so über die Schnur gehauen, als unser Renzo, der noch dazu vom Lande war. Sie neckten ihn, Einer nach dem Andern, mit allerlei plumpen und einfältigen Fragen und machten durch spöttische Geberden ihre Glossen über ihn. Renzo nahm die Sache bald von der ernsten, bald von der lustigen Seite, und ohne sich an das Geschrei zu kehren, sprach er von ganz andern Dingen; bald fragte er, bald antwortete er; immer ohne Sinn und Verstand. Zum Glück hatte er bei all diesem Geschwätz noch eine instinktmäßige Ueberlegung behalten, die ihn davor bewahrte, sich keinen Namen der Personen entschlüpfen zu lassen; darum wurde auch derjenige nicht von ihm ausgesprochen, der mit seinem Gedächtniß am engsten verwachsen war; denn es würde auch uns unendlich leid gethan haben, wenn der Name, für den wir Ehrfurcht und sogar ein wenig Zuneigung empfinden, in diese garstigen Mäuler gekommen wäre und den Lästerzungen zur Belustigung gedient hätte.[262]

Quelle:
Manzoni, [Alessandro]: Die Verlobten. 2 Bände, Leipzig, Wien [o. J.], Band 1, S. 246-263.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Verlobten
Die Verlobten
Die Verlobten
Die Verlobten. Eine mailändische Geschichte aus dem siebzehnten Jahrhundert
Die Verlobten: Eine mailändische Geschichte aus dem siebzehnten Jahrhundert (insel taschenbuch)
Die Verlobten: Eine Mailändische Geschichte aus dem Siebzehnten Jahrhundert

Buchempfehlung

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Deutsche Lieder aus der Schweiz

Deutsche Lieder aus der Schweiz

»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon