Zwölftes Kapitel.

[216] Es war der zweite Sommer, daß die Ernte so schlecht ausfiel. Was von den früheren Jahren in den Speichern übrig geblieben, hatte im vorhergehenden noch so ziemlich ausgereicht; die Bevölkerung wurde von dem Vorrathe nicht gerade satt, sie litt aber auch keinen Hunger. Bei der Ernte des Jahres 1628, in welchem wir uns eben jetzt in unserer Geschichte befinden, sah sich Jeder seines Vorraths völlig beraubt. Und nun fiel diese Ernte, auf die man so große Hoffnungen gesetzt, noch dürftiger aus als die vorhergehende, nicht nur im Mailändischen, sondern auch theilweise in den benachbarten Ländern, woran die ungünstigen Jahreszeiten, zum großen Theil aber auch die Menschen selbst schuld waren. Die Verwüstungen des Krieges oder vielmehr des schönen Aufruhrs, dessen wir schon erwähnt, waren der Art gewesen, daß in den nächsten Umgebungen ganze Strecken Landes unbeackert[216] blieben und, von den Bauern verlassen, dalagen; denn anstatt durch Arbeit sich und den Andern Brod zu erwerben, bettelten sie bei mildthätigen Menschen. Ganze Strecken Landes blieben unbeackert, sagte ich, weil die mit einer fast grenzenlosen Habgier und Unbesonnenheit auferlegten Lasten alle Vernunft überstiegen. Die einheimischen Truppen hatten sogar in Friedenszeiten, nach den traurigen Berichten jener Zeit, eine kriegerische Haltung angenommen, und eine Menge von andern Ursachen, die hier aufzuzählen nicht der Ort, hatten schon seit längerer Zeit dazu beigetragen, diese traurigen Ereignisse im ganzen mailändischen Gebiete vorzubereiten; die besondern Vorfälle, von denen wir jetzt sprechen, waren nur die plötzliche Verschlimmerung eines langwierigen Uebels.

Kaum war die Ernte beendet, so riß die Versorgung des Heeres und die Vergeudung, die damit verbunden, in den Vorrath der Scheunen so gewaltsame Lücken, daß der Mangel sich sogleich wieder fühlbar machte, und mit dem Mangel jene traurige, aber ebenso heilsame, als unvermeidliche Wirkung, die Theuerung, sich einstellte.

Wenn indessen die Theuerung bis auf einen gewissen Punkt gestiegen, so entsteht immer – wenigstens ist es bis jetzt so gewesen, und wenn es, nach den Schriften so vieler vortrefflicher Männer, noch der Fall ist, so denke man sich, wie es damals sein mußte – es entsteht in den meisten Köpfen die Meinung, daß die Theuerung nicht durch die Noth der Zeiten entstanden sei. Man vergißt, daß man sie gefürchtet, vorhergesagt hat; man nimmt mit einem Male an, es sei hinreichend Getreide vorhanden und die Noth rühre nur von den Aufkäufern her, die für den Bedarf nicht genug herausgeben. Diese Voraussetzungen, die weder Hand noch Fuß haben, schmeicheln jedoch ebenso sehr der Entrüstung wie der Hoffnung. Die Aufkäufer des Getreides, mochten sie es nun wirklich oder nur in der Einbildung sein, die Landbesitzer, die nicht Alles an einem Tage losschlugen, die Bäcker, die es aufkauften, kurz Alle, von denen man meinte, sie hätten Getreide liegen, wurden als die Veranlassung des Mangels und der Theuerung angesehen. Diese traf denn auch der allgemeine Haß,[217] der Abscheu der begüterten, wie der armseligen Menge. Man vertraute einander als Thatsache, wo sich gefüllte Kornböden und Vorrathsspeicher befänden; man übertrieb die Anzahl der Säcke und sprach mit Sicherheit von der ungeheuern Menge Getreide, welche man heimlich ins Ausland schaffte, wo man höchst wahrscheinlich mit derselben Bestimmtheit und mit demselben Geschrei die Ausführung des Getreides nach Mailand behauptete; man verlangte, die Obrigkeit sollte diejenigen Vorkehrungen treffen, welche der Menge stets so einfach und zweckmäßig scheinen, oder wenigstens bis jetzt geschienen haben, um das versteckte, eingeschlossene und vergrabene Getreide, wie sie sich ausdrückten, hervorzuholen und den Ueberfluß wieder herbeizuführen. Die Obrigkeit versuchte auch etwas dafür zu thun; sie stellte die höchsten Preise verschiedener Lebensmittel fest, sie drohte Jedem mit Strafen, der sich zu verkaufen weigerte, und erließ noch andere ähnliche Verordnungen. So weise aber auch alle menschlichen Vorkehrungen getroffen werden mögen, so können sie doch nicht das Bedürfniß der Nahrung verringern, noch können sie Lebensmittel außer der Jahreszeit hervorbringen; hier besaßen sie wenigstens nicht die Macht, welche herbeizuschaffen, und so nahm die Noth denn kein Ende, sie wurde von Tag zu Tag nur größer. Die Menge schrieb diese Wirkung den schwachen Maßregeln zu und forderte mit lautem Geschrei eine kräftigere und entschiedenere Hülfe.

In der Abwesenheit des Statthalters Don Gonzalo Fernandez, der die Belagerung bei Casale del Monferrato kommandirte, vertrat seinen Posten in Mailand der Großkanzler Antonio Ferrer, ein Spanier. Dieser sah ein – und wer hätte es nicht eingesehen? – daß der mäßige Preis des Brodes schon an und für sich eine sehr wünschenswerthe Sache sei; er dachte also – und hierin lag der Irrthum, – ein Befehl von ihm sei hinreichend, diese mäßigen Preise einzuführen. Er setzte die Taxe nach dem Werthe fest, den das Brod gehabt haben würde, wenn der Scheffel Getreide zu dem gewöhnlichen Preise von dreiunddreißig Lire verkauft worden wäre; und man schlug ihn fast bis zu achtzig herauf. Der Herr Großkanzler machte es hierin wie[218] ein bejahrtes Frauenzimmer, das sich zu verjüngen meint, wenn sie ihren Taufschein verfälscht.

Minder thörichte und minder ungerechte Verordnungen waren mehr als einmal, weil sie in denselben Dingen ihren Widerstand fanden, unbefolgt geblieben; über die Ausführung dieser letzten Verordnung jedoch wachte die Menge, denn sie sah endlich ihren Wunsch in ein Gesetz umgewandelt, und wollte dieses nicht nur zum Scherze gegeben sehen. Man bestürmte die Bäcker und forderte zu dem anbefohlenen Preise Brod; man forderte es mit jener entschlossenen, drohenden Miene, welche die Leidenschaft annimmt, wenn sie mit der Macht und dem Gesetze Hand in Hand geht. Daß die Bäcker ein großes Geschrei erhoben, bedarf keiner Frage. Sie blieben in einem Aermelaufstreifen, Teigkneten und Backen; das Volk belagerte fortwährend die Oefen, um so viel als möglich diesen Vortheil sich zu Gute kommen zu lassen. Die Bäcker arbeiteten und plagten sich also zu ihrem eigenen Schaden, und wie behaglich und zufrieden sie sich dabei fühlten, kann sich Jeder leicht denken. Aber auf der einen Seite drohte die Obrigkeit mit Strafen, auf der andern drängte und lärmte das Volk, wenn Einer einmal nicht gleich seine Schuldigkeit that; es wollte gleich selbst Gericht halten, gewiß das schlimmste, welches man auf dieser Welt kennt; es war also an keine Weigerung zu denken, man mußte kneten, backen und verkaufen. Um sie aber in dieser Thätigkeit zu erhalten, genügten die Befehle und die Furcht, die sie davor hatten, nicht allein, es gehörten auch ihre eigenen Kräfte dazu, und wenn die Sache noch länger so fortgegangen wäre, so würden diese nicht mehr ausgereicht haben. Die Bäcker beklagten sich fortwährend über die Unbilligkeit, über die schwere Last, die ihnen aufgebürdet war, schworen die Schuppe in den Ofen zu werfen und davon zu gehen; dabei zogen sie aber immer wieder mit an dem allgemeinen Strang und hofften von Tag zu Tag, daß der Großkanzler doch endlich Vernunft annehmen werde.

Antonio Ferrer aber, der nach unsern heutigen Begriffen ein Mann von Charakter war, erwiderte, die Bäcker würden schon längst ihr Schäfchen ins Trockene gebracht haben; die Zeiten würden auch wieder besser werden, und sobald es sich thun ließe,[219] sollte ihnen vom Staate ein Schadenersatz werden; sie möchten nur den Muth nicht sinken lassen. Ob er selbst nun von den Gründen, die er gegen die Andern anführte, überzeugt war, oder ob er aus den Erfolgen die Unmöglichkeit erkannte, seinen Befehl aufrecht zu erhalten und das übele Geschäft, seine Verordnungen zu widerrufen, andern überlassen wollte, ist nicht zu ergründen, denn wer wäre im Stande, die Gedanken Antonio Ferrers zu errathen? Thatsache ist, daß er nicht ein Haar breit von dem abwich, was er angeordnet hatte. Die Decurionen – eine städtische, aus Edelleuten bestehende Obrigkeit, die sich bis 1796 erhielt – statteten endlich dem Statthalter einen schriftlichen Bericht ab, worin sie ihm die Lage der Dinge auseinander setzten, damit er ein Mittel fände, die alte Ordnung wieder herzustellen.

Don Gonzalo, der bis über den Kopf in Kriegsgeschäften steckte, that, was der Leser sich wohl schon denken kann. Er ernannte eine Behörde, der er das Recht übertrug, einen Preis für das Brod zu bestimmen, der festgehalten werden sollte; beide Theile kamen auf diese Weise zu ihrem Recht. Die Abgeordneten traten zusammen; man machte einander Kratzfüße, Complimente, man hielt große Reden, beklagte die traurigen Zeiten, man trat mit Vorschlägen hervor, die nicht Stich hielten, und suchte durch elende Ausflüchte Zeit zu gewinnen. Alle erkannten die Nothwendigkeit einer Berathschlagung an, und fühlten sehr wohl, welch ein gewagtes Spiel sie spielten, und doch ließ sich nichts Anderes thun, als den Preis des Brodes zu erhöhen. Die Bäcker athmeten auf, das Volk wüthete.

Am Vorabende dieses Tages, als Renzo nach Mailand kam, wimmelten Straßen und Plätze von Menschen; alle wurden von einer gemeinsamen Wuth, von einem gemeinsamen Gedanken beherrscht, und Bekannte und Fremde hatten sich ohne Verabredung und ohne daß sie es selbst gewahr wurden, wie Tropfen, die sich in denselben Abgrund ergießen, zu einem Ziele vereinigt. Jede Rede steigerte die Ueberzeugung und die Leidenschaftlichkeit der Zuhörer, wie des Redners. Unter so vielen Hitzköpfen waren auch Einige, die mit kaltem Blute beobachteten, wie das Wasser immer trüber wurde; sie versuchten es durch allerlei Redensarten und Geschichtchen, die[220] nur Schelme ersinnen und nur so erregte Gemüther glauben können, immer trüber zu machen, und nahmen sich vor, das Wasser nicht eher wieder klar fließen zu lassen, bis sie sich etwas herausgefischt hätten. Tausende von Menschen gingen mit der dunklen Ahnung zu Bett, daß hier Etwas geschehen müsse, daß Etwas geschehen werde. Noch vor Tagesanbruch standen die Menschen schon wieder truppweise beisammen; Kinder, Weiber, Männer, Greise, Handwerker und Bettler rotteten sich aufs Gerathewohl zusammen; hier ein verworrenes Gemurmel von Stimmen; dort hielt Einer eine Rede und die Andern jubelten ihm Beifall zu; der richtete an seinen Nachbar die nämliche Frage, die so eben an ihn gethan war; Jener wiederholte den Ausruf, der so eben an sein Ohr schlug; überall Klagen, Drohungen und Verwunderung; eine kleine Anzahl Worte war der Inhalt so vieler Redereien.

Es fehlte nur noch eine Veranlassung, ein Anstoß, irgend ein Zufall und die Worte verwandelten sich in Thaten, was auch schnell genug geschah.

Mit Tagesanbruch kamen die Bäckerjungen aus ihren Läden mit Körben voll Brod, das sie zu ihren Kunden trugen. Kaum ließ sich Einer dieser schlecht angeschriebenen armen Burschen bei einem Haufen Volks sehen, so war's, als ob ein brennender Schwärmer in ein Pulverfaß fiel. »Da giebt's Brod!« schrien hundert Stimmen auf einmal. »Ja, aber das ist für die Tyrannen«, sagt Einer, »die im Ueberfluß schwimmen und die uns vor Hunger sterben lassen.« Mit diesen Worten geht er auf den Bäckerjungen los, faßt mit einem Ruck den Korb und sagt: »Laß sehen.« Der Junge wird bald roth, bald blaß, zittert und möchte gerne sagen: Laßt mich weiter gehen; aber das Wort bleibt ihm im Munde stecken. »Herunter mit dem Korbe«, wird während dessen geschrien. Viele Hände packen zugleich an; er steht auf der Erde; man reißt das Tuch herunter, welches ihn bedeckt; ein warmer Brodduft verbreitet sich umher. »Wir sind auch Christen«, sagt der Erste wieder, »wir müssen auch essen.« Er nimmt ein Brod, hält es in die Höhe, daß es der ganze Haufen sieht und beißt hinein; da fällt Alles über den Korb her[221] und ehe man sichs versieht, ist er ausgeleert. Diejenigen, die nichts erbeutet hatten, wurden durch den Anblick des fremden Gewinnes auch angereizt, und durch die Leichtigkeit des Unternehmens muthig gemacht; haufenweise brechen sie auf, um ihr Glück bei andern Bäckerjungen zu versuchen; sie plünderten alle Körbe, die ihnen in den Weg kamen. Man brauchte auf die Träger gar keinen Angriff mehr zu machen; diejenigen, die sich unglücklicherweise unterwegs befanden, setzten ihre Last freiwillig nieder, als sie die Horde sahen und machten sich aus dem Staube. Bei alledem mußten jedoch die Meisten mit trockenem Munde abziehen. Die Plünderer selbst fanden sich durch ihre Beute wenig befriedigt und zu diesen gesellten sich nun diejenigen, die auf eine noch schlimmere Unordnung ihren Plan gegründet hatten. Und so wurde plötzlich geschrien: »Zum Bäcker! zum Bäcker!«

In der Straße Corsia de' Servi war eine Bäckerei, die noch heute unter dem Namen: der Krückenofen besteht. Dahin stürzte der Schwarm. Die Gesellen im Laden fragten eben den Jungen aus, der bleich und bestürzt ohne seinen Korb heimgekehrt war, und dieser fing gerade an, den traurigen Vorfall hervorzustammeln, als das Geräusch einer bewegten Volksmenge sich hören ließ; der Lärm kommt immer näher, die Vorläufer des Gewühls werden sichtbar.

Zugemacht, zugemacht; schnell, schnell! Der Eine läuft nach Hülfe zum Stadthauptmann; die Andern verschließen in aller Eile den Laden. Das Volk versammelt sich davor und fängt an zu schreien: »Brod! Brod! aufgemacht! aufgemacht!«

In diesem Augenblicke erscheint der Stadthauptmann mit einer Schaar Hellebardiere. »Platz, Platz, Kinder!« rufen die Hellebardiere dem Haufen zu, »geht nach Hause; macht eurem Hauptmann Platz.« Das Volk weicht ein wenig zurück, so daß der Hauptmann und seine Leute den Bäckerladen erreichen können; sie stellen sich vor der verschlossenen Thür desselben, wenn auch nicht in Reihe und Glied, doch Einer dicht neben dem Andern auf.

»Aber, Kinder«, redet sie von hier aus der Hauptmann an, »was macht ihr hier? Geht nach Hause. Habt ihr euch ganz[222] von Gott abgewendet? Was wird der König, unser allergnädigster Herr, dazu sagen? Es soll euch nichts widerfahren, aber geht nach Hause. Ihr seid rechtschaffene Leute! – Zum Teufel! was steht ihr hier so zusammengepfropft? Was habt ihr hier vor? Macht, daß ihr nach Hause kommt.«

Aber nur die Vordersten sahen das Gesicht des Sprechers und vernahmen seine Worte; hätten sie ihm nun auch gehorchen wollen, so wären sie es doch nicht im Stande gewesen; denn diejenigen, welche hinter ihnen standen, drängten sie wieder vor und diese wurden wieder gedrängt, wie Welle an Welle, und so ging's bis zum äußersten Ende des immer mehr anwachsenden Gewimmels. Dem Hauptmann verging die Luft. »Heißt sie zurückweichen, damit ich wieder Athem schöpfen kann«, sagte er zu den Hellebardieren, »aber thut Keinem etwas zu Leide. Laßt uns in den Ladern eintreten, klopft an, drängt sie zurück.«

»Zurück! zurück!« riefen die Hellebardiere, gingen auf die Vordersten los und trieben sie mit ihren Waffen zurück.

Diese brüllen und weichen so viel sie können, drücken die Nächsten hinter ihnen mit dem Rücken gegen die Brust, stoßen sie mit dem Ellenbogen in den Bauch und treten mit den Fersen auf ihre Zehen; es entsteht ein Gedränge, ein Stoßen und Pressen, daß diejenigen, die sich in der Mitte befanden, wer weiß was darum gegeben haben würden, wenn sie heraus gekonnt hätten. Um die Thür herum ist etwas mehr Platz geworden; der Hauptmann klopft und ruft, daß man ihm öffne. Die Bewohner sehen erst zum Fenster heraus, kommen dann schnell und öffnen. Der Hauptmann tritt ein, ruft die Hellebardiere, die ebenfalls Einer nach dem Andern hereinkommen, indem die Letzten das Volk mit den Waffen zurückdrängen. Als alle eingetreten sind, stellen sie sich in Reihe und Glied auf; der Hauptmann tritt schnell ans Fenster. O weh, welch ein Gewimmel! »Kinder!« schreit er und viele schauen hinauf. »Kinder, geht nach Hause. Vergebung Jedem, der jetzt gleich nach Hause geht.«

»Brod! Brod! aufgemacht! aufgemacht!« Diese Worte hörte man am deutlichsten aus dem Gebrüll, womit die Menge antwortete, heraufschallen.[223]

»Seid vernünftig, Kinder! Bedenkt noch bei Zeiten, was ihr thut. Fort, geschwind, geht nach Hause. Ihr sollt Brod haben; aber nicht auf solche Weise. Heh! ... he! was macht ihr da unten! He! fort da von der Thüre! Wartet! ich sehe Alles! Seid vernünftig! bedenkt, was ihr thut! Es ist ein grobes Vergehen! Ich komme gleich herunter. He! He! Weg mit dem Eisen; die Hände los! O Schmach! Mailänder, die ihr überall eurer guten Sitten wegen bekannt seid! Hört mich, hört! Ihr seid immer gut .... Ha, das Lumpengesindel!«

Dieses plötzliche Umschlagen des Styls war die Wirkung eines Steines, der aus den Händen eines der guten Kinder dem Hauptmann an die Stirn flog; er hatte gerade die linke Seite, den Sitz des metaphysischen Tiefsinns, getroffen. »Gesindel! Gesindel!« fuhr er fort zu schreien, warf schnell das Fenster zu und trat zurück. Aber hätte er auch aus vollem Halse geschrien, seine Worte, die guten wie die bösen, wären in dem fürchterlichen Gebrüll von der Straße herauf tonlos verklungen. Was er aber vorher zu sehen gemeint hatte, war ein Arbeiten gegen Thür und Fenster mit Steinen und Eisen, die man sich unterwegs verschafft hatte, um Thür und Fenster einzuschlagen; das schöne Werk war bereits gut vorgeschritten.

Während dessen waren der Bäckermeister, die Gesellen und die Lehrjungen mit einem ziemlichen Vorrath von Steinen (sie hatten wahrscheinlich den Hof entpflastert) an die Fenster des oberen Stockwerks getreten und gaben den Stürmenden unten durch Mienen und Geberden zu verstehen, daß sie von ihrer Arbeit ablassen sollten; dabei zeigten sie die Steine und drohten ihnen, damit zu werfen. Da sie sahen, daß die Drohungen nichts halfen, so fingen sie wirklich damit an. Nicht ein Stein verfehlte den Feind; das Gedränge war so groß, daß kein Apfel, wie man zu sagen pflegt, zur Erde fallen konnte.

»O die Schurken! die Bösewichter! Ist das das Brod, das ihr den armen Leuten gebt? Weh! O weh! Au! Wartet nur! gleich ist's an uns!« brüllten sie von unten herauf. Mehr als Einer ward übel zugerichtet; zwei Jungen blieben auf der Stelle todt liegen. Die Wuth erhöhte die Kräfte der Menge; die Thürpfosten[224] und Fensterflügel wurden herausgerissen; wild stürzte die Menge durch alle Oeffnungen hinein. Die Leute im Hause sahen die Gefahr vor Augen und flüchteten sich auf den Boden. Hier verkrochen sich der Hauptmann, die Hellebardiere und einige aus dem Hause unter das Dach; andere kletterten zu den Dachluken hinaus und schlichen wie Katzen auf den Dächern umher.

Der Anblick der Beute ließ die Sieger nicht weiter an ihre blutigen Rachepläne denken. Sie fallen über die Kasten her und fangen an zu plündern. Einer dagegen stürzt auf die Kasse los, reißt das Schloß ab, greift mit beiden Händen zu, füllt sich die Taschen mit kleiner Münze und wendet sich dann zu dem Brodkasten, um auch hier noch etwas zu erraffen. Darauf dringt die Menge in die Speicher ein. Sie packen die Säcke an und schleppen sie weg. Dieser zieht einen aus einem Winkel hervor, reißt ihn auf und schüttet einen Theil des Mehles auf den Boden, um sich die Last leichter zu machen; ein Anderer schreit: »Warte, warte!« bückt sich und breitet Tücher und Kleider aus, um von der lieben Gottesgabe auch etwas abzukriegen. Jener macht sich an einen Backtrog und läuft mit einem Klumpen Teig davon, der so dünn ist, daß er ihm nach allen Seiten hin wegfällt. Noch ein Anderer hat einen Mehlbeutel erwischt, trägt ihn, hoch in die Höhe gehoben, davon; der geht, der kommt; Männer, Weiber und Kinder drängen und werden gedrängt; alles schreit durcheinander, und eine weiße Staubwolke, die überall aufsteigt und sich überall niedersenkt, hüllt Alles wie in einen undurchdringlichen Nebel ein. Vor der Thüre begegnen sich die Wogen zweier entgegengesetzter Züge; die Einen wollen mit Beute beladen heraus, die Andern drängen herein, um Beute zu machen. Dieser Sturm gegen einander brachte die größte Verwirrung hervor.

Während dieser Bäckerladen auf solche Art verwüstet wurde, war auch kein anderer in der Stadt außer Gefahr. Bei keinem aber lief das Volk in solcher Masse zusammen, um Alles zu wagen und zu unternehmen. In einigen hatte man sich mit Hülfsmannschaft versehen und stand gerüstet; anderwärts, wo man weniger zahlreich war, oder auch ängstlicher, schloß man eine Art Bund und vertheilte an Diejenigen, die sich bereits vor den Läden[225] versammelt hatten, unter der Bedingung Brod, daß sie sich entfernten. Diese gingen auch ruhig ab; nicht sowohl, weil sie mit ihrem Erwerbe zufrieden waren, als vielmehr, weil die Hellebardiere und die Häscherschaar, die bei dem Krückenofen nicht stark genug gewesen war, sich an andern Orten in ausreichender Stärke gezeigt hatte, um ein kleines Häuflein Meuterer in Zaum zu halten. So nahm der Aufruhr vor jenem unseligen Krückenofen kein Ende; denn Alle, denen das Fell juckte und die durchaus Händel anfangen wollten, versammelten sich dort; die Unruhstifter waren daselbst in größerer Anzahl versammelt und die Straflosigkeit war gesicherter.

So standen die Sachen, als Renzo, an seinem Brode kauend, wie wir erzählt haben, aus der Vorstadt vom Thor Orientale kam und ohne es zu wissen gerade seinen Weg nach dem Mittelpunkte des Aufruhrs einschlug. Er ging bald rasch, bald langsam durch das Gewühl hindurch, und so vorwärts schreitend, sperrte er Augen und Ohren auf, um aus dem verworrenen Gesumme von Stimmen etwas Genaueres über den Stand der Dinge zu erfahren. Auf der ganzen Strecke vernahm er ungefähr folgende Worte:

»Jetzt ist doch endlich die abscheuliche Betrügerei der Schurken entdeckt, die immer sagen, es sei weder Brod, noch Mehl, noch Getreide da. Jetzt liegt die Sache klar am Tage und sie können uns nichts mehr aufbinden. Es lebe der Saus und Braus!«

»Ich sage es euch, ich, daß das alles noch gar nichts hilft!« sprach ein Anderer, »es ist wie ein Tropfen auf einen heißen Stein; es wird noch schlimmer werden, wenn die Obrigkeit nicht ordentlich dazwischen fährt. Das Brod wird wohlfeil werden, aber sie werden es vergiften, daß die armen Leute wie die Fliegen hinsterben. Sie haben es ja schon gesagt, daß wir unserer zu viele sind; in der Gerichtsversammlung haben sie's ohne Hehl ausgesprochen; ich weiß es ganz gewiß und kann darauf nachsprechen, denn ich habs mit diesen meinen beiden Ohren von einer Gevatterin erzählen hören; die aber hat einen Freund und der ist ein Verwandter von einem Küchenjungen bei einem der Gerichtsherrn.«[226]

»Platz, Platz, Leute, seid so gut; laßt einen armen Familienvater durch, der fünf kleinen Kindern daheim zu essen bringt.« So sagte Einer, der mit einem großen Mehlsack daher wankte; und ein Jeder machte ihm bereitwillig Platz.

»Ich«, raunte ein Anderer seinem Gefährten leise ins Ohr, »ich mache mich durch. Ich kenne die Welt und weiß aus Erfahrung, wie diese Dinge verlaufen. Alle diese Dummköpfe, die jetzt Hahn im Korbe sind, werden noch ganz kleinlaut und kommen morgen oder übermorgen gar nicht wieder zum Vorschein.«

»Wer die Bäcker eigentlich unter seine Flügel nimmt«, rief eine klangvolle Stimme, die Renzo's Aufmerksamkeit auf sich zog, »das ist der Proviantverwalter.«

»Sie sind Alle Schelme«, sagte Einer neben ihm.

»Ja, der aber ist ein Erzschelm«, erwiederte der Erste.

Der Proviantverwalter, der alljährlich vom Statthalter aus sechs Edelleuten, die den Ausschuß der Decurionen bildeten, erwählt wurde, hatte im Gerichtshofe für die öffentlichen Angelegenheiten den Vorsitz. Dieser Gerichtshof, der aus zwölf Edelleuten bestand, hatte neben andern Obliegenheiten vornehmlich dem Ankauf und der Auflagerung des Getreides vorzustehen. Ein Mann, der ein solches Amt bekleidete, mußte natürlich in so stürmischen Zeiten, wo Hunger und Unwissenheit Hand in Hand gingen, für den Urheber der Noth gelten, obgleich er das nicht gewagt hatte, was Ferrer that; wäre es ihm auch in den Sinn gekommen, so hätte es ihm doch gänzlich an Macht dazu gefehlt.

»Die Schurken!« rief ein Anderer aus, »kann man es noch weiter treiben? haben sie sich nicht unterstanden, öffentlich zu behaupten, der Großkanzler sei ein kindisch gewordener alter Mann; sie denken ihn dadurch um sein Ansehn zu bringen, damit sie das Kommandiren haben. Man sollte die Schurken alle in einen Stall treiben und ihnen den Bauch mit Wicken und Unkraut füllen, wie sie uns abspeisen wollen.«

»Brod, he?« schrie Einer, der sich durchdrang. »Brod? – Wartet nur, pfundschwere Steine hagelt es herunter. Und wie[227] viele zerschlagene Köpfe, wie viele zerbrochene Rippen! Ich bin froh, wenn ich erst wieder zu Hause bin.«

Unter diesen und ähnlichen Reden, von denen es dahingestellt bleiben muß, ob sie ihn aufklärten oder verblüfften, und unter Püffen und Stößen kam Renzo endlich bei jenem Bäckerladen an. Dem Volke war daselbst schon tüchtig zugesetzt, und es hatte sich bereits ziemlich verlaufen; so konnte er sich die scheußliche, noch ganz frische Verwüstung hinlänglich betrachten. Von den Mauern des Hauses hatten Feld-und Backsteine den Kalk abgerissen, die Fenster waren eingeschlagen, die Thüren zertrümmert.

– Daran haben sie aber doch nicht gut gethan, – dachte Renzo; wenn sie alle Backöfen so zurichten, wo wollen sie denn Brod hernehmen?

Von Zeit zu Zeit kam Einer oder der Andere aus dem Laden und schleppte einen Brodkasten, ein Stück von einem Backtrog, oder einen Mehlbeutel, eine Bank, einen Korb, auch wohl ein Rechenbuch und allerlei Kleinigkeiten aus dem armen Bäckerhause fort und drang mit dem Rufe: »Platz, Platz!« durch die Menge. Alle diese schlugen ein und denselben Weg ein und begaben sich augenscheinlich nach einem verabredeten Orte.

Was wird denn da los sein? – dachte Renzo und folgte einem Manne nach, der sich aus Brettern und Spänen ein Bündel gemacht, es auf die Schultern genommen und seinen Weg, wie die Andern, durch die Straße nahm, die sich an der Südseite des Domes hinzieht und die nach den Stufen, die einst daselbst waren, ihren Namen führte. So groß auch die Neugierde unseres Renzo war, die Ereignisse mit anzusehen, so mußte der Bergbewohner doch stehen bleiben, als er das große Bauwerk des Domes vor sich hatte und sich erst satt daran sehen. Dann verdoppelte er seine Schritte, um den Mann, den er sich als Wegweiser erkoren hatte, wieder einzuholen; als er um die Ecke bog, warf er noch einen Blick auf die Vorderseite des Doms, die damals zum großen Theile noch unvollendet war; dabei folgte er seinem Manne, der sich nach der Mitte des Platzes wandte, auf Tritt und Schritt.[228]

Je weiter man vorwärts schritt, desto größer ward das Gedränge, das jedoch dem schwer beladenen Manne Platz machte. So durchschnitt er die Wogen des Volks, und Renzo, der sich dicht hinter ihm hielt, gelangte mit ihm in den Mittelpunkt des Aufruhrs. Hier war auf einem freien Platze ein großes Freudenfeuer angezündet, wo die Reste der schon erwähnten geraubten Gegenstände hineingeworfen wurden. Ein schallendes Händeklatschen und Getrampel mit den Füßen, Freudengeschrei und Flüche begleiten diese Handlung.

Der Mann schleudert seinen Bündel in die Kohlen; ein Anderer schürt mit dem halbverbrannten Stumpf einer Schaufel die Glut und facht die Kohlen von unten und von den Seiten an; eine dicke Wolke von Rauch steigt auf, die Flamme schlägt wieder empor und mit ihr zugleich erhebt sich ein noch wüthenderes Geschrei: »Es lebe der Ueberfluß! Tod den Hungerleidern! Der Theuerung den Tod! Nieder mit den Speichern! Es lebe das Brod! Es lebe das Brod!«

Aber die Mehlbeutel und Backtröge zu verderben, die Backöfen zu verwüsten und die Bäcker wild zu machen sind eben nicht die besten Mittel, das Brod leben zu lassen; doch dies ist eine der metaphysischen Spitzfindigkeiten, die dem Pöbel nicht in den Sinn kam. Ohne nun ein großer Metaphysiker zu sein, kam unserm Renzo doch gleich dieser Gedanke; er behielt ihn jedoch für sich, denn unter all diesen Gesichtern war nicht eins, das zu sagen schien: Bruder, wenn ich Unrecht thue, so weise mich zurecht, ich werde es dir danken.

Schon war die Flamme abermals erloschen; es erschien Niemand mit neuen Brennmaterialien und die Leutchen fingen an sich zu langweilen. Da verbreitete sich plötzlich das Gerücht, am Cordusio – einem kleinen Platze in der Nähe – sei man eben dabei, einen Backofen zu stürmen. Bei solchen Gelegenheiten wird oft durch ein Gerücht die That wirklich hervorgerufen. Der Pöbel bekam sogleich Lust, hinzulaufen. »Ich gehe hin; kommst du mit? ich gehe mit; ich auch; ich auch; laßt uns gehen, kommt«, hört man von allen Seiten, und unter neuem Lärm bricht das Volk dahin auf. Renzo ging hinterher und wurde vom Strome[229] mit fortgerissen. Während dessen ging er mit sich zu Rathe, ob er nicht lieber versuchen sollte, aus dem Gedränge wieder heraus zu kommen, um den Pater Buonaventura vielleicht jetzt im Kloster anzutreffen, oder ob er sich die Geschichte noch weiter mitansehen sollte. Die Neugierde siegte wieder. Indessen beschloß er, sich nicht in das größte Gedränge hinein zu begeben, denn er verspürte durchaus keine Lust, sich die Knochen zerbrechen zu lassen, oder wohl gar noch etwas Schlimmeres zu wagen. In dieser guten Absicht folgte er dem Haufen von ferne, nahm das zweite Brod hervor und ließ es sich gut schmecken.

Die Menge hatte bereits die alte, enge Gasse Peschiera vecchia erreicht und zog aus dieser unter dem schrägen Schwibbogen weg auf den Platz dei Mercanti. Während man an der Nische vorüberging, welche die Säulenhalle des Gebäudes in der Mitte theilt, das damals das Doctorencollegium hieß, warf wohl Niemand einen Blick auf die große Statue, die hier stand; streng und finster blickte Philipp II. und flößte den Vorübergehenden aus dem Marmor sogar noch Ehrfurcht und Entsetzen ein; sein erhobener Arm schien zu sagen: was willst du, Gesindel?!

Von dem Platze dei Mercanti drängte sich der wilde Schwarm in das Gäßchen dei Fustagnai, und belagerte von dort den Cordusio. Ein Jeder wandte sogleich den Blick nach dem bezeichneten Bäckerladen. Aber anstatt schon eine Menge Freunde in Thätigkeit dabei zu sehen, erblickten sie nur Einige, die müßig herumstanden oder gaffend in einiger Entfernung von dem Laden hin und hergingen. Der Laden war verschlossen und an den Fenstern standen Bewaffnete, die ganz das Ansehen hatten, sich im Nothfalle zu vertheidigen. Man stand still und erkundigte sich bei den Hinzugekommenen, was sie zu thun gedächten. Einige ziehen wieder ab; Andere bleiben da. Das war ein Gewimmel, ein Gefrage, ein Stehenbleiben, ein Berathen. Mit einem Male aber läßt sich aus dem dicksten Haufen eine verwünschte Stimme mit dem Rufe hören: »Hier nebenan wohnt der Proviantverwalter; den wollen wir fassen, kommt.«

Es war, als erinnerte man sich plötzlich einer längst getroffenen Verabredung. »Auf! Auf! zum Proviantverwalter!« ertönte[230] es von allen Seiten wie aus einem Munde. So brach die Horde wüthend nach der Straße auf, wo das Haus stand, das in einem so unglücklichen Augenblick genannt wurde.

Quelle:
Manzoni, [Alessandro]: Die Verlobten. 2 Bände, Leipzig, Wien [o. J.], Band 1, S. 216-231.
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